Vertriebspolitik

Klares Bekenntnis zur Vertriebskultur - aber schwierige Umsetzung in den Verbünden

Dass der Vertrieb von zentraler Bedeutung für die ganze Finanzbranche
ist, zählt zu den Binsenweisheiten. Doch wie eindeutig Vorstände von
Sparkassen und Genossenschaftsbanken sich zu dieser Sicht bekennen,
überraschte die Initiatoren der "Vertriebsstudie 2005" schon: Immerhin
98 Prozent der Bankvorstände halten die ganzheitliche Ausrichtung auf
die Vertriebsbank für strategisch wichtig. Für 40 Prozent ist sie
sogar existenziell notwendig. Ausnahmslos alle Befragten antworteten,
dass es für sie zur Vertriebsbank keine strategische Alternative gebe.
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Nach den Handlungsfeldern auf dem Weg hin zur Vertriebsbank befragt,
gaben die Teilnehmer an der Vertriebsstudie zwei Richtungen vor: die
nachhaltige Implementierung einer Vertriebskultur und die konsequente
Umsetzung der vorhandenen Konzepte.
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Vertriebsbanken sind nach Meinung der Befragten durch aktiven Verkauf,
kundenorientierte Beratung und wertbasierte Vertriebssteuerung
geprägt. Dies bedingt eine neue Vertriebskultur, die die Banken zu
einem grundsätzlichen Veränderungsprozess zwingt. Eine der größten
Herausforderungen besteht in der Veränderung des
Aufgabenverständnisses der Mitarbeiter, das von einem
Paradigmenwechsel geprägt ist: weg von der Null-Fehler-Toleranz, hin
zu agilem Verkaufsverhalten und - bei Führungskräften im Vertrieb sehr
wichtig - die Freude an der Leitung einer Verkaufsorganisation.
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Trotz des hohen Margendrucks, der notwendigen Anpassungen an die
gesetzlichen Anforderungen und eines weiterhin steigenden
Risikobewusstseins müssen die Banken und Sparkassen deutlich stärker
als bisher in Beratung und Vertrieb, in Steuerung und Führung
investieren, um eine Vertriebskultur entstehen zu lassen. Dies ist
keine isolierte Aufgabe für Personalentwicklung mit weiteren
Trainings- und Coachingmaßnahmen, sondern Aufgabe des Managements.
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Anspruchsniveau definieren
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Die dabei ausschlaggebenden Gruppen sind neben den Mitarbeitern vor
allen Dingen die Kunden. Insbesondere die Sichtweisen und Ansichten
der Kunden werden bei der Betrachtung einer Vertriebskultur
unterschätzt. Es sind die Kunden, für die die Banken arbeiten und
Dienstleistungen erbringen.
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Die Kunden definieren das Niveau der Ansprüche an die Vertriebskultur.
Im Sinne des ökonomischen Prinzips bei der Verhältnismäßigkeit von
Aufwand und Ertrag müssen die Banken deshalb folgende Fragen
beantworten:
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1. Welchen Stellenwert haben Banken und Sparkassen für die Kunden?
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2. Welche Rolle spielen Berater und Betreuer in den Banken für die
Kunden?
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3. Sind Kunden bereit für mehr Vertrieb?
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4. Wie sind Mitarbeiter zu motivieren?
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Banken und Sparkassen haben für ihre Kunden einen sehr hohen
Stellenwert. Der Grund: Die Kunden sind in hohem Maße
Finanzanalphabeten.1) Geldanlagen sind für jeden zweiten Menschen
nicht so wichtig. Diese Gruppe kümmert sich kaum darum. Mangelnde Lust
und fehlende Zeit, sich zu informieren (52 Prozent), tragen dazu bei.
Die vielen Informationen der Geldinstitute verwirren einen Großteil
der Kunden (60 Prozent). Sie scheuen vor der Komplexität des Themas
zurück.
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Vertrauensbonus
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Darin liegt die große Chance der Banken und Sparkassen. Denn drei
Viertel ihrer Kunden sind der Meinung, dass man, wenn es um
Geldanlagen geht, den Informationen der Banken trauen kann - und ihren
Mitarbeitern. Nur jeder Dritte wendet sich an einen spezialisierten
Anlage- oder Finanzberater. Die herausragende Stellung der Hausbank in
diesem Prozess wird in der Aussage deutlich, dass sich 85 Prozent
immer zuerst an ihre Hausbank wenden.2) Es besteht also ein hohes
Vertrauen in die eigene Hausbank. Hinzu kommt, dass immer noch etwa
drei Viertel der Bankverbindungen durch Empfehlung innerhalb der
Familie zustande kommen und erst im frühen Erwachsenenalter einer
Prüfung unterzogen werden.
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Determinanten erfolgreicher Kundenbeziehungen sind und bleiben auch in
Zukunft die geografische Nähe, gewährleistet durch die hohe Filial-
und Automatendichte, sowie die emotionale Nähe, die nicht allein durch
kompetente Ansprechpartner, sondern auch über deren Kontinuität
getragen wird.3) Sie gewährleistet die Ausbildung von Vertrauen in
einen persönlichen Berater und lässt sich in Kundenbefragungen messen.
Verständnis für die Belange der Kunden drückt sich im Eingehen auf
ihre Probleme und Wünsche sowie im Angebot alternativer Lösungen -
Anforderungen, die von Retailkunden in gleichem Maße geäußert werden
wie von vermögenden Kunden. Um es deutlich auszudrücken: Geografische
Nähe ist der Trumpf der lokalen Banken, soziale Nähe und soziale
Kompetenz sind die Assets ihrer Mitarbeiter.
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Aber wie sind letztere ausgeprägt? Gerade in den die Kundenbindung
maßgeblich beeinflussenden Faktoren wie das Eingehen auf persönliche
Wünsche und Ziele oder das aktive Unterbreiten alternativer Lösungen
sowie bei der Qualität der Angebote und Lösungen tun sich die
Mitarbeiter der lokalen Banken schwer. Ihre Kunden attestieren ihnen
in allen Befragungen Nachholbedarf.
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Das große Vertrauen, das die Kunden gerade in die lokalen
Geldinstitute setzen, zeigt, dass diese den preisaggressiven
Direktbanken und den Vertriebsorganisationen Stand halten können -
allerdings nur, wenn sie eine Reihe von Anforderungen ihrer Kunden
erfüllen: Preis- und Kostengerechtigkeit, aktive und
situationsgerechte Ansprache.
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Anforderung 1: Preis- und Kostengerechtigkeit
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Bankenwechsel aus Preisgründen ist ein überzeichnetes Phänomen. Nur
etwa ein Viertel aller Kunden hat in seiner Vergangenheit überhaupt
die Bankverbindung gewechselt. Von diesen hat nur jeder zehnte Kunde
den Wechsel mit Preisargumenten begründet. Gleich viele Kunden führen
Mängel in Beratung, Kundenorientierung und Sachkompetenz als
Wechselgrund an.
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Auch die Frage nach einem in der Zukunft beabsichtigten Wechsel
beantworten nur zehn Prozent positiv - und davon jeder zweite mit
Preisargumenten. Hier handelt es sich aber um eine sanktionsfreie
Absichtsfrage, die noch dazu vor dem aktuellen
Geiz-ist-geil-Hintergrund gestellt und beantwortet wird.
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In allen Kundenbefragungen erhalten Preise und Kosten sowie das
Preis-Leistungsverhältnis zwar die schlechtesten Bewertungen - wenn
aber diese Bewertungen auf ihre Relevanz für Kundenbindung hin geprüft
werden, so stellt sich immer wieder heraus, dass sie in dem
Zusammenhang nur eine untergeordnete Rolle spielen. Die
Beratungsaspekte haben stets höhere Priorität!
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Die überwiegende Zahl der Kunden kennt die aktuellen Konditionen ihrer
Bank nicht. Es interessiert sie auch nicht.
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Ihnen genügt die Überzeugung, einen fairen Preis zu zahlen. Hier kommt
es auf die Kommunikation mit den Kunden an und auf ihre Einbindung
durch die Betreuer und Berater vor Ort.
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Anforderung 2: Aktive Ansprache
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Nur etwa ein Viertel der Kunden bestätigt, dass die Bank die Kunden
von sich aus informiert. Fast drei Viertel können sich an eine aktive
Information nicht erinnern oder erklären, dass die letzte schon sehr
lange zurück liegt. Dabei warten viele Kunden auf eine aktive
Ansprache: Kaum einer will weniger adressiert werden. Aber etwa jeder
dritte Kunde stimmt der Aussage zu, dass seine Bank ruhig öfter oder
intensiver auf ihn zugehen könne.
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Bei der Analyse von Beratungsprozessen wird die Zurückhaltung der
Berater fast immer kritisiert: Sie sind zu wenig aktiv, gehen nicht
auf die Kunden zu - und noch weniger auf sie ein. Es ist dabei
gleichgültig, wie gemessen wird: ob über Testberatungen oder über
Kundenbefragungen. In der Regel wird in jedem zweiten Fall deutlich:
Die Bankmitarbeiter beraten exzellent, haben aber keine
Abschlussorientierung - selbst dann nicht, wenn alle Kundensignale auf
Grün stehen. Dieses Verhalten ist unverständlich. Denn die Kunden
kommen den Beratern weit entgegen: 80 Prozent der Kunden würden für
eine qualifizierte Beratung auch in eine weiter entfernte
Geschäftsstelle kommen, was gewöhnlich mit Zeitaufwand und Fahrtkosten
verbunden ist. Und etwa ein Viertel der Kunden - speziell die
vermögenden Kunden - würde für eine Beratung sogar bezahlen.
Erfolgsabhängig natürlich.
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Anforderung 3: Situationsgerechte Ansprache
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Es versteht sich von selbst, dass die Wünsche und Ziele der Kunden
Gegenstand von Beratungen und (systematischen) Finanzplanungen sein
sollten. Letztere werden beziehungsweise wurden erst in den letzten
Jahren eingeführt. Doch nicht immer erkennen die Kunden eine Struktur
in der Beratung.
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Das Eingehen auf ihre Wünsche, für die Kunden erlebbar durch das
aktive Zuhören der Berater und entsprechende Fragestellungen sowie das
Aufzeigen von Alternativen sind beides Schwachpunkte in den
Beratungen. Beide Elemente werden am meisten bemängelt. Kunden erleben
den Beratungsprozess oft auf die ebenso falsche wie fatale Weise:
Berater wollen ein Produkt verkaufen.
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Es sind nicht Einzelmaßnahmen, die Motivation für Vertrieb erzeugen.
Ingesamt sind es acht Erfolgsfaktoren, die eine Vertriebskultur prägen
und für nachhaltige Motivation der Verkäufer sorgen:
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1. Ausrichtung der Unternehmenskultur
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auf den Verkauf: Es kann nicht überraschen, dass Vertrieb eine
Worthülse bleibt, wenn weder im Unternehmensleitbild noch in
Führungsgrundsätzen die Worte Verkauf oder Vertrieb auftauchen und die
Führungskräfte sich in ihren regelmäßigen Strategietagungen über
alles, nur nicht über Vertrieb und ihren Beitrag dazu austauschen. Der
Vergleich mit den Besten in der jeweiligen Region oder im eigenen
Verbund ist gewiss eine wichtige Benchmark. Bei der Entwicklung zur
Vertriebsbank zählt aber sicher der Vergleich zu den Besten der
Branche mehr und fördert die eigene Weiterentwicklung nachhaltiger.
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2. Erfolge deutlich machen: Verkaufserfolge und insbesondere positive
Entwicklungen im Vertrieb müssen über Farben und zusammenfassende
Darstellung für Verkäufer deutlich sichtbar sein. Viele
Ergebnisberichte sind detailverliebte und schwer lesbare
Zahlenkolonnen, die nicht der Erwartung der Verkäufer entsprechen, die
einen schnellen Überblick gewinnen wollen.
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3. Führungskräfte als Verkaufsleiter: Untersuchungen von Management
Partner zeigen, dass sich Führungskräfte im Schnitt in ihrer
Arbeitszeit zu 50 Prozent mit Führungsaufgaben beschäftigen. Die
Beschäftigung mit Verkaufsergebnisse dagegen beansprucht gerade einen
Anteil von drei bis zehn Prozent. Die Auseinandersetzung mit der
Vertriebsleistung setzt aber die regelmäßige Kontrolle der
Verkaufsergebnisse, die Konzentration auf die Schwachstellen im
Ergebnis und das Ableiten konkreter Maßnahmen voraus.
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4. Ausgleich zwischen Selbstverantwortung des Verkäufers und zentraler
Steuerung durch Impulsmanagement: Der neu gestaltete Zentralbereich
Vertriebsmanagement muss sich als Teil des Vertriebs und nicht als
verlängerter Arm des Controllings und als "Stabsabteilung" fühlen.
Eine zielgerichtete Planung und Durchführung von Kampagnen müssen die
Treiber für einen erfolgreichen Vertrieb sein.
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Auswahl von Vertriebsmitarbeitern
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5. Mitarbeiterauswahl nach verkäuferischen Aspekten: Nur wenige
Mitarbeiter im Vertrieb erfüllen heute die persönlichen und sozialen
Anforderungen an Verkäufer - allein schon deshalb, weil sie von
Menschen eingestellt werden, die diesen ebenfalls nicht genügen. Die
Auswahl von Vertriebsmitarbeitern durch erfolgreiche Verkäufer und mit
Instrumenten, die Verkaufsfähigkeiten berücksichtigen, verbessert die
Situation mittel- und langfristig.
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6. Motivation durch Wertschätzung: Verkaufsstatistiken verraten die
Schwachstellen, decken aber zugleich die Erfolge und positiven
Entwicklungen auf. Oftmals gilt in der Bank jedoch der alte
schwäbische Sinnspruch: "Nicht geschimpft ist schon Lob genug".
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7. Verbesserung des Verkaufsimages:
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Nur die positive Einstellung einer Bank und aller Mitarbeiter zum
Vertrieb steuert den richtigen Umgang zwischen den unterschiedlichen
Mitarbeitergruppen im Haus. Die Attraktivität von Dienstleistungen für
die Kunden setzt zunächst die Faszination der Mitarbeiter für die
Kundenorientierung in allen Bereichen voraus. Eine der wichtigsten
Managementaufgaben in Zukunft ist, die Balance zwischen der
Null-Fehler-Kultur in der Bearbeitung und der Chan-cen-Kultur im
Vertrieb herzustellen.
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8. Leistung muss sich lohnen: Die Einführung einer Verkaufskultur muss
durch eine variable Vergütung in allen Bereichen der Bank unterstützt
werden. Eine Vertriebsbank wird nicht entstehen, wenn sich
Kundenorientierung und Verkauf nicht im Geldbeutel der Mitarbeiter
auswirken.
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Chefsache
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Die Wandlung eines Instituts zur kundenorientierten Vertriebsbank ist
ein Veränderungsprozess, den Mitarbeiter und Führungskräfte gemeinsam
angehen müssen. Die Weiterentwicklung der Vertriebskultur ist nach
überwiegender Meinung der Teilnehmer an der Vertriebsstudie Chefsache.
Es gilt, einen Werterahmen zu entwickeln, der für kundenzentriertes
Handeln aller Mitarbeiter Orientierung schafft - auch in den
Zentralbereichen.
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Fußnoten:
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Frank Lehmann: Wirtschaft. Worauf es wirklich ankommt. 2004.
\
Alle Werte stammen aus der Studie "Soll und Haben 6" des
Spiegel-Verlages. Die Berechnungen liegen aber in der Verantwortung
der Autoren. Die Ergebnisse werden für die Bevölkerung ab Alter 14
ausgewiesen auf der Basis Aussage trifft ganz genau zu + trifft eher
zu (auf einer 4er Skala).
\
siehe: Keller, B./Braun, U.: Vertrieb im Finanzmarketing in:
Marketingjournal Ausgabe 6/2005.
\
Duttenhöfer, S./Keller, B.: Finanzvertrieb: Kunden wollen Nähe in:
bank und markt 7/2005.

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