Im Blickfeld

Zu wenig "Core"

Manche Worte legen eine erstaunliche Karriere hin. Erst sind sie nur einem kleinen Kreis von Eingeweihten vertraut, dann bemächtigt sich ihrer eine breite Schar von Wichtigtuern, um vermeintliche Fachkompetenz zu beanspruchen und schließlich wabern die Begriffe dank inflationären Gebrauchs weitgehend inhaltslos durch den Sprachensumpf. Am Ende bleibt ein Mysterium, das jeder zu kennen meint, aber niemand erklären kann. Ein Beispiel für eine solch bemerkenswerte Entwicklung sind "Core-Immobilien". Gierten private und institutionelle Investoren vor der Finanzmarktkrise nach opportunistischen Immobilien, also Objekten in miserablem Zustand mit umso größeren Hoffnungswerten, so überbieten sie sich heute bei so genannten Core-Immobilien.

Doch was ist eigentlich Core? Inhaltlich ist der Begriff eindeutig der Portfoliotheorie zuzuordnen. Insofern wird das Wort hierzulande in der Portfoliobetrachtung von Immobilieninvestitionen als der Zusammenhang zwischen geringem Risiko und stabiler, aber geringer Rendite üblicherweise durchaus richtig verwendet. Allerdings hat sich auch im allgemeinen Sprachgebrauch der Immobilienwirtschaft ein Core-Begriff auf Objektebene eingebürgert, der stark vereinfacht und deshalb zunehmend konturlos wird. So wird "Core" heute je nach Bedarf höchst unterschiedlich definiert. Da werden schon mal mittelmäßige Objekte zu "Core" erhoben. Nur die wenigsten trauen sich, mit einem "Core plus" die etwas risiko- und vielleicht sogar chancenreicheren Gebäude zu versehen, die zu mutigeren Zeiten vielleicht das Prädikat "Value added" oder sogar "Opportunistic" erhalten hätten.

Bulwien-Gesa will die Immobilienbranche jetzt wieder zu mehr Begriffsgenauigkeit missionieren. Dazu wurde tief in der eigenen Datenbank gestöbert, um zu zeigen, welche Büroimmobilienstandorte wirklich Core-Potenzial haben. 67 Teilmärkte nahmen die Analysten unter die Lupe und förderten bemerkenswerte Ergebnisse zutage. So schafft es das Frankfurter Bankenviertel trotz beachtlichen Leerstands an die Spitze der deutschen Core-Bürostandorte. Vor allem die Investmentaussichten und die erwartete Performance in diesem Markt werden in kaum einem anderen Teilmarkt besser beurteilt. Dagegen muss sich die hinsichtlich Angebot und Nachfrage wesentlich besser beurteilte Hamburger Altstadt/Neustadt mit dem zweiten Rang begnügen, weil bezüglich der Investmentaktivitäten und erwarteter Ertragslage Abstriche gemacht wurden.

Allerdings ist auch die Untersuchung von Bulwien-Gesa nicht frei von Unschärfen. So weisen die Autoren der Studie darauf hin, dass auch ein Büroteilmarkt noch Mikrostandorte aufweist, die im Einzelnen durchaus unterschiedlicher Qualität sein können. Zudem werden die Teilmärkte in der Regel geografisch anhand von Straßenzügen willkürlich abgegrenzt. Tatsächlich können die Teilmärkte mit Core-Merkmalen durchaus fließend in benachbarte Teilmärkte mit Value-Added-Charakter übergehen. So grenzt das Frankfurter Bankenviertel mit Top-Core-Werten direkt an das schmuddelige Bahnhofsviertel. Aber auch innerhalb der "Core-Lagen" muss davon ausgegangen werden, dass aufgrund der unterschiedlichen Ausstattung nicht jede Immobilie Core-Qualität besitzt.

Anhand seiner Analyse errechnet Bul-wien-Gesa, dass Core-Büroimmobilien nur einen sehr kleinen Anteil am Immobilienmarkt ausmachen. Auf 15,7 Millionen Quadratmeter summiert sich der Büroflächenbestand in den zwölf attraktivsten Büroteilmärkten. Bezogen auf den Büroflächengesamtbestand von 410 Millionen Quadratmetern sind das gerade einmal 3,8 Prozent. Auch wenn der Core-Begriff auf die 35 besten Bürostandorte erweitert würde, kämen diese Märkte mit 30,6 Millionen Quadratmetern lediglich auf einen Anteil von 7,5 Prozent.

Legt man die geschätzten Verkehrswerte zugrunde, dann entfallen auf die zwölf Top-Märkte zusammen 53,2 Milliarden Euro. Insgesamt wiesen institutionelle Investoren im vergangenen Jahr jedoch ein Immobilienvermögen von 385 Milliarden Euro aus. In der erweiteren Core-Definition haben die Immobilien der Teilmärkte einen Verkehrswert von rund 90 Milliarden Euro. Würden diese Objekte ausnahmslos institutionellen Investoren gehören, hätten sie an deren gesamten Liegenschaftsvermögen einen Anteil von 23,4 Prozent.

Im Ergebnis dürfte es also weit weniger Core-Immobilien in den Portfolios geben, als so manch vollmundig verkündete Investmentstrategie weismachen will. Zumindest mit der alleinigen Ausrichtung auf deutsche Büromärkte dürfte dieses Anlageziel schwer zu erfüllen sein. Doch auch im Ausland sind Core-Immobilien Mangelware. Es ist also längst nicht alles "Core" in institutionellen Immobilienportfolios. Zum Glück. So bleibt für Makler, Berater und Bauträger auch in Zukunft noch viel zu tun. L. H.

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