Frage an Walter Rasch

"Wie viel Staat braucht die Immobilienwirtschaft?"

Die Bedeutung der Immobilienwirtschaft wird oft unterschätzt. Die Wohnungs- und Immobilienwirtschaft ist mit einer jährlichen Bruttowertschöpfung von 390 Milliarden Euro und einem Anteil von rund 20 Prozent an der Gesamtwirtschaft ein wichtiger Wirtschaftszweig in unserem Land. Die Branche beschäftigt 3,8 Millionen Menschen, das sind zehn Prozent aller Erwerbstätigen. Damit ist sie eine der größten Branchen, deutlich größer als der Fahrzeugbau, der Maschinenbau oder der Handel. Allein die Wohnungsvermieter bieten Dienstleistungen für 39 Millionen Menschen an.

Im politischen Würgegriff

Der immensen volkswirtschaftlichen Bedeutung der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft in Deutschland muss die Politik gerade auch in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Rechnung tragen. Die Immobilienwirtschaft ist kein gesellschaftlicher Reparaturbetrieb. Sie braucht verlässliche, kalkulierbare Rahmenbedingungen über langfristige Zeit-räume und darf nicht länger zum Spielball sich ständig ändernder Anforderungen werden. Nur so kann sie ihrer gesamtgesellschaftlichen Aufgabe gerecht werden.

Doch genau das Gegenteil ist in den vergangenen 15 Jahren passiert: So wurden 1996 die Abschreibungssätze herabgesetzt sowie die Erbschaft- und Schenkungssteuer reformiert, 1997 die Grunderwerbsteuer angehoben, 1999 die Spekulationsfrist verlängert und die Verlustrechnung beschränkt, 2002 die Verlustrechnung für negative Einkünfte verboten, 2004 die Abschreibungssätze erneut herabgesetzt und 2006 die degressive AfA und die Eigenheimzulage abgeschafft und im letzten Jahr im Rahmen der Unternehmensteuerreform die Zinsschranke eingeführt. Die Politik hat alles getan, um Aktivitäten der Immobilienwirtschaft abzuwürgen.

Seit zehn Jahren gibt es keine Wertsteigerung bei Immobilien in der Breite mehr. Der Baupreisindex ist in den vergangenen Jahren gestiegen, alleine 2007 getrieben durch die Mehrwertsteuererhöhung um sieben Prozent. Die hohen Anforderungen an Energieeffizienz (EEWärmeG, EnEV 2009, HzkostV) verteuern den Bau zusätzlich. Der Mietpreisindex (nettokalt) ist im Zeitraum von 2005 bis 2008 lediglich um 3,5 Prozent gestiegen, warme Betriebskosten im gleichen Zeitraum hingegen um 27,3 Prozent.

Neubau auf Talfahrt - Ersatzbedarf nicht gedeckt

Was ist die Konsequenz? Der Wohnungsbau befindet sich seit Jahren auf Talfahrt und bewegt sich unter dem tatsächlich benötigten Bedarf: Laut einer aktuellen Studie des Eduard-Pestel-Instituts werden jährlich 400 000 Wohnungen benötigt - gebaut wird jedoch weniger als die Hälfte. Im Jahr 2008 lag die Zahl sogar noch unter der Marke 200 000. Dieser historische Tiefstand ist eine hausgemachte Misere der Bundesregierung. Die Folgen der zunehmenden Wohnraumknappheit bekommen die Menschen in Ballungsräumen wie München, Stuttgart, Köln oder Hamburg bereits zu spüren: Kaum bezahlbare Mieten, soziale Spannungen und keine barrierearmen Wohnungen für die zunehmend ältere Bevölkerung.

Der sich aus der demografischen Entwicklung ergebende klassische Wohnungsbedarf bis 2025 liegt bei durchschnittlich 200 000 Wohnungen pro Jahr. Hinzu kommt das Problem, dass vor allem viele der in der Nachkriegszeit errichteten Ge-bäude als nicht sanierungsfähig angesehen werden können. Vorstände von Wohnungsunternehmen, Architekten und Bauingenieure gehen davon aus, dass bei rund 20 Prozent der Wohnungen der fünfziger, sechziger und siebziger Jahre eine Sanierung und Modernisierung nicht sinnvoll erscheint. Wirtschaftlich günstiger sind hier Abriss und Neubau. Zusammen mit älteren, nicht sanierungsfähigen Bauten ergibt sich hieraus ein zusätzlicher Bedarf von 150 000 bis 200 000 Wohnungen pro Jahr.

Besserer Rahmen für bedarfsgerechten Neubau

Um dem Wohnungsmangel zu begegnen und Senioren und Familien ein bezahlbares, selbstständiges und den Bedürfnissen entsprechendes Wohnen zu ermöglichen, müssen private Investitionen in den Wohnungsbau gefördert werden und die Attraktivität von Wohnraum als Anlageform gestärkt werden.

Wir benötigen eine Verbesserung der steuerlichen Abschreibungsbedingungen: Sie sind für Bauherren eine der wichtigs-ten Grundlagen bei Planung und Umsetzung des Bauvorhabens. Nachdem die Abschreibungsmöglichkeiten seit den neunziger Jahren um mehr als die Hälf-te verringert wurden, sind positive Änderungen seitens der Politik gefordert, um einen deutlichen Anreiz für Investitionen in Neubauten oder Modernisierungsmaßnahmen zu setzen.

Denkbar zur Stärkung des Mietwohnungsneubaus in Wachstums- und Zuzugsregionen wäre die Wiedereinführung einer degressiven AfA für Wohngebäude - in Höhe von vier Prozent für die ersten acht Jahre. Denkbar ist eine degressive AfA für Wachstumsregionen oder eine AfA mit einer Komponente für energieeffizientes oder altersgerechtes Bauen. So wird eine "Gießkannenförderung" in solchen Gebieten, in denen eher eine zu hohe Leerstandsquote den Markt belastet, verhindert.

Bessere Förderung des selbst genutzten Wohneigentums

Auch das selbst genutzte Wohneigentum muss wieder stärker gefördert werden. Das 2008 eingeführte Eigen-heimrenten-Gesetz (Wohn-Riester) ist ein wichtiger Schritt zur Ankurbelung des Neubaus, aber noch immer zu kompliziert. Zudem ist die Nachversteuerung für die Menschen nicht überschaubar und kalkulierbar. Eine Vereinfachung ist daher notwendig - auch damit Banken nun verstärkt mit der Umsetzung des Wohn-Riester-Produktes beginnen.

Bereits seit dem 1. November 2008 hat die BaFin 462 Zertifizierungen für Banken vergeben. Trotzdem gibt es bislang fast keine nennenswerte Umsetzung des Wohn-Riester-Produktes, sodass der enorme Kapitalstock, der bislang angespart wurde, von Verbrauchern nicht in Immobilien investiert werden kann. Es ist davon auszugehen, dass sich das Sparvolumen bereits 2008 auf rund 18 Milliarden Euro (inklusive Gutha-benzinsen) jährlich belaufen hat.

Die Eigenheimrente kann aber den Einbruch des Neubaus bei selbst genutztem Wohneigentum durch den Wegfall der Eigenheimrente kurzfristig nicht kompensieren: Positive Effekte für den Wohnungsneubau sind erst ab 2011 zu erwarten. Um die Lücke von 2009 bis 2011 zu schließen, wäre ein befristeter Schuldzinsenabzug zur Einkommensteuer für selbst genutztes neu angeschafftes Wohneigentum für die Jahre 2009 bis 2010 wünschenswert.

Um die Konjunktur anzukurbeln und gerade auch in Deutschland Arbeitsplätze zu schaffen und zu erhalten, wäre zudem eine befristete Zuschusslösung von 4 500 Euro, begrenzt bis zum Jahr 2010, für jeden der ein Eigenheim neu errichtet oder anschafft, eine sinnvolle Lösung.

Die genannten Maßnahmen können Motor für den Wohnungsbau in Deutschland sein, der im west- und mitteleuropäischen Vergleich aktuell noch immer deutliches Schlusslicht ist. Mit der Finanzmarktkrise stehen vor allem Unternehmen im Bauträgergeschäft und in der Projektentwicklung erschwerten Bedingungen zur Kreditvergabe gegenüber. Mit Blick auf die Maßnahmenpakete anderer europäischer Staaten wird die Zurückhaltung der deutschen Politik, die Immobilienwirtschaft zu stärken, deutlich.

Beispielsweise fördert die französische Regierung den Neubau in erheblichem Maße, indem Nullzinsenkredite für Neubauten verdoppelt werden und ein gezielter Neubau von 100 000 Wohnungen veranlasst wird. In Großbritannien werden 3,5 Milliarden Euro unter anderem für den Wohnungsbau zur Verfügung gestellt. Ähnliche Anreize zur Wiederbelebung der Neubauaktivitäten wären auch seitens der deutschen Bundesregierung wünschenswert.

Dämmen bis ultimo?

Die Zahlen des Pestel-Instituts zeigen aber nicht nur den quantitativen Neubaubedarf auf, sondern verweisen auch auf die größten Zukunftsherausforderungen. Die Energieeffizienz der Gebäude ist zweifellos eines der derzeit bestimmenden Themen der Wohnungs- und Immobilienwirtschaft. Aktuell werden so viele neue gesetzliche Rahmenbedingungen für alle energierelevanten Alltagsbereiche erarbeitet wie in den letzten zehn Jahren nicht.

Das Regulierungstempo mit immer weiter steigenden Anforderungen, wie sie die Politik bislang nicht einmal der Automobilbranche zugemutet hat, kann jedoch zu einem Investitionsstau führen. Man kann keine Investitionen auslösen, wenn man bereits jetzt weiß, dass die EnEV schon in wenigen Jahren weiter verschärft wird. Die überhöhten Anforderungen verhindern gerade noch wirtschaftliche energetische Sanierung und führen zu Leuchtturmprojekten statt zu einer flächendeckenden Modernisierung.

Verankerung des Klimaschutzes im Mietrecht

Dabei hat der Sektor Haushalte im Jahr 2005 mit 113 Millionen Tonnen CO2 das im Klimaschutzprogramm 2005 formulierte Ziel für 2008 bis 2012 (120 Millionen Tonnen CO2) bereits um sechs Prozent übererfüllt. Es bestand kein Anlass zu der Sorge, dass sich dieser Trend nicht - ohne zusätzliches Ordnungsrecht fortgesetzt hätte.

Wünschenswert wäre hingegen eine Verankerung des Klimaschutzes im Mietrecht: Dabei geht es nicht darum, zusätzliche Lasten für Mieter zu schaffen, sondern die bestehenden Regelungen so anzupassen, dass sie praktikabel sind und eine Rechtssicherheit für Mieter und Vermieter darüber herstellen, wie Investitionskosten bei energetischen Sanierungen umgelegt werden können.

Gerade bei der energetischen Sanierung besteht die Möglichkeit einer Win-Win-Situation für alle Beteiligten: Mieter können Betriebskosten einsparen, Vermieter die Zukunftsfähigkeit ihres Bestandes erhöhen. Dieser positive Effekt sollte durch das Mietrecht unterstützt werden und nicht Quertreibern die Möglichkeit geben, sinnvolle Maßnahmen zu verhindern.

Eine Beschleunigung zur energetischen Sanierung ist allein durch den Abbau von Hemmnissen und Förderung erreichbar. Mit einer Überregulierung durch ständig neue beziehungsweise sich verschärfende Gesetze zur Energieeffizienz ist niemandem gedient.

Zukunftsthema Wohnen im Alter

Wir brauchen künftig aber auch eine verstärkte Abwägung über die Zukunftsfähigkeit unserer Bestände. Zukunftsfähige Wohnqualitäten sind mehr als die energetische Optimierung des Bestandes. Künftig wird es vor allem auch darum gehen, sich auf die Wohnwünsche einzustellen, die sich aufgrund des demografischen und wirtschaftlichen Wandels herausbilden. Stichwort ist hier insbesondere die Schaffung von altengerechtem Wohnraum, der auch bezahlbar ist.

Bislang sind laut einer BFW/UEPC-Studie in Deutschland nur etwa ein Prozent altersgerecht umgebaut. Bis 2020 müssten jedoch mindestens weitere 800 000 Wohnungen zur Verfügung stehen. Das zum 1. April dieses Jahres gestartete KfW-Programm "Seniorengerecht umbauen" ist ein erster Schritt in die richtige Richtung - mit Zinsverbilligungsmitteln in Höhe von 80 Millionen Euro jährlich gemessen am Bedarf aber noch viel zu niedrig - und muss aufgestockt werden.

Eine beschleunigte Anpassung des Wohnraums an die Bedürfnisse der Gesellschaft ermöglicht nicht nur vielen Senioren das gewünschte selbstständige und würdevolle Wohnen im Alter, sondern entlastet gleichzeitig die Sozialsysteme. Da sich die KfW-Förderung lediglich auf den Wohnungsbestand bezieht, sollten ergänzend auch Maßnahmen zur Schaffung von generationenfestem Neubau gefördert werden.

Zu guter Letzt: Umgang mit der Krise

Die Finanzmarktkrise ist das derzeit bestimmende Thema. Es wäre fahrlässig, sie durch Schwarzmalerei zu verschärfen. Ebenso untauglich ist ein Wettlauf um Rezepte, wie der Krise mit möglichst viel öffentlichem Geld beizukommen ist. Es gibt zwei Kriterien, an die wir uns halten sollten: zum einen an das Prinzip der Nachhaltigkeit. Maßnahmen, die nur ein Strohfeuer auslösen oder nicht mit den Langfristzielen von Politik und Wirtschaft übereinstimmen, scheiden von vornherein aus. Wichtig ist, dass Maßnahmen umgesetzt werden, die nicht nur kurzfristig sondern auch langfristig - über die aktuellen Herausforderungen der Wirtschafts- und Finanzkrise hinaus - wirken.

Selbstverantwortung vor Staatseingriffen

Wir sollten uns an das Prinzip der Subsidiarität halten. Selbstverantwortung steht vor staatlichem Handeln. Es kommt deshalb entscheidend darauf an, zusätzliche private Investitionen zu stimulieren. Diese erreicht man über Anreize und vor allem Vertrauen. Das schafft man wiederum nur durch verlässliche, für die Unternehmen planbare Rahmenbedingungen.

Wichtig ist, dass die Maßnahmen der Politik auch die Unternehmen erreichen - Stichwort Sicherung der Kreditversorgung. Mit dem Rettungspaket für die Banken hat die Bundesregierung erste richtige Maßnahmen ergriffen. Ihr Ziel war es, Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der Banken zurückzugewinnen. Nun muss es darum gehen, dass die Banken die wieder gewonnene Liquidität auch zweckgemäß nutzen. Sie müssen sie in Form marktgerechter Kredite an die Unternehmen weiterreichen. Bislang geschieht das erst ungenügend. Das muss sich ändern. Das KfW-Sonderprogramm 2009 sollte daher auch für die Wohnungswirtschaft geöffnet werden, um die Kreditversorgung des Mittelstands zu gewährleisten. Denn wenn der Blutkreislauf der Branche - der Kredit - nicht mehr zirkuliert, kommen die Geschäftsfelder aller immobilienwirtschaftlichen Akteure schrittweise zum Erliegen.

Die Immobilienwirtschaft braucht prozyklische Anreize, um bei den großen Zukunftsaufgaben wie Energieeinsparung, demografischer Wandel und Wohnungsversorgung mit sozial verträglichen Mieten ihren gesellschaftlichen Beitrag zu leisten. Die deutsche, aber auch europäische Regelsucht bremst die Wirtschaft und produziert mehr Bürokratie.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X