Zinskommentar

Unveränderter Leitzins der EZB stellt vieles in Frage

In der ersten Sitzung im neuen Jahr beschloss das Gremium der Europäischen Zentralbank (EZB) einstimmig, den Leitzins bei 0,75 Prozent zu belassen. Eine Senkung des Leitzinses sei zum aktuellen Zeitpunkt nicht geeignet, sagte EZB-Präsident Mario Draghi. Zwar sei die wirtschaftliche Entwicklung Europas noch immer mit hohen Risiken behaftet. Es gäbe aber Anzeichen für die Stabilisierung einiger Konjunkturindikatoren auf niedrigem Niveau. Dass die EZB den seit Juni unveränderten Zinssatz beibehalten würde, wurde aus verschiedenen Gründen von den meisten Experten erwartet.

Die Teuerungsrate hatte sich entgegen den Erwartungen im Dezember nicht verringert. Für die kommenden Monate gehen Experten aber von einer sinkenden Inflation aus, weshalb eine Leitzinssenkung dann zielführender scheint. Dies war aber nicht alleine ausschlaggebend für die Entscheidung der EZB. Die Signalwirkung einer Zinssenkung hätte den Euro geschwächt. Erstmals in der Geschichte der Europäischen Währungsunion hätte dies zudem zu negativen Einlagenzinsen führen können, deren Nebenwirkungen schwer abschätzbar sind. Zudem hätte die Bundesbank einer weiteren Zinssenkung nicht zugestimmt.

Analysiert man den bisherigen Einfluss der Leitzinssenkungen auf die Realwirtschaften Europas, so zeigt sich, dass deren Wirksamkeit eher gering war. Dass die Kreditwirtschaft und damit die Investitionstätigkeit nicht angekurbelt wurden, hängt weniger mit der Höhe des Leitzinses als vielmehr mit dem fehlenden Vertrauen der Investoren, Banken und Unternehmer in die wirtschaftliche Entwicklung der Krisenstaaten zusammen.

Denn trotz des niedrigen Zinssatzes, zu dem Banken Kredite aufnehmen können, sind die effektiven Finanzierungskosten für Unternehmer und Privatpersonen nicht gesunken. Die mangelnde Wirksamkeit konventioneller geldpolitischer Maßnahmen verleitet die EZB dazu, vermehrt andere Instrumente wie zum Beispiel den Kauf von Staatsanleihen zu nutzen. Draghis Ankündigung, unbegrenzt Staatsanleihen der Krisenstaaten zu kaufen, beruhigte die Märkte. Die verantwortlichen Regierungen erhielten dadurch Zeit, um ihre strukturellen und fiskalpolitischen Reformen zu initiieren und umzusetzen.

Obwohl die niedrigen Leitzinsen eine Richtgröße für viele kurzfristige Marktzinsen sind, blieben die Unternehmensund Privatkredite trotzdem in den entsprechenden Ländern hoch. Draghi rechtfertigt seine Ankündigung damit, dass er diese Störung in der Übertragung des Zinssignals in die Realwirtschaft beheben wollte. Ob diese Maßnahme allerdings rechtens ist, prüft das Bundesverfassungsgericht in den kommenden Wochen.

Insgesamt sind die Risikoaufschläge der hochverschuldeten Länder seit Draghis Ankündigung im August 2012 spürbar gesunken. Ungeachtet dessen, bleibt die Gefahr einer Rezession weiterhin hoch. Die anstehenden Parlamentswahlen in Italien, die weiter zunehmenden Schulden des spanischen Staatshaushaltes und die ungewissen Auswirkungen der Sparpolitik in Griechenland stellen die europäische Konjunktur auf eine harte Probe. Die enge Verflechtung Zyperns mit dem griechischen Bankensystem hat zur Folge, dass nun über ein Rettungspaket für Zypern verhandelt wird.

Weitere Leitzinssenkungen sind zwar ungewiss, aber Experten gehen davon aus, dass die EZB ihre expansive Geldpolitik bis zum Jahresende beibehalten wird. Aufgrund der zweifelhaften Wirkung des Leitzinses auf die Marktzinsen einzelner Länder, gilt auch für den Baufinanzierungszins in Deutschland: Bestimmend für die Zinsentwicklung bleibt die Attraktivität deutscher Staatsanleihen im Verhältnis zu denen anderer Länder. Liegt die Spitze der Schuldenkrise, wie Finanzminister Wolfgang Schäuble und einige EU-Vertreter behaupten, hinter uns, so könnten die Baufinanzierungszinsen wieder ansteigen. Der Beschluss der EZB, den Leitzins unverändert zu belassen, stärkte den Euro und senkte insgesamt die Renditen sicherer Anlagen. Alle Anlagenformen, die - wie die deutschen Staatsanleihen - von der Krise profitierten, könnten künftig an Attraktivität verlieren.

(Dr. Klein & Co. AG)

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