Kirche und Immobilien

Umwidmung und Abriss von Kirchen - Problem oder Lösung?

In den vergangenen Jahren wurden in Deutschland einige Kirchen umgewidmet. Vereinzelt kam es auch dazu, dass Kirchen abgerissen wurden. Die Ursachen dafür sind vielfältig. Die Teilnahme am Gottesdienst ist rückläufig, Kirchengemeinden werden zusammengelegt. Innenstädte sind entvölkert und Wohngebiete verlagern sich.

Die gesamtwirtschaftliche Lage der letzten Jahre und der damit verbundene Rückgang der Steuereinnahmen wirkte sich auch auf den Erhalt der kirchlichen Immobilien aus. Eher neu ist das große Interesse der Öffentlichkeit, die dieses Phänomen wahrnimmt. Allzu voreilig werden dann Einzelfälle verallgemeinert und vielschichtige konkrete Situationen schlagzeilentauglich simplifiziert. Manche Pressemeldung erweckte den Eindruck, der Ausverkauf der Kirchen habe begonnen.

Nüchterne Zahlen

Um diesem Eindruck zu begegnen, wurden schon im Frühjahr 2005 im Auftrag der Deutschen Bischofskonferenz vom Deutschen Liturgischen Institut in Trier die tatsächlichen Gegebenheiten in den einzelnen Diözesen untersucht. Die Ergebnisse dieser Erhebung sind längst bekannt: Nahezu 99 Prozent der 24 500 katholischen Kirchen werden für Gottesdienste genutzt. Zwischen 1990 und 2004 wurden in Deutschland 0,4 Prozent der katholischen Kirchen verkauft oder abgerissen.

Die Hälfte der etwa 50 verkauften Kirchen wird kommerziell genutzt, ein Drittel durch andere Glaubensgemeinschaften und die restlichen Gebäude für kulturelle oder soziale Zwecke. In der derzeitigen Situation gehen die Einschätzungen dahin, dass in ganz Deutschland etwa 700 Kirchengebäude also weniger als drei Prozent - bis zum Jahr 2015 von einer Umnutzung betroffen sein könnten.

Das ist ein ernstes Problem, aber kein Grund zur Panik. Denn es geht dabei nicht um eine allgemein rückläufige Entwicklung. Es ist nicht das Erbe der 2000-jährigen Kirchengeschichte, das zur Disposition steht. Es ist die Entwicklung insbesondere der letzten 50 Jahre, die der katholischen Kirche in unserem Land heute Sorgen bereitet: Beispielsweise wurden in dem 1958 gegründeten Bistum Essen seitdem 119 von insgesamt knapp 350 Kirchen gebaut. Im Erzbistum Köln gibt es heute etwa 1 200 Kirchen. Davon sind seit 1948 bis in die Gegenwart 678 Kirchen neu entstanden - mehr als die Hälfte.

Die Umwidmung oder der Abriss von Kirchen sind Möglichkeiten, aber die Probleme und Lösungen liegen nicht hier. Kirchen sind nicht einfach nur Immobilien. Kirchen sind Sakralräume; Orte, die freigehalten werden, freigeräumt sind für die Begegnung der Menschen mit Gott und untereinander. Der Nutzen von Feiräumen erschließt sich immer erst auf den zweiten Blick. Wir bemerken sie oft erst, wenn sie uns abhanden gekommen sind.

Kirchenräume haben mit Lebensqualität zu tun. Es geht nicht zuerst darum, was unterm Strich herauskommt. Darin besteht ja auch die große kulturelle Leistung unserer Gesellschaft, dass wir in der Lage sind, vieles über das Nötige hinaus zu ermöglichen, zu fördern und zu unterstützen - Sinfonieorchester, Theater, Museen, also Kunst und Kultur. So ist es auch notwendig, über Kirchenräume nachzudenken.

Kriterien zur Orientierung

Um ein der Situation angemessenes sensibles Vorgehen zu erreichen, hat die Deutsche Bischofskonferenz im Jahr 2003 eine Orientierungshilfe veröffentlicht: "Umnutzung von Kirchen. Beurteilungskriterien und Entscheidungshilfen". Sie basiert auf den Erfahrungen einzelner Bistümer und bedenkt unterschiedliche Möglichkeiten im Bereich der Nutzungserweiterung, der Umnutzung oder Profanierung von Kirchen- und Kapellengebäuden.

Grundlegend ist, dass dieses Arbeitspapier für den Erhalt der Kirchenräume plädiert. Es werden sowohl kirchlichliturgische als auch denkmalpflege-risch-kulturelle und baulich-nutzungstechnische sowie rechtliche Aspekte betrachtet. Es sollten alle Möglichkeiten geprüft werden, ob die liturgische Nutzung verändert oder mit anderen kirchlichen Aufgabenfeldern verbunden werden kann. Wenn es keine andere profiliert kirchliche Nutzungsmöglichkeit gibt, so wird darauf verwiesen, dass Mischnutzungen als Gottesdienstraum und öffentliche Einrichtung denkbar sind - insbesondere in Dörfern, wo Kirchen als zentrale Bauten für die Dorfgemeinschaft erhalten bleiben sollen.

Im Blick auf die künstlerische und historische Bedeutung einer Kirche, die einem neuen Zweck dienen soll, wird der kulturellen Nutzung der Vorzug vor einer kommerziellen Verwendung gegeben. Ebenso ist die Übernahme durch die öffentliche Hand einem Verkauf an Private vorzuziehen. Sollte ein Kirchenraum für kirchliche oder kulturelle Zwecke nicht gebraucht werden, ist auch eine kommerzielle Nutzung denkbar.

Ganz vordringlich aber ist, dass nicht überstürzt gehandelt wird. Wenn es der bauliche Zustand der Kirche erlaubt, sollte nicht nach sofortigen Umnutzungskonzepten gesucht werden. Durch Konservierungsmaßnahmen kann Zeit gewonnen werden, um alle Möglichkeiten des Erhalts auszuloten.

Stets aber muss im Einzelfall entschieden werden, ob es besser ist, eine profane Nutzung zu finden oder eine Kirche leerstehen zu lassen. Es hängt von dem jeweiligen Gebäude und seiner Bausubstanz, von der Situation vor Ort, vor allem aber von der beabsichtigten Nutzung ab. Da schließt sich einiges aus und vieles ist möglich. Manches Gebäude muss man vielleicht auch leer stehen lassen, sich selbst überlassen und in der letzten Konsequenz auch den Mut zur Ruine haben. Das ist manchmal besser, als die Kirche total zu verlieren. Der Abbruch einer Kirche ist eher selten eine Lösung, sondern nur allerletzte Möglichkeit, Ultima Ratio.

Lobby für Kirchen

Ehe man über letzte Schritte nachdenkt, ist es aber sehr sinnvoll, das Nächstliegende im Auge zu haben. Die Sorge um die Kirchengebäude braucht eine starke Lobby. Es ist auch nicht nur Sache der Christen, sich für deren Erhalt einzusetzen, und oft sind es auch gerade jene, die mit Kunst und Architektur zu tun haben, die sich sehr engagiert für neue Nutzungskonzepte einsetzen.

So leistet die DG Deutsche Gesellschaft für christliche Kunst hierzu einen wichtigen Beitrag mit ihrem Projekt "Schätze! Kirchen des 20. Jahrhunderts". Gemeinsam mit dem EKD-Kirchbauinstitut in Marburg und dem Deutschen Liturgischen Institut wird durch Ausstellungen, Publikationen, Filmbeiträge und begleitende Symposien aufmerksam gemacht auf die Besonderheiten dieser Kirchenräume, die uns häufig noch zu nah stehen, um schon als historisch und damit als erhaltenswert zu gelten. Unter ihnen finden sich Meisterwerke der modernen Kirchbauarchitektur. Sie wurden errichtet von weltbekannten Architekten und sind Zeugnisse dessen, wozu europäische Architektur des 20. Jahrhunderts fähig war.

Aber nicht nur aus architektonischer Perspektive handelt es sich um zu bewahrende Schätze, sondern auch aus liturgietheologischer Sicht gilt diesen Kirchen eine besondere Wertschätzung. Sie sind Ausdruck des Lebensgefühls einer bestimmten Zeit und zugleich Glaubenszeugnis der Generation vor uns. Häufig wurden sie errichtet aus dem Geist der liturgischen Erneuerung. Sie ermöglichen, dass sich die zum Gottesdienst versammelte Gemeinde als wirkliche "Communio", als eine Gemeinschaft erfährt. Die Raumkonzepte für die Feier der Liturgie - insbesondere der sonntäglichen Eucharistie - sind vielfach geprägt von den Impulsen zur Erneuerung der Liturgie durch das II. Vatikanische Konzil (1962 bis 1965).

Ich möchte die Gemeinden dazu ermutigen, das Gotteslob in vielfältigen Formen zu feiern und ihre Räume als geistliche und pastorale Chance neu zu entdecken. Dazu sollten sie die Gebäude grundsätzlich für die Allgemeinheit öffnen, um sie für alle zu nutzen als diakonisches Angebot: als Orte der Stille, des Totengedenkens, der Kirchenmusik, der Architektur und Kunst ... Die Kirchenräume können so noch stärker als Einladung wahrgenommen werden.

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