Bewertungsfragen

Bewertung von Immobilienkrediten mit stochastischen Verfahren

Eine Bewertung von Immobilienkreditbeständen ist in der Praxis unter anderem bei Verbriefungen und Portfolioverkäufen zwingend erforderlich und basiert in aller Regel auf der Diskontierung der zukünftigen Zahlungsströme der Darlehen. Dieses Discounted-Cash-Flow-Verfahren (DCF-Verfahren) deckt jedoch nicht alle Aspekte einer vollständigen Bewertung ab - insbesondere ist die Berücksichtigung von Optionen, zum Beispiel in Form von Kündigungsrechten nach §489 BGB, nicht ohne weiteres möglich. Um diese Lücke zu schließen, werden in der Finanzdienstleistungsindustrie zunehmend Bewertungsansätze verwendet, die auf stochastischen Verfahren beruhen.

Performance-Messung bei Lebensversicherung

Ein solches, vollständig entwickeltes Verfahren ist der sogenannte Embedded Value (EV), der in der Versicherungswirtschaft angewendet wird. Der EV wurde speziell für die Bewertung und Perfor-mance-Messung von Lebensversicherungsbeständen entwickelt und wird demzufolge vorwiegend von Lebens- und Krankenversicherern verwendet. Eine Übertragung des Konzepts auf versicherungsfremde Produkte mit vergleichbaren Eigenschaften wurde bisher nicht angestrebt. Gerade langfristige Immobilienkredite weisen jedoch durch ihre Vertragsgestaltung deutliche Analogien zum Lebensversicherungsgeschäft auf. Im Folgenden wird aufgezeigt, inwieweit das Konzept des EV zur Bewertung von Immobilienkrediten verwendet werden kann und welche Vorteile es gegenüber der traditionellen, deterministischen Kreditbewertung aufweist.

Der EV entspricht dem Barwert der Erträge aus dem betrachteten Versicherungsbestand nach adäquater Berücksichtigung der inhärenten Risiken. Das ursprüngliche Konzept des EV stammt aus dem angelsächsischen Bereich und wurde in den letzten Jahren auf EU-Ebene bis zum Market Consistent Embedded Value (MCEV) weiterentwickelt. Der

Grundgedanke des MCEV basiert auf dem Konzept des Fair Value. Folglich werden alle Positionen eines Bestandes so bewertet, als würden diese am Kapitalmarkt gehandelt.

Der MCEV setzt sich aus den beiden Hauptkomponenten Net Asset Value (NAV) und Value of Business in-force (VIF) zusammen. Der NAV entspricht dem Marktwert aller Vermögensgegenstände, die nicht der Deckung des Leistungsversprechens der Versicherung dienen und entspricht somit dem ökonomisch bewerteten Eigenkapital des Lebensversicherungsunternehmens.

Der Bestandswert VIF ist definiert als Barwert der erwarteten Cash-Flows aus dem Bestand nach Berücksichtigung von Optionen und Garantien, Kapitalbindungskosten und kalkulatorischen Kosten nicht absicherbarer Risiken. Für die Berechnung der Cash-Flows des Portfolios ist ein Unternehmensmodell zu implementieren, mit dem auch Manage-ment-Entscheidungen sowie das Verhalten der Kunden abgebildet werden können. Der Zeitwert der Optionen und Garantien wird ebenfalls im Rahmen dieses Modells mit Hilfe eines Simulationsverfahrens dargestellt.

Die Kapitalbindungskosten werden für die Bereitstellung des ökonomischen Kapitals angesetzt. Als Kosten nicht absicherbarer Risiken werden Positionen erfasst, die typisch für das Lebensversicherungsgeschäft sind, zum Beispiel die asymmetrische Wirkung der Sterblichkeit: Die Eigentümer des Versicherungsunternehmens werden bei einer höheren Sterblichkeit stärker belastet als sie bei einer geringeren Sterblichkeit entlastet werden.

Argumentation für die Nutzung des MCEV

Die Langfristigkeit der Lebensversicherungsverträge sowie deren spezifisches Zahlungsstromprofil waren wesentliche Argumente für die Entwicklung des EV-Konzepts. Beide Eigenschaften führen bei einer jahresüberschussorientierten Betrachtung dazu, dass in Perioden mit sehr erfolgreichem Neugeschäft insbesondere aufgrund der vorschüssig zu zahlenden Abschlussprovision das buchhalterische Ergebnis negativ ausfällt, obwohl der betreffende Zeitraum durch hohe Neugeschäftsvolumina ökonomisch positiv beurteilt werden muss. Bei langfristigen Immobilienkrediten sind die Wirkungen im Jahresabschluss vergleichbar, wenn auch die absolute Höhe des negativen Ergebniseffektes deutlich geringer ausfällt, da nur selten Vermittlerprovisionen anfallen.

Eine weitere Ähnlichkeit der Zahlungsstromprofile besteht im Hinblick auf die Unsicherheit der Cash-Flows. Diese Unsicherheit ist nicht nur auf die dem Lebensversicherungs- und Kreditgeschäft inhärenten Risiken zurückzuführen, sondern auch auf die den Kunden gewährten beziehungsweise rechtlich zustehenden Optionen und Garantien.

Im Rahmen des EV-Konzepts ist zwischen finanziellen und technischen Optionen zu unterscheiden. Die Ausübung von finanziellen Optionen respektive der Wert der finanziellen Garantien sind von den Entwicklungen am Kapitalmarkt abhängig. Im Lebensversicherungsgeschäft zählt hierzu vor allem der Garantiezins, dessen Höhe im Zeitablauf mit der Entwicklung der Kapitalmarktzinsen schwankt. Bei Kreditverträgen bezieht sich diese Zinsgarantie auf den Zeitraum der Zinsfestschreibung. Der Wert dieser Garantie wird durch die Bedingungen am Kapitalmarkt determiniert. Beide Garantien beeinflussen somit den Wert des Lebensversicherungs- beziehungsweise des Immobilienkreditbestandes und sind entsprechend in die Bewertung einzubeziehen. In die Kategorie finanzieller Optionsrechte fallen auch meist einzelvertraglich vereinbarte Cap- oder Floor-Vereinbarungen.

Die Ausübung von Kündigungsrechten ist vom Verhalten des Versicherungsrespektive Kreditnehmers abhängig, der seine Entscheidung in erster Linie in Abhängigkeit vom herrschenden Zinsniveau treffen wird. Bei steigendem Zinsniveau wird ein Versicherungsnehmer eher dazu tendieren, eine Lebensversicherung zu kündigen als bei fallendem Zinsniveau. Der Darlehensnehmer verhält sich entgegengesetzt und wird tendenziell bei einem rückläufigen Zinsniveau eine Kündigung in Betracht ziehen.

Alle weiteren vertraglich eingeräumten Rechte und Garantien, die von der individuellen Lebenssituation des Versicherungs- beziehungsweise Darlehensnehmers abhängen, werden unter technischen Optionen und Garantien zusammengefasst. Hierzu zählen beispielsweise Beitragsfreistellungen in der Lebensversicherung und Tilgungsaussetzungen im Kreditgeschäft, die beide zu einer Unterbrechung der periodisch wiederkehrenden Zahlungen führen.

Bereits diese Gegenüberstellung verdeutlicht, dass das Kreditgeschäft hinsichtlich des Zahlungsstromprofils und der eingebetteten Optionalitäten durchaus mit dem Lebensversicherungsgeschäft vergleichbar ist und somit eine Übertragung des EV-Konzepts zweckmäßig erscheint. Berechnung des MCEV

Die Vorgehensweise zur Berechnung des NAV für das Kreditgeschäft unterscheidet sich nicht von der Lebensversicherung. Für die Abbildung der erwarteten Cash-Flows aus dem Bestand (PVFP) ist die Implementierung eines Unternehmensmodells erforderlich, mit dessen Hilfe die Abwicklung der Kreditverträge simuliert werden kann. Dieses Modell stellt im Vergleich zu den traditionellen Bewertungsmethoden im Kreditgeschäft die größte Innovation dar. Es ermöglicht nicht nur die exakte Abbildung der tatsächlichen Refinanzierungsstruktur und Kostenverläufe. Auch die Berechnung des Zeitwerts der finanziellen Optionen und Garantien wird akkurater abgebildet.

Aufgrund der häufig sehr komplexen Strukturen kann dieser Zeitwert nicht anhand geschlossener Formeln ermittelt werden. Die Folge davon ist, dass eine Bewertung der Optionsrechte bei der Kreditvergabe oftmals nicht erfolgt und diese somit nicht in die Kalkulation der Marge einfließen. Im Konzept des MCEV wird dieser Zeitwert stochastisch anhand des Unternehmensmodells ermittelt und somit explizit in die Bewertung einbezogen.

Durch eine auf der Systematik des Embedded Value beruhende Bewertungsmethode und die damit verbundene Integration von Optionen und Garantien kann der Wert von Kreditportolios genauer abgebildet werden, als dies anhand traditioneller Bewertungsmethoden möglich ist. Darüber hinaus stellt der MCEV Kreditinstituten ein einheitliches Rahmenwerk für Risiko, Wert und Performance zur Verfügung.

Die stochastische Bewertung des Portfolios ermöglicht unter anderem eine direkte Analyse der Auswirkungen von Annahmen zum dynamischen Kundenverhalten in Kombination mit exotischen Vertragsbedingungen. In der Praxis beginnen die ersten auf Immobilienfinanzierung spezialisierten Institute bereits, ihre Kreditportfolios mit Hilfe eines Em-bedded-Value-Ansatzes zu bewerten. Es ist davon auszugehen, dass simulationsbasierte Verfahren der Portfoliobewertung von Immobiliendarlehen in Zukunft an Bedeutung gewinnen werden.

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