Frage an Ludwig Hoch

Ist § 24 Beleihungswertermittlungsverordnung noch zeitgemäß?

"Bei der Beleihung eines im Inland gelegenen wohnwirtschaftlich genutzten Objekts kann auf die Erstellung eines Gutachtens nach § 5 verzichtet werden, wenn der auf dem Objekt abzusichernde Darlehensbetrag unter Einbeziehung aller Vorlasten den Betrag von 400 000 Euro nicht übersteigt." (§ 24 Abs. 1 Beleihungswertermittlungsverordnung, BelWertV).

In allen zulässigen Ländern (§ 13 PfandBG) erfolgt die Ermittlung des Beleihungswerts der Sicherheiten regelmäßig durch Gutachten. Für sogenannte Kleindarlehen erlaubt die BelWertV die Zulässigkeit einer vereinfachten Wertermittlung und begrenzt diesen Ausnahmetatbestand auf das Inland. Unter dem Gesichtspunkt der Risikoabwägung ist nicht nachvollziehbar, weshalb in einer ausländischen Volkswirtschaft bei Gewerbefinanzierungen die gleichen Regelungen einzuhalten sind wie in Deutschland, bei Kleindarlehen aber von Deutschland abweichende Regelungen greifen.

In jeder Volkswirtschaft ist der Markt für Wohnimmobilien per se risikoärmer als der Markt für Gewerbeimmobilien. Die Beschränkung der vereinfachten Wertermittlung auf das Inland ist anachronistisch und protektionistisch.

Realkredit in Andorra muss möglich sein ...

Ein Beispiel: Eine Pfandbriefbank ist der Meinung, Andorra sei ein sehr attraktiver Markt. Sie reicht dort Hypothekenfinanzierungen aus und refinanziert sich über Pfandbriefe. Ein Rechtsgutachten des Verbandes deutscher Pfandbriefbanken behandelt das andorranische Rechtssystem mit der erforderlichen Gründlichkeit und Tiefe. Die grundstücksgleichen Rechte sind dem deutschen Recht vergleichbar.

Andorra ist der größte Zwergstaat in Europa. 85 000 Einwohner leben auf 500 Quadratkilometern. Die volkswirtschaftlichen Rahmendaten sind nicht schlechter als in Deutschland, die politische Situation, der Haushalt und die Finanzmärkte sind stabil. Die Beleihungswerte werden nach § [25] BelWertV von einem geprüften und staatlich anerkannten Gutachter ermittelt. Die Pfandbriefbank selbst hat sich von seiner Eignung überzeugt und vertraut ihm die Bewertung ihres Deckungsstocks an. Den gewerblichen Immobilienfinanzierungen und der Finanzierung von Wohnraum innerhalb der Beleihungsgrenze steht in Andorra somit nichts mehr im Wege.

Die Geschäfte entwickeln sich prächtig. Mehrfamilienwohnhäuser, repräsentative Bürogebäude und Einzelhandelsimmobilien wandern in das Kreditportfolio und den Deckungsstock, was anhand der Pflichtveröffentlichung nach § 28 PfandBG von jedem Anleger nachvollzogen werden kann. Der Gutachter als Garant des Anlegerschutzes und Kerberos des Deckungsstocks ist auch in Andorra als Volumenverhinderer mehr gefürchtet als geschätzt. Nur bei kleinen Darlehen stehen der Aufwand der Gutachtenerstellung und der Erkenntnisgewinn durch eine Besichtigung nach §[4]Abs. 1 Satz 3 BelWertV in einem deutlichen Missverhältnis.

... auch mit vereinfachter Wertermittlung

Für solche Fälle gibt es eigentlich § 24 BelWertV, aber halt! Andorra liegt nicht in Deutschland. Dabei könnten die 85000 Einwohner genauso gut in einem strukturschwachen Landkreis in Deutschland leben. Die Erleichterungen des § 24 BelWertV ausschließlich auf das Inland zu beschränken, ist in einem harmonisierten Europa nicht mehr zeitgemäß.

Selbstverständlich leben wir in einem Europa der Regionen und in einem Deutschland mit Nord-Süd- und Ost-West-Gefälle. Wem wird die Lösung des Gefälleproblems beziehungsweise der "normativen Lücke" in Deutschland aufgetragen? Dem Gutacher. Traut niemand diesem - von der Pfandbriefbank zur Sicherung der Qualität ihres Deckungsstocks bestimmten - Gutachter die gleiche Problemlösungskompetenz in den Regionen Europas zu? Gerade die, in § 24 Abs. 2 BelWertV geforderte, stichprobenhafte Überprüfung der Qualität der vereinfachten Wertermittlungen durch den Gutachter gewährleistet einen Regelkreis mit dauerhafter Qualifizierung und Schulung der mit der Wertermittlung betrauten Personen, auch in Andorra.

In einer Zeit, in der die Finanzmärkte nach der Krise 2008 noch immer nach einfachen und belastbaren Finanzierungsstrukturen suchen, ist das deutsche gesetzliche Pfandbrief-Beleihungswert-System die einzige vollständige und transparente Antwort zur Bestimmung und Finanzierung einer Senior-Senior Loan Tranche. Nichts anderes gewährleistet das deutsche Pfandbriefsystem mit den strengen Vorgaben (rigorous provisions) für die Bemessung des Beleihungswerts in Verbindung mit der starren Beleihungsgrenze. Pfandbriefe sind unterlegt mit 60 Prozent eines Wertes, der per Definition nie über dem Marktwert liegt.

Verpassen wir gerade eine historisch einmalige Chance? Versäumen es die Politik, der Finanzminister und die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, den gläubigerschützenden Grundtenor im deutschen Pfandbriefgesetz weiter in die Breite der internationalen Kapitalmärkte zu tragen? Selbstverständlich kann jedes Land das Rad neu erfinden und "strenge Vorschriften" im Sinne der Baseler Regelwerke erlassen, aber ist das in einem vereinten Europa noch zeitgemäß? Ist ein zersplittertes Vorgehen in einer weltweit verzahnten Finanzwelt überhaupt sinnvoll? Warum wird davor gescheut, die sehr gute Idee des Pfandbrief-Belei-hungswert-Systems aktiv nach Europa zu tragen?

Agieren statt reagieren

Immer auch entscheidet das richtige Timing über Erfolg oder Misserfolg einer folgerichtigen Veränderung. Der Pfandbrief sollte nun - durch erfolgreiche Verbandsarbeit gestützt - europäisch werden. Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, oben zitierte anachronistisch und protektionistisch anmutende Passage im §24 Abs. 1 Satz 1 BelWertV zu verändern oder ganz fallen zu lassen. Diese Veränderung könnte ähnliche Impulse freisetzen wie die Einführung von Jum-bopfandbrief-Emissionen im Jahr 1995.

Letztlich entscheiden die Kapitalmarktteilnehmer selbst, was ihnen transparente und gesetzlich geregelte Sicherheit wert ist, denn Sicherheit und einen günstigeren Preis bei der Refinanzierung gibt es nicht umsonst. Die Kosten für die Sicherheit sind freiwillige Akzeptanz von PfandBG und BelWertV sowie Unterwerfung unter eine deutsche Bankenaufsicht und deren Erfüllungsgehilfen, den Gutachter. Der deutsche Gesetzgeber stellt den Rahmen zur Verfügung und überwacht. Ob sich ein harmonisiertes Pfandbriefgesetz in der EU entwickelt, ist fraglich - es ist in jedem Fall ein langer Weg. Allerdings ist ein "best practice"-Modell aus Deutschland, das nicht auf nationale Grenzen beschränkt bleibt, ein schlagkräftiges Argument.

Vielfalt der Deckungstöcke

Pfandbrief und Beleihungswert sind ein über zwei Jahrhunderte fortentwickelter krisenbewährter gesetzlicher Rahmen, geeignet für alle Länder der Europäischen Währungsunion und darüber hinaus, um eine Senior-Senior Loan Tranche zu bestimmen und zu refinanzieren - grundsätzlich mit Gutachten, nur in Deutschland bei Kleindarlehen auch mit vereinfachter Wertermittlung. Das muss sich ändern, zur Verbreiterung des Hypo-theken-Pfandbriefmarktes und zur weiteren Stärkung der Attraktivität des Pfandbriefs für internationale Investoren und Initiatoren im Euro-Raum.

Die Struktur des Deckungsstocks beeinflusst schon heute das Pfandbrief-Pricing, wobei sich die jetzigen Pfandbriefbanken nur geringfügig unterscheiden, da überall der Hauptanteil in der deutschen Volkswirtschaft steckt. Dieses Phänomen wird gelegentlich als Institutsrisiko diskutiert, welches es aufgrund der Segregation (§ 30 PfandBG) faktisch gar nicht geben darf. Mit einem geöffneten § 24 BelWertV wird sich die Situation ergeben, dass starke nationale europäische Banken (mit deutscher Pfandbrieflizenz) Pfandbriefe emittieren und dann das Schwergewicht des Deckungsstocks in dieser europäischen (nicht-deutschen) Volkswirtschaft liegt, und - sofern vorhanden - weiteres Ausland nur Beimischungscharakter erreicht.

Der Pfandbrief bleibt jedoch immer ein Pfandbrief, ein Markenprodukt, eingefärbt wie bisher durch die Struktur des Deckungsstocks (collaterals). Es ändert sich nichts an der Sicherheit des Pfand-brief-Beleihungswert-Systems. Die Alleinstellungsmerkmale der Bestimmung einer Senior-Senior Loan Tranche blieben die gleichen.

Am Kapitalmarkt gibt es nur Pfandbriefe, gelbe, grüne, rote und orange, je nachdem welcher Wirtschaftsraum (Volkswirtschaft) das Schwergewicht im Deckungsstock ausmacht. Die zukünftige Preisdifferenz (Spread) zwischen Pfand-brief-Deckungsstockschwerpunkten untereinander spiegelt dann die Risikoeinschätzung der Kapitalmarktteilnehmer wider, die sie dem Immobilienmarkt in der jeweils dominierenden Volkswirtschaft beimessen.

In letzter Konsequenz wird dieser Spread den Abstufungen jetziger nationaler gedeckter Anleihen folgen, aber deutlich geringer ausfallen, da das Marktwertrisiko entfällt, denn jedem Pfandbrief liegt ein Loan-to-Value (Beleihungswert) von 60 Prozent zugrunde. Andere CRD-compliant Covered Bonds beziehen sich immer auf einen schwankenden Marktwert und ein LtV von 80 Prozent.

Schaden für den deutschen Pfandbrief?

Die Antwort auf diese Frage ist so einfach wie das Pfandbrief-Beleihungs-wert-System selbst. Nein. Dem reinen deutschen Pfandbrief schadet eine Pfandbrieflandschaft mit Deckungsstockvielfalt niemals. Aber "den" deutschen Pfandbrief in Reinform gibt es schon lange nicht mehr. Wenn man sich die Veröffentlichungen der Institute zu § 28 PfandBG genauer ansieht, wird das Qualitätsprodukt "Pfandbrief-Deutschland" schon jahrelang schleichend verwässert, ohne dem Qualitätsprodukt "Pfandbrief-Andorra" eine gleichberechtigte Chance zu geben.

Am Kapitalmarkt ist der Pfandbrief heute eine Marke, ein echtes Qualitätsprodukt, vernachlässigt wird aber bisher die Struktur des Deckungsstocks. Zukünftig kann der Pfandbrief als Qualitätsprodukt "made in Germany" mit europäischer Nuancierung vermarktet werden. Der Kapitalmarkt ist in der Lage, einen "Pfandbrief-Deutschland" von einem "Pfandbrief-Andorra" zu unterscheiden. Er tut es schon jetzt, wird das "Institutsrisiko" richtig interpretiert.

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