Im Blickfeld

Immobilien und Statistik nur für Nerds?

Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) will künftig einen regelmäßigen Bericht zur Situation der Immobilienwirtschaft anhand der Preise und Daten aus der Statistik veröffentlichen. Hand aufs Herz: Für wie wichtig halten Sie das Thema? Vor dem Hintergrund der Staatsschuldenkrise sowie der eingetrübten Konjunkturaussichten dürften fehlende Immobiliendaten doch wohl eines der kleineren Probleme sein.

Falsch gedacht. Die Konsequenzen für die deutsche Immobilienwirtschaft, die aus der Abarbeitung der Fehler resultieren, die zur globalen Finanzkrise führten, sind direkt mit der Datenfrage verknüpft. Ein Beispiel: Die Finanz- und Versicherungswirtschaft soll weniger krisenanfällig werden, daher wird unter anderem das europäische Versicherungsaufsichtsrecht reformiert - Stichwort Solvency II. Nach dem aktuellen Entwurf sollen Versicherungen künftig direkte Immobilieninvestments europaweit einheitlich mit 25 Prozent Eigenkapital unterlegen, um Wertschwankungen der Immobilien abfedern zu können.

Der Link zum Thema Immobiliendaten: Um die Höhe der Eigenkapitalunterlegung zu ermitteln, wurde auf bestehende Immobiliendaten zur Wertentwicklung zurückgegriffen. Dabei zeigte sich, dass nur sehr wenige Länder in Europa über ausreichend fundierte Datenreihen verfügten. Großbritannien ist hier - erneut - der Maßstab. Dort wird der IPD-Index monatlich publiziert, und das seit nunmehr zwei Jahrzehnten. Damit konnten genau die 250 Datenpunkte geliefert werden, die die Statistiker der Europäischen Kommission und der nachgelagerten Behörden sehen wollten, um seriöse Ergebnisse zu erzielen. Übersehen wurde dabei freilich die Tatsache, dass die Wertschwankung des Immobilienmarktes in Großbritannien, und dort im Wesentlichen London, weit höher ist als in anderen europäischen Märkten. Deutschland hingegen verfügt wie die meisten anderen kontinentaleuropäischen Länder über eine solche, ausreichend lange und dichte Datenbasis nicht. Vor diesem Hintergrund wurden für Solvency-II-Berechnungen letztendlich ausschließlich die Daten des britischen Marktes herangezogen.

Aus den britischen Daten wurde eine mögliche maximale Wertschwankung von 25 Prozent abgeleitet. Das Ergebnis wurde undifferenziert auf den Rest Europas übertragen. Sogar die zwölf turbulentesten Monate in Deutschland während der vergangenen Finanz- und Wirtschaftskrise hätten ein solches Ergebnis keinesfalls gerechtfertigt. Nur wurde Deutschland eben aufgrund der noch zu kurzen und grobmaschigen Datenreihen nicht berücksichtigt.

Noch einmal Hand aufs Herz: Sicherlich mag Solvency II aus Sicht der Immobilienwirtschaft ärgerlich sein. Letztendlich handelt es sich im Hinblick auf die fehlenden Daten aber doch eher um Versäumnisse der Vergangenheit, die jetzt zum Tragen kommen. In der jüngeren Vergangenheit hingegen haben wir beim Thema Daten durchaus einiges erreicht: Neue Indizes sind auf dem Markt, die großen Maklerhäuser publizieren regelmäßig Marktberichte von guter Qualität, die Gesellschaft für Immobilienwirtschaftliche Forschung e. V. (gif) ermittelt einen Konsens über die Prognose der Marktentwicklung, und im aktuellen Transparenzranking von Jones Lang Lasalle hat sich Deutschland weiter verbessert - wir zählen erstmals zu den "sehr transparenten" Immobilienmärkten. Ist vor dem Hintergrund dieser Entwicklung die Frage der Datenerhebung nicht doch eher ein Randthema für Statistik-Nerds, Researcher und Mathematiker?

Nein. Die Daten- und Wissenslücken sind nach wie vor eklatant und teilweise grundsätzlicher Natur. Eine Immobilienblase hätten wir in der Vergangenheit nicht erkennen können. Wir wissen nach wie vor auch nicht einmal exakt, wie groß der Immobilienbestand in Deutschland ist. Zahlen, wie viele Wohnimmobilien oder Einzelhandelsflächen es in Deutschland gibt, sind mehr oder weniger gute Schätzungen. Beim Bestand an Wohnimmobilien beispielsweise fußt die Statistik auf alten Daten, die mit Hilfe der Zu- und Abgänge an Wohngebäuden und Wohnungen mittels Bautätigkeitsstatistik fortgeschrieben werden. Bei der letzten Überprüfung lag der über Jahre kumulierte Fortschreibungsfehler bei über einer Million Wohnungen. Wie soll auf einer solchen Grundlage bestimmt werden, wie groß der energetische Sanierungsbedarf ausfällt, um die Klimaziele der Bundesregierung zu erreichen?

In vielen Fällen sind die erforderlichen Daten vorhanden, sie werden schlicht und ergreifend aber nicht in ausreichender Detailtiefe öffentlich gemacht. Ein Beispiel sind hier Einzelhandelsflächen. Architekten müssen den Statistikämtern melden, wenn sie neue Einzelhandelsflächen bauen. Bei den Statistikämtern werden diese Daten mit Daten über Lagerflächen aggregiert - aus immobilienwirtschaftlicher Sicht eine völlig unplausible Vorgehensweise. Einzelhandelsflächen und Lagerhallen als zusammenhängende Kategorie zu betrachten, ist in etwa so sinnvoll, wie die Zahl der Pkw und der Fahrräder gemeinsam als Zahl der Fortbewegungsmittel auszuweisen.

Insgesamt gilt also: Das Thema Statistik und Daten muss zu Recht auf die Agenda der Marktteilnehmer und der Politik. Der Zentrale Immobilien Ausschuss hat bereits in der Vergangenheit auf mehr Transparenz und eine bessere Datengrundlage für die Immobilienwirtschaft und die Politik gedrängt. Die hierzu unternommenen Anstrengungen sind notwendig für rationale wirtschaftliche und politische Entscheidungen. Versäumnisse können sich in der nächsten Krise als fatal erweisen.

Axel von Goldbeck, Geschäftsführer, und Sabine Georgi, Referentin Wirtschaft, ZIA Zentraler Immobilien Ausschuss e. V., Berlin

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