BANKING OHNE ZINS

Weitergabe von Negativzinsen

Prof. Georg Stadtmann, Foto: Bernd Geller

Seit die EZB den Zinssatz für die Einlagenfazilität in den negativen Bereich gesenkt hat, gehen Banken vermehrt dazu über, diesen negativen Zins an ihre Kunden weiterzugeben. Die Autoren gehen der Frage nach, unter welchen Umständen Sichteinlagen und Überschussliquidität entstehen und welche Rolle das Quantitative Easing (QE) in diesem Prozess spielt. In einem spieltheoretischen Rahmen wird in der Folge abgeleitet, unter welchen Umständen der Druck zur Weitergabe des negativen Zinssatzes für ein Kreditinstitut besonders hoch ist. Dabei stellen die Autoren fest, dass das Risiko negativer Auswirkungen einer Weitergabe des Negativzinses an die Endkunden sinkt, je mehr Banken sich für diese Strategie entscheiden. Eine kreative Möglichkeit, den Negativzins weiterzugeben, sehen Stadtmann, Moritz, Berthold in der Einführung von Kontoführungsgebühren. Red.

"Immer mehr Banken und Sparkassen verlangen auch von Privatkunden Negativzinsen. Bei den meisten Instituten gibt es Freibeträge, bei anderen zahlt man schon ab dem ersten Euro drauf." (Bakir 2019)

Im Juni 2014 hat die Europäische Zentralbank (EZB) zum ersten Mal den Einlagenzins in den negativen Bereich gesenkt. Der Einlagezins ist jener Zinssatz, der den Geschäftsbanken normalerweise vergütet wird, wenn sie über Nacht - in der sogenannten Einlagefazilität - Liquidität bei der Zentralbank anlegen. Letztmalig wurde der Einlagezins im September 2019 von - 0,4 Prozent auf - 0,5 Prozent gesenkt (Deutsche Bundesbank 2019a). Dieser Zinssatz gilt auch für Guthaben der Geschäftsbanken auf den Girokonten der Zentralbank, also für die sogenannte Überschussliquidität. Als Überschussliquidität bezeichnet man jene Liquidität, die Geschäftsbanken auf Konten bei der Zentralbank unterhalten, die über das Mindestreserve-Soll hinausgehen (vergleiche EZB 2017).

Vor Ausbruch der Finanzmarktkrise hat Überschussliquidität im Euroraum kaum eine Rolle gespielt. Erst mit Verlauf der Krise stieg die überschüssige Liquidität im Bankensektor signifikant an und erreichte im November 2019 einen Betrag von zirka 1 800 Milliarden Euro im Euroraum (vergleiche Deutsche Bundesbank 2019b). Dabei haben folgende Länder hauptsächlich Überschussliquidität aufgebaut: Deutschland, Frankreich, Niederlande, Finnland und Luxemburg (vergleiche Baldo et al 2017).

Insbesondere deutsche Banken haben mit mehr als 600 Milliarden Euro einen strukturellen Liquiditätsüberschuss (vergleiche Deutsche Bundesbank 2020a). Da Geschäftsbanken negative Zinssätze auf Überschussliquidität zahlen müssen, wirkt sich dies auch auf deren Profitabilität aus. In diesem Beitrag wird der Frage nachgegangen, unter welchen Umständen Kreditinstitute diesen negativen Zins an ihre Kunden weitergeben. Die Analyse erfolgt in einem spieltheoretischen Rahmen und enthält zahlreiche Sensitivitätsanalysen.

Zunächst soll jedoch geklärt werden, durch welche Transaktionen Sichteinlagen von privaten Kunden im Geschäftsbankensektor entstehen und wodurch überschüssige Liquidität der Geschäftsbanken bei der Zentralbank entsteht. Durch diese Analyse wird auch deutlich, welcher Zusammenhang zwischen Überschussliquidität (ÜL) und Sichteinlagen besteht.

Durch Wertpapierkaufprogramm entsteht Überschussliquidität

Zunächst sei die Kreditvergabe einer Geschäftsbank A an den Haushalt 1 in Höhe von 1 000 Euro betrachtet: In Höhe dieses Betrages entstehen dann zunächst Sichteinlagen (SE) des Haushalts 1 bei der Bank A. Unterstellt sei ferner eine Bargeldquote von 10 Prozent und ein Mindestreservesatz von 1 Prozent. Bank A muss dann Bargeld in Höhe von 100 Euro auszahlen. Auf die verbleibenden 900 Euro Sichteinlagen entsteht eine Mindestreservepflicht in Höhe von 9 Euro. Ferner sei unterstellt, dass Bank A in der Ausgangssituation nicht über Überschussliquidität verfügt. Es entsteht ein Refinanzierungsbedarf der Geschäftsbank von 109 Euro bei der Zentralbank. Die Auswirkungen dieser Transaktionen auf die Bilanz der Bank A sind in Abbildung 1 dargestellt. Aus der Bilanz wird deutlich, dass durch diese Transaktion keine Überschussliquidität entsteht.

In einem zweiten Beispiel sollen nun die Auswirkungen des Quantitative-Easing-Programms (QE)1 der EZB untersucht werden. Der Haushalt 2 verkauft ein Wertpapier in Höhe von 1 000 Euro an die Zentralbank (vergleiche Moritz/Berthold 2019). Allerdings kauft die EZB das Papier nicht direkt von dem privaten Haushalt und stellt diesem kein Bargeld zur Verfügung. Vielmehr wird die Transaktion über die Geschäftsbank B abgewickelt. Dies hat folgende Implikationen: Durch den Verkauf des Wertpapiers von 1 000 Euro entstehen Sichteinlagen von 1 000 Euro, der Weiterverkauf des Wertpapiers von Bank B an die Zentralbank lässt ein Guthaben der Bank B bei der Zentralbank in Höhe von 1 000 Euro entstehen. Somit entsteht also zunächst Überschussliquidität in Höhe von 1 000 Euro.

Aufgrund der Bargeldabhebung des Haushalts 2 und der Mindestreservepflicht entsteht ein Liquiditätsbedarf der Bank B in Höhe von 109 Euro, die diese durch die Einlösung von Überschussliquidität abdecken kann. Es verbleibt Überschussliquidität in Höhe von 891 Euro. Die Auswirkungen dieser Transaktionen auf die Bilanz der Bank B sind in Abbildung 2 dargestellt.

Aus diesen Überlegungen ergeben sich folgende Erkenntnisse:

- Im ersten Beispiel entstehen durch die Kreditvergabe der Geschäftsbank A an Haushalt 1 Sichteinlagen, jedoch keine Überschussliquidität. Somit hat der negative Strafzins praktisch keine Auswirkungen auf die Geschäftsbank.

- Im zweiten Beispiel entstehen durch den Wertpapierverkauf privater Haushalte an die Zentralbank via Geschäftsbanken sowohl Überschussliquidität als auch Sichteinlagen. Die Sichteinlagen steigen jedoch - aufgrund der Mindestreserve - stärker an als die Überschussliquidität.

Möglichkeiten zur Vermeidung von Strafzinsen sind begrenzt

Wie können Geschäftsbanken überhaupt auf negative Zinsen der Zentralbank reagieren, um die Strafzahlungen zu vermeiden?

- Sie könnten ihre Überschussliquidität in Bargeld umwandeln. Allerdings entstünden dann erhebliche Kosten für die Aufbewahrung (Lagerung in Tresoren und Versicherung).

- Sie könnten mehr Kredite vergeben. Dies setzt aber eine entsprechende Kreditnachfrage voraus und die Kreditnehmer müssen kreditwürdig sein. Jedoch ergibt sich bei einem Mindestreservesatz in Höhe von 1 Prozent und einer Bargeldquote von 10 Prozent ein Kreditschöpfungsmultiplikator von 9,17. Bei einer Überschussliquidität von 1 800 Milliarden Euro müsste das Kreditvolumen im Eurowährungsgebiet um zirka 16 500 Milliarden Euro zunehmen, damit über die Kreditvergabe die Überschussliquidität im Euroraum abgebaut wird. Demnach lässt sich durch eine zusätzliche Kreditvergabe der Banken die gegenwärtigen ÜL im Euroraum nicht abbauen (EZB 2017).

Die Möglichkeiten einer Vermeidung von Strafzinsen sind also begrenzt. Um die Gewinneinbußen durch die Strafzahlungen zu vermindern, verbleibt nur die Möglichkeit, die Strafzinsen auf die Bankkunden zu überwälzen. Neben höheren Kontoführungsgebühren wären Negativzinsen auf Einlagen (iE < 0) eine Alternative. Mit dieser Möglichkeit beschäftigen sich die folgenden Abschnitte.

Der Fokus der weiteren Ausführungen erfolgt ausschließlich mit Blick auf das Quantitative-Easing-Programm der EZB. Ohne Qualitätsverlust der Modellergebnisse wird im Folgenden von einer Mindestreservepflicht und von Bargeldabhebungen abstrahiert. Es wird angenommen, dass Haushalt 1 Wertpapiere über die Bank A und Haushalt 2 über die Bank B an die Zentralbank verkauft. Somit entstehen bei beiden Banken sowohl Überschussliquidität als auch Sichteinlagen in Höhe von jeweils 1 000 Euro. Ferner wird von einem vollkommenen Bankeneinlagenmarkt ausgegangenen und es werden Wechselkosten vernachlässigt, die einem privaten Haushalt bei einem Wechsel der Geschäftsbank entstehen.

Es werden somit zwei Geschäftsbanken betrachtet, die in der Ausgangssituation für ihre Kunden einen Einlagezins in Höhe von Null setzen. Beide Banken können negative Einlagezinsen erheben (aktive Strategie) oder die Einlagezinsen bei null belassen (passive Strategie). Wenn negative Einlagezinsen erhoben werden, so entspricht dieser dem Strafzins der Zentralbank mit iE= - 0,5.

Abwälzung der Negativzinsen als Alternative

Es sei ferner angenommen, dass die Bankkunden nicht ausweichen können und ihr Geldvermögen im Geschäftsbankensektor belassen müssen. Somit wird unterstellt, dass die Kosten für eine Abhebung und Aufbewahrung des Vermögens in Form von Bargeld prohibitiv hoch sind. Wieviel Einlagen bei Bank A beziehungsweise Bank B gehalten werden, hängt von der Zinsentscheidung der beiden Banken ab.

Die Abbildungen 3 und 4 fassen die Auswirkungen auf das Anlageverhalten der Kunden und die Gewinne der Banken in der jeweiligen Strategiekombination zusammen.

- Falls beide Geschäftsbanken eine passive Strategie wählen und den Zins für Guthaben bei 0 Prozent belassen, dann kommt es nicht zu einer Umschichtung der Einlagen. Beide Geschäftsbanken zahlen 5 Euro Strafzinsen an die Zentralbank.

- Falls beide Geschäftsbanken einen negativen Einlagezins erheben, dann haben die Kunden keinen Anreiz, ihre Bank zu wechseln und werden das Geld bei ihrem jeweiligen Institut belassen. Aus Sicht der Banken entsprechen die Strafzahlungen an die EZB den Einnahmen aus den negativen Einlagezinsen der Kunden. Die Gewinne sind dann 0 Euro.

Falls sich Bank A für eine aktive Strategie entscheidet und den negativen Zins weitergibt, Bank B sich jedoch für eine passive Strategie entscheidet, so wird der Haushalt 1 seine Einlagen bei Bank A auflösen und bei Bank B anlegen. Bank A verliert und seine Einlagen, bei Bank B werden 2 000 Euro gehalten.

Mit dieser Umstrukturierung der Einlagen ist aber auch eine Veränderung der Überschussliquidität verbunden. Aufgrund der Umstrukturierung der Einlagen des Haushalts muss die Geschäftsbank A Zentralbankgeld im Volumen von 1 000 Euro an die Bank B überweisen. Damit verliert Bank A ihre Überschussliquidität und muss keine Strafzinsen mehr zahlen. Bank B hat nun Überschussliquidität in Höhe von 2 000 Euro und muss Strafzinsen von 10 Euro leisten. Da Bank B den Strafzins nicht an ihre Kunden weitergibt, ist ihr Gewinn minus 10 Euro.

Da das Spiel symmetrisch aufgebaut ist, treten genau umgekehrte Folgen ein, falls Bank B einen negativen Zins verlangt und Bank A den Zins auf null belässt.

Einführung von Verwahrentgelten ist die dominante Strategie

Interessant ist, dass die aktive Bank für die passive Bank einen negativen externen Effekt erzeugen kann: Durch die Zinsanpassung der aktiven Bank sinkt der Gewinn für die passive Bank! Dieser Effekt wird weiter unten noch intensiv diskutiert.

Zunächst sei überprüft, ob es für Bank A eine dominante Strategie gibt:

- Falls Bank B die aktive Strategie wählt, so ist die beste Antwort von Bank A, ebenfalls eine aktive Strategie zu wählen.

- Falls Bank B hingegen eine passive Strategie wählt, so ist die beste Antwort von Bank A ebenfalls, eine aktive Strategie zu wählen.

- Unabhängig davon, welche Strategie Bank B wählt, ist die aktive Strategie immer die beste Antwort für Bank A. Die aktive Strategie ist somit eine dominante Strategie.

Der Damm ist gebrochen

Da es sich um ein symmetrisches Spiel handelt, gelten die gleichen Überlegungen auch für Bank B. Auch diese besitzt die dominante (aktive) Strategie. Dies bedeutet für den Spielausgang: Beide Banken wählen eine aktive Strategie und geben den negativen Zins an die Kunden weiter. Die Strategiekombination (aktiv, aktiv) stellt somit auch das Nash-Gleichgewicht dar. Kein Spieler hat einen Anreiz seine Strategie zu überdenken, gegeben, dass der Gegenspieler an seiner Strategie festhält.

Nachdem bereits mehrere kleinere Volksbanken und Sparkassen einen negativen Zins implementiert hatten, machte im Dezember 2019 die Entscheidung der Comdirect Bank Schlagzeilen, die als erste große Online-Bank Strafzinsen implementierte (vergleiche Eßlinger 2019). In einem Interview sagte der Geschäftsführer von Verivox - einem großen Internetportal für Konditionenvergleiche: "Der Damm ist gebrochen. Spätestens wenn Kunden im großen Stil anfangen, Einlagen zu verschieben, wird es für die Banken schwerer, sich dem Trend zu Negativzinsen zu entziehen." Eßlinger (2019). Dies ist der Fall, da durch Verschiebungen von Geldern der oben beschriebene negative externe Effekt erzeugt wird.

Wechselkosten spielen eine wichtige Rolle

Im oben skizzierten theoretischen Fall agieren nur zwei Banken. Was verändert sich, wenn man die Anzahl der Banken zum Beispiel auf n = 100 ansteigen ließe? Je höher die Anzahl der Banken, desto geringer ist der negative externe Effekt, den eine Bank ausübt, die den negativen Zins einführt. Führt lediglich eine einzige Bank einen negativen Zins ein, so verändert sich das Einlagevolumen für alle 99 passiven Banken nur um etwas mehr als zehn Geldeinheiten, genauer genommen um 1000 / 99 Geldeinheiten. Je größer die Anzahl der Banken im Markt, desto geringer fällt auch die negative Externalität aus, die eine Bank durch einen Strategiewechsel erzeugen kann. Somit ist der strategische Effekt kleiner, die Wahrscheinlichkeit eines Dominoeffektes nimmt ab.

Die oben geschilderten Zusammenhänge sind natürlich nur unter den explizit und implizit getroffenen Annahmen gültig. Eine implizite Annahme bestand zum Beispiel darin, dass Kunden stets vollständig zu jener Bank wechseln, die einen höheren Zinssatz bietet. Genauer gesagt wurde angenommen, dass Kunden sofort ihr Geld komplett von einer Bank abziehen, falls diese einen negativen Zins etabliert und noch eine andere Bank im Markt ist, die diesen Strategiewechsel nicht vorgenommen hat.

Es wird nun angenommen, dass die Wechselkosten sind für einen privaten Bankkunden größer als 5 Euro sind. In diesem Fall wird Haushalt 1 nicht zur Bank B wechseln, falls Bank A einen negativen Einlagezins von minus 0,5 Prozent erhebt.

Für die Verteilung der Einlagen und der Gewinne folgt dann: Wie in Abbildung 5 dargestellt, betragen die Einlagen bei einer Bank unabhängig von den Strategien stets 1 000 Euro. Daraus folgt auch, dass beide Banken in jedem Szenario 5 Euro Strafzinsen an die Europäische Zentralbank zahlen müssen. Erheben sie ihrerseits keine negativen Einlagezinsen, dann sind ihre Gewinne stets minus 5 Euro. Erheben sie einen negativen Einlagezins, dann sind ihre Gewinne Null.

Es ist zu erkennen, dass auch unter Berücksichtigung von Wechselkosten die aktive Strategiekombination das Gleichgewicht in dominanten Strategien darstellt.

Jedoch wird auch deutlich, dass die Höhe des strategischen Effekts entscheidend vom Wechselverhalten der Kunden beeinfluss wird: Wenn Kunden aufgrund zu hoher Wechselkosten stets bei ihrer angestammten Hausbank verweilen, tritt keine negative Externalität auf. Führt zum Beispiel Bank A einen negativen Zins ein, wandern keine Kunden zu Bank B, der Gewinn der Bank B sinkt nicht.

Passivüberhang erhöht den Druck

In diesem Abschnitt sei wieder auf das ursprüngliche Basisszenario abgestellt. Im Folgenden sei jedoch davon ausgegangen, dass die beiden Banken eine unterschiedliche Größe haben beziehungsweise der Passivüberhang der Bank A höher ist als bei Bank B. In jenem Szenario, in dem beide Banken eine passive Strategie wählen, hat Bank A 1 500 Euro und Bank B 500 Euro als Einlagevolumen. Die zugehörigen Auszahlungen sind in Abbildung 7 in Klammern ebenfalls enthalten. Nun werden zwei Effekte deutlich:

- Zum einen hat die Bank A einen höheren Druck, ihre passive Strategie zu verändern und eine aktive Strategie zu fahren.

- Zum anderen ergeben sich durch die asymmetrische Modellierung der Banken auch unterschiedlich große externe Effekte: Passt eine große Bank ihre Strategie an und wechselt von passiv auf aktiv, so erzeugt sie einen größeren externen Effekt als eine kleine Bank.

Dies bedeutet für die Praxis: Der Druck ist bei jenen Instituten am größten, die einen relativ hohen Passivüberhang haben. Dies trifft in Deutschland in der Regel auf die Volks- und Raiffeisenbanken und den Sparkassensektor zu.

Zum anderen wird deutlich, dass wenn ein kleines Institut seine Strategie anpasst, der externe Effekt gering ist. Selbst wenn schon einige kleinere regionale Banken den negativen Zins weitergeben, muss dies nicht automatisch dazu führen, dass alle Banken deshalb diesen Strategiewechsel vornehmen. Dies ist der Fall, da kleine Institute nur einen geringen negativen externen Effekt erzeugen.

Bisher wurde implizit davon ausgegangen, dass es sich um ein simultanes Spiel handelt und beide Banken ihre Strategiewahl zum gleichen Zeitpunkt treffen. In der Realität wird es jedoch eher so sein, dass die Zinsentscheidungen von Banken gerade nicht zu einem einheitlichen Zeitpunkt getroffen werden, sondern zu unterschiedlichen Zeitpunkten.

Deshalb soll die theoretische Analyse nun etwas realitätsnäher gestaltet werden. Es wird angenommen, dass zunächst Bank A eine Zinsentscheidung treffen muss und anschließend Bank B auf die Aktion der Bank A reagieren kann. Ansonsten bleiben alle Annahmen des Basisszenarios bestehen. Die Frage ist nun, ob ein anderes Ergebnis als bei simultanen Entscheidungen resultiert. Aus der Spieltheorie ist bekannt, dass ein Gleichgewicht in dominanten Strategien bei simultanen Entscheidung auch ein teilspielperfektes Gleichgewicht bei sequenziellen Spielen ist. Dies wird im Folgenden gezeigt.

Gelöst wird das Spiel durch die Methode der Rückwärtsinduktion: Bank A muss Erwartungen darüber bilden, wie sich Bank B in der Zukunft verhalten wird.

- Hat Bank A im ersten Spielzug die aktive Strategie gespielt, so muss Bank B zwischen den Auszahlungen aktiv (0) beziehungsweise passiv (minus 10) entscheiden. Diese Auszahlungen sind in Abbildung 1 im oberen Teil des Spielbaums durch Fettdruck hervorgehoben. Somit wird sich Bank B für eine aktive Strategie entscheiden, falls Bank A zuvor auch eine aktive Strategie gewählt hätte. Diese Erkenntnis bezieht Bank A in ihre Entscheidung ein.

- Hat Bank A hingegen im ersten Spielzug die passive Strategie gespielt, so muss Bank B zwischen den Auszahlungen aktiv (0) beziehungsweise passiv (minus 5) entscheiden, die in Abbildung 8 im unteren Teil des Spielbaums enthalten sind. Somit wird sich Bank B für eine aktive Strategie entscheiden, falls Bank A zuvor auch eine aktive Strategie gewählt hätte. Diese Erkenntnis bezieht Bank A ebenfalls in ihre Entscheidung ein.

Fast ein Viertel mit Negativzinsen auf Einlagen

Aus diesen Überlegungen wird noch einmal deutlich: Unabhängig, wie sich Bank A im ersten Zug entscheidet, Bank B wird immer die aktive Strategie wählen.

- Entscheidet sich Bank A auf der ersten Spielstufe für eine passive Strategie, so wählt Bank B eine aktive Strategie und Bank A erzielt einen Verlust von 10 Euro.

- Entscheidet sich Bank A jedoch auf der ersten Spielstufe für eine aktive Strategie, so wählt Bank B ebenfalls eine aktive Strategie und Bank A erzielt eine Auszahlung von Null.

Somit wird auch die Bank A eine aktive Strategie wählen. Es zeigt sich, dass das Ergebnis aus dem Basisszenario gegenüber der Annahme eines simultanen Spiels robust ist und sich derselbe Spielausgang einstellt.

Laut Monatsbericht der Deutschen Bundesbank (2019c) erheben schon 23 Prozent der Banken Negativzinsen für Giro- oder Tagesgeldkonten. Für September 2019 meldeten sie einen "negativen volumengewichteten Durchschnittszinssatz" auf Sichteinlagen.

Wie wird sich diese Entwicklung in der Zukunft gestalten? Ein wichtiger Aspekt ist natürlich die zukünftige Zinspolitik der Zentralbank. Falls die Zentralbank den Einlagenzins der Geschäftsbanken für Guthaben bei der Zentralbank noch weiter ins Negative senkt, erhöhen sich die Verluste, falls die Banken an der passiven Strategie festhalten und den negativen Zins nicht an die Kunden weitergeben. Somit ist der Anreiz zu einem Strategiewechsel umso größer, je weiter die Zentralbank das Zinsniveau senkt.

Alternative Möglichkeiten können Folgen abmildern

In den oben genannten Beispielen wurde davon ausgegangen, dass die Geschäftsbanken im Rahmen ihrer aktiven Strategie den negativen Einlagezins im Verhältnis eins zu eins an ihre Kunden weitergeben und somit einen Zins von i = - 0.5 Prozent implementieren. Diese Annahme lässt sich rechtfertigen, wenn keine Wechselkosten existieren und die Bankenmarkt einem Bertrand-Wettbewerb folgt.

Um sich vor den oben skizzierten negativen externen Effekten zu schützen, besteht eine weitere Strategieoption der Geschäftsbanken darin, den Negativzins nur von Neukunden zu fordern. Somit verschreckt man Altkunden nicht, baut jedoch eine Barriere auf, um wechselwillige Kunden abzuschrecken.

Eine weitere (kreative) Möglichkeit, die sich Banken haben einfallen lassen, um einen negativen Zinssatz zu vermeiden, besteht darin, Gebühren für Tagesgeldkonten einzuführen. Nach Ermessen der Autoren besteht der Unterschied darin, dass von einem negativen Zins weiterhin ein Imageschaden für die Bank entstehen könnte. Durch das Verwahrentgelt wird erwartet, dass dieser Imageschaden nicht eintritt.

Fußnote

1) Anfang 2015 hat die EZB das sogenannte "quantitative easing programme" beschlossen (vergleiche EZB, 2018). Das Ziel des QE ist es, durch den Kauf von Wertpapieren monetäre Impulse für die Wirtschaft zu schaffen und letztlich die Deflation der Euroraum zu bekämpfen (vergleiche Deutsche Bundesbank, 2020b).

Literatur

Bakir, D. (2019): Diese Banken und Sparkassen verlangen Strafzinsen von Privatkunden. Der Stern online. 20. November 2019. https://www.stern.de/wirtschaft/geld/negativzinsen--diese-banken-und-sparkassen-verlangen-strafzinsen-9010724.html

Baldo, L., Hallinger, B., Helmus, C., Herrala, N., Martins, D., Mohing, F., Petroulakis, F., Resinek, M., Vergote, O., Usciati, B., and Wang, Y. (2017): The Distribution of Excess Liquidity in the Euro Area, Occasional Paper Series, No. 200, European Central Bank.

Deutsche Bundesbank (2019a): EZB-Zinssätze. https://www.bundesbank.de/resource/blob/607806/748a00c321dfc60023876956b192767d/mL/s510ttezbzins-data.pdf

Deutsche Bundesbank (2019b): Geldpolitik und Bankengeschäft. Monatsbericht November 2019, 71. Jahrgang Nr. 11, S. 22 - 37. https://www.bundesbank.de/de/publikationen/berichte/monatsberichte/monatsbericht-november-2019-814802

Deutsche Bundesbank (2019c): Zur negativen Verzinsung von Einlagen nichtfinanzieller Unternehmen und privater Haushalte in Deutschland. Monatsbericht November 2019, 71. Jahrgang Nr. 11, S. 32 - 33. https://www.bundesbank.de/de/publikationen/berichte/monatsberichte/monatsbericht-november-2019-814802

Deutsche Bundesbank (2020a): Statistiken: Zeitreihe BBK01.TTA103 und Zeitreihe BBK01.IU3205. https://www.bundesbank.de/de/statistiken/banken-und-andere-finanzielle-unternehmen.

Deutsche Bundesbank (2020b): Glossar, https://www.bundesbank.de/de/startseite/glossar.

Eßlinger, L. (2019): Comdirect zieht nach - Erste große Online-Bank verlangt Strafzinsen und das dritte Institut erhebt sie sogar ab dem ersten Cent. Bild online 05.12.2019 https://www.bild.de/geld/mein-geld/konto-und-bank/strafzinsen-naechste-bank-erhebt-strafzinsen-ab-dem-ersten-cent-66452050.bild.html

EZB (2017): Was ist Überschussliquidität und warum ist sie wichtig? EZB: Explainers. 28. Dezember 2017. https://www.ecb.europa.eu/explainers/tell-me-more/html/excess_liquidity.de.html

EZB (2018): Asset purchase programmes?, EZB Monetary Policy, 2018. https://www.ecb.europa.eu/mopo/implement/omt/html/index.en.html

Moritz, K.-H., Berthold, K. (2019): Die Geldpolitik im EZB-Bilanzzusammenhang, in: Das Wirtschaftsstudium, S. 99 - 108.

Zschäpitz, H. (2019): Bankkunden droht jetzt der flächendeckende Strafzins. Die Welt online 4. Dezember 2019 https://www.welt.de/finanzen/plus204055466/Comdirect-Kunden-muessen-jetzt-Strafzinsen-zahlen.html

Prof. Georg Stadtmann, Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät (Wiwi) Lehrstuhlinhaber, Europa-Universität Viadrina, Frankfurt (Oder)
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Prof. Dr. Karl-Heinz Moritz, Professur für Volkswirtschaftlehre, FH Erfurt
Dr. Kristin Berthold, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, FH Erfurt
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