Digitalisierung

Offene Ökosysteme: von Amazon, Whatsapp und Apple lernen

Thomas Heiserowski, Vorstand, EUROPACE AG
Quelle: Europace

Die Frage "Make or buy" hat in der digitalen Welt überlebt, meint Thomas Heiserowski. Nicht nur hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass es oft günstiger ist, Dienste einzukaufen. Sondern die Zusammenarbeit hat sich verändert: Es geht oft nicht mehr um bloße Dienstleister, sondern durch Vernetzung von Partnern entstehen neue Geschäftsmodelle, wie es Amazon oder Apple vorgemacht haben. Auch in der Finanzindustrie entwickeln sich solche offenen Ökosysteme, von denen alle Beteiligten profitieren können. Der Autor bezeichnet sie als schnelle Beiboote der Unternehmen. Red.

"Make or buy?" war lange die Frage traditioneller Industrien - auch in der Finanzwelt. Knallhart kalkulieren Controller, ob es sich rechnet, etwas selbst zu produzieren oder es besser einzukaufen. Oberstes Ziel: möglichst viel renditebringende Wertschöpfung im Unternehmen zu binden. Und gleichzeitig alles zu vergeben, was "unrentabel" ist. Ganze Systeme aus Zulieferern fußen auf dieser betriebswirtschaftlichen Denkweise.

Was für das produzierende Gewerbe schon lange gilt, hält nun auch Einzug auf dem Finanzmarkt. Kreditinstitute verlassen zusehends die Insel der Abschottung. Lange Zeit war jedes Unternehmen im Kern für sich alleine verantwortlich. "Das eigene Haus zuerst" galt lange als oberste Devise und vergab so manche Chance auf sinnvolle und profitable Kollaborationen.

Jetzt kommt der Markt in Bewegung, wie der Bankenreport Deutschland 2030 der Unternehmensberatung Oliver Wymann zeigt. In den nächsten 10 bis 15 Jahren wird es deutlich weniger Kreditinstitute geben. Die Unternehmensberatung rechnet mit 150 bis maximal 300 Banken gegenüber 1 600 heute in Deutschland tätigen Häusern.

Markt schafft offene Systeme

Vor diesem Hintergrund ist zu beobachten, dass Organisationen und Institutionen anfangen umzudenken. Die Erkenntnis: Es ist schneller, günstiger und deutlich effizienter, Dienste einzukaufen, die nicht zur eigenen Kernkompetenz gehören. Immer häufiger wird beispielsweise Software gemietet statt selbst programmiert.

Was wie ein klassisches "Buy" klingt, ist heute aber ein Netzwerk aus gleichberechtigten Partnern. Statt von einem Zulieferer zu sprechen, sind es Spezialisten, die durch Integration und Vernetzung zusammenarbeiten. So kann über Nacht ein neues Geschäftsmodell aus der Taufe gehoben werden - und eine Win-Win-Situation für beide Seiten entstehen.

Firmen wie Amazon, Apple und auch Zalando leben es vor. Sie haben ihre Schnittstellen (APIs) geöffnet. Daraus sind Ökosysteme aus Partnern und Entwicklern entstanden, die erfolgreich Geschäftsmodelle etablieren und eigene Ideen realisieren. Im Ergebnis steigt die Nutzung dieser Plattformen mitunter rasant. Bestes Beispiel liefert Apple. Mit Eröffnung des App Stores vor zehn Jahren explodierten die i-Phone-Verkäufe: von etwas mehr als 700 000 Stück im dritten Quartal auf fast 6,9 Millionen im vierten Quartal 2008.

Neue Möglichkeiten bei der App-Entwicklung

Gleichzeitig sind die entwickelten Plattformen, wie die von Apple, nie One-Size-Fits-All-Lösungen. Stattdessen fungieren sie als Basis, auf der die Plattformkunden eigene Produkte und Dienstleistungen schaffen. Diese neuen Produkte adaptieren, individualisieren oder erweitern die Plattformen. So entwickelt jeder Marktteilnehmer seinen USP immer weiter. Daraus entsteht ein großes Netzwerk, welches das Produkt erweitert und den Prozess katalytisch voranbringt.

Diese Entwicklung ist nicht planbar. So konnte kaum jemand voraussehen, dass Smartphones einmal als Fitness-Tracker und Küchenwaagen zum Einsatz kommen oder dass sie den häuslichen Energieverbrauch messen und regulieren.

Offene Ökosysteme, wie die um die iOS-Plattform, bieten ganz neue Möglichkeiten bei der App-Entwicklung. Rund 2,2 Millionen Apps waren im Herbst 2017 alleine im Apple-App-Store im Angebot.

Katalysator Kundennutzen

Wichtiger Erfolgsfaktor für diese Entwicklung ist der Kundennutzen. Nicht stetiges Wachstum oder maximale Rendite sind die Garanten für Wachstum, sondern die konsequente Ausrichtung auf den Kunden und seine Bedürfnisse.

Dieser Mindshift wird in Geschäftskonzepten wie etwa bei Whatsapp deutlich. Der inzwischen größte Messengerdienst löste geräuschlos die SMS ab, indem er einen (kostenlosen) Service anbot, der Menschen auf der ganzen Welt begeisterte. 1,5 Milliarden User weltweit nutzen die 2009 gegründete und 2014 von Facebook gekaufte App heute. Mit den Daten der Nutzer verdient das Unternehmen Geld.

Amazon, Zalando und andere Dienste stehen ebenso sinnbildlich für diesen Wandel, der die Old Economy in vielen Teilen ersetzt. Alle eint, dass sie sich an Werten ausrichten. Statt nur Produkte zu verkaufen, soll das Leben der Anwender durch die Services einfacher werden. Alles ist nutzerorientiert und letztlich am Kunden ausgerichtet.

Jeff Bezos hat über sein Geschäftsmodell einmal gesagt: "Amazon macht kein Geld, indem es Dinge verkauft. Wir machen Geld, indem wir Menschen helfen, Kaufentscheidungen zu treffen." Das ist Verkauf über Nutzen statt Marketing.

Beispiel Sparkasse Bremen

Die Sparkasse Bremen zeigt, wie diese Nutzerorientierung gelingen kann. Auf ihrer Webseite sind unter Baufinanzierungen tagesaktuelle Kredit-Rankings zu sehen - mit Konditionen und Anbietern. Die Sparkasse bedient sich für diese Transparenz einer offenen Schnittstelle (API) von Europace - und integriert so das Ranking auf der eigenen Webseite. Das Signal an den Interessenten lautet: Die Bank sucht für den Kunden die beste Kondition, auch über das eigene Institut hinaus. Den Vergleich verschiedener Banken und Angebote muss der Kunde nicht mehr mühsam alleine anstellen.

Davon profitiert auch die Sparkasse Bremen, indem sie sich als offener und kompetenter Finanzierungspartner präsentiert - auch für die Angebote von Mitbewerbern. So bedient sich auch die Internetvergleichsplattform Check 24 der offenen Europace-APIs und generiert eigene Hitlisten für seine Kunden.

Auch auf Berater fokussieren

Die Ausrichtung auf den Nutzen geht noch weiter. Damit eine B2B-Plattform wie Europace funktioniert, muss sie sich auch auf den Berater fokussieren. So arbeiten zum Beispiel alle Finanzberater mit CRM-Systemen. Diese für die Plattform selbst zu bauen, lohnt sich nicht. Europace bietet APIs, die das Kunden-CRM nahtlos mit Europace verbinden können. Damit wird die Plattform Teil des Ökosystems von Beratern und dieser kann sich auf seine Stärken konzentrieren.

Beide Seiten profitieren von einer höheren Integration:

- Europace kann sich auf seine Kernkompetenz konzentrieren und

- Berater profitieren von der besseren Prozessunterstützung.

Offene Systeme gleichen agilen Beibooten, die schnell im Markt unterwegs sind und den (eigenen) Tanker nicht noch größer und schwer manövrierbar machen.

Beiboot Snapview

Eines dieser Beiboote bei Europace ist Snapview. Das Videowerkzeug ermöglicht es, Bildschirmdarstellungen zwischen Berater und Kunden zu teilen - und zeitgleich per Kamera miteinander in Kontakt zu kommen. Rein formal wäre Europace in der Lage, diese Technik selbst zu entwickeln. Statt in einen hart umkämpften Markt einzutreten, hat sich das Unternehmen entschieden, mit einem auf Berater spezialisierten Anbieter zu kollaborieren. Das spart allen Beteiligten Zeit und Entwicklungskosten. Und für Berater hat sich der Werkzeugkasten im Kundendialog über Nacht vergrößert.

Damit erhält Snapview einen Marktzugang, der auf einem etablierten Geschäftsmodell fußt. Mehr als 500 Finanzinstitute und -vermittler können nahtlos auf die Lösung zugreifen. So entsteht eine Situation mit drei Gewinnern: Europace als Plattformanbieter bleibt schlank und flexibel, Snapview als Video- und Screensharing-Spezialist hat die Chance auf deutliche Umsatzzuwächse und Kreditinstitute und Berater erhalten eine Lösung, die sie schnell näher an ihre Kunden bringt.

Sparkasse Bremen, Check 24, Snapview - drei Beispiele für das Ökosystem Europace. Gemeinsam machen sie Baufinanzierung für Verbraucher zugänglicher und verständlicher. Alles mit dem Ziel, mehr Menschen den Traum vom Eigenheim zu ermöglichen. Der Erfolg ist ein geteilter und jeder übernimmt eine Spezialrolle. Das sorgt für Geschwindigkeit in der Entwicklung und Flexibilität bei der Veränderung von Geschäftsmodellen.

Zum Autor Thomas Heiserowski, Mitglied des Vorstands, Europace AG, Berlin
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