Aufsätze

Griechenland-Ausstieg - Auswirkungen auf die privaten Inhaber von griechischen Staatsanleihen

Die Staaten der Eurozone, die EZB und der IWF hatten im Sommer 2010 und im Februar 2012 zugunsten von Griechenland zwei Rettungspakete im Gesamtumfang von etwa 230 Milliarden Euro geschnürt, um dessen Insolvenz abzuwenden. Gestützt auf die beiden Rettungspakete und im Einvernehmen mit seinen Geldgebern hatte Griechenland am 14. Februar 2012 seinen privaten Gläubigern ("Private Involvement Sector") ein Invitation Memorandum unterbreitet, kraft dessen seine Gläubiger auf 53,5 Prozent ihrer Forderungen verzichten und in Höhe von 46,5 Prozent derselben im Umtausch andere Wertpapiere erhalten sollten (Schuldenschnitt, haircut). Das griechische Umtauschangebot implizierte einen wirtschaftlichen Verlust von 75 bis 80 Prozent des Nennwerts der unter das Umtauschangebot fallenden Forderungen.

Der Nennwert aller von dem Memorandum erfassten Anleihen belief sich damals auf etwa 206 Milliarden Euro. Etwa 96 Prozent der privaten Gläubiger nahmen die in dem Memorandum enthaltene Invitation an (die sogenannten compliance-Gläubiger). Griechenlands Anleiheschulden verringerten sich dadurch um etwa 92 Milliarden Euro. Etwa 3,1 Prozent der privaten Anleihegläubiger sind auf dieses Angebot allerdings nicht eingegangen (die sogenannten hold-out-Gläubiger). In der Zwischenzeit wird es nun immer klarer, dass sich Griechenlands finanzielle Lage durch diesen Schuldenschnitt nicht entscheidend verbessert hat. Weiterhin droht die Gefahr, dass Griechenland aus der Eurozone ausscheidet ("Grexit"). Es fragt sich, welche Rechte den gebeutelten privaten Inhabern griechischer Staatsanleihen im Falle eines solchen Grexit verbleiben. Was bleibt bei einem Grexit den compliance-Gläubigern und den hold-out-Gläubigern? Bei der Beantwortung dieser Frage kommt es darauf an, in welcher Weise ein Ausscheiden vonstatten ginge.

Drei mögliche Szenarien

Er könnte sich auf verschiedene Art und Weise vollziehen. Der erste Umstand, der zu einem Grexit führen könnte, wäre die Tatsache, dass Griechenland seinen Verpflichtungen, die ihm Eurostaaten, IWF und EZB auferlegt haben, de facto nicht (mehr) nachkommt. Die Zahlungen aus den beiden Rettungspaketen sind an die Erfüllung bestimmter Verpflichtungen gebunden, deren Einhaltung Griechenland zwar versprochen hat, die es aber als unerträgliche "Marter" empfindet. Würde Griechenland diese Verpflichtungen nicht (mehr) erfüllen, so erhielte es auch keine Hilfsgelder mehr und geriete in die Insolvenz. In einer solchen Situation würde das Invitation Memorandum vom 14. Februar 2012 hinfällig, und die Rechte der privaten Anleiheinhaber in Höhe von etwa 206 Milliarden Euro würden wiederaufleben. Ein Grexit könnte weiter aber auch dadurch eintreten, dass Griechenland das zitierte Memorandum von sich aus widerriefe. Eine solche Befugnis hat es sich in seinem Memorandum ausdrücklich vorbehalten. In beiden Fällen (Ende der Hilfszahlungen; Widerruf des Memorandums) stünden die privaten Anleihegläubiger Griechenlands wieder dort, wo sie sich befanden, bevor Griechenland ihnen am im Februar dieses Jahres seine Invitation unterbreitete. Die Anleihegläubiger hätten die Anleihepapiere eines insolventen Staates in der Hand - Anleihepapiere, die deshalb kaum etwas wert wären.

Schließlich könnte Griechenland die Eurozone in einem "geordneten Verfahren" verlassen, indem die übrigen Staaten dieser Zone mit ihm einen völkerrechtlichen Vertrag über seinen "Exit" schlössen oder indem die EU eine entsprechende europarechtliche Regelung, etwa in einer Verordnung, träfe. Die Rechte der privaten Anleihegläubiger Griechenlands könnten in einem solchen "geordneten Verfahren" dann, ähnlich wie im Memorandum, wieder positivrechtlich geregelt werden.

Eigentumsschutz durch völkerrechtliche Garantien

In allen diesen Alternativen wären die privaten Anleihegläubiger Griechenlands zwar nicht wirtschaftlich, aber doch formal durch handfeste - teilweise Verfassungsrang genießende - Eigentumsgarantien geschützt. Erstens könnten sich alle Unionsbürger auf die Eigentumsgarantie berufen, die in der europäischen Grundrechtscharta verankert ist. Zweitens erheischte die in der Europäischen Menschen rechts kon ven tion enthaltene Eigentumsgarantie Beachtung, deren Einhaltung von dem Straßburger Gericht überwacht würde. Drittens - gerade für die deutschen Anleihegläubiger von Bedeutung - wäre bei einem "Grexit" auch der Eigentums garantie des deutschen Grundgesetzes (Art. 14 Abs. 1) Anerkennung zu zollen.

Zu guter Letzt genießen viele private Anleihegläubiger Schutz vor Enteignungen durch die bilateralen Investitionsschutz-Abkommen (Bilateral Investment Treaties, BITs), die Griechenland mit über 30 anderen Staaten, darunter auch mit Deutschland (bereits im Jahr 1961), abgeschlossen hat. Jene BITs gewähren im allgemeinen Schutz nicht nur gegenüber sogenannten direkten Enteignungen, durch die der enteignende Staat in den formalen Eigentumstitel als solchen eingreift, sondern auch gegenüber sogenannten in direkten, de facto oder creeping Enteignungen, welche die Nutzungsrechte des Eigentümers auf nur indirekte Weise aushöhlen. Ein solcher Schutz gegenüber indirekten Enteignungen ist gerade auch im deutsch-griechischen BIT von 1961 vorgesehen.

Freilich befinden sich unter den etwa 30 Staaten, mit denen Griechenland solche BITs abgeschlossen hat, nur wenige, von denen man annehmen kann, ihre Angehörigen hätten größere Mengen an griechischen Staatsanleihen in ihrem Portefeuille. Beispielsweise werden die Angehörigen des Vereinigten Königreichs, Frankreichs, Italiens oder Spaniens durch kein BIT mit Griechenland geschützt. Es existiert zwar ein BIT mit Russland und der Volksrepublik China, aber keines zwischen Griechenland und den USA. Ferner stellt sich die Frage, was ein Schutz durch solche BITs wirtschaftlich wert wäre. Dies hinge nicht nur von der Zahlungsfähigkeit Griechenlands, sondern auch von der rechtlichen Stellung des jeweiligen Gläubigers ab.

Gruppen von Anleihegläubigern

Die Anleihegläubiger Griechenlands präsentieren sich als eine bunte Schar. Klar ist, dass sich die öffentlich-rechtlichen Gläubiger wie EZB und nationale Zentralbanken nicht auf die verfassungsrechtlichen Eigentumsgarantien berufen können. Sie sind auch von dem griechischen Schuldenschnitt (hair-cut) ausdrücklich ausgenommen, der durch das Memorandum vom 14. Februar 2012 eingeführt worden war. Dieses Memorandum richtete sich nämlich nur an die privaten Anleihegläubiger.

Was die privaten Anleihegläubiger anbetrifft, so gehören zu ihnen vor allem Banken und Versicherungen. Diese haben die griechische Einladung vom Februar dieses Jahres wohl in ihrer Gesamtheit angenommen. Unter ihnen könnten zumindest die privaten Banken, Versicherungen und sonstigen Anleihegläubiger sogar schon heute - bevor ein "Grexit" überhaupt auch nur eintritt - Ersatzansprüche gegenüber Griechenland mit gewissen Erfolgsaussichten geltend machen, und zwar wegen der (teilweisen) Enteignung ihrer Forderungen.

Dies gilt zunächst für die 3,1 Prozent der hold-out-Gläubiger, die sich auf das Invitation Memorandum der griechischen Regierung nicht eingelassen haben. Alle hold-out-Gläubiger waren mit der Austauschleistung, die Griechenland ihnen damals angeboten hat, nicht einverstanden. Sie haben also nicht auf die 53 Prozent des Nennwerts ihrer Anleihen verzichtet und sich auch nicht mit der Entgegennahme von neuen Staatsanleihen, Schuld- sowie Besserungsscheinen für die übrigen 46,5 Prozent begnügt. Zumindest den Deutschen unter diesen Gläubigern könnten Ersatzansprüche zustehen. Diese Ansprüche würden sich aus dem deutsch-griechischen BIT von 1961 ergeben. Aber auch die Angehörigen aller weiteren etwa 30 Staaten, die mit Griechenland BITs abgeschlossen haben, hätten gute Chancen, ihre Ersatzansprüche gegenüber Griechenland - gestützt auf jene BITs, aus diesen (Teil-)Enteignungen mit Erfolg geltend zu machen.

Jedoch könnten auch den etwa 96 Prozent aller privaten griechischen Anleihegläubigern, die sich auf das griechische Memorandum vom 14. Februar 2012 eingelassen haben, Ersatzansprüche aus den genannten BITs zustehen. Sie haben die griechische Einladung zwar ausdrücklich an genommen und damit in einen Verlust in Höhe von etwa 75 bis 80 Prozent des Nennwerts ihrer Anleihen eingewilligt. Sie befanden sich aber zur damaligen Zeit, als sie ihre Annahmeerklärung abgaben, in einer ökonomischen Zwangssituation. Ihnen erschien es zu diesem Zeitpunkt vorteilhafter, den in der Einladung enthaltenen Restwert ihrer Forderungen mit einiger Wahrscheinlichkeit erstattet zu bekommen, als die 100 Prozent ihrer Forderungen auf einem unsicheren und teuren Wege vor Gerichten einklagen zu müssen. Auch diese Gläubiger sind demnach Opfer einer indirekten Enteignung geworden. Der wirtschaftliche Wert auch ihrer Ersatzan sprüche wäre freilich wiederum durch die Risiken eines langwierigen gerichtlichen Verfahrens erheblich gemindert.

Geierfonds

Innerhalb der Gruppe der privaten Anleihegläubiger bilden die sogenannten Geierfonds (vulture funds) eine spezielle Kategorie. Bei ihnen handelt es sich um eine besondere Art von Hedgefonds. Sie kaufen Anleihen insolventer oder insolvenzgefährdeter Staaten zu niedrigen Kursen auf und versuchen dann die Schuldnerstaaten zu veranlassen, ihnen bei deren Fälligkeit die volle Summe (100 Prozent) nebst sämtlichen fälligen Zinsen zurück zuzahlen. Häufig haben Geierfonds mit ihrer Strategie sogar Erfolg, etwa der US-amerikanische Hedgefonds Elliott Advisors. Er hatte Mitte Dezember 2011 griechische Staatsanleihen im Nennwert von 435 Millionen Euro mit einer Laufzeit von zehn Jahren zu einem Kurs von weniger als 67 Prozent erworben. Als diese Anleihen nach etwa fünf Monaten fällig wurden, zahlte Griechenland 100 Prozent darauf zurück, einschließlich der bis dahin fälligen Zinsen. Die Zahlungen erfolgten aus den Mitteln der europäischen Rettungspakete. Nicht nur die compliance-Gläubiger, die sich am Schuldenschnitt beteiligt haben, - so kommentierte die Presse - dürften sich damit über den Tisch gezogen fühlen, sondern auch die europäischen Steuerzahler, welche die Rettungspakete finanzieren mussten.

Die Elliott Advisors und viele andere Geierfonds betreiben ihr Geschäft allerdings bereits seit den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Sie hatten beispielsweise bei den Umschuldungen afrikanischer Staaten, insbesondere aber in den neunziger Jahren bei der Umschuldung von Peru- und Bolivien-Anleihen, hohe Gewinne erzielt. Auch konnten sie im Oktober 1995 bei der Umschuldung panamaischer Anleihen innerhalb von etwa drei Jahren einen Gewinn von fast 400 Prozent einfahren. Man kann sich allerdings damit trösten, dass Geierfonds im Allgemeinen nur etwa ein Prozent der Anleihetitel halten.

Für die privaten Gläubiger sähe ein Ausscheiden Griechenlands in jedem Falle düster aus. Von einem völkerrechtlich oder europarechtlich "geordneten Grexit" wäre kaum Rettung zu erwarten. Derartige hoheitliche Ordnungsmaßnahmen würden die wirtschaftliche Situation Griechenlands berücksichtigen müssen. Durch sie dürften den Anleihegläubigern kaum höhere Summen zugesagt werden als in dem Invitation Memorandum vom 14. Februar 2012. Die Abfindungen für die Anleihegläubiger würden wahrscheinlich sogar niedriger als in jener Invitation festgelegt ausfallen, weil die ursprünglichen Hilfszusagen für Griechenland ja entfielen und die weiter bestehende miserable finanzielle Lage Griechenlands kaum höhere Zusagen als bisher zuließe.

Möglicher Erfolg bei Sammelklage

Die privaten Gläubiger müssten prüfen, ob sie auf gerichtlichem Wege mehr erreichen könnten. Die jeweiligen Anleihebedingungen sehen für solche Klagen Gerichtsstände vor den nationalen Gerichten in London, Zürich und Genf vor. Auch ein Gerichtsstand vor einem internationalen Schiedsgericht beim Schiedszentrum der Weltbank in Washington, D. C. (International Centre for the Settlement of Investment Disputes, ICSID) könnte gegeben sein.

600 000 italienische Inhaber von argentinischen Staatsanleihen (deren Zahl sich später allerdings durch die Annahme eines anderen Angebots Argentiniens verringerte) haben diesen Weg in einer Sammelklage beschritten. Sie waren Opfer des argentinischen Schuldenschnitts aus dem Jahre 2002 geworden und hatten daraufhin im September 2006 Klage vor einem ICSID-Schiedsgericht erhoben. Sie stützten sich dabei auf das argentinisch-italienische BIT von 1990. Das Schiedsgericht wies die Einwände Argentiniens gegen seine Zuständigkeit zurück und erklärte, in die materiell-rechtliche Erörterung der ihm vorgetragenen Probleme eintreten zu wollen (Abaclat and others versus The Argentine Republic). Damit haben die italienischen Gläubiger einen ersten Etappensieg gegenüber Argentinien erzielt. Die Situation der Anleihegläubiger Griechenlands ist mit derjenigen der Anleihegläubiger Argentiniens durchaus vergleichbar. Auch einer solchen Sammelklage griechischer Anleihegläubiger gegenüber Griechenland könnte daher Erfolg beschieden sein.

Es ist ferner unwahrscheinlich, dass Griechenland solchen Klagen gegenüber den Einwand des Staatsnotstandes erheben könnte. Denn es hat seine finanzielle Notlage durch seine eigene unverantwortliche Fiskalpolitik selbst herbeigeführt (self-induced state of necessity). Auch die denkbare Einrede Griechenlands, sein Schuldenschnitt beruhe auf einem völkerrechtlichen Vertrag mit den Eurostaaten, dem IWF und der EZB oder auf einer europarechtlichen hoheitlichen Maßnahme und sei dadurch gerechtfertigt, entfiele. Denn wenn die beiden Rettungspakete durch die Säumigkeit Griechenlands oder dessen Widerruf nachträglich gegenstandslos werden, können sie auch nicht mehr als völkerrechtliche Rechtfertigungsgründe für eine Zahlungsverweigerung Griechenlands herangezogen werden. Im Übrigen könnte diese Einrede überhaupt nur im Falle eines völker- oder europarechtlich geregelten Grexit zur Verfügung stehen.

Ein entscheidendes Manko für die Ansprüche aller privaten Anleihegläubiger Griechenlands ergibt sich indessen daraus, dass die Vollstreckung eines gerichtlichen Titels gegenüber Griechenland de facto unmöglich wäre. Selbst dann, wenn die Anleihegläubiger gerichtlich einen vollstreckbaren Titel erstreiten könnten, stünde ihnen nicht viel immunitätsfreies Vermögen außerhalb der Grenzen Griechenlands zur Verfügung, in das sie vollstrecken könnten. Wären etwa die Konten der griechischen Zentralbank, welche diese an ausländischen Bankplätzen unterhält, wirklich immunitätsfrei? Anderes im Ausland belegenes immunitätsfreies Vermögen Griechenlands wird man suchen müssen.

Trübe Aussichten

Alle privaten Gläubiger würden ihre Forderungen also vorläufig erst einmal "auf Eis legen" müssen. Der griechische Staat könnte es andererseits aber auch nicht wagen, kommerzielles, das heißt nicht hoheitlichen Zwecken dienendes Vermögen außerhalb seiner Grenzen zu platzieren. Wie im Falle Argentiniens, wo allein vor New Yorker Bundesgerichten etwa 20 Zwangsvollstreckungsverfahren anhängig sind, lägen die Gläubiger Griechenlands überall auf der Welt auf der Lauer, um solches Vermögen zu beschlagnahmen. Griechenland dürfte also auf absehbare Zeit kein immunitätsfreies kommerzielles Vermögen im Ausland unterhalten, und seine Anleihegläubiger wären auf die gleiche absehbare Zeit "angeschmiert". Für alle sind dies trübe Aussichten.

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