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Die Rolle der Mietverträge in der gewerblichen Immobilienfinanzierung

Welche Bedeutung haben Mietverträge für die Finanzierbarkeit einer gewerblichen Immobilie? Die Analyse einer beispielhaften Mietkonstellation soll zeigen, auf welche Aspekte Banken typischerweise achten. Die Sichtweise des Finanziers dürfte auch für den Investor interessant sein, da er in einigen Aspekten schon im Vorfeld einer Finanzierungsanfrage die Mietverhältnisse überprüfen und optimieren kann.

Grundüberlegung

Kreditgeber überlassen Geldmittel für eine vorbestimmte Zeit und für einen vereinbarten Zinssatz. Einen Mehrerlös bei guter Performance des Immobilienprojektes gibt es nicht; dafür soll aber auch kein Minderertrag bei einer mäßigen oder schlechten Entwicklung vorkommen, denn dann droht der Kreditausfall. Daher sollten aus Kreditgebersicht die objektspezifischen Zahlungsströme - vornehmlich die Miet einnahmen - einerseits und die Cash-Flows aus der Finanzierung, insbesondere Zinsen und Tilgung, in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander stehen. Und zwar nicht nur dann, wenn alles wie erwartet läuft, vielmehr kommt es auf Stabilität auch unter widrigen Umständen an.

Widrige Umstände sind dabei der Entfall von signifikanten Teilen der Miete. Kurzfristig kann der plötzliche Ausfall beziehungsweise Leerzug eines größeren Teils der Mietfläche kritisch sein. Mittelfristig problematisch ist es, wenn kein adäquater Nachfolge-Mietvertrag abgeschlossen werden kann. Langfristiges Risiko aus Objekt- wie Marktentwicklung ist, dass am Laufzeitende des Kredites die Anschlussfinanzierung nicht mehr darstellbar ist. Diese Risiken gilt es, bei der Strukturierung eines Kredites abzuschätzen und so weit wie möglich zu vermeiden beziehungsweise zu neutralisieren. Bereits die Abschätzung ist allerdings kein Selbstläufer. Die typischen Wertermittlungsverfahren etwa orientieren sich an einer mittleren Entwicklung, indem sie zum Beispiel das Mietausfallwagnis als über die Zeit konstant ansetzen.

Beispielanalyse

Eine beispielhafte Analyse soll aufzeigen, welche Aspekte von Mietverträgen bei der Risikoabschätzung eines Kreditnehmers besonders relevant sind. In einem Bürogebäude gibt es zehn Mietflächen zu je 1 000 Quadratmeter, welche an zehn Mieter zu aktuell 12,50 Euro pro Quadratmeter vermietet sind. Dies ergibt eine Jahresnettomiete in Höhe von 1,5 Millionen Euro. Bei einem Bruttokaufpreis in Höhe von 30 Millionen Euro entspricht dies einer Nettoanfangsrendite von fünf Prozent. Hiergegen steht ein Immobilienkredit über 20 Millionen Euro mit vier Prozent Zinsen (zum Beispiel zwei Prozent Referenzzins und 200 Basispunkte Marge) sowie ein Prozent linearer Tilgung.

In der ersten "Bierdeckelrechnung" - das heißt in einer statischen Betrachtung - scheint dies der Fall zu sein: Der anfängliche jährliche Zins- und Kapitaldienst liegt bei einer Million Euro und bei typischen Instandhaltungskosten dürfte der Operating Income nach Steuern bei knapp 0,4 Millionen Euro liegen. Verlängern die Mieter zuverlässig, liegen die damit verbundenen Capex-Kosten bei etwa 0,1 Millionen Euro, Kapitaldienstfähigkeit ist also gegeben.

Laufzeit-Entzerrung

Wird jedoch realitätsnah angenommen, dass Mieter auch einmal ausziehen können, sieht dies schon anders aus. Werden am Vertragsende 20 Prozent der Fläche leer gezogen, entstehen dabei zwei Euro pro Quadratmeter monatliche Leerstandskosten über eine Suchzeit von sechs Monaten. Werden zudem bei Neuvermietung drei Monate mietfreie Zeit und Capex-Maßnahmen für 100 Euro pro Quadratmeter vereinbart, und kostet der Makler drei Monatsmieten, dann gibt es 0,3 Millionen Euro Mehrausgaben und fast 0,1 Millionen Euro Mindereinnahmen.

Wenn die Mietverträge im Schnitt fünf Jahre laufen, fällt dieser Betrag nur alle fünf Jahre an. Im Mittel belaufen sich die Neuvermietungskosten somit auf unter 0,1 Millionen Euro. Im langfristigen Durchschnitt ist also Überdeckung gegeben. Aber darf hier einfach auf den Mittelwert aufgesetzt werden?

Die anfänglich üppige Überdeckung wird zur Unterdeckung, falls die Vertragsverlängerungen alle gleichzeitig anstehen sollten. Die Rücklage, um solche operativen Unterdeckungen aufzufangen, muss daher entsprechend hoch ausfallen. Verteilen sich die Mietlaufzeiten hingegen über mehrere Jahre, dann reduziert sich das Risiko einer Unterdeckung. Dem steht allerdings eine potenziell geringere Flexibilität des Investors gegenüber, wenn er die Objektgestaltung perspektivisch mittels Umbau oder Neuentwicklung optimieren will oder einen Weiterverkauf anstrebt.

Für eine mittlere Mietvertrag-Restlaufzeit (WALT) von drei Jahren, bei der sich die Überprüfungs- beziehungsweise Kündigungstermine gleichmäßig auf die Quartale vorher und nachher verteilen, zeigt Abbildung 1 die simulierte Entwicklung der (quartalsweisen) Überdeckung. Der dargestellte Mittelwert signalisiert dann tatsächlich Entwarnung: Im Schnitt besteht Überdeckung. Dies bezieht sich auf das durchschnittliche Szenario, also vom Auszug eines viertel Mieters pro Quartal. Im konkreten Fall wird nie der Mittelwert eintreten; entweder gibt es mit Glück keinen Leerstand oder es sind gleich eine oder mehrere Flächen neu zu vermieten.

Tatsächlich zeigt die Simulation, dass es in der Mehrzahl der möglichen Entwicklungen kritisch wird. Um einen Reserve Account als Auszahlungsvoraussetzung für den Kredit kommt man also nicht herum. In diesem Beispiel sollten 0,5 Millionen Euro für eine 95-Prozent-Ausfallsicherheit genügen (Abbildung 4). Falls alle Mietverträge die gleiche dreijährige Laufzeit hätten, wären hingegen zwischen 0,7 und 0,8 Millionen Euro notwendig.

Mietausfallwagnis

Neuvermietungsbedarf kann nicht nur zum Vertragsende entstehen, sondern auch vorzeitig, falls Mieter ausfallen. Während im ersten Fall ein aktives Mietermanagement die Leerstandszeit meistens gut einschränken kann, kann die Neuvermietungsdauer im zweiten Fall durchaus länger sein. Das Beispiel soll daher in zweierlei Hinsicht erweitert werden. Erstens wird angenommen, dass Mieter mit zwei Prozent Wahrscheinlichkeit pro Jahr ausfallen. Zweitens soll die Wartezeit bei einem Leerstand nicht mehr sicher sechs Monate betragen, sondern zufällig (Poisson-verteilt) um diesen Mittelwert schwankend sein.

Die erste Annahme führt einerseits zu geringerem Ertrag, da der Leerstand zunimmt. Gleichzeitig führt der Ausfall aber auch eine Entzerrung der Leerzeiten herbei, was zumindest im Mittel zu einer Glättung von Nettoertrag und Überdeckung führt. Abbildung 2 zeigt, dass im Erwartungsszenario weiterhin durchgehend Überdeckung besteht. Wegen des erhöhten Risikos liegt die mindestens benötigte Reserve auf 95-Prozent-Sicherheitsniveau nun etwas über 0,7 Millionen Euro.

Indexierung und Overrent

Im letzten Schritt der Beispielanalyse soll zusätzlich die Abkehr von statischen Mietzinsen vorgenommen werden. Dazu wird einerseits angenommen, dass die nachhaltig erzielbare Miete 20 Prozent unter der Vertragsmiete liegt - dies ist relevant für Neuverträge wie für Vertragsverlängerungen. Andererseits sollen die Mietverträge wie üblich inflationsindexiert sein, bei jährlicher Überprüfung ohne Minimalbetrag.

Für Inflation wie für Marktmiete wird ein jährlicher Anstieg um zwei Prozent angesetzt. Wie in Abbildung 3, steht unter diesen Szenarien im erwarteten Szenario im fünften Jahr eine leichte Unterdeckung an. Zum Abfedern auf 95-Prozent-Sicherheitsniveau ist nunmehr eine Reserve zwischen 0,5 und 0,6 Millionen Euro erforderlich.

Die nächsten wichtigen Stufen der Analyse wären:

- Zufällig schwankende statt vorhersehbarer Mietentwicklung. Entzerrte Vertragslaufzeiten führen auch hier wieder zu einer Glättung - erst recht bei mehreren Objektstandorten.

- Entwicklung des Zinsniveaus. Zum Laufzeitende des Kreditvertrags stellt sich die Frage, zu welchen Kreditkonditionen eine Anschlussfinanzierung überhaupt möglich ist (Debt Capacity) - und im Umkehrschluss, was per heute eine sinnvolle Laufzeit und Tilgung ist.

- Wirkung von Covenants. Hierüber lassen sich rechtzeitig Reserven aus den Mietverträgen heraus aufbauen (Cash Sweep); für ihre Wirksamkeit spielt eine Rolle, ob der Miet-Cash-Flow sich plötzlich oder kontinuierlich ändert (Abbildung 4).

Man sieht daran, dass Mietverträge in der Risikoanalyse eines Finanziers eine große Rolle spielen. Während die Immo bilienbewertung implizit von einer "tie fen Tasche" ausgeht und gut mit Erwartungswerten leben kann, wird ein Immobilienfinanzierer differenzierter hinschauen und das Darlehen darauf hin strukturieren.

Ein Immobilieninvestor kann als Konsequenz die "Knackpunkte" in der Finanzierungsanalyse in dreierlei Hinsicht antizipieren.

(1) Mietverträge aktiv managen: Positiv ist ein Track Record von schnellen Neuvermietungen; im Idealfall steht bei jedem regulären Mieterauszug der Anschlussmieter bereit. Und sind kurze Mietvertragslaufzeiten nicht vermeidbar, sollte eine hohe Verlängerungsquote angestrebt werden.

(2) Laufzeiten entzerren: Ideal ist eine gleichmäßige Staffelung der Mietbindungen. Ankermieter haben trotz Klumpenrisiko ihre Berechtigung, ähnliche Vertragslaufzeiten sollten die Konzentration nicht noch verstärken. Dies nimmt Druck vom Markt und von den Maklerkapazitäten.

(3) Auf nachhaltige Miete achten: So schön es ist, einen Mietvertrag über der Vergleichsmiete abzuschließen, so groß ist auch die Gefahr, einen solchen Overrent als gegeben anzunehmen und einzuplanen. Das Bedeutet keinen Verzicht, sondern ein Euro pro Quadratmeter Overrent über fünf Jahre dürften besser sein als fünf Euro pro Quadratmeter für ein Jahr. Und umgekehrt: Lieber eine begrenzte mietfreie Zeit am Laufzeitbeginn als eine dauerhaft unter Marktniveau liegende Miete.

Cash-Flow oder Steine?

Nach diesen Ausführungen kann man fragen, was genau finanziert ein Immobilienfinanzer eigentlich - Mietverträge (Cash-Flow) oder Objekte (Steine)? Wie so oft ist die vernünftigste Antwort darauf ein "sowohl als auch". Dass man nicht nur auf Mietertragsfortschreibungen mittels Tabellenkalkulation abstellen sollte, hat die jüngste Vergangenheit etwas zu deutlich gezeigt.

Ebenso ist es zu kurz gesprungen, die finanzielle Substanz eines Gebäudes auf den reinen Materialwert zu reduzieren. Die im Beispiel getroffenen Annahmen für Capex-Kosten, Leerstandszeiten und Marktmieten sind jedenfalls wesentliche Cash-Flow-Einflussgrößen, für die ein tiefes Verständnis von Objekt und Lage sinnvoll ist. Dies gilt für Investor und Bank gleichermaßen.

Prof. Dr. Leo Cremer , Professur für Mathematische Methoden in der Bau- und Immobilienwirtschaft, Hochschule RheinMain, Wiesbaden
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