Digitalisierung

Eine riesige Chance für Direktbanken

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Für eine Direktbank ist Digitalisierung Teil ihrer DNA. Insofern sieht Arno Walter das Megathema der Branche vor allem als große Chance für die Comdirect. Auch eine Direktbank muss sich jedoch anpassen. Vollständig elektronische Prozesse gehören dazu, das Denken in "Use Cases" für den Kunden und agile Entwicklungsmethoden, mit denen sich Innovationen in unserer schnelllebigen Zeit schneller an den Markt bringen lassen. Auch Kooperationen mit Fintechs eröffnen neue Chancen. Red.

Die Digitalisierung ist in der Gesellschaft längst angekommen. Der Wandel ist überall spürbar und sichtbar: eCommerce wächst weiterhin stetig und rasant, weil die Deutschen regelmäßig via Internet einkaufen. Weil viele Leser, um sich zu informieren, bereits heute eher auf Online-Angebote von Nachrichtenseiten zurückgreifen, als dass sie sich eine gedruckte Zeitung kaufen.

Und weil natürlich die Digitalisierung auch vor dem Banking keinen Halt macht: Die Kunden sind es gewohnt, immer und überall ihre Finanzgeschäfte erledigen zu können. Eine Herausforderung für die Institute, der nur mit einer Digitalisierungsstrategie und deren konsequenter Umsetzung Rechnung getragen werden kann.

Ein Paradox unserer Zeit ist, dass eine Branche, die zunächst in der Digitalisierung führend war, bei deren Umsetzung nun von anderen Bereichen überholt zu werden scheint. Es waren die Banken, die die Überweisung schnell und zügig auf Computer umstellten. Im BTX der achtziger Jahre waren es auch zuerst die Finanzinstitute, die einen Online-Zugang anboten. Umso mehr ist es heute für die Banken wichtig, wieder eine führende Rolle bei der Digitalisierung anzustreben.

Internetnutzung ist im Alltag angekommen

Die Entwicklung hat rasant an Tempo und Dynamik gewonnen. Von dem klassischen PC Anfang der neunziger über Laptops bis hin zu den heutigen Smartphones, Tablet-Computern und Wearables; die Digitalisierung prägt den Alltag. Auch die Nutzungsgewohnheiten haben sich enorm verändert.

Ein Blick auf die Statistiken zeigt, wie fundamental der digitale Wandel ist. Die Internetnutzung stieg und steigt hierzulande kontinuierlich. In den ersten drei Monaten des letzten Jahres waren laut Statistischem Bundesamt 8 von 10 Deutschen ab 10 Jahren online. Das sind umgerechnet 58,6 Millionen User. Vier Jahre zuvor lag diese Zahl um 5 Prozentpunkte niedriger und erreichte "nur" 75 Prozent. Parallel zur Anwenderzahl war auch eine wachsende Nutzung des Internets zu beobachten. Waren beispielsweise 2009 nur 70 Prozent täglich im Netz aktiv, so stieg deren Anteil im Verlauf von 5 Jahren auf 82 Prozent.

Augenfällig ist, dass die Smartphones eine zunehmend wichtigere Rolle beim Internetzugang spielen. Alles in allem gingen 63 Prozent der Deutschen mit einem Mobilgerät online, in der Gruppe der 10- bis 24-jährigen lag der Anteil sogar bei 80 Prozent. Das Internet ist somit ein ständiger Begleiter geworden.

Zwei Facetten aus Bankensicht

Digitalisierung hat für die Banken zwei Facetten. Zunächst stellt sich die Frage, welche Auswirkungen die Digitalisierung auf das Kerngeschäft der Banken hat und wie das Kerngeschäft weiterhin erfolgreich und profitabel gestaltet werden kann. Hier ist ein kontinuierliches Anpassen des Geschäftsmodells notwendig, indem immer wieder kurzfristige Chancen erkannt und genutzt werden. Das ist die nötige digitale Transformation und Evolution.

Der zweite und fast noch spannendere Punkt ist die Eröffnung neuer "digitaler Horizonte". Durch die Digitalisierung entstehen komplett neue Geschäftsmodelle und Produkte. Prozesse und Angebote werden hierbei neu durchdacht und definiert. Diesen Bereich kann man als digitale Erneuerung oder Innovation bezeichnen.

Immer digital denken

Aus Sicht der Comdirect heißt dies dreierlei.

- Erstens: Ein Kunde kann grundsätzlich alle Produkte und Leistungen rund ums Banking, Brokerage und den Vermögensaufbau online nutzen. Und zwar über alle Endgeräte vom PC bis zum Smartphone, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, ganz gleich wo er ist. Lediglich ein Netzzugang ist eine zwingende Voraussetzung.

- Zweitens bedeutet Digitalisierung, dass alle Prozesse vom Frontend bis zum Backoffice digital gestaltet sein müssen. Das heißt in der Praxis also nicht nur eine ansprechende Webseite, sondern auch vollständig elektronische, effiziente Prozesse im Hintergrund.

- Drittens bedeutet es, dass die Bank und damit alle Kollegen digital denken und damit offen sein müssen für neue Impulse, Ideen und Anwendungen aus der Welt der Start-ups und ebenso aus anderen Branchen.

Ein Teil der DNA

Bei der Comdirect-Gründung als Tochter der Commerzbank im Jahre 1994 war die Grundidee geradezu revolutionär. Es ging um nicht weniger, als das Bankgeschäft für alle Privatkunden zu demokratisieren: Günstiger Zugang zum Kapitalmarkt für Privatanleger, Tagesgeldkonten, Direktzugang zu Börsen, kostenlose Girokonten - das gab es vorher kaum. Die Idee dahinter: Die Bedürfnisse der Kunden vom ersten Tag an in den Mittelpunkt zu stellen, auf teure Filialen zu verzichten und die Möglichkeiten moderner Technologie zu nutzen. Voll auf Digitalisierung zu setzen und diese von den Kundenanforderungen her zu denken. Es ist zu konstatieren: Die DNA von Comdirect war von Anfang an "Digital, nicht Analog".

Vor allem geht es damals wie heute darum, die Wünsche und Bedürfnisse der Kunden rechtzeitig zu erkennen und in überzeugende - digitale - Angebote zu übersetzen, bevor andere es tun. Dabei muss, und das ist in gewisser Weise die zweite große Herausforderung, das Beste aus zwei Welten miteinander kombiniert werden - das Know-how, die Solidität und Seriosität sowie die Erfahrung mit Datenschutz- oder Regulierungsthemen einer inzwischen großen Bank mit der Agilität und Innovationsfreude eines Digital Enterprise.

Digitalisierung heißt auch das Denken in "Use Cases", etwas das viele Start-ups im Bereich Finanzen, die sogenannten Fintechs, bereits seit Jahren tun. Hier gilt es über die verschiedensten Kundengruppen hinweg, die Bedürfnisse und Anforderungen zu betrachten und bei der Entwicklung zu berücksichtigen. Auf diese Art und Weise ist in den vergangenen Jahren, Monaten und Wochen eine Vielzahl von Lösungen entstanden, die den Nutzen für die Kunden erhöhen.

Heute auch ohne Postident

In vielen klassischen Filialbanken war es bisher notwendig, zur Identitätsprüfung, wie sie beispielsweise für die Eröffnung eines Kontos notwendig ist, vor Ort bei einem Kundenberater einen Termin zu verein baren. Unter Vorlage von Ausweisdokumenten und weiteren Unterlagen sowie dem Ausfüllen von Formularen wurde dann ein Girokonto oder auch ein Sparbuch eingerichtet. Bei Direktbanken waren die Kunden bislang auf das Postident-Verfahren angewiesen, das neben dem ebenfalls notwendigen Ausfüllen von Vordrucken auch den Gang zur Post mit sich brachte.

Beim Videoident-Verfahren können heute die Antragsformulare direkt an die Bank gesendet werden, während die Identitätsprüfung einfach durch einen Kundenmitarbeiter im Videochat vorgenommen wird. Diese Lösung funktioniert dabei nicht nur über den klassischen Desktop-Rechner oder das Notebook, sondern ebenfalls über Smartphones.

Ähnlich wie die vereinfachte Identitätsprüfung für eine Kontoeröffnung ermöglicht Comdirect über den Videochat auch die Entsperrung eines Kontos. Im Gegensatz zu anderen Verfahren wurde das Comdirect Videoident-Verfahren hausintern entwickelt und integriert.

Das zahlt auf die Flexibilität ein. So konnten innerhalb weniger Monaten neue Leistungsmerkmale wie die Videochat-Funktion entwickelt und damit die Basis für eine künftig noch bessere und intensivere Kundenbeziehung geschaffen werden.

Passgenaue Angebote für individuelle Zielgruppen

Ein anderes Beispiel für ein passgenaues digitales Angebot ist die "Bessere Geldanlage" (BGA). Mit einigen wenigen Klicks wird der Comdirect-Kunde bei der Auswahl für ihn passender Investmentprodukte unterstützt, sowohl für die Einmalanlage als auch für regelmäßige Anlagen. Der digitale Anlageassistent reduziert die Komplexität.

"Last, but not least" bietet Comdirect auch das Tool Kundentrades an: Inspiriert von Soci al Media und Web-Communities wurden sieben verschiedene Profile entwickelt. Wie beispielsweise aus der Amazon-Einkaufswelt oder anderen Webseiten bekannt, wird der Käufer einer Aktie oder eines bestimmten Anlageprodukts darauf hingewiesen, welche Trades oder Anlageideen andere Comdirect-Kunden "near time", also zeitnah, umgesetzt haben.

Agile Entwicklung: "Time to market" reduzieren

Die Entwicklung passgenauer Lösungen ist wichtig. Ein weiterer essenzieller Bestandteil einer erfolgreichen Digitalisierung ist es, diese schnell und zeitnah zur Marktreife zu bringen. Das stellt viele Finanzinstitute vor große Herausforderungen. Bei vielen etablierten Banken sind die IT-Abteilungen vor allem damit beschäftigt, den Betrieb am Laufen zu halten. Zudem müssen die Institute derzeit sehr viele regulatorische Themen abarbeiten, sodass die Programmierung neuer Angebote teilweise schlicht an mangelnden Kapazitäten scheitert.

Eine weitere Hürde sind die internen Strukturen: Bisher haben viele Banken Produkte fertig konzipiert - und sie anschließend über eine lange Zeit programmiert. Als die Produkte dann auf den Markt kamen, waren sie häufig bereits veraltet und gingen am Bedarf der Kunden vorbei. Comdirect geht deshalb neue Wege, um schneller zu werden. So werden agile Programmiermethoden wie zum Beispiel Scrum genutzt. Dadurch konnte die Zeit von der Idee über Programmierung bis zur Einführung beispielsweise bei "Bessere Geldanlage" (BGA) stark reduziert werden. Doch nicht nur in der Erstellung und Programmierung neuer Lösungen und Angebote kommen agile Methoden zum Einsatz, auch in der täglichen Projektarbeit setzen die Teams auf Flexibilität und Geschwindigkeit, etwa durch Kanban.

Eine andere Maßnahme war, mit der Lösung nicht sofort "live" zu gehen, sondern das eine oder andere Produkt zunächst in einer Beta-Version für einen kleinen Kundenkreis anzubieten. So konnte die Bank sehen und lernen, wie es ankommt, wie es angenommen wurde und wie man es noch verbessern kann. Erst danach wurde das Produkt für alle Kunden auf den Markt gebracht.

Vieles, was die Comdirect in ihrer Digitalisierungsroadmap vorweggenommen und teilweise übernommen hat, fand und findet sich auch bei den Fintechs. Fintechs sind Teil des Digitalisierungstrends: Viele Firmen in diesem Bereich arbeiten in einem tollen Arbeitsumfeld mit IT-Spezialisten und hervorragenden Designern zusammen.

Fintechs: Kooperationspartner und Kreativpool

Die Bank beobachtet die Szene und neue Angebote genau und schaut sich an, sich davon lernen lässt. Manche Firmen haben wirklich smarte Lösungen, das muss man anerkennen. Sie konzentrieren sich auf Nischen, in denen sie Kunden einfachere und bessere Angebote machen können als Banken. Hier macht es durchaus Sinn miteinander zu kooperieren.

So führt Comdirect beispielsweise im September eine neue App ein, die zum Teil auf einer solchen Zusammenarbeit beruht. Diese App ermöglicht es, durch das Fotografieren einer Rechnung die Zahlungsdaten in eine Überweisungsvorlage zu übertragen und anschließend sofort den offenen Betrag zu begleichen.

Eine andere Form der Kooperation wird im Wertpapiergeschäft mit Wikifolio genutzt. Die Bank bietet hier eine Plattform, über die man eine große Zahl an Kunden erreichen kann. Gleichzeitig erweitert sie das Angebot für die Kunden, die über Wikifolio Anregungen erhalten und Portfolios anderer Trader folgen.

Digitalisierung ist eine riesige Chance

So wichtig passgenaue Produkte und die richtigen Prozesse dahinter sind, entscheidend ist auch der persönliche Kontakt mit dem Kunden - gerade in der digitalen Welt. Hierbei kommt dem Kundenservice eine Schlüsselfunktion zu. Eine permanente Verfügbarkeit - 24 Stunden, sieben Tage die Woche - ist von den Kunden nicht nur gewünscht, sondern wird mittlerweile vorausgesetzt: Und das ist unabhängig vom "Kanal", sei es per Mail, Chat, Videochat, Social Media oder Telefon.

In der Summe sehen wir die Digitalisierung der Gesellschaft für die Comdirect als eine riesige Chance. Als Online-Broker und Direktbank war sie bei digitalen Innovationen schon immer ganz vorne mit dabei, Digitalisierung ist Teil ihrer DNA; sie ist darüber groß geworden, für ihre Kunden Banking neu zu denken. Und jetzt kommen auch noch jene Kunden auf den Markt, die mit dem Internet und digitalen Kanälen groß geworden sind, die Digital Natives, für die die Bank mit ihren digitalen Angeboten ein idealer Partner ist. Darauf kann man sich natürlich nicht ausruhen. Es gilt schnell zu bleiben und die riesigen Chancen auch zu nutzen.

Zum Autor

Arno Walter, Vorsitzender des Vorstands, comdirect Bank AG, Quickborn

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