Leitartikel

Ein präsidiales Problem

Was als Provinz-Petitesse begann, hat sich zu einem staatstragenden Skandal ausgeweitet: Längst geht es nicht mehr darum, auf welchen Wegen und zu welchen Konditionen der seinerzeit amtierende niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff zu einem Eigenheimkredit gekommen ist. Dass er dazu bereitwilliger gegenüber Parlament und Öffentlichkeit Auskunft gegeben hätte, wäre wünschenswert und sicherlich auch taktisch klüger gewesen. Nicht hinnehmbar ist jedoch, dass der inzwischen zum Bundespräsidenten Avancierte persönlich Journalisten und Medienunternehmer mit rechtlichen Konsequenzen drohte, falls sie über ihn und seine Hausfinanzierung kritisch berichten sollten. So menschlich verständlich die Erregung des Eigenheimerwerbers Wulff darüber sein mag, als eines der fünf Verfassungsorgane dieser Republik war er es, der mit seinen Telefonaten eine Grenze übertreten hat, die in einem demokratischen Staat nicht überschritten werden darf. Damit hat er sich selbst keinen Gefallen getan, schlimmer noch: Er hat den politischen Institutionen - nicht nur dem Amt - schwer geschadet. Über sein verfassungsrechtlich höchst bedenkliches Verhalten ist der eigentliche Anlass in den Hintergrund getreten.

Dass auch Politiker Kredite bei Freunden aufnehmen dürfen, steht außer Frage. Zwar mag es ein Geschmäckle haben, wenn die angepumpten Bekannten Unternehmer sind, die im Wirkungskreis des Politikers geschäftlich aktiv sind, doch eine direkte oder indirekte Einflussnahme durch diesen Freundschaftsdienst auf politische Entscheidungen muss erst einmal nachgewiesen werden. Dass sich Wulff dieser Problematik bewusst gewesen ist, zeigt sich darin, dass er den Privatkredit inzwischen auf die BW-Bank umgeschuldet hat. Ob ihm die Erkenntnis selber kam, ist fraglich. Erstens darf angenommen werden, dass ein extrem zinsgünstiger Freundschaftskredit so lange genutzt wird, wie dies irgendwie möglich - in diesem Falle also politisch tragbar - ist. Zweitens widersprechen die Aussagen der Bank über den Zeitpunkt der Umschuldung jenen, die der amtierende Bundespräsident öffentlich gemacht hat. Über die terminlichen Unstimmigkeiten kann sicherlich hinweggesehen werden, auch wenn Kreditnehmer mit einem Blick in ihren Darlehensvertrag sehr eindeutig ersehen können, wann die Unterschriften darunter geleistet wurden.

Hinsichtlich der Zinsen des Kredits, die für Wulff günstig sein sollen, kann ihm jedoch kein Vorwurf gemacht werden. Es steht der finanzierenden Bank frei, die Bonität ihrer Kunden nach eigenen Maßstäben zu ermitteln und individuelle Konditionen auszuhandeln. In welchem Umfang sie dabei auf die eigene Marge verzichtet, braucht sie nicht öffentlich darzulegen. Erklären muss sich die Bank allenfalls ihren Eigentümern, deren Gewinnausschüttungen durch diese Großzügigkeit geschmälert wird. Möglicherweise hat sich das Stuttgarter Geldhaus einen besonderen Image-Bonus davon versprochen, den Bundespräsidenten als Kunden zu haben und lässt sich das eben einiges kosten. Auch Mund-zu-Mund-Propaganda ist Werbung - vielleicht sogar die beste und effizienteste, die ein Unternehmen haben kann.

Tatsächlich entwickelt sich das Geschäft jedoch zum Marketing-Desaster. Schon macht - in Anlehnung an die "Wohn-Riester" genannte, staatlich geförderte Eigenheimrente - landauf, landab der Begriff des "Wohn-Wulff" als Bezeichnung für einen hohen Hauskredit mit geringem Eigenkapitalbedarf und besonders niedrigen Zinsen die Runde. Gut möglich, dass demnächst so mancher Eigenheimerwerber, der jetzt eine Baufinanzierung sucht, bei seiner Bank mit dem Anspruch vorstellig wird, ein ebenso vorteilhaftes Darlehen wie der erste Bürger im Staate zu erhalten. Man darf gespannt sein, wie die Kundenberater und Filialleiter auf diese Gesprächssituationen geschult werden. Anzunehmen, das sei nur ein Problem der BW-Bank, wäre naiv. Vielmehr muss sich die Kreditwirtschaft aus gegebenem Anlass fragen, ob Lokal-, Landes- und Bundespolitiker tatsächlich bessere Kreditnehmer als andere sind. 85 Prozent der jüngst vom Internetportal Kreditvergleich.org repräsentativ Befragten lehnt eine Begünstigung von Personen in öffentlichen Ämtern bei den Kreditkonditionen ab. Wie oft, in welchem Umfang und zu welchen Zwecken Politiker von Banken oder auch Unternehmern günstige Kredite bekommen ist unbekannt, doch fragen sich im Lichte der jüngsten Ereignisse die Wähler, warum den von ihnen gewählten Volksvertretern Reisen, Autos und Finanzdienstleistungen günstiger angeboten werden als ihnen selbst. Der Verdacht der Vorteilsnahme im Amt liegt nahe. Dieser untergräbt die Glaubwürdigkeit der politisch Handelnden und schürt Misstrauen gegen das gesamte politische System. Einem Bundespräsidenten sollte diese Kausalität bewusst sein, wenn es sein Selbstverständnis ist, Mittler zwischen Wählern und Gewählten zu sein.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X