Gespräch des Tages

Target - Eine Plattform - zwei Lösungen

Dass die Tagesarbeit der Europäischen Kommission zuweilen in Regulierungswut auszuarten droht und deshalb eine skeptische Grundeinstellung gegenüber den Segnungen der europäischen Politik hervorruft, wird manchmal an sehr anschaulichen Beispielen deutlich. Erst Anfang November haben Brüsseler Überlegungen zu möglichen Verboten einer Verwendung des Begriffes Apfelwein vorübergehend das ganze Land Hessen in helle Aufruhr versetzt. In ähnlich weltfremde Detailregelungen sehen sich bekanntlich auch die Finanzdienstleister verstrickt. Eine aktuelle Publikation des VÖB siedelt mehr als 80 Prozent aller bankenrelevanten Regelungen in Brüssel an, und gerade die beiden großen Verbundorganisationen werden deshalb immer wieder in Richtung Politik vorstellig.

Weitgehender Konsens herrscht allerdings in dem Bestreben, die Skaleneffekte des größer gewordenen europäischen Binnenmarktes nutzen zu wollen. Wer etwa die Kosten für die Abwicklung von Wertpapieren in Europa mit den Werten aus den USA vergleicht, wird fraglos auf ein großes Einsparpotenzial treffen. Durch die Fragmentierung der Wertpapierabwicklung in den einzelnen europäischen Ländern veranschlagt die Bundesbank hier für die Abwicklungskosten eine Bandbreite von 0,35 Euro bis 3,50 Euro. Sie liegen damit deutlich höher als im nahe liegenden Vergleichsmarkt USA mit 0,10 Euro bis 2,90 Euro. Völlig eindeutig wird die Notwendigkeit einer Einsparung bei Betrachtung von grenzüberschreitenden Transaktionen. Mit einer Bandbreite von 19,50 Euro bis 35 Euro in Europa, wie sie die Bundesbank nennt, muss man sich nicht um kleine Erfassungsdifferenzen streiten, sondern die Ineffizienzen werden ganz unmittelbar sichtbar. Wer also eine einigermaßen vertretbare Wertpapierabwicklung im Euroraum will, kommt an massiven Änderungen der technischen Infrastruktur nicht vorbei.

Von dieser Ausgangslage betrachtet zielt das Eurosystem also mit seinem Vorschlag zur Entwicklung des Wertpapierabwicklungssystems Target-2-Securities zweifellos in die richtige Richtung. Wenn die Kosten für eine grenzüberschreitende T2S-Transaktion auch nur annähernd auf 0,29 Euro heruntergeschraubt werden können, wie das eine Machbarkeitsstudie des Eurosystems vom März diesen Jahres nahe legt, werden die möglichen Effizienzgewinne und entsprechender Handlungsbedarf offensichtlich. Dass das Eurosystem und hierzulande die Bundesbank, mit Hans Georg Fabritius an der Spitze, das Thema gleichwohl äußerst behutsam angehen müssen, liegt an den widerstrebenden kommerziellen Interessen von Zentralverwahrern und Banken, die unter Ertragsgesichtspunkten mit den vielen unterschiedlichen Standards und Verfahren recht gut leben können und eine Konsolidierung der Wertpapierabwicklung längst nicht so konsequent vorangetrieben haben, wie die europäische Politik sich das wünscht - an dieser Stelle zu Recht. Erreicht werden die angestrebten Ziele freilich nur, wenn sich eine breite Nutzung ergibt, sprich viele Zentralverwahrer und Banken auf die angebotene Dienstleistung zurückgreifen.

Nach der Bestätigung der Machbarkeit von T2S durch den EZB-Rat im März 2007 kann die Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit des Eurosystems auf Grundlage konkreter Zahlen erfolgen, die freilich zum Ende des laufenden Jahres auf Basis der derzeit in Kooperation mit den Marktteilnehmern erstellten Nutzenanforderungen noch einmal angepasst werden sollen. Anfang nächsten Jahres soll es ein dreimonatiges Konsultationsverfahren mit den potenziellen Teilnehmern geben, bevor die Zentralverwahrer im Frühsommer 2008 eine belastbare Zusage (Verpflichtungserklärung) zur Nutzung des T2S-Service abgeben sollen. Auf Basis der damit absehbaren Volumina soll dann über die konkrete Aufnahme der Entwicklung von T2S entschieden werden.

Dem derzeitigen Stand nach werden bei den Zentralverwahrern Investitionskosten von 172 Millionen Euro in Form von Projekt-, IT-Entwicklungs- und Migrationskosten erwartet. Dem stehen aber jährliche Einsparungen von 85 Millionen Euro durch die (partielle) Stilllegung von IT-Systemen gegenüber. Dass es dazu auch tatsächlich kommen kann und kein Parallelbetrieb notwendig sein wird, gehört derzeit zu der wichtigsten Überzeugungsarbeit des Eurosystems bei den Zentralverwahrern.

Für die Banken werden nach jetzigem Stand der Machbarkeitsüberlegungen 38 Millionen Euro an Projekt- und Migrationskosten und ein jährliches Einsparpotenzial von 140 bis 330 Millionen Euro veranschlagt. Mit Blick auf die Emittenten wird durch die Nutzung eines einheitlichen Systems eine starke Vereinfachung und Harmonisierung der Marktpraktiken für das Settlement in Aussicht gestellt, das verbesserte Absatzchancen für inländische Emissionen im gesamten Euroraum schaffen dürfte. Und die privaten und institutionellen Investoren dürften bei den betrachteten Kostenstrukturen mit einer deutlichen Reduktion der Abwicklungskosten für grenzüberschreitende Transaktionen rechnen.

Bei veranschlagten einmaligen Investitionskosten von 200 Millionen Euro und jährlichen Ersparnissen von 225 Millionen Euro sollte das T2S-Projekt aus wirtschaftlichen Gesichtspunkten eigentlich keine Frage sein. Es ist dem Eurosystem und hierzulande auch der Bundesbank aber ein spürbares Anliegen, die betroffenen Marktteilnehmer auf dem Weg in eine Konsolidierung der Wertpapierabwicklung auf freiwilliger Basis kraft Überzeugung und weniger durch politischen Druck mitzunehmen. Für die Zentralverwahrer ist das Projekt gleichwohl insofern schwer kalkulierbar, als sie ihre Geschäftsmodelle deutlich modifizieren müssen und jeder Einzelne nicht genau absehen kann, wie er aus der Marktveränderung herauskommt. Sich auf Dauer gegen den Markt zu stemmen, ist erfahrungsgemäß unklug, doch Maßnahmen zur zeitlichen Streckung der Anpassungslasten sind in einem solchen Umfeld normal.

Wie lange sich ein konstruktiver Entwicklungsprozess hinziehen kann, lässt sich übrigens am Zahlungsverkehr sehen. Auch dort sind die vielen nationalen Komponenten des ursprünglichen Tar-get-Systems aus dem Jahre 1999 seit gut fünf Jahren im Target-2-System gebündelt worden und gehen am 19. November 2007 mit acht Ländern an den Start. Nach der Migration von weiteren sieben Ländern Mitte Februar 2008 und den restlichen sechs Teilnehmern am 19. Mai des kommenden Jahres wird der Zahlungsverkehr dann auf einer Single Share Platform (SSP) abgewickelt. Auf dieser Plattform soll ab dem Jahre 2013 dann möglichst auch T2S laufen und jene weiteren 20 Prozent an Synergieeffekten heben, die in der jetzigen Machbarkeitsstudie überhaupt noch nicht berücksichtigt sind.

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