Interview

Redaktionsgespräch mit Gerhard Schick - "Das mangelnde Vertrauen in europäische Lösungen hat die EU geschwächt."

In welcher Phase sehen Sie die Weltwirtschaft? Wie stark ist die derzeitige Finanzkrise noch mit den Ursprüngen aus den Jahren 2007/2008 verbunden?

Die gegenwärtigen Verwerfungen sind immer noch Teil dessen, was in den Jahren 2007 und 2008 ausbrach und mittlerweile eine Weltwirtschaftskrise geworden ist. Jede Finanzkrise ist im Grunde eine Schuldenkrise. An vielen Stellen wurde die private oder öffentliche Schuldenlast zwar verlagert, aber noch nicht im notwendigen Maße abgebaut. In den amerikanischen, irischen oder spanischen Immobilienmärkten etwa sind einige Preise korrigiert worden, was aber nur die Schulden in die Privathaushalte verschoben hat. Dies wiederum dämpft dort die wirtschaftliche Entwicklung.

Diese Schieflagen werden uns noch einige Zeit begleiten. Wir haben in Deutschland 2009 und 2010 zu Unrecht behauptet, die Krise mit dem Wirtschaftsaufschwung hinter uns gelassen zu haben. Das ist nicht der Fall. Stattdessen konnten wir von einer "Sonderkonjunktur" profitieren, die unter anderem damit zu tun hat, dass die Zinsen derzeit bei uns historisch niedrig sind und die Konjunkturprogramme noch wirken.

Welche Rolle spielen Banken in der modernen Gesellschaft? Wie sehen Sie die Wechselwirkungen zwischen Staaten und Banken - und der Wirtschaft?

Sie spielen vielleicht nicht die, aber doch eine ganz entscheidende Rolle beim "Aufpumpen" und auch beim Platzen der Blase. Die Leverage im Bankensektor ist nach wie vor sehr hoch, auch wenn sie bei einigen Instituten vielleicht mittlerweile etwas verringert wurde. An einem stabilen Niveau sind wir jedenfalls noch lange nicht angelangt. Wenn das Eigenkapital einer Großbank weniger als drei Prozent ihrer Bilanzsumme ausmacht, dann ist das kein seriöses Geschäftsmodell. Vielmehr wird systemisches Risiko als externer Effekt produziert. Das gilt es zu verhindern.

Außerdem gibt es bei einigen Instituten noch das "too-big-to-fail"-Problem. Dieses lässt sich nur lösen, indem sichergestellt wird, dass jede Bank auch Pleite gehen und abgewickelt werden kann. In diesem Zusammenhang rücken die Themen "living will" und Trennung von Investmentbanking und Kreditgeschäft in den Fokus. Hier muss vielleicht nicht die radikale Variante des Glass-Steagall Act herangezogen werden, aber die Vorschläge der OECD und der Vickers-Kommission sind sehr vernünftig.

In Deutschland wurde diese Diskussion in der Politik noch nicht einmal aufgegriffen. Es braucht auch hierzulande eine entsprechende Kommission. Insbesondere die Deutsche Bank ist zu groß und wird deshalb quasi vom Steuerzahler subventioniert. Wenn die Ratingagenturen in ihre Beurteilungen einberechnen, dass der Staat die Institute im Zweifelsfall retten würde - es also eine implizite staatliche Rettungsgarantie gibt -, und diesen so eine günstigere Refinanzierung ermöglicht, dann hat das in einer Marktwirtschaft nichts zu suchen.

Lässt sich eigentlich realistisch abschätzen, wie viel Geld im Falle der Abwicklung einer Bank oder eines Staates notwendig wäre? Sicherlich sind doch die Verflechtungen viel zu komplex, als dass man solche Summen im Voraus berechnen kann - siehe Lehman ...

Der genaue Mittelbedarf lässt sich nicht vorhersehen. Allerdings ist es möglich, die Strukturen zu analysieren. Dann wird klar, welche Teile abgewickelt werden können und welche gesichert werden müssen. Aus den USA kommt gerade der Vorschlag, mit einem "legal entity identifier" für jede Transaktion transparent zu machen, wer letztendlich für diese geradesteht. Damit wird klar - auch wenn ein Geschäft über eine Zweckgesellschaft in Delaware abgewickelt wurde -, welches Institut dahinter steht. Es kann sich dann niemand hinter nichtssagenden juristischen Namen verstecken und das Risikomanagement wie auch eine mögliche Abwicklung würden - wie auch bei den erwähnten Bankentestamenten - erheblich beschleunigt.

Wie groß ist der finanzpolitische Sachverstand bei den Politikern? Ist der "normale" Abgeordnete mit einer solch weitreichenden Entscheidung wie dem Rettungspaket für Griechenland und den Euro nicht überfordert?

Es liegt in der Natur der Sache, dass ein Abgeordneter nicht in allen Themen und Belangen firm sein kann. Daher muss die notwendige Expertise in einer Arbeitsteilung zwischen den Spezialisten in den einzelnen Fraktionen und dem Gesamtplenum koordiniert werden. Richtig ist allerdings, dass sich die Gesellschaft als Ganzes in den letzten Jahren viel zu wenig mit den Finanzmärkten beschäftigt hat. Deswegen sitzen an vielen wichtigen Positionen in der Politik - bis hin zum Amt des Finanzministers - Personen, die nicht genug Fachwissen in Finanzmarktfragen besitzen. In anderen Bereichen, etwa dem Arbeitsmarkt, wäre das undenkbar. Es braucht in der Gesellschaft bessere, unabhängige Finanzmarktforschung. Dass Letztere derzeit fast ausschließlich den Bank-Volkswirten obliegt, macht eine neutrale Betrachtung unmöglich.

Rettet die beschlossene EFSF-Ausweitung und der Schuldenschnitt für Griechenland den Euro? Bedarf es bald wieder neuer Rettungsmaßnahmen?

Mit den Gipfelbeschlüssen von Ende Oktober ist das Problem noch nicht gelöst. Das Grundproblem, dass in der Eurozone das Geld aus den Peripheriestaaten flieht, um sichere Anlagen in Deutschland oder den Niederlanden zu finden, bleibt bestehen, ebenso die wirtschaftlichen Ungleichgewichte, die zur jetzigen Krise beigetragen haben. Nötig ist eine konsistente europäische Wirtschaftspolitik, die Leistungs bilanzungleichgewichte abbaut, in Überschuss- wie in Defizitländern.

Außerdem gilt in der Finanzmarktregulierung immer noch die Regel, dass Staatsanleihen keine Gefahren tragen, die sogenannte Nullgewichtung, die zu einer zu geringen Eigenkapitalunterlegung führt. Theoretisch ist das für Staatsanleihen aber nur richtig, wenn der emittierende Staat auch währungspolitisch souverän ist. In Europa gibt es aber keine nationalstaatliche Geldpolitik mehr, Abwertung oder Inflation stehen den Nationalstaaten nicht mehr zur Stabilisierung zur Verfügung.

Dementsprechend muss sich der Bankensektor im Euroland anpassen und die enge Verbindung von Banken und Nationalstaaten überwinden, die etwa in den USA bezogen auf die einzelnen Staaten so nicht besteht. Diese Transformation bleibt ein längerer Prozess. Auf jeden Fall muss man aus der Tatsache lernen, dass in dieser Krise gerade die Bereiche mit geringem Risikogewicht Probleme bereiteten. Wir Grünen plädieren deshalb ergänzend für eine ungewichtete Kapitalregel, die Leverage Ratio.

Was halten Sie und Ihre Fraktion von der Nutzung eines technischen Hebels und wie ist dessen jetzt beschlossene Ausgestaltung zu bewerten?

Eine Hebelung des EFSF kann auf verschiedene Weise vorgenommen werden: EZBnah mit einer Banklizenz, als Versicherungslösung oder über eine Tranchierung. Egal welche Variante sich am Ende durchsetzt, steigt das Risiko für den Steuerzahler bei einem gegebenen Garantievolumen deutlich an.

Europa ist längst nicht mehr in einer Situation, in der einfache Lösungen reichen. Insofern ist die Hebelung nun eine Notoperation, die nötig ist. Ich befürchte aber, dass die konkret gewählte Art der Hebelung teurer ist, weil die Investoren, die den Hebel finanzieren, wirtschaftliche oder politische Gegenleistungen wollen. Dieses Problem hätte man bei der Variante Banklizenz nicht gehabt.

Eine "richtige" Lösung hätte sich also ohnehin nicht mehr umsetzen lassen?

Es wurden im Vorfeld der aktuellen Maßnahmen mehrere Fehlentscheidungen getroffen. So hat man etwa die europäischen Institutionen insbesondere unter Federführung der Bundesregierung durch schlechte Personalentscheidungen geschwächt. Das gilt für die Spitzen der Kommission und den Rat gleichermaßen. Auch hätte die Bankenrettung von Beginn an nicht national, sondern europäisch durchgeführt werden müssen - dann würden Irland und Spanien heute deutlich besser dastehen. Und auch der Ansteckungseffekt Griechenlands wäre weitaus verhaltener gewesen, weil es keine Kopplung von Staats- und Bankenkrise gegeben hätte.

Das mangelnde Vertrauen in europäische Lösungen und das ebenso fehlende Verständnis, dass es längst eine europäische Wirtschaft und einen europäischen Finanzmarkt gibt, hat die EU geschwächt, so dass dieses nun zu "Lösungen" verdammt ist, die langfristig nicht funktionieren können. Ungarn und Lettland konnten einfach gestützt werden, weil die Verträge für Nicht-Euro-Staaten Liquiditätshilfen aus dem EU-Haushalt von vornherein vorsehen. Hätte man dies sehr frühzeitig auch für die Mitgliedstaaten der Euro-Zone ermöglicht, gäbe es längst Euro-Bonds und das Krisenmanagement wäre wesentlich einfacher gewesen.

Demnach braucht es eine gemeinsame europäische Finanzpolitik?

Richtig. Der Großinvestor George Soros hat es auf den Punkt gebracht: Eine Währungsunion braucht eine Zentralbank und ein Finanzministerium. Es muss einen starken, zentralen Verantwortlichen geben, samt zuständiger Institution, der die Eurozone international vertritt und intern die Entscheidungsfindung organisiert. Dieses Hangeln von Krisengipfel zu Krisengipfel ist zur Problemlösung ein völlig ungeeignetes Verfahren.

Gilt Gleiches dann auch für die Wirtschaftspolitik?

Insgesamt sollte stärker in europäischföderalen Strukturen gedacht werden. Es gibt ja auch - und braucht - weiterhin Finanzminister in den einzelnen Bundes ländern. Entsprechend müssten auch Kompetenzen zwischen nationalen und europäischen Institutionen verteilt werden. Entscheidungen sollten dann auf EU-Level getroffen werden, wenn sie zu Ungleichgewichten zwischen den Ländern führen können oder die gemeinsame Haftung berühren - dann nämlich, wenn es Euro-Anleihen und eine europäische Schuldenagentur gibt.

Auch dürfte es kaum zweckdienlich sein, alle Banken im Euroraum so zu verkleinern, dass sie von den einzelnen Staaten im Notfall gerettet werden können. Auch hier sollte es also eine europäische Kompetenz geben. Ganz konkret am Beispiel Einlagensicherung: Das System des Bundesverbands deutscher Banken (BdB) kann nicht funktionieren, weil - etwas vereinfacht - die Einlagen der Deutschen Bank zu einem großen Teil bei dieser selbst "versichert" sind. Für den deutschen Wirtschaftsraum ist das Institut schlichtweg zu groß. Deswegen braucht es eine europäische Einlagensicherung.

Heikel wird es aber schon bei der Bankenaufsicht ...

Es ist gut, dass wir endlich eine Europäische Bankenaufsicht haben. Bei der Ausgestaltung der European Banking Authority wurden allerdings zwei Fehler begangen. Einerseits hat die Behörde nicht genügend Eingriffsbefugnisse bei Großbanken, weil sie nur die nationalen Aufsichten koordiniert und kontrolliert und in der Regel keine direkten Durchgriffsrechte hat. Andererseits muss sich auch die kleinste regionale Volksbank von der EBA aus London Vorschriften über ihr Kreditgeschäft machen lassen. Hier muss es bürokratieärmere Lösungen geben, die auch nicht gesamteuropäisch gestaltet werden.

Welche Funktionen muss der künftige Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) haben?

Der ESM muss insbesondere zwischen Liquiditäts- und Insolvenzproblemen unterscheiden. Auch wenn ein Staat ökonomisch gut aufgestellt ist, kann er in einer Währungsunion eine Art Bank-Run erleben. In diesem Fall darf es keine "Pleite" geben, stattdessen muss mit Liquidität ausgeholfen werden. In anderen Fällen, wie aktuell in Griechenland, besteht eine Überschuldungssituation. Dann muss ein geordnetes Umschuldungsverfahren möglich sein. Mit den "collective action clauses" gibt es erste Ansätze zu dieser Unterscheidung, allerdings besteht hier noch Weiterentwicklungsbedarf.

Ganz grundsätzlich: Woran krankt die Lösung der europäischen Schuldenkrise? Ist das aus Ihrer Sicht in erster Linie ein Problem der fundamentalen finanzwirtschaftlichen Daten (sprich des hohen Verschuldungsgrades) oder eher ein politisches?

Das Deleveraging nach einer Spekulationsblase ist stets eine schwierige Angelegenheit, die selten ohne Friktionen über die Bühne geht. Dazu gehören auch Bankenpleiten und andere Verwerfungen. Gegenwärtig verschärfen institutionelle Probleme auf beiden Seiten des Atlantiks allerdings die Überwindung der Krise. In den USA ist das die politische Blockade durch konservativ-marktliberale Ideologen in der Tea Party. In Europa ist es das Fehlen übernationaler Entscheidungsstrukturen. Etwas platt formuliert, wurde hier die Feuerwehr erst aufgebaut, als das Haus schon brannte. Innenpolitisches Kalkül immer mit Blick auf die anstehenden regionalen oder nationalen Wahlen, erschwert die Lösung und erhöht die Kosten der Krise massiv. Eigentlich ist aber bei einer Staatsschuldenquote der Eurozone von etwa 85 Prozent das ökonomische Problem lösbar.

Hat in Europa nicht auch die Spaltung in Euro- und Nicht-Euro-Länder bremsend gewirkt?

Das hat sie in der Tat. Sobald es um ein Euro-Land ging, hat sich etwa Großbritannien gänzlich aus der Diskussion ausgeklinkt. Und das, obwohl das Land ganz signifikanten Anteil an der Finanz- und Schuldenkrise trägt. Wenn alle EU-Mitgliedsländer dem Euro so beigetreten wären, wie es ursprünglich angedacht war, wäre das Krisenmanagement wesentlich einfacher möglich.

Die Grünen haben sich für Eurobonds ausgesprochen. Bedeutet das automatisch ein Bekenntnis zur Transferunion? Der Reformwille in den "Sünderländern" würde wohl nicht unbedingt steigen ...

Es muss hier unterschieden werden, wie die Lasten intern verteilt werden. Das heißt aber nicht, dass es nicht ein gemeinsames Auftreten an den Kapitalmärkten geben kann. Natürlich wird aber die gemeinsame Haftung Implikationen für das Binnenverhältnis der Länder haben. Daher muss es weitreichende Kontrollen und eine starke Finanzregierung geben, die auch allgemein gültige Regeln durchsetzen kann. Entsprechend sind Eurobonds auch nicht ohne Änderungen des Vertrags möglich. Diese noch nicht auf den Weg gebracht zu haben, ist ein massiver Fehler.

Die Bonds würden aber keinen allzeit offenen Geldhahn bedeuten, weil weiterhin im Einzelfall entschieden würde, wie die Mittel verteilt werden. Für die betroffenen Regierungen besteht damit ganz erheblicher Druck, die notwendigen Reformen umzusetzen. Übrigens sollten wir in Deutschland nicht über "Sünder" reden, immerhin ist die Schuldenquote hierzulande auch deutlich zu hoch, weit über dem Maastricht-Ziel von 60 Prozent.

Wie lässt sich ein solidarischer Einsatz für den Fortbestand des Euros und den notwendigen Rettungsmaßnahmen den Wählern vermitteln? Schränkt ein Bekenntnis zu Eurobonds, so europäisch er auch klingen mag, nicht klar die Chancen beim deutschen Wähler ein?

Das hängt davon ab, wie man dem Wähler die gegenwärtige Lage erklärt. Wer das Thema reduziert auf die "faulen Griechen", die nur "unser Geld wollen", wird es schwer haben, die Menschen für gute Lösungen zu begeistern. Stellt man aber klar, dass Europa derzeit in einer Wirtschafts- und Finanzkrise steckt, die aufgrund der starken Verflechtungen nur alle Länder gemeinsam lösen können, dann lässt sich auch die Notwendigkeit von Eurobonds schlüssig darlegen.

Wie stehen Sie zum Dreisäulen modell der deutschen Kredit wirtschaft? Sind die Strukturen des Sparkassen- und des Genossenschaftssektors auf Dauer erhaltenswert?

Grundsätzlich ist die Dreisäulenstruktur richtig, immerhin hat sie Deutschland viele Probleme erspart, die andere Länder belasten. Hierzulande lässt sich auch in den Regionen überall eine Unternehmensfinanzierung - zumindest bis zu einer gewissen Größe - auf den Weg bringen. Das ist wichtig, um eine Konzentration auf wenige Städte und wenige Großunternehmen zu verhindern. Und es stabilisiert die Gesamtwirtschaft. In Großbritannien bemüht man sich gerade, die Kreditversorgung im ländlichen Raum wiederherzustellen durch regionale Banken.

Gleichzeitig haben sich DSGV und BVR im Rahmen von Basel II in eine schwierige Lage manövriert. Nun müssen auch kleinste Institute international vereinbarte, für sie nicht immer vorteilhafte Regeln einhalten und einen ausufernden bürokratischen Aufwand tragen. Und es muss in Brüssel immer wieder dargelegt werden, wieso für Sparkassen und Genossenschaftsbanken Ausnahmen und Sonderregeln notwendig sind. Hier sollte über ein eigenständiges Statut für kleine Banken nachgedacht werden.

Und natürlich: Die Sparkassen müssen schnell Konsequenzen aus der Schieflage ihrer Landesbanken ziehen. Darüber hinaus gilt es, Letztere aus dem Zugriff der Politik herauszunehmen und die Steuerung den Sparkassen zu überlassen. Dazu müssen diese sich aber auch intern stärker mit getroffenen Fehlentscheidungen und unangemessenen Begehrlichkeiten auseinandersetzen. Ein öffentlich-rechtlicher Sektor muss modellhaft gut sein und darf nicht Teil von politischen Interessenkonflikten sein. Warum sind Sparkassen im Tagesgeschäft nicht vorbildlich bei nachhaltigen Investments engagiert? Warum haben Landesbanken, Ortsinstitute und insbesondere die Deka-Bank nicht vor zehn Jahren schon eine Energiewende unterstützt und stärker erneuerbare Energien gefördert? Statt ihrem Auftrag als Förderer der Region - aber auch der Gesamtwirtschaft - nachzukommen, wurde allzu oft unter Rendite-Gesichtspunkten gehandelt und im Vertrieb unangemessene Produkte verkauft.

Die gesamte Kreditwirtschaft klagt massiv über die Fülle an Regulierungen und die enormen Wechselwirkungen der vielen sinnvoll klingenden Einzelmaßnahmen. Und im Zuge einer von Ihnen geforderten europäischen Finanz- und Wirtschaftspolitik wäre sicherlich noch mehr aus Brüssel zu erwarten. Wird die Branche damit "tot reguliert"?

Viel "Gemecker" aus der Finanzbranche ging und geht eher gegen unangenehme als wirklich zu sehr eingrenzende oder komplexe Regulierungen. Tatsächlich aber lassen sich die einzelnen Wechselwirkungen heute schwer überschauen. Und es existieren auch einige Beispiele schlechter Regulierung - etwa sind die Liquiditätsregeln im Rahmen von Basel III noch nicht in sich konsistent. Und es macht auch wenig

Sinn, die Macht von Ratingagenturen generell eingrenzen zu wollen, sie aber im Rahmen von Solvency II sogar zu stärken. Das ändert nichts an der Tatsache, dass die Verschuldung von Banken durch eine Leverage Ratio begrenzt werden muss. Richtig ist aber, dass es bei kleineren Kreditinstituten zu viel Bürokratie gibt. Wenn der Vorstand seine Kunden noch persönlich kennt, dann ist es unsinnig, ein kennzahlenorientiertes Steuerungssystem zu fordern, das eigentlich für Großbanken konzipiert ist.

Halten Sie die überwiegende Umsetzung der CRD IV über den Verordnungsweg für richtig?

In den letzten Jahren wurde bei jeder Finanzmarktrichtlinie eine Eins-zu-eins-Umsetzung gefordert. Im Sinne eines Level Playing Field sollte möglichst nichts geändert werden. Nun wettern die gleichen Personen gegen eine einheitliche Durchsetzung durch eine Verordnung. Das überzeugt nicht. Ich meine: Unabhängig von der Form muss Brüssel die Vielfalt im Bankgewerbe berücksichtigen und schärfere nationale Regeln zulassen.

Wie ist demgegenüber die internationale Umsetzung zu gestalten? Sollte es ein Junktim für die Umsetzung von Basel III in Europa und den USA geben?

Eine weltweite Umsetzung wäre natürlich wünschenswert. Das heißt aber nicht, dass es nicht für einzelne Länder sinnvoll wäre, striktere Standards einzuführen. Die Schweiz tut das beispielsweise aufgrund der gesamtwirtschaftlichen Abhängigkeit von ihren zwei großen Banken. Nicht alles muss global einheitlich sein.

Trotzdem wäre im Krisenfall in den USA auch die restliche Welt betroffen, soviel dürfte in den letzten Monaten und Jahren doch klar geworden sein ...

Deshalb sollte ein intensiver und vernünftiger Dialog mit den USA stattfinden, die Eigenkapitalregeln ebenfalls umzusetzen. Das darf aber nicht dazu führen, dass die Anforderungen mit dem Ziel einer weltweiten Umsetzung verwässert werden.

Bei welchen aktuellen Regulierungsfragen darf oder sollte es einen deutschen/europäischen Alleingang geben?

Etwa bei der Finanztransaktionssteuer sollte Europa nicht auf den gesamten Rest der Welt warten, zumal in der Schweiz oder in Hongkong und Shanghai längst etwas Vergleichbares eingeführt wurde und auch in London eine "stamp-duty" existiert. Vor allem aber müssen die Aufsichtsstrukturen besser werden. Gerade hierzulande wurden die Fehler der Krise noch nicht aufgearbeitet und es besteht erheblicher Nachholbedarf was die Reform der Finanzaufsicht angeht.

Das heißt konkret?

Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht muss dezentraler aufgestellt werden und sie braucht eine bessere finanzielle Ausstattung, um mehr und vor allem gute Mitarbeiter einstellen zu können. Zudem sollte sie ein eigenes Research betreiben, weil das von der Bundesbank zu wenig kapitalmarktorientiert ist. Wie soll die Aufsicht die Risikolage eines einzelnen Instituts erfassen, wenn sie die Vorgänge am Markt nicht versteht und die Auswirkungen auf die Banken nicht einschätzen kann? Überdies muss die BaFin unabhängiger und deutlich schlagkräftiger werden.

Stichwort Mittelstandsfinanzierung über den Kapitalmarkt. Ist das eine vergebliche Hoffnung für Deutschland oder sehen sie Erfolg versprechende Ansätze?

Die Öffnung des Zugangs, etwa über Verbriefung von Mittelstandskrediten, ist sicherlich ein richtiger Weg. Allerdings sollte man aufpassen, dass damit kein Schindluder betrieben wird. Denn entscheidend ist gerade für den Mittelständler immer die Anschlussfinanzierung. Anders als etwa bei Mezzaninefinanzierungen, bei denen der Markt mitunter schnell wegbrechen kann, ist Letztere über die Hausbank meist risikoärmer möglich. Auch in Zukunft sollte es daher einen Mix geben. Die weit verbreitete Kreditfinanzierung über Banken ist keine Schwäche des Standorts Deutschland, sondern eine traditionell gewachsene Struktur. Allerdings braucht es dazu gut aufgestellte Banken.

Welche Bedeutung wird Ihrer Einschätzung nach der Verbriefungsmarkt künftig haben? Hat der deutsche Weg/Versuch von Transparenz und hohen Qualitätsstandards Chancen?

Die deutschen Produkte haben in der Krise vergleichsweise wenig gelitten, weil es auch bislang bereits gute Qualitätsstandards gegeben hat - auch wenn diese nicht alle kodifiziert sind. Aber es sollte auch europaweit für Qualität gesorgt werden, weil der Finanzmarkt längst kein nationaler mehr ist.

Welche Rolle müssen Ratingagenturen zukünftig spielen? Wäre eine europäische Alternative sinnvoll?

Hier gibt es drei wichtige Punkte. Erstens muss das Geschäftsmodell der Agenturen verändert und interne Interessenkonflikte vermieden werden. Künftig sollten die Nutzer zahlen und nicht die Bewerteten. Zweitens gilt es, die Bedeutung der Ratings im Markt zu reduzieren. Solange selbst die EZB Ratings von mindestens zwei der drei großen Agenturen verlangt, haben die Ratings eine viel zu große Bedeutung für die Kapitalallokation. Drittens schließlich muss das Oligopol der drei US-Agenturen gebrochen werden. Hier müssen alle Länder fördernd tätig werden. Wenn es neben der chinesischen und der kanadischen auch eine europäische Agentur gibt, hält das die Macht der drei Großen im Zaum. Doch Europa hat in dieser Frage noch nicht geliefert.

Die Euro-Rettung überlagert derzeit alles. Wo sind derzeit die zentralen Streitfragen bei finanzpolitischen Themen zwischen Koalition und Opposition? Welche Themen sollten unbedingt auf der Agenda stehen?

Sehr wichtig ist der Verbraucherschutz. Es gilt, eine gute Marktordnung zu schaffen und damit einen Anreiz, gute Produkte anzubieten. Derzeit lenken die Provisionen noch zu sehr den Absatz, selbst wenn das eine oder andere Produkt für den Anleger gar nicht geeignet ist. Sogenannte Netto-Produkte und -Policen sind hier ein gangbarer Weg, damit mehr Transparenz für den Kunden geschaffen wird. Beratungsprotokolle lösen das Problem der Fehlberatung noch nicht, und Produktinformationsblätter helfen dem Kunden bei komplexen Produkten auch nicht weiter.

Also ein klares Ja zur Honorarberatung?

Richtig, wobei das Stichwort allein das Problem nicht lösen wird. Hier sind klare Regeln gefragt, damit nicht unter dem Stichwort Honorarberatung doch Abhängigkeiten von einzelnen Anbietern bestehen, die der Kunde nicht durchschauen kann.

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