Doch kein Provisionsdeckel beim Vertrieb von Lebensversicherungen?

In den Koalitionsvertrag der Bundesregierung hat die Einführung eines Provisionsdeckels für Lebensversicherungen noch Eingang gefunden. Beinahe hatten sich die Vermittler schon nolens volens damit abgefunden. Doch nun gibt es zumindest neue Hoffnung, dass es dazu vielleicht gar nicht kommen wird.

Der am 28. Juni 2018 veröffentlichte Evaluierungsbericht des Bundesfinanzministeriums zum Lebensversicherungsreformgesetz sieht die Schaffung eines gesetzlichen Provisionsdeckels zwar noch vor. Inzwischen wird allerdings die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer solchen Regelung in Zweifel gezogen - und nicht nur seitens der Betroffenen, sondern von namhaften Juristen.

Eingriff in die Vertragsfreiheit

Einer dieser Kritiker ist der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Prof. Dr. Hans-Jürgen Papier. In seinem im Februar 2019 vorgelegen "Rechtsgutachten zur Verfassungsmäßigkeit eines gesetzlichen Provisionsdeckels für die Vermittlung von Lebensversicherungen" kommt er zu dem Schluss, dass "die gesetzliche Einführung eines Provisionsdeckels bei der Vermittlung von Lebensversicherungsverträgen einen Eingriff in die Freiheit der Berufsausübung der Versicherungsunternehmer und der Versicherungsvermittler aus Art. 12 Abs. 1 Grundgesetz darstellen" würde.

Dieser Eingriff wäre nicht durch "verfassungslegitime Gründe des gemeinen Wohls" gerechtfertigt, da das Vorliegen solcher Gründe Papier zufolge empirisch nicht belegbar ist. Damit würde der Gesetzgeber seinen von der Verfassung eingeräumten Einschätzungs-, Bewertungs- und Prognosespielraum überschreiten, wenn er solche Gründe und deren Voraussetzungen ohne jede tatsächliche Fundierung unterstellen würde.

Nicht zuletzt geht es Papier um die ungleichen Beratungs- und Vertriebswege. Unter einen Provisionsdeckel, der "undifferenziert für alle Versicherungsvermittler im Bereich der Lebensversicherungen gelten würde, fielen sehr unterschiedliche Berufsgruppen und Berufsbilder mit sehr unterschiedlichen Tätigkeitsfeldern, Aufgaben und Pflichten".

Bei dieser Sachlage scheint dem ehemaligen Verfassungsrichter ein gesetzlich eingeführter Provisionsdeckel unabhängig von der letztlich gewählten Höhe als willkürlicher gesetzgeberischer Aktionismus. Das gesetzgeberische Ziel einer weiteren Senkung der Vertriebskosten könne einen normativen Provisionsdeckel und den damit verbundenen Eingriff in die berufsspezifische Vertragsfreiheit der Vermittler nicht legitimieren. Vielmehr wird die beabsichtigte Einführung eines gesetzlichen Provisionsdeckels als Eingriff in Grundrechte und Europarecht, konkret als Verstoß gegen die Berufsausübungs- und Dienstleistungsfreiheit gewertet.

"Qualitätsabwärtsspirale" bei Versicherern und Vermittlern

In einem weiteren Rechtsgutachten über die "Europarechtliche Zulässigkeit eines Provisionsdeckels in der Deutschen Lebensversicherung" kommt auch der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Hans- Peter Schwintowski, Lehrstuhlinhaber für Bürgerliches Recht, Handelsrecht, Wirtschaftsrecht sowie Europarecht an der Humboldt-Universität Berlin, zu dem Schluss, dass ein solcher Eingriff gegen die in Artikel 56 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union garantierte Dienstleistungsfreiheit verstoßen" würde. Es seien auch keine Anhaltspunkte dafür erkennbar, "dass ein solcher Preisdeckel im zwingenden Allgemeininteresse notwendig sein sollte".

Ein solcher ohne Sachgrund erfolgender Eingriff in die Produktgestaltungsfreiheit der Versicherer würde Schwintowski zufolge "gegen zwingende Allgemeininteressen verstoßen", da er "eine Qualitätsabwärtsspirale sowohl bei den Versicherern als auch bei den Vermittlern auslösen würde".

Von der IDD nicht gedeckt

Auch das Europarecht gibt Schwintowski zufolge keinen Provisionsdeckel her. Die EU-Vermittlerrichtlinie "IDD enthält keinerlei Regelungen, die es rechtfertigen würden, die Vertriebsentgelte für alle Vermittlertypen bei Lebensversicherungen jeder Art der Höhe nach zu deckeln", heißt es im Gutachten.

Mit anderen Worten: Eine Obergrenze für Vertriebsprovisionen im Bereich der Lebensversicherung wäre im günstigsten Fall ein weiteres Beispiel für das schon so häufig kritisierte deutsche "Gold-Plating", mit dem Deutschland in Musterschülermanier gern einmal ohne Not über die europäischen Vorgaben hinausschießt. Auch die Fondsbranche reibt sich schließlich nach wie vor an der allein von der BaFin vorgenommenen MiFID-II-Auslegung, wonach Provisionszahlungen ausschließlich zur Verbesserung der Dienstleistungsqualität verwendet werden dürfen, was faktisch einem "Gewinnverbot" gleichkommt, wie es der BVI nennt.

Das wiederum hieße: Sollte die Politik zu dem Schluss kommen, auf einen Provisionsdeckel aus den genannten juristischen Gründen lieber doch zu verzichten, dann wäre es vielleicht geboten, auch bei der BaFin noch einmal über diese Auslegung von MiFID II nachzudenken. Zumindest für den juristischen Laien ist es nicht nachvollziehbar, weshalb ein Provisionsdeckel im Versicherungsvertrieb verfassungswidrig sein sollte, ein Verbot des Verdienens an Provisionen beim Fondsvertrieb jedoch nicht. Wenn die Politik an dem vernünftigen Ziel festhält, die regulatorischen Unterschiede zwischen Versicherungs- und Investmentbranche zumindest einebnen zu wollen, sind Unterschiede an dieser Stelle ohnehin nicht nachvollziehbar.

Ausgemacht ist es natürlich noch lange nicht, dass der Provisionsdeckel für den Vertrieb von Lebensversicherungen tatsächlich von der politischen Agenda verschwindet. Verbraucherschützer wer den wohl auch weiterhin daran festhalten. Ihre Maximalforderung ist ohnehin seit langem ein komplettes Provisionsverbot.

Wie immer, wenn in einer kontrovers diskutierten Frage ein Gutachten eindeutig die Interessen einer Seite stützt, könnte zudem auch in diesem Fall vermutet werden, dass ein anderslautendes Ergebnis von vornherein ausgeschlossen war. Erstellt wurden beide Gutachten nämlich auf Veranlassung der Vermittler-Berufsverbände Bundesverband Finanzdienstleistung AfW e. V. und Votum Verband Unabhängiger Finanzdienstleistungs-Unternehmen in Europa e. V. sowie der Bundesarbeitsgemeinschaft zur Förderung der Versicherungsmakler BFV. Die Wahl der Gutachter war insofern eine kluge: Einem ehemaligen Präsidenten des Bundesverfassungsgericht wird man nicht so leicht unterstellen, "Gefälligkeitsgutachten" zu schreiben - er hat schließlich einen Ruf zu verlieren.

Tatsächlich gibt es aus der Politik Anzeichen dafür, dass die Rechtsgutachten ernst genommen werden. Alsbald nach der Veröffentlichung der beiden Rechtsgutachten meldete sich das Wirtschaftsforum der SPD e. V. zu Wort und lehnte den von der Bundesregierung geplanten gesetzlichen Provisionsdeckel in der Lebensversicherung ab - nicht nur, aber auch unter Bezug auf die in den Gutachten genannten juristischen Bedenken.

SPD Wirtschaftsforum gegen den Deckel

"Wir müssen die private Altersvorsorge vielmehr stärken und dafür sorgen, dass möglichst viele private Rentensparer flächendeckend erreicht und beraten werden", so Harald Christ, der Schatzmeister des Wirtschaftsforums der SPD e.V. Eine Deckelung von Provisionen bewirke das Gegenteil. "Die Vermittler von Lebens- und Rentenversicherungen dürfen nicht ins berufliche Abseits gestellt werden", meint Christ. Betroffen wären mehr als 200 000 Versicherungsvermittler, an denen über 100 000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze hängen. Diese Vermittler hätten in den vergangenen Jahren bereits erhebliche Einkommenseinbußen hinnehmen müssen. In der Folge sei die Anzahl der Versicherungsvermittler alleine im ersten Quartal 2018 um 7 000 zurückgegangen, erklärt Christ. Das Wirtschaftsforum der SPD gibt deshalb der Sorge Ausdruck, dass ein gesetzlicher Provisionsdeckel dazu beitragen könne, dass die Anzahl der Vermittler in Deutschland weiter abnehme und davon auszugehen sei, dass ohne Beratung die flächendeckende private Altersvor sorge insbesondere für Einkommensschwache auch hierzulande zurück gehen werde. "Weniger private Altersvorsorge durch weniger Vermittler trifft vor allem die Geringverdiener", so Christ.

Überdies verweist das SPD-Wirtschaftsforum auf den indirekten Provisionsdeckel in der Lebensversicherung durch das LVRG, das bereits einen Rückgang der Abschlussprovisionen um 13 Prozent, der kalkulierten Abschlusskosten branchenweit um 20 Prozent und der Vergütung der Vermittler um fünf Prozent bewirkt hat. Im LVRG-Evaluationsbericht sieht das SPD-Wirtschaftsforum auch keine Grundlage dafür, dass aktuell steigende oder erhöhte Provisionszahlungen in der Lebensversicherung zu beobachten sind.

Diese Meinung ist zwar nicht die offizielle Linie der Bundes-SPD, die sich zu dem Thema noch nicht konkreter geäußert hat. Und die Partei ist auch nicht eben dafür bekannt, Belange der Wirtschaft in den Vordergrund zu stellen - gegenwärtig weniger denn je. Dass die Kritik am Provisionsdeckel ausgerechnet aus der SPD kam - wenn auch "nur" vom Wirtschaftsforum, darf die Branche vielleicht dennoch als ermutigendes Signal werten. Schließlich ist die Voraussage nahe liegend, dass eine weitere Beschränkung der Provisionen die Vermittlerzahlen eher steigen als sinken lassen werden. Und weniger Vermittler bedeuten zwangsläufig auch weniger Beratung. Weniger Beratung wiederum führt in der Regel eher zu sinkenden Abschlusszahlen.

Wem daran gelegen ist, die private Altersvorsorge zu stärken anstatt sie zu schwächen, der kommt daran kaum vorbei - es sei denn, der Gesetzgeber wollte über den Provisionsdeckel den Weg für ein Standardprodukt à la Deutschland-Rente ebnen, das wenig bis keine Beratung benötigt. Das müsste man dann aber erst einmal etablieren, bevor den Vermittlern noch stärker als schon geschehen die Ertragsgrundlage beschnitten wird.

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