Leitartikel

Kirche und Immobilien - die stille Säkularisierung

Dass während der zurückliegenden Ostertage zumindest einige Gläubige in ihre Kirche fanden, beruhigt, musste man doch schon fürchten, die zahllosen Kapellen und Kathedralen würden überflüssig oder dienten lediglich der Förderung des Fremdenverkehrs. Dass sich dieser Eindruck zuweilen aufdrängt, mag auch daran liegen, dass selbst an hohen christlichen Festtagen scheinbar mehr Touristen als Gemeindemitglieder in den Gotteshäusern anzutreffen sind. Kurz: Die Kirche - katholische wie evangelische - hat ein Problem. Nicht dass es den beiden großen Konfessionen hierzulande an Popularität mangeln würde. Mit jeweils mehr als 25 Millionen Mitgliedern verfügen beide Kirchen über eine beachtliche Basis. Allein diese zu mobilisieren und in den Gottesdiensten zu erreichen gelingt immer weniger.

In der Folge verwaisen die Kirchen zusehens und es stellt sich die Frage, wie vieler sakraler Bauten es noch bedarf. Doch das Problem ist kein rein arithmetisches, sondern vielmehr ein finanzielles. Denn die 24 500 katholischen und 21 000 evangelischen Kirchen zu unterhalten und instand zu setzen, gestaltet sich in Zukunft immer schwieriger, weil die demografische Entwicklung - geprägt vom chronischen Sterbeüberschuss - die Zahl der Christen tendenziell abnehmen lässt.

Weniger Mitglieder bedeuten weniger Einnahmen aus der Kirchensteuer. Und weil diese zudem - der sozialen Gerechtigkeit wegen - an die Löhne gekoppelt ist, hat das kirchliche Steueraufkommen in den vergangenen Jahren einerseits unter der hohen Arbeitslosigkeit und andererseits unter den tendenziell sinkenden Realeinkommen kräftig gelitten. Doch den Mindereinnahmen stehen zumeist fixe Kosten gegenüber, wie zum Beispiel für Unterhalt und Pflege kirchlicher Grundstücke und Gebäude, die allein bei der evangelischen Kirche 13 Prozent der jährlichen Ausgaben von knapp zehn Milliarden Euro ausmachen. Dabei bindet nur die Erhaltung und Sanierung der denkmalgeschützten Objekte 12,3 Prozent der Mittel. Bei der katholischen Kirche dürften die Zahlen ähnlich ausfallen.

Auf insgesamt 160 Milliarden Euro wird das Immobilienvermögen der Kirchen in Deutschland geschätzt. Wobei ernsthaft zu fragen wäre, welchen Verkehrs- oder Marktwert eine Kirche oder eine Friedhofskapelle haben sollte. Die Sachverständigen mögen auch dafür einen Preis ermitteln können. Wie wäre es mit Grundstückswert minus Abrisskosten? Umnutzung, Verkauf oder gar der Abbruch soll immerhin jedem Dritten der schätzungsweise rund 110 000 kirchlichen Gebäuden drohen. Dabei sind zwar auch Gotteshäuser nicht tabu - ihre Veräußerung oder deren Abriss gilt jedoch als die Ultima Ratio. Die Zurückhaltung ist verständlich, haben doch die Verkäufe von Kirchen in Großbritannien und den Niederlanden gezeigt, dass sich damit die strukturellen Finanzprobleme der Kirchengemeinden nicht nachhaltig lösen lassen. Schlimmer noch: Mit dem Verlust des Kirchengebäudes schwindet auch die öffentliche Wahrnehmung der Kirche. Folglich plädiert der Mainzer Bischof Karl Kardinal Lehmann sogar, (notfalls) den "Mut zur Ruine" zu haben. Immerhin hat die Dresdner Frauenkirche eindrucksvoll bewiesen, dass auch nach über 50 Jahren aus Trümmern der triumphale Wiederaufbau möglich ist.

Überhaupt scheint das Bewusstsein für Kirchen im christenarmen Ostdeutschland etwas größer zu sein als im Westen und Süden der Republik. Oft reichte schon das Gerücht, der örtlichen Kirche könne der Abriss drohen, um die Menschen, darunter viele Konfessionslose, zu mobilisieren und sich für den Erhalt des Gebäudes einzusetzen. Die Kirche im Dorf oder Stadtteil hat offensichtlich, selbst für nicht praktizierende Kirchgänger, als Geschichts- und Kulturträger eine besondere identitätsstiftende Bedeutung.

Wie liquide ist also der kirchliche Immobilienschatz? Es zeigt sich, dass viele der Liegenschaften schlichtweg unverkäuflich sind. Vor allem Grundstücke, die gestiftet, geschenkt und gespendet wurden, sind in der Regel mit Auflagen verbunden, die deren Nutzung vorschreiben oder eine Veräußerung ausschließen. Zuweilen behalf sich die Kirche mit Erbpacht- und Erbbaurechten, um zum Beispiel landwirtschaftliche Flächen für den Wohnungsbau bereitzustellen. Doch angesichts des heutigen Zinsniveaus sind Erbbauzinsen weder für die Kirche rentierlich noch für den Bauherren attraktiv, wenn er für nur wenig Basispunkte mehr mit einem Kredit Volleigentum erwerben kann.

Daher war es richtig, dass schon vor mehr als 30 Jahren in den Kirchen begonnen wurde, Erbbaurechte und direkt gehaltene Immobilien gegen Anteile an Immobilienfonds zu tauschen. Damit lassen sich nicht nur Skaleneffekte nutzen, sondern vor allem ein professionelles Management gewährleisten. Die Vorteile einer zentralen Immobilienverwaltung sind inzwischen soweit erkannt worden, dass in den Bistümern und Landeskirchen geprüft wird, ob es günstiger ist, eigene Gebäude zu nutzen oder Räume anzumieten. Auch der kirchliche Wohnungsbestand gehört auf den Prüfstand. Und warum sollten sich Kindergärten, Schulen und Pflegeheime nicht über Sale-and-Leaseback-Strukturen mobilisieren lassen?

Noch sträuben sich die beiden großen Kirchen hierzulande, von orthodoxen Richtlinien zum Umgang mit den eigenen Immobilien abzurücken. Historisch gesehen mag das verständlich sein, war doch das Verhältnis der Kirchen zu ihren Liegenschaften schon immer ein besonderes. Trotz der im Grundgesetz, Artikel 140, verbürgten Unantastbarkeit kirchlichen Grundbesitzes wirkt offensichtlich noch immer das Trauma von 1803 nach, als Napoleon I. die deutschen Fürsten für die Annektierung ihrer linksrheinischen Besitzungen mit enteigneten Kirchengütern entschädigte. Dass sich die weltlichen Landesfürsten alsbald ihrer vereinbarten Unterhaltspflicht für die Priester entzogen, indem fortan allen Gläubigen die Kirchensteuer auferlegt wurde, haben die Kirchen dem Staat lange nicht verziehen. Inzwischen wird das System jedoch als Garant kirchlicher Unabhängigkeit verteidigt. Doch mit dem zunehmenden Bedeutungsverlust des Glaubens in der Gesellschaft zeigt sich auch die Achillesferse: Durch den Mitgliederschwund reichen die Einnahmen nicht mehr, um die Kirchen instand zu halten. Dass die öffentliche Hand gleichzeitig Kirchensubventionen streicht und somit den Verkauf kirchlichen Besitzes beschleunigt, mag manchem Gläubigen wie eine Fortsetzung der Säkularisierung im Stillen erscheinen. L. H.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X