Gespräch des Tages

Bankgeschichte - Lotterieanleihen als Vorläufer der Zertifikate

Prof. Dr. Friedrich Thießen, TU Chemnitz, schreibt der Redaktion:

"Im Zusammenhang mit der gegenwärtigen apokalyptischen Entwicklung an den Finanzmärkten wird von vielen auf die Rolle der Zertifikate hingewiesen, welche das unerfahrene Publikum in die Irre führten. Hier sei auf die Vorläufer der Zertifikate, die Lotterieanleihen des 19. Jahrhunderts verwiesen. Die Parallelen zur gegenwärtigen Situation sind unübersehbar.

Die preußische Provinzial-Correspondenz vom 24. Mai 1871 meldete: , Alle wirklichen Volksfreunde werden es gerechtfertigt finden, daß dem bisherigen Zustande ein Ende gemacht ist. Die Regierung hatte ein Verzeichnis von 81 verschiedenen Lotterie-Anleihen vorgelegt, aus welchem recht deutlich hervorging, durch wie schwindelhafte Unternehmungen die Spiellust des großen Publikums ausgebeutet wird. Ebenso wie es längst als eine Pflicht des Staats erkannt worden war, die Spielbanken aufzuheben, ebenso war es Pflicht, der Ausbeutung der unerfahrenen Menge durch den Schwindel unsolider Lotterie-Anleihen und damit zugleich der Ausbeutung unseres Geldmarktes durch das Ausland ein Ziel zu setzen ...

Unsere Gesetzgebung verhinderte es bisher durchaus nicht, daß Papiere auf den Markt kommen, welche mit einem Darlehnsgeschäft zugleich eine beliebige Geldlotterie verbinden. Das war ein innerer Widerspruch der Gesetzgebung, der bisher nur dadurch erträglich scheinen konnte, daß den Regierungen das Konzessionsrecht in Betreff der Lotterie-Anlehen zustand. Aber dies war nur ein scheinbarer Grund der Beruhigung, denn dasjenige, was die inländischen Regierungen an inländischen Prämienanleihen nicht zuließen, das konnte vom Auslande frei hereinströmen, und die Erzeugung von Prämienanleihen ist bereits ein Gegenstand einer Fabrikation geworden. Dieselbe ist in ganz jüngster Zeit in Hamburg in Angriff genommen und in Holland weiter ausgebildet worden, wo sich ein Konsortium von Bankhäusern zur Fabrikation einer Prämienanleihe zusammengefunden hat. Dieser Zustand, vermöge dessen im Inlande in der Ertheilung von Konzessionen zur Verbindung der Lotterie mit einem Darlehnsgeschäft nach verschiedenen Grundsätzen verfahren wird und vermöge dessen dem Auslande gegenüber durchaus gar kein Hemmniß der Einführung solcher Papiere besteht, dieser Zustand, der unseren Markt der Spekulation des Auslandes darauf, durch Benutzung der Spielleidenschaft Kapital zu wohlfeilerem Zinsfuß an sich zu bringen, Thür und Thor öffnet, dieser Zustand ist nicht länger beizubehalten, und von der Erkenntniß des Bedürfnisses, daß Ausgabe und Inverkehrsetzung von Prämienanleihen einer einheitlichen gesetzlichen Regelung zu unterwerfen sind, waren sowohl die Anträge des preußischen Abgeordnetenhauses und des Norddeutschen Reichstages, als auch die Vorlage der Regierung hervorgerufen.

Im Reichstage trat eine Richtung hervor, welche statt der Regelung ein absolutes Verbot aller Prämienanleihen befürwortete; die Regierung war jedoch der Ueberzeugung, daß diese Ansicht über das Ziel hinausschieße und nicht der herrschenden Volksauffassung entsprechen würde, welche die Prämienanleihen nicht als absolut verwerflich erkenne. Von anderer Seite war vorgeschlagen, bestimmte gesetzliche Vorschriften und Normen aufzustellen, nach welchen Prämienanleihen zulässig sein sollten, um einen Unterschied machen zu können zwischen soliden und schwindlerischen Prämienanleihen; es ergab sich jedoch, daß es mit Rücksicht auf die Natur des Gegenstandes überaus schwierig sein würde, allgemeine Regeln aufzustellen, durch welche der Zweck in Wahrheit erreicht werden könnte, indem alle erfindbaren Bedingungen leicht umgangen werden können.

Die Mehrheit des Reichstages hat sich denn in wesentlicher Uebereinstimmung mit der Staatsregierung dafür erklärt, daß Prämienanleihen künftig nur auf Grund eines Reichsgesetzes und nur zum Zwecke einer Anleihe des Reiches oder eines Einzelstaates im Reiche ausgegeben werden dürfen. Um aber ferner die bisher bereits in Deutschland coursirende Masse von Lotterie-Anleihen kontroliren zu können, ist für dieselben eine Abstempelung eingeführt, welche für Schuldverschreibungen bis zu 100 Thalern auf 5 Sgr. und für Schuldverschreibungen über 100 Thaler auf 10 Sgr. festgesetzt ist. Endlich sind mit ziemlich harten Strafen diejenigen bedroht, welche die verbotenen neuen oder die zur Abstempelung nicht präsentirten älteren Prämienpapiere zum Gegenstande ihrer Geschäfte machen.'"

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