Aktienkultur

"Aktienanlage muss Volkssport werden"

Die Zahlen sprechen für sich: Während heute im Durchschnitt drei erwerbsfähige Bundesbürger einen Rentenempfänger finanzieren, werden 2030 Prognosen zufolge hinter jedem Rentenempfänger nur noch zwei Erwerbsfähige stehen. Dass diese Entwicklung Auswirkungen auf das zukünftige Rentenniveau haben wird, liegt auf der Hand, vor allem, wenn man bedenkt, dass nicht jeder Erwerbsfähige auch tatsächlich in die Rentenkassen einzahlt. Die Bundesregierung geht davon aus, dass das sogenannte Sicherungsniveau vor Steuern von heute rund 50 Prozent des letzten Bruttoeinkommens bis 2024 auf rund 46 Prozent absinken wird. Konkret heißt das: Die Renten gehen real zurück.

Fast zwangsläufig rückt damit die Notwendigkeit einer privaten Zusatzvorsorge in den Fokus. Das Niedrigzinsumfeld wirkt hier verschärfend, denn die niedrigen Zinsen schränken die Anlagemöglichkeiten ein, da klassische zinsgebundene Anlageformen keine ausreichende Rendite erwirtschaften, um ein angemessenes Polster aufbauen zu können. Aktien oder Aktienfonds sind in diesem Umfeld unter langfristigen Renditeaspekten eine logische Alternative.

Die Bedingungen in Deutschland wären ideal: Deutsche Unternehmen zählen zu den erfolgreichsten der Welt, gelten als solide und gut aufgestellt. Aber diese Erkenntnis hat sich hierzulande noch nicht in ausreichendem Maße durchgesetzt. Fakt ist: Die Deutschen misstrauen den Kapitalmärkten und meiden deshalb die Aktienanlage. Sie beteiligen sich nicht an ihren eigenen Unternehmen. Die Zahl der Aktien- und Aktienfondsbesitzer ist rückläufig. Einer Studie des Deutschen Aktieninstituts zufolge sind vor allem die unteren Einkommensschichten in der Aktienanlage unterrepräsentiert. Dabei wären gerade diese Bevölkerungsgruppen darauf angewiesen, dass ihre häufig niedrigen Sparraten eine angemessene Rendite erzielen. Als Folge dieser Entwicklung drohen langfristig soziale Verwerfungen und eine breite Altersarmut. Bisher ist nicht ersichtlich, ob und wie die Politik hier gegensteuert. Im Gegenteil: Diskussionen, wie etwa über die Einführung einer Finanztransaktionssteuer, weisen eher in eine Richtung, welche die Wertpapieranlage in Deutschland weiter benachteiligt.

Hinter der Skepsis bei Anlegern und der Politik steckt zum einen ein grundlegendes Missverständnis hinsichtlich der Anlage in Aktien. Aktien gelten in Deutschland als Spekulationsobjekte, als ein Vehikel für den schnellen Reichtum. Aufstieg und Fall des Neuen Marktes zur Jahrtausendwende haben zu diesem Bild ebenso beigetragen, wie aktuelle Diskussionen um den Einfluss von Hochfrequenzhändlern. Der Kerngedanke der Aktienanlage, die langfristige Beteiligung an erfolgreichen Unternehmen, ist dabei in den Hintergrund gerückt.

Zum anderen offenbart die regulatorische Behandlung von Aktien und Aktienfonds als Anlageobjekte einen statischen Risikobegriff. In der Logik der Regulatorik werden Staatsanleihen einer niedrigen Risikoklasse zugerechnet, Aktien oder Aktienfonds hingegen zählen aufgrund der möglichen Wertschwankungen zu den höchsten Risikoklassen. Für die Einmalanlage in einem Einzeltitel ist diese Kategorisierung zutreffend. Aber ein langfristiger Anlagehorizont, die breite Streuung in einem Fonds oder die Glättung von Schwankungen durch einen Sparplan, bleiben dabei unberücksichtigt, obwohl sie das Risikoprofil der Anlage beeinflussen.

Nur wenige Anleger in Deutschland würden ihre eigene Risikobereitschaft einer hohen Risikoklasse zuordnen, da diese in der öffentlichen Wahrnehmung als spekulativ gelten. Entsprechend können Berater diesen Kunden auch keine Aktienprodukte anbieten. Damit führt die regulatorische Systematik zwangsläufig zu einer Fehlallokation. Viele Anleger investieren so, dass sie nicht an einer ausreichenden Performance teilhaben können.

Die Situation ist unbefriedigend und gefährlich. Wir brauchen in Deutschland eine neue Aktienkultur als Basis für den Aufbau einer privaten Zusatzvorsorge. Deshalb wünsche ich mir:

1. ein deutliches Bekenntnis der Politik zur privaten Vorsorge, 2. regulatorische Anforderungen, die sich stärker an den Anlagezielen und am Anlagehorizont orientieren,

3. und nicht zuletzt: mehr Anstrengungen für eine bessere wirtschaftliche Allgemeinbildung in Deutschland. Das Ziel muss sein, schon in der Schule Finanzwissen zu fördern und wirtschaftliche Zusammenhänge zu vermitteln. Je besser ein Anleger informiert ist, desto umsichtiger kann er seine Entscheidungen treffen.

Ein vernünftiger Umgang mit Aktien und Aktienfonds ist langfristig der sinnvollste Weg, um die Altersarmut breiter Bevölkerungsschichten zu vermeiden, ohne die bestehenden Sicherungssysteme zu sprengen. Die Aktienanlage muss Volkssport werden, bei dem man sich nachhaltig und diversifiziert an den besten Unternehmen eines Landes, Kontinents oder weltweit beteiligt. Nur wer mit dem Aktiensparen jung beginnt, kann das Alter sorgenfrei genießen. Deshalb sind Politik und Gesellschaft gefordert, die Rahmenbedingungen in Deutschland so zu verbessern, dass sich Aktien als selbstverständliche Anlageform etablieren können.

Oliver Behrens, stellvertretender Vorstandsvorsitzender, DekaBank Deutsche Girozentrale, Frankfurt am Main

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