Leitartikel

Per Anhalter aus der Krise

"Alles, was geschieht, geschieht.

Alles, was sich selbst im Zuge seines Geschehens erneut geschehen lässt, geschieht erneut.

Alles, was während seines Geschehens etwas anderes geschehen lässt, lässt etwas anderes geschehen.

Allerdings tut es das nicht in chronologischer Reihenfolge."

Verwirrt? Wurde hier vom falschen Baum geraucht? Mitnichten. Das ist Weltliteratur. Manche huldigen es sogar als "Kult". Denn es sind die ersten Zeilen, mit denen Douglas Adams den fünften Band seiner Triologie "Per Anhalter durch die Galaxis" einleitet. Doch was - bitteschön - hat soviel Surreales mit so etwas Bodenständigem und Realem wie Immobilien zu tun? Offensichtlich mehr als es auf den ersten Blick scheint. Denn blickt man ein Jahr zurück, so erinnert sich der Chronist an eine Investmentbank, die für "too big to fail" gehalten wurde, bis sie fiel, und an einen Immobilienfinanzierer, der so systemisch bedeutend war, dass er durch das System erst in eine Lage geriet, die das System gefährdete - und zwar pünktlich am Vorabend eines der größten Basare für immobile Werte in diesem Land. Von den Schockwellen paralysiert starrte eine ganze Industrie verunsichert auf ihre Zukunft. Wie hatte es soweit kommen können? Und was mag da noch kommen können?

Ein Jahr nach der Expo (Sur)Real hat sich die Immobilienbranche noch nicht wieder von den Ereignissen erholt, die bis dahin für höchst unwahrscheinlich gehalten wurden. Unwahrscheinlich heißt jedoch nicht unmöglich - wie seitdem nicht nur die Leser von Adams "Anhalter" wissen. Noch ist nicht ganz sicher, ob der seinerzeit aus den USA über Dublin und München kommende Tsunami seinen Scheitelpunkt bereits erreicht hat. Zumindest bei den Immobilienfinanzierern scheint die Welle abzuebben. Es kann jetzt mit den Aufräumarbeiten begonnen werden. Manche Bank ist fortgespült, einigen muss das Fundament gestützt werden, vielen ist der Keller nass geworden. Was an Inventar und Strukturen - Hypotheken, MBS, CDO oder gleich ganzen Geschäftssegmenten - beschädigt ist, wird entweder konsequent aufgegeben oder wieder instand gesetzt, sofern noch Hoffnung auf Heilung besteht. Allerdings liefern hier Staat und Notenbank die lebensrettende Liquidität und die nötigen vertrauensbildenden Maßnahmen für den Markt. Mit Erfolg: Staatsgarantien und Staatsbesitz stützen die ungedeckte Refinanzierung in ausreichendem Maße. Der Pfandbriefabsatz kommt - vor allem seit dem Start des Einkaufsprogramms der EZB - wieder in Fahrt, sodass immer öfter auch wieder großvolumige Emissionen platzierbar sind. Dass dabei die Spreads noch weit über dem langjährigen Durchschnitt liegen, können die Pfandbriefbanken bisher noch sehr gut über die Margen abfangen, die sie bei den Kreditnehmern durchsetzen.

Letztere werden erst jetzt von der als Finanzmarktkrise startenden und mittlerweile zur Wirtschaftskrise ausgewachsenen Brandung erfasst. Verständlicherweise ist die Immobilienwirtschaft wenig erbaut, dass sie nunmehr an der Zeche für so manch übermütige Risikospekulation der Banken mit undurchsichtigen Verbriefungsstrukturen beteiligt werden soll. Doch ganz unschuldig sind die Investoren und Projektentwickler an ihrer unerfreulichen Situation nicht. Zu gerne spielten sie jahrelang "Der Preis ist heiß" - die globale Rateshow zur Wertentwicklung von Immobilien. So ließen sie die Renditen purzeln, kalkulierten mit Mondmieten, verstanden sich besser auf das Financial Engineering als auf die Immobilie und waren daher oftmals mehr Zocker als Kaufmann. Solide kalkuliert haben nur wenige. Die es dennoch getan haben, sind heute nach wie vor im Markt unterwegs, bekommen nach wie vor Kredit und kaufen und verkaufen nach wie vor aktiv.

Gewiss, die Rezession räumt nicht nur unter denen auf, die zu waghalsig waren, sondern sie fegt naturgemäß auch die aus dem Markt, deren Geschäftsmodell schon während der letzten Hochkonjunktur überholt war. Zwar ist es derzeit populär, öffentlich auf die vermeintlich neugeschäftsunwilligen Finanzinstitute einzudreschen, ehrlich ist es jedoch nicht. Diesen Vorwurf müssen sich auch weite Teile der Immobilienwirtschaft gefallen lassen. Denn - so bestätigen die Kontrolleure des Bankgewerbes - von einer Kreditklemme könne keine Rede sein. Ja, nicht einmal ein erheblicher Zinsanstieg ist zu konstatieren. Dass die Banken jetzt ihre Risikoaufschläge und eigenen Margen hochschrauben, ist ihnen nicht zu verübeln. Schließlich wird von ihnen auch erwartet, besser heute als morgen auf die staatlichen Gehhilfen verzichten zu können. Und es ist noch gar nicht so lange her, da klagten die auf Immobilienfinanzierung spezialisierten Institute über jämmerliche Margen, während die Immobilieninvestoren durch minimalen Eigenkapitaleinsatz sich weitgehend all ihrer Risiken entledigten - zu Lasten ihrer Finanzierer, denen heute lautstark Knauserigkeit unterstellt wird. Die Zeiten haben sich geändert - gemeinhin wird dies in der Ökonomie als Zyklus bezeichnet.

Es sollte unnötig sein, an den alten Marktgrundsatz zu erinnern, dass Veränderungen Anpassungen erfordern. Die Kreditwirtschaft ist mittendrin, ihre Strukturen zukunftsfähig zu machen - wohl auch weil es Staat und EU so verlangen. Die Immobilienwirtschaft steht erst am Anfang ihrer Neusortierung und Neuorientierung. Was es nicht geben darf, ist ein Zurück. Muss es beunruhigen, dass dem Vernehmen nach in einigen Banken wieder gezockt wird wie in alten Zeiten? Ist dieses "Business as usual" ein Indiz für die Erkenntnisresistenz einer enthemmten Branche oder endlich der ersehnte Wendepunkt, das Ende der Krise? Gutwillig will man Letzteres annehmen. Denn auch die gewöhnlich der realwirtschaftlichen Entwicklung vorauseilenden Börsen strotzen schon wieder vor Zuversicht. Wünschenswert wäre, dass auch die Immobilienwirtschaft jetzt - im Münchener Herbst - aus ihrem einjährigen Attentismus erwacht, den Blick wieder nach vorn richtet und den notwendigen Wandel ihrer Strukturen anpackt. Baustellen gibt es jedenfalls zur Genüge. Auch wenn Adams im "Anhalter" offensichtlich wenig Sympathie für Immobilien hegt, denn er lässt sie nur zu gern einstürzen, so gibt er seinem Helden, Arthur Dent, in jeder Krise doch stets den einen Rat, der auch der Immobilienwirtschaft auf dem Weg durch ihre aktuelle Krise gegeben werden kann: keine Panik. L. H.

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