Digitalisierung

Omni-Channel im Retail: Die Grenzen sind fließend

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In der Diskussion um filialgestütztes versus Online-Banking gibt es kein Entweder-oder, so Peter Bosek. Dass die Erste Group gleichzeitig ins Filialnetz investiert und die digitalen Vertriebswege ausbaut, etwa mit der Videoberatung für kürzere Gespräche oder dem lernenden Banking-Tool George, ist insofern kein Widerspruch. Es geht darum, das Beste aus beiden Welten zu verbinden. Red.

Immer mehr digitale Wettbewerber machen den Banken Konkurrenz, vermitteln Kredite, bieten Online-Konten oder alternative Bezahlverfahren im Internet an. Gleichzeitig suchen immer weniger Kunden ausschließlich den physischen Kontakt, wenn sie neue Angebote von Finanzdienstleistern einholen, sondern informieren sich gerne auch im Internet. Die Banken haben längst erkannt, dass sie umdenken müssen, wenn sie in der digitalen Welt den Kontakt zu ihren Kunden nicht verlieren wollen. Die Branche befindet sich derzeit in einem tiefgreifenden Strukturwandel, dessen Ausmaß die Bundesbank erst kürzlich mit der Empfehlung an die deutschen Banken verdeutlicht hat, innerhalb der nächsten zehn Jahre rund ein Drittel der Filialen zu schließen.

Der Wettbewerb im Internet um die besten Serviceangebote lässt bereits jetzt erahnen, dass die Grenzen zwischen den Anbietern von Finanzdienstleistungen allmählich verschwimmen. Gleichwohl haben auch die klassischen Retail-Banken mit ihrem Filialgeschäft beileibe nicht ausgedient. Gegenüber den jungen Fintech-Unternehmen verfügen sie über einen nicht zu unterschätzenden Vorteil bei der anstehenden Neugestaltung des Finanzdienstleistungsmarktes: Sie kennen ihre Kunden persönlich. Das schafft Vertrauen. So zeigt eine repräsentative Umfrage im Auftrag von Erste Bank und Sparkassen in Österreich, dass die Menschen bei Finanzfragen ihrer Bank weitaus mehr vertrauen als der branchenfremden Konkurrenz.

Retail-Banking neu gestalten

Zwei Beispiele: 74 Prozent der Befragten sind sich sicher, dass ihre eigenen Daten bei der Bank vor dem Zugriff von Dritten geschützt sind. Aber nur ein Prozent glaubt das von Google. 75 Prozent wissen, an wen sie sich bei Fragen oder Problemen in ihrer Bank wenden können. Aber nur fünf Prozent wissen das bei Google oder Facebook. Diesen Vorteil gilt es intelligent zu nutzen.

Denn das Bankgeschäft ist mehr als eine Ansammlung von Anwendungen oder Apps. Im Gegenteil, es ist sogar etwas sehr Persönliches. Schließlich gibt der Kunde bei der Abwicklung seiner finan ziellen Angelegenheit oft sehr sensible Daten und Informationen preis. Online-Banking und die neuen digitalen Mög-lichkeiten im Internet können und werden darum auch in Zukunft den Service und die Beratung in einer Filiale nicht ersetzen, höchstens ergänzen können.

Trotz vieler mobiler Lösungen bleibt der persönliche Kontakt zwischen Berater und Kunde ein zentrales Kernelement im Retail-Banking. Nur so kann echte Kundenbindung entstehen - digitale Angebote sind dagegen jederzeit austauschbar.

Beratungszentren und Service-Filialen

Aufgrund dieser Erkenntnisse und einer umfangreichen Marktanalyse baut die Erste Bank in Österreich seit Anfang des Jahres ihr Filialsystem um.

- Während die digitalen Kanäle der Bank das Abwicklungsgeschäft in den Filialen entlasten,

- wird sich in Zukunft der Fokus in großen, optisch ansprechenden Kundenberatungszentren noch mehr auf die umfassende Betreuung der Kunden richten. In den neuen Zentren werden jeweils bis zu 50 Experten die Privat- und Firmenkunden zur gesamten Produktpalette der Bank beraten.

Im April dieses Jahres eröffnete die Erste Bank in Wien ihr erstes, 1 200 Quadratmeter großes Beratungszentrum mit mehr als 45 Finanzexperten. In den nächsten vier Jahren werden rund 30 neue solcher Filialen in den Bundesländern Wien, Niederösterreich und dem Burgenland hinzukommen.

Videoberatung nur für kürzere Gespräche

Zusätzlich entstehen an städtischen Knotenpunkten wie Bahnhöfen oder Einkaufszentren sogenannte "Service-Filialen", in denen Kunden ihre alltäglichen Bankgeschäfte schnell am Weg von A nach B erledigen können.

Für komplexere Anliegen können in den Service-Filialen per Knopfdruck Experten über Videotelefonie hinzu gezogen werden. Die Videoberatung ist somit eine praktische Ergänzung zum Filialkonzept, um jederzeit für alle Fragen gerüstet zu sein. Dabei wird sie die persönliche Beratung nicht ersetzen, sondern wird meist für kürzere Gespräche eingesetzt. Bei Themen mit umfangreichem Beratungsbedarf bevorzugen die meisten Kunden weiterhin das persönliche Gespräch. Insgesamt investiert die Bank rund 75 Millionen Euro in den Umbau des bestehenden Filialsystems.

Digitales Banking mit George

Zusätzlich hat die Erste Bank Anfang des Jahres mit "George" ein völlig neues digitales Banking eingeführt, das online oder per App genutzt werden kann. George orientiert sich in Sachen Design und Usability stark an Facebook und Google und steht den Produkten etablierter Internetkonzerne in nichts nach.

Das Tool verbindet die positiven Aspekte beider Welten: Die Sicherheit und Vertrauenswürdigkeit einer Bank sowie den Spaß an der Nutzung und das ansprechende Design, wie man es von den großen Internetgiganten kennt.

Bei der Entwicklung von George verfolgten Erste Bank und Sparkassen die Vision von einer intelligenten und mitwachsenden Technologie, die Finanzdienstleistungen nicht nur einfacher, schneller und unkomplizierter macht, sondern auch persönlicher. Konkret bedeutet das nicht nur, dass es verschiedene Möglichkeiten der Personalisierung für die Nutzer gibt, sondern auch, dass George sich mit individuell kombinierbaren Elementen den Bedürfnissen seiner Kunden anpasst.

In einem Plug-in-Store findet man diese Zusatzmodule, mit denen man sich das eigene Banking völlig individuell gestalten kann. So ist es zum Beispiel möglich, die Umsätze von eigenen Konten die man noch bei anderen Banken hat, in George zu integrieren und auf diese Weise bankübergreifend alle Finanzen auf einer Seite einsehen zu können. Diese Zusatzangebote werden stetig ausgebaut, mit teils kostenlosen, teils kostenpflichtigen Erweiterungen.

Eine besondere Stärke von George besteht auch darin, Daten übersichtlich und auf das Wichtigste reduziert aufzubereiten. Es gibt keine komplizierten Formulare, der Kunde muss sich keine IBANs merken und die Suchfunktion ist ebenso komfortabel, wie der Kunde es von Google & Co gewohnt ist.

Im Sinne einer umfassenden Integration aller Kanäle stärkt George aber auch den direkten Draht zum persönlichen Bankberater, den die Kunden online ganz direkt kontaktieren können. Kurzfristig auftretende Fragen können außerdem in Echtzeit über einen Support-Chat geklärt werden. So führt George die Bank und die Kunden noch ein weiteres Stück zusammen.

Das neue digitale Banking wurde in sehr kurzer Zeit sehr gut angenommen. Bereits in den ersten sechs Monaten nach dem Launch hat George knapp 300 000 aktive User - Tendenz steigend. Im Schnitt sind diese 39 Jahre alt, jeder fünfte Nutzer ist sogar älter als fünfzig Jahre. Erst einmal eingeloggt in George, verbringen die Kunden mehr Zeit mit ihren Finanzen, als das beim bisherigen Online-Banking üblich war. Denn genauso wie die Nutzung von Google und Facebook macht George den Usern einfach Spaß - und wer kann das sonst schon von seinem digitalen Banking behaupten?

Im Zentrum des Bankgeschäfts steht immer der Kunde. Und keiner weiß besser, was dieser will, als er selbst. Darum entwickelt die Erste Bank die neuen Filialformate und das Online-Banking gemeinsam mit ihren Kunden stetig weiter. So ist sichergestellt, dass es tatsächlich deren Wünsche und Anforderungen sind, die umgesetzt werden.

Die Kunden sind die besten Berater

Dafür stellt ihnen die Erste Bank diverse Feedback-Kanäle zur Verfügung - angefangen bei der klassischen Marktforschung oder einer sogenannten "Feedbacksäule" vor Ort in den Filialen bis hin zu einer Co-Creation-Plattform (www.s-lab.at) im Netz: Hier kann jeder, der sich an der Neugestaltung einer Filiale, einer neuen App oder an künftigen Services beteiligen möchte, seine Ideen und Wünsche einbringen oder Feedback zu konkreten Projekten geben. Auch der direkte Austausch mit Projektleitern in sogenannten Co-Creation-Workshops ist möglich oder die Teilnahme an Beta-Tests. Die Ergebnisse werden evaluiert und im Erste Hub, dem Innovationslabor der Erste Bank, zur Marktreife gebracht. Und das Engagement der User wird natürlich anerkannt und belohnt: Regelmäßig kürt die Bank die beste Idee des Monats sowie einen "Held des Monats".

Auch beim neuen Filialkonzept reden die Kunden mit: In den letzten zwei J ahren wurde zunächst im Future Lab - einer völlig neuartigen Versuchsfiliale - getestet, was ankommt und wie das Feedback der Kunden zu einzelnen Elementen ist. So orientieren sich die Einrichtung, die Auswahl der Betreuer, das Design und die Ausstattung der neuen Beratungszentren ganz an den Bedürfnissen der Kunden. Auf ihren Wunsch stehen beispielsweise die Selbstbedienungsgeräte mit Blickrichtung zum Eingang.

Die Räumlichkeiten sind ganz auf die Beratung der Kunden ausgerichtet: 80 Prozent der Filialflächen stehen ausschließlich für die Kundenbetreuung zur Verfügung und nur ein Fünftel wird für administrative Tätigkeiten genutzt. Dabei muss es auch nicht mehr unbedingt so förmlich sein: Die Beratungen können künftig auch einmal an der Kaffeebar oder auf bequemen Sitzmöbeln mit Couchtisch stattfinden.

Gleiches gilt für die technische Ausgestaltung der Filialen, die zudem als Bindeglied zu den digitalen Lösungen fungieren. Neben einem kostenlosen Wlan-Zugang in jeder Filiale gibt es zum Beispiel in der Filiale am Universitäts-Campus ein besonderes Gadget: Hier können die leeren Akkus von Handys an speziellen Ladestationen in abschließbaren Boxen rasch wieder aufgetankt werden.

"Sowohl-als-auch" statt "Entweder-oder"

Unser Fazit: In der Diskussion über filialgestütztes versus Online-Banking gibt es kein Entweder-oder, sondern nur ein Sowohl-als-auch. Der persönliche Kontakt zwischen Kunde und Bankberater bleibt trotz vieler guter mobiler Lösungen ein Kernelement im Retail-Banking, den es zu nutzen gilt. Die Standard-Bankgeschäfte werden dabei in Zukunft vor allem auf den neuen digitalen Banking-Kanälen stattfinden und entlasten damit das Filialgeschäft. Dadurch kann die Beratung noch mehr in den Mittelpunkt rücken.

In diesem Mittelpunkt steht der Kunde und er entscheidet, wie er seine Bankgeschäfte tätigen will. Die Filiale und das rund um die Uhr verfügbare Online-Banking ergänzen sich nahtlos und bieten ein innovatives und einheitliches Kundenerlebnis.

Keine Geschäfte mit den Daten der Kunden

Klassische Retail-Banken haben neben ihrer physischen Präsenz und der persönlichen Beratung einen weiteren entscheidenden, noch nicht erwähnten Vorteil, der in Zeiten von zunehmender Daten-Transparenz eine immer größere Rolle spielt: Google & Co machen Geschäfte mit den Daten ihrer Nutzer. Sie geben sie an Dritte weiter, um damit Werbeeinnahmen zu generieren. Bei einer Bank ist das undenkbar. Dementsprechend würden auch fast 90 Prozent der Befragten in Österreich keine Bankdienstleistungen von Google, Facebook oder Amazon in Anspruch nehmen. Der Schlüssel zum Erfolg der Retail-Banken bleibt also weiterhin eine geschickte Kombination aus unterschiedlichen Zugangsmöglichkeiten und dem Vertrauen, das die Kunden in ihre Hausbank und in ihren Bankberater haben.

Zum Autor

Peter Bosek, Mitglied des Vorstands, Erste Group Bank AG, Wien

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