Leitartikel

Griechische Tragödie

"Griechenland liegt in der Mitte des Erdkreises", formulierte einst Aristides (540 bis 480 v. Chr.). Dem Aristokraten wurde selbst von seinen politischen Widersachern höchste moralische Prinzipienfestigkeit attestiert. Das Ansehen des attischen Politikers war so groß, dass er alleine von den Bündnispartnern des Delischen Seebundes damit betraut wurde, die Mitgliedsbeiträge jedes Staates festzulegen. Seine Entscheidung soll sogar ohne Murren von allen akzeptiert worden sein. Heute steht Griechenland wieder im Mittelpunkt des europäischen Interesses, allerdings nur, weil die politischen Nachfahren des Aristides das Vertrauen in die Zuverlässigkeit des griechischen Staates leichthin verspielt haben. Zu sehr, zu lange und zu unverfroren hat Athen getrickst und gezockt. Groß ist das öffentliche Entsetzen über gefälschte Staatsbilanzen und schöngerechnete Wirtschaftsdaten, mit denen sich die Hellenen vor einem Jahrzehnt in die Wirtschafts- und Währungsunion mogelten. Dabei hatten sich schon damals Volkswirte erstaunt die Augen gerieben, als der Ägäis-Staat wider Erwarten doch die Teilnahmebedingungen für die Euro-Einführung zu erfüllen schien. Vielleicht wären die Griechen mit ihrem offensichtlich äußerst geschickten Schwindel noch eine ganze Weile gut gefahren. Schließlich erlebte das Land in der Währungsunion auch dank üppiger EU-Transfers und fiskalischer Geschenke an seine Bürger einen ansehnlichen Aufschwung. Zum nachhaltigen Wirtschaften bestand daher aus Sicht der politischen Elite weder Anlass noch Interesse. Erst die Finanzmarkt- und Wirtschaftskrise offenbart jetzt, was solide errichtet und was nur ein Kartenhaus war. Insofern stellt die Krise - getreu des griechischen Wortursprungs - eine Entscheidung, einen Wendepunkt dar. Griechenlands Probleme sind gewaltig. Die Staatsverschuldung ist mit 120 Prozent des BI- exorbitant. Nach OECD-Schätzung könnte der Anteil 2011 sogar auf 127 Prozent steigen. Besonders problematisch ist dabei, dass der Löwenanteil der Schulden innerhalb der nächsten fünf Jahre refinanziert werden muss, wie die Analysten der Nord-LB anmerken. Erschreckend ist jedoch die Hilflosigkeit der europäischen Institutionen vor dieser Herausforderung. Die bisherigen Sanktionsmechanismen haben sich wie befürchtet als stumpf erwiesen. Weder haben sie das Verhalten von Regierungen in der Vergangenheit nachhaltig geändert noch gibt es Korrekturmöglichkeiten, wenn ein Mitgliedstaat nicht nach den Regeln spielt. So wuchsen nicht nur die Zweifel am Handlungswillen, sondern auch an der Handlungsfähigkeit Europas. Für Griechenland, aber auch für Europa und den über die Kapitalmärkte verflochtenen Rest der Welt ist das fatal und verschärft die ohnehin angespannte Situation. War die Finanzmarktkrise zu Beginn eine Solvenzkrise einzelner, systemisch relevanter Banken, trifft es in der Folge auch immer mehr Staaten. Nach Island, Lettland und Ungarn droht jetzt sogar einzelnen Kernstaaten der Eurozone die Solvenzkrise. Sollten tatsächlich griechische Staatsanleihen ausfallen, wäre eine Kettenreaktion die Folge, die auch andere Länder mitreißen könnte. Portugal, Spanien, Irland und Italien werden ebenfalls als potenzielle Brandherde gehandelt. Angesichts der möglichen Folgen eines griechischen Staatsbankrotts stellt sich wieder die Frage, ob eine konzertierte Rettung billiger ist. War die Ankündigung der griechischen Regierung, griechische Staatsanleihen in Höhe von 25 Milliarden Euro an China zu verkaufen, nur ein Akt purer Verzweiflung? Oder ist es eine politische Erpressung, wohl wissend, dass die anderen Euro-Länder einen solchen Kotau verhindern würden? Auch wenn die Staaten der Währungsunion vertraglich nicht verpflichtet sind, einen in Haushaltsnöte geratenen Mitgliedstaat zu stützen, so wird die Hilfe doch von ihnen erwartet. Bereits das Zögern der Gemeinschaft lockte Spekulanten an, setzte den Euro unter Druck und zog die Ratings einiger Mitgliedsländer in Mitleidenschaft. Schon jetzt sprechen Marktbeobachter und Volkswirte von einer irrationalen Ausweitung der Spreads für griechische Staatsanleihen. Auch portugiesische und spanische Bonds geraten in den Sog, obwohl die Fundamentaldaten der iberischen Länder ganz andere sind als die Griechenlands. "Investoren misstrauen Staaten derzeit mehr denn je", schlussfolgern zum Beispiel die Analysten der Nord-LB. Bonitätsherabstufungen von Staaten treffen jedoch auch die staatsfinanzierenden Banken. Da jedoch von den umlaufenden Staatsanleihen Griechenlands in Höhe von rund 300 Milliarden Euro griechische Banken nur etwa 40 Milliarden Euro halten, sind vor allem ausländische Institute von der griechischen Tragödie betroffen. Auch bei den deutschen Banken häufen sich deshalb die Anfragen nach dem Griechenland-Risiko. Dabei werden auch die Deckungsstöcke der öffentlichen Pfandbriefe genauer unter die Lupe genommen. Nach Auskunft des Verbandes deutscher Pfandbriefbanken (vdp) summieren sich die Forderungen an öffentliche Schuldner Griechenlands in den Deckungsstöcken auf rund acht Milliarden Euro. Im Verhältnis zum gesamten Deckungsvolumen öffentlicher Pfandbriefe von 534 Milliarden Euro sind das 1,5 Prozent (siehe auch nebenstehende Daten und Fakten). Erfasst werden dabei allerdings nur die nach § 28 PfandBG gemeldeten Angaben für die Deckungsmassen. Tatsächlich dürften sich die griechischen Ausleihungen im Staatsfinanzierungsbestand der Pfandbriefbanken auf etwa 14,5 Milliarden Euro belaufen, schätzt die Commerzbank. Dennoch ist nicht von einer Risikoballung auszugehen. Vielmehr sprechen die tendenziell weiter sinkenden Spreads für ein ungebrochenes Vertrauen der Anleger in Pfandbriefe. Auch die Pfandbriefbanken dürften gleichwohl daran interessiert sein, die finanzielle Situation Griechenlands so bald wie möglich zu stabilisieren. Europa ist - schon im eigenen Interesse - aufgerufen, den Hellenen finanziell und politisch beizustehen. Im Falle des Stillhaltens wären die Folgen unkalkulierbar, weil die Gemeinschaft und ihre Mitglieder dann nicht mehr agieren, sondern nur noch reagieren könnten. "Tadle nicht ohne zu helfen", soll der griechische Fabeldichter Äso- gemahnt haben. Tatsächlich jedoch können die Mitglieder und Institutionen von EU und Eurozone nur kurzfristig unterstützen. Mehr wäre politisch nicht zu vermitteln. Nachhaltiges Vertrauen in den griechischen Staat können nur die Griechen selbst schaffen. Aristides wäre zumindest in diesem Punkt ein Vorbild. L. H.

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