Notenbanken

Mehr Differenzierung und Fairness, bitte!

Er wisse noch genau, wo er im Juli 2012 von der Ankündigung Mario Draghis erfahren habe, notfalls in unbegrenzter Höhe Staatsanleihen von Euroländern aufzukaufen, sagte Timothy D. Adams, CEO des International Institute of Finance, im November in Frankfurt. Die Aussage ist umso bemerkenswerter, wenn man weiß, wer zuvor Adams' Arbeitgeber war: In der Bush-Administration war er Chief of Staff der Finanzminister O'Neill und Snow und zuletzt von 2005 bis 2007 Undersecretary of Treasury for International Affairs. Die US-Finanzcommunity hat von Anfang an einer europäischen Währung keine Überlebenschance eingeräumt. Die Aussage des EZB-Präsidenten verhieß nun, dass man die nach dem Dollar zweitwichtigste Reservewährung der Welt gegenüber Kritikern und Spekulanten nicht kampflos aufgeben würde. Deshalb war für Adams die Londoner Rede vermutlich zunächst bedeutungsvoller als für viele Europäer.

Nach Ankündigung des OMT-Programms mussten bisher keine Staatsanleihen gekauft werden, trotzdem ist die EZB permanent im Kreuzfeuer der Kritik. Neben dem Vorwurf der Staatsfinanzierung sind es vor allem die Niedrigzinspolitik und die auf längere Sicht erwartete Inflation, für die sich die Notenbank rechtfertigen muss. Dabei ist die Geldpolitik nachvollziehbar, die niedrige Preisentwicklung in der gesamten Eurozone rechtfertigt ein ebenfalls niedriges Zinsniveau, auch wenn das deutsche Anleger nicht erfreut und für Lebensversicherungen und deren Halter schwierig wird.

Kommentatoren zeigten sich jüngst verwundert, dass Jens Weidmann der EZB beisprang. Aber sollte die Bundesbank etwa eine Inflation herbeireden, wenn es keine gibt? Draghi und Kollegen trauen sich das Management der Zinswende zu, bisher besteht kein Anlass, daran zu zweifeln. Der EZB also die stabilitätspolitische Überzeugung abzusprechen ist ebenso falsch wie ihr Eintreten für Konsolidierung und wirtschaftspolitische Reformen infrage zu stellen. So haben Draghi und EZB-Vertreter immer wieder betont, dass Reformen der Arbeitsmärkte und der öffentlichen Verwaltung in den Krisenländern neben den Sparprogrammen die wichtigsten Maßnahmen für nachhaltiges Wirtschaftswachstum und die Reduzierung der öffentlichen Verschuldung darstellen. "Reformieren und sparen", besser könnten es auch Vertreter der deutschen Regierung und der Bundesbank nicht sagen.

Und bei der Prüfung des hohen deutschen Exportüberschusses von rund sieben Prozent der Wirtschaftsleistung durch die EU-Kommission und Kritik von europäischen, aber auch amerikanischen Stellen, sprang der EZB-Präsident Deutschland zur Seite: die Schwachen würden nicht dadurch stärker, dass man die Starken schwach mache. Trotzdem vermittelt die Diskussion um die "richtige" EZB-Politik bisweilen den Eindruck, als untergrabe die EZB die Stabilität des Euro und als beginge ihre Führung "Vaterlandsverrat". Etwas mehr Differenzierung tut not.

Die Notenbank befindet sich im Spannungsfeld zweier unterschiedlicher europapolitischer Ansätze. Während der eine will, dass die Eurozone so schnell wie möglich zum Vertrag von Maastricht mit strikter Haushaltsdisziplin, Sanktionen bei Nichteinhaltung und dem Verbot der Staatsfinanzierung zurückkehrt und den Marktkräften eine freie Entfaltung zubilligt, stellt die andere Denkschule die Rationalität der Märkte infrage und zielt auf ein von den Märkten emanzipiertes Europa ab, das die finanz- und wirtschaftspolitische Integration bei gleichzeitigen Absprachen zur Haushaltskonsolidierung in den Vordergrund stellt.

Das Für und Wider beider Denkrichtungen abzuwägen und dann zu entscheiden, ist Aufgabe der Politik. Seit Beginn der Finanzkrise hat sie jedoch Reformen nur zögerlich in Angriff genommen - trotz mehr Koordinierung in der Wirtschaftspolitik und der Einführung von Fiskalpakt und Bankenunion bestehen wegen der virulenten Staatsschulden- und Bankenkrise weiterhin Anpassungslasten. Hier ist die Frage: Ist jedes Land für sich selbst verantwortlich, bleibt es bei Maastricht und kommt ein Insolvenzrecht für Staaten oder arbeiten wir an neuen Regeln, halten sie ein und kommunizieren sie den Märkten als gemeinsame Position? Die dem zugrunde liegende politische Frage lautet: Wie viel Europa will Europa?

Die EZB hat es satt, für andere die Kohlen aus dem Feuer zu holen und dafür hinterher auch noch gebrandmarkt zu werden. Dies zeigte sich in ihrem Bemühen, von den EU-Finanzministern Klarheit zu erhalten, wie bei notwendigen Bankenrekapitalisierungen als Folge der Stresstests vorgegangen werden soll. Man hätte sich von den Finanzministern einen eindeutigeren Backstop-Mechanismus gewünscht, zumindest solange der Abwicklungsmechanismus noch nicht in Kraft ist. Europäische Finanzmittel erst nach Kapitalmarkt, Anteilseignern und "Heimatland" - auf diesen Test der Märkte hatte die EZB es ungern ankommen lassen wollen, nun ist es die Beschlusslage.

Wenn die neuen Zahlen über einen Rekapitalisierungsbedarf auch nur annähernd eintreten, wird es spannend, denn die Kapitalmärkte werden testen, wie viel Zeit Eigner, Staaten und Europa brauchen, den Banken beizuspringen. Bei Turbulenzen sieht sich die EZB schon jetzt gefordert: Im Zweifelsfalle muss sie wieder Anleihen aufkaufen, weil sich Druck auf Staaten aufbaut und die Finanzminister sich nicht zügig zum Beispiel über die Inanspruchnahme der ESM-Mittel einigen.

Haben deutsche Anleger ein Anrecht auf risikoarme Rendite oder haben griechische Bürger einen Anspruch darauf, dass das Bildungs- und Gesundheitssystem - nachdem man sich zugegebenermaßen mit Hilfe von Banken, die vor- und nachher daran verdienten, in die Währungsunion gemogelt hat - nicht völlig vor die Wand fährt? Eine anspruchsvolle, faire Diskussion in Medien und Finanzkreisen, ohne dass der Boulevardstil in Leitartikel einzieht und ohne reflexartiges EZB-Bashing stünde Deutschland gut zu Gesicht. Mehr noch, dass die großen Parteien endlich den Mut aufbringen, im Europawahlkampf für ein selbstbestimmtes und verantwortliches Europa zu werben. Dass es das nicht umsonst gibt, wissen die Bürger längst.

Bettina Wieß, Frankfurt am Main

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