Gespräch des Tages

Griechenland - Prekärer Zeitgewinn

Die Krise des Europäischen Währungssystems ist noch keineswegs überwunden, aber eine weitere Zuspitzung scheint vorläufig abgewendet. Für wie lange, ist ungewiss. Eine Umschuldung zumindest Griechenlands einschließlich empfindlicher Forderungsverzichte ist angesichts einer Quote der Nettostaatsverschuldung zu Griechenlands Bruttosozialprodukt bei 150 Prozent letztlich unabwendbar.

Die Bemühungen um eine substanzielle Streckung der Fälligkeiten griechischer Staatsanleihen schließen einen unkoordinierten Kollaps der griechischen Finanzen also weiterhin nicht aus, aber sie scheinen imstande, Zeit zu kaufen zur Vorbereitung einer kontrolliert ablaufenden Restrukturierungslösung. Ob das gelingen kann, hängt entscheidend von der anhaltenden Bereitschaft der griechischen Seite ab, an den jetzt in Aussicht genommenen Spar-, Steuererhöhungs- und Privatisierungsmaßnahmen mitzuwirken. Diese Bereitschaft kann jederzeit kippen, wenn sich die griechische Bevölkerung überfordert sieht und die schon jetzt erkennbare politische Polarisierung weiter fortschreitet. Aber auch die erfolgreiche Koordinierung einer endgültigen Lösung auf Gläubigerseite ist ungewiss. Neben Griechenland stehen ja auch noch Portugal und Irland auf der Kippe, vielleicht sogar noch Spanien oder Italien. Wenn Griechenland kippt, kippen vielleicht auch die anderen. Es ist dieses Ansteckungsrisiko, das besondere Sorgen bereitet.

Dass vom kleinen Griechenland, dessen Bruttosozialprodukt keine 2,5 Prozent der Wirtschaftsleistung der EU ausmacht, "meltdown"-Gefahren ausgehen könnten, beschwört nicht nur der Chef der Deutschen Bank, Josef Ackermann. Griechenland könnte die anderen GIIPS-Länder mitreißen, ein Run auf griechische Banken könnte andere europäische Banken anstecken, 900 US-Dollar amerikanische Anlagen in europäischen Banken könnten betroffen sein. Anscheinend gibt es nicht nur das Problem von "too big to fail", sondern auch keine Obergrenze, unterhalb welcher ein minimaler Negativauslöser nicht schon von sich aus imstande wäre, einen globalen Systemkollaps auszulösen.

Neben das internationale Geflecht von Forderungen und Verbindlichkeiten treten zusätzlich die Absicherungen über Credit Default Swaps. Über sinnvolle Absicherungen offener Forderungen aus Lieferungen und Verbindlichkeiten griechischer Abnehmer oder Emittenten hinaus ist bei Derivaten auch von rein spekulativen Engagements in erheblichem Umfang auszugehen. Über das genaue Volumen und eine etwaige Risikokonzentration bei nur wenigen bestimmten Counter Parties ist zu wenig bekannt.

Im vierten Jahre nach der US-Subprime-Mortgage-Krise ist mehr als überfällig, hier endlich Transparenz und Aufsicht sicherzustellen. Aber noch ist die geplante Einführung und Regulierung von Swap Execution Facilities nicht abgeschlossen. Zugleich steht die Insuffizienz der im vergangenen Jahr durchgepeitschten deutschen Sonderlösung eines Bankenrestrukturierungsgesetzes sperrig im europäischen Raum. Sperrig und unpraktikabel, da die Bankenaufsicht bereits im Vorfeld klar erkannte, sich systemgefährdend aufbauschender Risiken befähigt sein muss, das Management solcher Finanzinstitute umgehend auszuwechseln und nicht erst dann, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Das verkorkste Gesetz orientiert sich aber am Insolvenzrecht, also an einem Verfahren, das nur auf Antrag und in Regie des Bankmanagements in Gang gesetzt werden kann und zum ausschließlichen Zweck des Gläubigerschutzes dient. Der "Bock als Gärtner" wird Systemrisiken aber eher leugnen und vertuschen als sich selbst bloßstellen.

Wenn die jetzt durch Laufzeitstreckungen gewonnene Zeit vergeudet wird, dürften daher neben der allfälligen Umschuldung Griechenlands weitere Vorfälle mit erpresserischem Ausgang à la IKB und HRE anstehen.

Michael Altenburg, Luzern

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