Aufsätze

Divergierende Eigenmittelunterlegung des Kreditrisikos bei Banken und Versicherungen

§ 19 Abs. 1 des Kreditwesengesetzes listet alle Bilanzaktiva und außerbilanziellen Positionen von Banken umfassend und vollständig auf, die ein Kreditrisiko in sich tragen.

Im Versicherungsbereich gibt es keine entsprechende Rechtsnorm. Selbstverständlich unterliegen aber in der Assekuranz grundsätzlich die gleichen Positionen einem Kreditrisiko wie dies bei Banken der Fall ist. Ausgeschlossen sind für Versicherungen allerdings gemäß § 2 Abs. 4 der Anlageverordnung einige mit Kreditrisiken behaftete Geschäfte, insbesondere Konsumenten- und Betriebsmittelkredite. Versicherungen gehen darüber hinaus Kreditrisiken ein, wenn diese durch Kunden auf sie transferiert werden, wie zum Beispiel bei Kredit- oder Kautionsversicherungen. Für Versicherungen besteht zusätzlich ein nicht unerhebliches Kreditrisiko im Ausfall des Rückversicherers.

Das Kreditrisiko im Bankenaufsichtsrecht

Nach der SolvV stehen den Instituten zur Berechnung des Gesamtanrechnungsbetrags zur Eigenmittelunterlegung des Kreditrisikos der Kreditrisiko-Standardansatz (KSA) und der auf internen Ratings basierende Ansatz (IRBA) zur Verfügung.

§ 24 SolvV beschreibt die Ermittlung des risikogewichteten KSA-Positionswertes, der sich aus dem Produkt des Risikogewichts und dem entsprechenden KSA-Positionswert ergibt. Das Risikogewicht leitet sich aus einer von 15 KSA-Forderungsklassen wie etwa Zentralregierungen, Unternehmen, Mengengeschäft et cetera ab, sowie der Bonität des Schuldners. In der SolvV werden sechs verschiedene Bonitätsstufen unterschieden. Da alle Ratingagenturen unterschiedliche Ratingsysteme verwenden, ist es notwendig, die einzelnen Systeme durch ein sogenanntes Mapping auf die SolvV anzupassen.

Stehen bei einer Bank für einen Kontrahenten mehrere externe Ratings zur Verfügung, sind die beiden Ratingnoten relevant, die zu den niedrigsten Risikogewichten führen. Sind diese beiden KSA- Risikogewichte nicht identisch, wird das Rating verwendet, das zu einem höheren Risikogewicht führt, das heißt die schlechtere der beiden Ratingnoten.

Die Risikogewichtung bei Positionen der Forderungsklasse Institute erfolgt grundsätzlich nach der Bonitätseinstufung der Zentralregierung ihres Sitzlandes, nach der sogenannten "auf dem Risikogewicht des Sitzstaates basierenden Methode". Der KSA-Positionswert aus Abbildung 1 ergibt sich aus dem Produkt von KSA-Bemessungsgrundlage nach § 49 Abs. 1 SolvV und KSA-Konversionsfaktor nach § 50 SolvV. Der Konversionsfaktor stellt einen Umrechnungsfaktor für Forderungen mit ungewissem Verlustpotenzial dar und ist somit nur sinnvoll bei außerbilanziellen Kreditrisikopositionen.

Der auf internen Ratings basierende (IRBA) risikogewichtete Positionswert ergibt sich nach § 84 SolvV aus dem IRBA-Risikogewicht und dem IRBA-Positionswert. Wesentlicher Unterschied zum Standardansatz ist, dass das Risikogewicht im internen Ansatz zusätzlich zur Forderungsklasse von drei Parametern abhängt: der prognostizierten Ausfallwahrscheinlichkeit (PD), der prognostizierten Verlustquote bei Ausfall (LGD) sowie dem Restlaufzeitkorrekturfaktor. Werte für diese drei Parameter dienen der Bonitätsbemessung und können bis auf die prognostizierten Ausfallwahrscheinlichkeiten durch die Solvabilitätsverordnung vorgegeben oder selbst geschätzt werden.

Unterschiede im Versicherungsaufsichtsrecht

In Versicherungsunternehmen ist das Kreditrisiko insbesondere im Rahmen der Kapitalanlage relevant. Der Anlagegrundsatz nach § 54 Abs. 1 Versicherungsaufsichtsgesetz besagt, dass das gebundene Vermögen so anzulegen ist: "... dass möglichst große Sicherheit und Rentabilität bei jederzeitiger Liquidität des Versicherungsunternehmens unter Wahrung angemessener Mischung und Streuung erreicht wird." Der Gesetzgeber hat darüber hinaus den Versicherungsunternehmen mit der Anlageverordnung konkrete und spezifische Vorschriften an die Hand gegeben, welche Instrumente als Kapitalanlage erlaubt und welche verboten sind. Neues Aufsichtsregime für Versicherungen

Wie im Bankenbereich mit dem Übergang von "Basel I" zu Basel II" entwickelt die Versicherungsaufsicht auf EU-Ebene derzeit unter dem Namen "Solvency II" ein neues Aufsichtsregime, das neben der Reform der Solvabilitätsvorschriften auch eine strukturierte Reform der Regulierung von Versicherungen mit einer Mischung von quantitativen und qualitativen Elementen beinhalten soll. Das neue System orientiert sich wie Basel II an einer Dreisäulenstruktur. Nach derzeitiger Planung soll Solvency II für in der EU ansässige Versicherungsunternehmen ab 2012 verbindlich zur Anwendung kommen.

In Zukunft soll eine direkte Verbindung zwischen Kreditrisiken und der Solvenz des Versicherungsunternehmens bestehen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass im Gegensatz zur Kreditwirtschaft nicht die Einzelrisiken im Vordergrund stehen, sondern alle Risiken als Gesamtsolvabilität. Dabei werden auch die Korrelationen zwischen den einzelnen Kapitalanlagerisiken beachtet.

In Säule I des Solvency II Frameworks werden Mindestkapitalanforderungen (MCR) und Solvenzkapitalanforderungen (SCR) definiert. MCR sind die Eigenmittel, die zur Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebs eines Versicherungsunternehmens notwendig sind (Risikodeckungsmasse). Eine Unterschreitung kann den Entzug der Zulassung zum Geschäftsbetrieb zur Folge haben. Das SCR entspricht dem Risikokapital, das eine Versicherung zur Deckung ihrer Risiken aufbringen muss, also dem Kapital, das unter Berücksichtigung der eingegangenen Risiken benötigt wird. Analog zu Basel II wird Solvency II neben einem Standardansatz auch interne Modelle zur Ermittlung der Eigenmittelanforderungen für Kreditrisiken zulassen.

Das Committee of European Insurance and Occupational Pensions Supervisors (CEIOPS) entwickelt die "Quantitative Impact Studies" (QIS), bei denen überprüft wird, welche Auswirkungen die geplanten Regulierungsänderungen auf die Solvabilität der Versicherungsunternehmen haben. Die Vorgehensweise ähnelt insofern stark dem Verfahren, das bei den Konsultationen zu Basel II gewählt worden war. Durch die im Rahmen der Auswirkungsstudien gewonnenen Erkenntnisse werden dann die genauen Vorschriften zur Eigenmittelunterlegung und zur Berechnung gewisser Risikopositionen weiterentwickelt beziehungsweise rekalibriert.

Auswirkungsstudien

Ende 2008 erschien die QIS 4. In dieser Feldstudie ist die Standardformel zur Berechnung der Kapitalanforderungen modular aufgebaut. In den Submodulen der Basissolvenzkapitalanforderungen (BSCR) finden sich auch die Regelungen zur Ermittlung der Eigenmittelunterlegung von Kreditrisiken. Das Kreditrisiko tritt in Form von Konzentrations-, Gegenparteiausfall- und Spread-Risiken auf.

Das Konzentrationsrisiko entsteht durch größere Anlagen bei ein und demselben Emittenten. Es kann durch Diversifikation vermieden werden und wird deshalb in der nachfolgenden quantitativen Analyse nicht weiter berücksichtigt.

Rechengrößen des Gegenparteiausfallrisikos

Das Gegenparteiausfallrisiko beschreibt insbesondere das Risiko der Verminderung der Kreditwürdigkeit beziehungsweise den kompletten Ausfall eines Schuldners. Die zentralen Rechengrößen des Gegenparteiausfallrisikos eines Kontrahenten (Defi) sind die aus der SolvV bekannten Parameter PD und LGD. Die Formel zur Berechnung dieses Risikos bei einer Korrelation unter 1 basierend auf der Vasicek-Verteilung lautet:

wobei "N" die kumulierte Verteilungsfunktion für die Standardnormalverteilung und "G" die entsprechende inverse kumulierte Verteilungsfunktion ist. Bei einer Korrelation von 1 lautet die Formel:

Def = LGD x min (100 x PD;1) Die implizierte Korrelation ergibt sich aus:

R = 0,5 + 0,5 H. Dabei ist "H" der Herfindahl Index, der sich wie folgt berechnen lässt:

Er wird getrennt für Rückversicherungsverträge, Derivate und Forderungen an Vermittler berechnet.

Die Eigenmittelunterlegung des Spreadrisikos (Mktsp) entspricht dem Risiko, dass sich eine Änderung des Credit Spreads im Vergleich zum risikolosen Zins negativ auf den Marktwert der Vermögenswerte der Versicherung auswirkt. Der Anrechnungsbetrag für das Spreadrisiko (Mktsp) wird getrennt nach Anleihen, strukturierten Produkten und Kreditderivaten ermittelt. Für Anleihen gilt die Formel zur Berechnung des Spreadrisikos:

Für strukturierte Finanzinstrumente wird das Spreadrisiko ermittelt durch:

Dabei ist MVi der Marktwert des Kreditrisi-ko-Exposures, m(duri) und n(duri) sind Funktionen der modifizierten Duration des Kreditrisiko Exposures. F(ratingi) und G(ratingi) sind Funktionen des externen Ratings des Kreditrisko-Exposures und sind wie in Tabelle 3 definiert. Liabul beschreibt den Einfluss des Kreditrisikos von Kapitalanlagen auf bestimmte versicherungsspezifische Passivpositionen, der für die weitere Analyse irrelevant ist.

Unterschiedliche Nutzung interner Modelle

Im Bankenbereich wird die Nutzung interner Modelle zur Ermittlung des Risikokapitalbedarfs zwar positiv beurteilt und unterstützt, zur Ermittlung der regulatorischen Kapitalunterlegungserfordernis dürfen diese Modelle jedoch nicht eingesetzt werden. Solvency II geht hier einen anderen Weg und gesteht den Versicherungsunternehmen (selbstverständlich erst nach Abnahme durch die Aufsicht) die Nutzung interner Modelle auch für aufsichtsrechtliche Zwecke zu.

Durch die Freiheitsgrade, die den Versicherungen bei den internen Modellen gewährt werden, kann das Kreditrisiko auch direkt bemessen werden, und es muss nicht zwangsläufig auf die Kategorien des Standardansatzes zurückgegriffen werden.

Analyse zweier Beispielportfolios

Die folgende Beispielrechnung soll die quantitativen Abweichungen der Eigenmittelunterlegung des Kreditrisikos bei Banken und Versicherungen verdeutlichen. Zu diesem Zweck wurden zwei Portfolios zusammengestellt - ein Anleiheportfolio sowie ein aus Zinsswaps bestehendes Portfolio. Bei der Auswahl der Finanzinstrumente wurden nur Investment-Grade-Positionen verwendet.

Zur Gegenüberstellung der Berechnung der Eigenmittelunterlegung des Kreditrisikos bei Banken und Versicherungen wurde jeweils der Standardansatz der SolvV beziehungsweise von Solvency II (Stand von QIS 4) verwendet. Auf Versicherungsseite wurde das Kreditrisiko als Summe aus Spread-Risiko (bei Anleihen) und Gegenparteiausfallrisiko (bei Swaps) dargestellt. Aufgrund des Diversifikationseffektes bei real existierenden Portfolios von Versicherungsunternehmen konnte das Konzentrationsrisiko unberücksichtigt bleiben.

Als Rating der einzelnen Positionen wurde die Einstufung der Agenturen Moody's, Standard & Poor's und Fitch verwendet. Jedoch wurden nicht alle Positionen auch von allen drei Ratingagenturen benotet. Waren zur Berechnung mehrere Ratingnoten vorhanden, waren immer die zwei besten Ratings relevant. Wenn diese beiden Ratings nicht identisch waren, wurde das schlechtere dieser beiden verwendet.

Ermittlung der Eigenmittelunterlegung für ein Anleiheportfolio ...

Das erste Portfolio besteht aus sechs realen, jedoch anonymisierten Anleihen mit jeweils einem Nominalwert von zehn Millionen Euro. Durch die Titelauswahl werden die Spezifika von Staatsanleihen, Unternehmensanleihen sowie Wertpapieren anderer Kreditinstitute (Sitzlandproblematik) berücksichtigt.

Führt man eine Berechnung der nach Solvabilitätsverordnung (Tabelle 5) und Solvency II (Tabelle 6) erforderlichen Eigenmittelunterlegung für das Anleiheportfolio durch, stellt man fest, dass Versicherungen künftig fast doppelt so viel Kapital für ein identisches Anleiheportfolio vorhalten müssen wie Banken.

... und für ein Derivateportfolio

Das zweite Portfolio zeigt die Behandlung von Derivaten anhand von drei in Euro denominierten Zinsswaps. Insgesamt haben die mit anderen Kreditinstituten abgeschlossenen Derivate einen Marktwert von 97 Millionen Euro. Dabei stellen Swap 1 und 3 eine Forderung und Swap 2 eine Verbindlichkeit gegenüber der Gegenpartei dar. Hat der Swap einen negativen Marktwert und entspricht somit einer Verbindlichkeit für das Unternehmen, existiert selbstverständlich kein Kreditrisiko.

Banken berechnen das Kreditrisiko der Swaps mit der gleichen Formel, die zur Berechnung des Anrechnungsbetrags bei Anleihen verwendet wurde, mit dem einzigen Unterschied, dass sich nach § 17 SolvV die Bemessungsgrundlage für Derivate mit drei unterschiedlichen Methoden berechnen lassen kann. Im Beispielportfolio wird die Marktbewertungsmethode verwendet.

Auch in diesem Portfolio stellt man erhebliche Unterschiede in der Eigenmittelunterlegung von Banken (Tabelle 8) und Versicherungen (Tabelle 9) fest. Bei Derivaten ist jedoch die Kapitalanforderung für Banken doppelt so hoch wie für Versicherungen - das umgekehrte Ergebnis wie bei Anleihen. Das Kreditrisiko der Swaps im Beispiel-Portfolio wird nach Solvency II durch das Gegenparteiausfallrisiko (SCRdef) ermittelt.

Die Berechnungen mit Hilfe der beiden Beispielportfolios haben gezeigt, dass Banken und Versicherungen für identische Risikopositionen auf Basis des geltenden beziehungsweise geplanten Aufsichtsrechts in deutlich unterschiedlichem Maße Eigenmittel unterlegen müssen. Während die Versicherungsunternehmen bei Anleihen fast doppelt so viel Eigenmittel vorzuhalten haben wie Banken, kehrt sich dieses Ergebnis bei Derivaten genau um. Die Gründe für diese Abweichungen liegen in der unterschiedlichen Konzeption der Quantifizierung des Kreditrisikos. Ein Vergleich der Kreditrisikobehandlung im Aufsichtsrecht von Banken und Versicherungen zeigt, dass die deutlich voneinander abweichenden Regularien und die daraus resultierenden unterschiedlichen Formeln zu stark divergierender Eigenmittelunterlegung führen.

Kritische Würdigung

Es ist offensichtlich, dass Banken durch ihr Geschäftsmodell deutlich höheren Kreditrisiken ausgesetzt sind als Versicherungen, die als primäres Ziel die Deckung versicherungstechnischer Verpflichtungen gegenüber Versicherungsnehmern haben. Während bei den Banken das Kreditrisiko als Einzelrisiko die wichtigste Risikokategorie darstellt, gilt es bei Versicherungen in der Gesamtrisikobetrachtung als eines von mehreren Kapitalanlagerisiken.

Auch wenn Solvency II in vielen Diskussionen häufig als "Basel II + X" bezeichnet wird, muss gerade beim Kreditrisiko die Frage gestellt werden, ob es nicht sinnvoller wäre, wenn das Versicherungsaufsichtsrecht sich an bereits existierenden Regelungen orientierte, die spezifisch für Institute geschaffen wurden, deren Kerngeschäft das Eingehen von Kreditrisiken ist.

Es wäre dringend erforderlich, dass die Finanzaufsicht das Kreditrisiko als identisches Risiko auch gleich behandeln würde. Das funktioniert aber nur dann, wenn die unterschiedlichen Teile der in vielen Ländern schon umgesetzten Allfinanzaufsicht (mit Zuständigkeit für Kredit- und Versicherungswirtschaft) in einen aktiven Dialog treten und zur Realisierung eines "Level Playing Field" Regelungen schaffen, die Arbitragemöglichkeiten verhindern und nicht sogar fördern.

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