Schwerpunkt: Herausforderung Wirtschaftsarchitektur

Moderner Mietwohnungsbau - Spiegelbild gesellschaftlicher Entwicklungen

Deutschland ist ein Mieterland. Rund 66 Prozent der hiesigen Bevölkerung leben zur Miete - ein im europäischen Vergleich sehr großer Anteil. An dieser Gewichtung hat sich in den vergangenen Jahren wenig geändert, wohl aber an den Bedürfnissen der Mieter. Sie erwarten heute weit mehr als nur die berühmten vier Wände und ein Dach über dem Kopf. Zweckmäßige Grundrisse, Komfort und eine ansprechende Architektur, die sich in die Umgebung einfügt, werden immer wichtiger. Für Projektentwickler, Wohnungsunternehmen und private Vermieter, die dies nicht berücksichtigen, wird es langfristig schwierig, ihre Wohnungen zu vermieten.

Anders als bei Bestandsobjekten, die zum Teil aufwändig umgebaut werden müssen, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden, ist es beim Neubau einfacher, die sich wandelnden Ansprüche der Mieter vom ersten Spatenstich an zu berücksichtigen - sowohl was die Gestaltung der Innenräume als auch der äußeren Architektur betrifft. Beides wird von gesellschaftlichen Trends beeinflusst: Zum einen muss sich der Wohnungsmarkt den sich verändernden demografischen Gegebenheiten anpassen, zum anderen spielen die Nachhaltigkeit von Gebäuden und die Einsparung von Energiekosten in der Immobilien- und Wohnungswirtschaft eine maßgebliche Rolle.

Demografie und Klimaschutz

Dem Statistischen Bundesamt zufolge wird die deutsche Bevölkerung bis zum Jahr 2025 von derzeit etwa 82 Millionen Menschen auf rund 79 Millionen schrumpfen, bis 2060 sogar auf rund 65 Millionen. Mit diesem Bevölkerungsrückgang geht aufgrund niedriger Geburtenraten und steigender Lebenserwartung eine starke Veränderung der Altersstruktur einher. Der Anteil der Altersgruppe der über 65-Jährigen wird sich von etwa 20 Prozent im Jahr 2008 auf 26 Prozent im Jahr 2025 erhöhen. 2060 wird bereits etwa jeder Dritte 65 Jahre oder älter sein. Barrierefreiheit ist vor diesem Hintergrund schon heute ein bestimmendes Kriterium beim Wohnungsneubau.

Doch auch wenn langfristig weniger Wohnraum benötigt wird, ist kurz- und mittelfristig sogar mit einem steigenden Bedarf zu rechnen. Der Grund dafür ist der Trend zum Single-Haushalt. Lag der Anteil der Alleinlebenden 2003 noch bei 36 Prozent, erhöhte er sich bis 2008 auf 38 Prozent - Tendenz weiter steigend. Gleichzeitig steigt die nachgefragte Wohnfläche pro Person, wie Erhebungen des Statistischen Bundesamtes zeigen. Während 1991 jeder Einwohner noch durchschnittlich knapp 35 Quadratmeter bewohnte, waren es 2007 bereits knapp 42 Quadratmeter - ein Plus von etwa 20 Prozent. Auch der von den privaten Haushalten in Deutschland durchschnittlich bewohnte Wohnraum hat sich erhöht: von im Durchschnitt rund 82 Quadratmetern im Jahr 1991 auf knapp 92 Quadratmeter im Jahr 2008. Das heißt: Grundrisse und Wohnungsgrößen müssen auf diesen höheren Flächenbedarf zugeschnitten werden.

Auch das Thema Klimaschutz beeinflusst die Wohnungswirtschaft und damit die Architektur. Ressourcenschonendes Bauen und Energieeffizienz während der Bewirtschaftung haben in den vergangenen Jahren deutlich an Bedeutung gewonnen. Die Energieeinsparverordnung (EnEV) 2009 beziehungsweise die nochmals verschärfte EnEV 2012, die voraussichtlich 2013 in Kraft treten wird, geben die Richtung vor. Darin werden Mindeststandards für neue Wohngebäude in Bezug auf Dämmstandards und Qualität der Anlagentechnik definiert. Ziel ist es, den Energiebedarf für Heizung und Warmwasser von Neubauten - wie auch von Bestandsobjekten - zu senken. Bei neuen Wohnobjekten lässt sich das unter anderem mittels einer zentral gesteuerten, kontrollierten Wohnraumlüftung mit Wärmerückgewinnung erreichen. Wird diese Technik mit einer Fußbodenheizung kombiniert - insbesondere in den Wohnund Schlafräumen - hat dies auch positiven Einfluss auf die Innengestaltung. Denn platzraubende, störende Heizkörper an den Wänden können so vermieden werden. Auch die Außenarchitektur wird durch die EnEV mitbestimmt. Bewährt haben sich zum Beispiel verglaste Treppenhäuser sowie Balkone, die im Winter als Pufferzone dienen und durch die dank der Sonneneinstrahlung Heizkosten gespart werden können.

"Innere Werte"

So unausweichlich es ist, den gesetzlichen Vorgaben beim Neubau nachzukommen, so unvermeidbar ist es, bei jedem Neubauvorhaben zunächst die Bedürfnisse der späteren Mieter zu analysieren. Nicht in jedem Fall ist ein möglichst hoher Grad an Energieeffizienz erstrebenswert, wie eine Studie der Arbeitsgemeinschaft für zeitgemäßes Bauen im Auftrag der Wohnungsverbände Bundesverband Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen (BFW) und Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen (VNW) belegt: Demnach liegen die tatsächlichen Bauund Betriebskosten für Passivhäuser deutlich über denen von kaum weniger sparsamen KfW-70-Häusern. Das ist weder im Sinne des Vermieters noch der späteren Mieter.

Was sich Mieter von einer Wohnung versprechen, zeigt eine Befragung des Bundesverbandes deutscher Wohnungsund Immobilienunternehmen (GdW) von 21 500 Haushalten. Sie ergab, dass 44 Prozent der befragten Mieter bereit seien, für eine besser ausgestattete, komfortablere Wohnung mehr Miete zu zahlen. Es kommt also in erster Linie auf "die inneren Werte" an. Neu errichtete Wohnungen sollten folgende Kriterien erfüllen:

- funktionale Grundrisse,

- Barrierefreiheit beziehungsweise -armut,

- tageslichthelle Räume,

- großzügig geschnittene Bäder mit Fenstern,

- zeitgemäße und hochwertige Fußbodenbeläge, zum Beispiel Echtholzparkett in den Wohn- und Schlafräumen,

- Fußbodenheizung.

Auch große und gut nutzbare Balkone werden von den Mietern stark nachgefragt. Bei neu errichteten Objekten sollten sie daher nicht fehlen. Die Balkone stellen dabei auch ein wichtiges Gestaltungselement für das Außenbild des Wohngebäudes dar. Bei einem Neubauprojekt der GBW AG in München-Schwabing zum Beispiel verleihen sie den Westfassaden ihre markante Identität, sie sind sozusagen das Accessoire der Fassade. Dabei kommt auch die Funktionalität nicht zu kurz: Im Winter liefert ein System aus Schiebe-Klappglasläden durch die angestaute Wärme zusätzliche solare Energie. Im Sommer können die Balkone komplett geöffnet werden und bieten somit einen luftigen Freibereich.

Aufzüge sind im modernen, mehrgeschossigen Wohnungsbau nicht mehr wegzudenken. Anders als bei der nachträglichen, häufig äußerlichen Installation bei Bestandsobjekten können und sollten Aufzüge - und auch Treppenhäuser - beim Neubau intelligent in das Objekt beziehungsweise in den Gebäudekomplex integriert werden, sodass je nach Objektcharakter möglichst viele Wohnungen über einen Aufzug erreicht werden können.

Langfristige Vermietbarkeit bestimmt Architektur

Insgesamt gilt es, für jedes neue Projekt die geeignete architektonische Lösung zu finden. Verallgemeinerungen, wie ein modernes Wohnhaus äußerlich auszusehen hat, sind dagegen nur in einigen Punkten zulässig: Die Architektur muss zeitgemäß sein, darf jedoch nicht ausschließlich der aktuellen Mode folgen. Vielmehr ist sie so zu wählen, dass auch künftige Mietergenerationen sie als ästhetisch empfinden und gern in dem Objekt wohnen.

Auch die Kosten müssen bei aller Liebe zur Architektur berücksichtigt werden. Gerade in Märkten wie München, wo bezahlbarer Wohnraum knapp ist und die Grundstückspreise vergleichsweise hoch sind, darf die architektonische Gestaltung keinen zusätzlichen preistreibenden Faktor darstellen - schon gar nicht im geförderten Wohnungsbau. Um die Baukosten zu reduzieren, ist eine serielle Konzeption sinnvoll. So führen zum Beispiel die Festlegung sich wiederholender Fensterformate sowie eine sinnvolle Anordnung der Wohnungen je Stockwerk entlang eines Versorgungsstrangs zu einer erhöhten Wirtschaftlichkeit. Eine kostenoptimierte Ausführung beginnt somit bereits bei der Planung.

Auch wenn sich extravagante Details an den Fassaden und verspielte, unpraktische Grundrisse verbieten, muss die Architektur bei jedem Bauvorhaben erneut auf den Prüfstand gestellt werden: Passen die Gebäudestruktur, die verwendeten Materialien, die geplanten Details und die Farbgestaltung in das jeweilige Quartier? Wie das in der Praxis funktioniert, wird an einem Beispiel deutlich.

Bei dem erwähnten Wohnprojekt in München-Schwabing handelt es sich um eine Quartierserweiterung, deren Besonderheit eine geschlossene Bebauung und Erschließung um eine Parkanlage ist. Den Vorgaben des Bebauungsplans folgend wurde die neue, sechsstöckige Wohnanlage in zwei ungleich langen Gebäuden errichtet. Außerdem wurden Pkw-Stellplätze in zwei getrennten, den Wohngebäuden zugeordneten Tiefgaragen geschaffen. So wurde der bestehende Baumbestand erhalten und die Oberflächenversiegelung minimiert. Die auf diese Weise erhaltenen Grünflächen dienen nun zur Erholung und als Spielfläche.

Auch das ist ein wichtiger Aspekt, der beim Wohnungsbau und bei Quartiersentwicklungen berücksichtigt werden muss: Während über die alternde Bevölkerung und deren Wohnraumbedarf oft und intensiv diskutiert wird, finden familienfreundliche Wohnangebote zur Miete seltener die gebotene Aufmerksamkeit. So sollte geprüft werden, ob auch die ein Wohnquartier umgebende Infrastruktur kinderfreundlich angepasst werden kann: Womöglich können zum Beispiel ehemalige Gewerbeflächen zu Kindertagesstätten umgebaut werden.

Nur ein Baustein von vielen

Maßstab beim Mietwohnungsbau sind stets die Bedürfnisse der Mieter. Die Architektur ist ein Baustein von vielen, der dazu beiträgt, den Wohnansprüchen gerecht zu werden. Weit mehr als die äußere Gebäudehülle zählt für die meisten Mieter jedoch die Gestaltung der Innenräume - der Flächenzuschnitt, die Ausstattung, der Komfort. Vernachlässigt werden darf das äußere Erscheinungsbild jedoch nicht. Denn bei Gebäuden verhält es sich wie in zwischenmenschlichen Beziehungen: Der erste Eindruck zählt.

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