Aufsätze

Finanzmarktkrise und globale Abwicklungsinfrastrukturen - eine Nachschau

Die Ereignisse seit der Lehman-Krise haben gezeigt, wie intensiv Verwerfungen in lokalen Märkten und Schieflagen einzelner Unternehmen auf die gesamte Weltwirtschaft wirken. Die globale Vernetzung der Finanzmärkte erfordert daher entsprechend effektive und zeitnahe Reaktionen der Banken - und dies nicht nur in Krisenzei ten mit sich schnell ändernden Rahmenbedingungen. Diese essenzielle Reaktionsfähigkeit wird durch folgende Faktoren determiniert:

1) Laufende Verfügbarkeit aktueller und vollständiger Information über Risikopositionen der Bank sowie Auffälligkeiten in der Transaktionsabwicklung.

2) Klar definierter und kurzer Entscheidungsweg.

3) Fähigkeit zur unmittelbaren und einheitlichen Umsetzung getroffener Entscheidungen (Global Coverage).

Die Informationsfunktion (1) und die Umsetzungsfunktion (3) liegen in der Regel im Backoffice der Banken, während die Verantwortung für den Krisenprozess (2) im Risikomanagement angesiedelt sein sollte. Risiken der Dezentralität

Das Geschäftsmodell global agierender Kreditinstitute ist geprägt durch eine lokale Präsenz in den relevanten Märkten, der oft lokale Backoffice-Funktionen am Standort angegliedert sind. Dezentrale Abwicklungsstrukturen haben zwar auch Vorteile, im Rahmen einer Finanzkrise eignen sie sich jedoch nur bedingt, um den spezifischen Reaktionserfordernissen gerecht zu werden. Verschiedene Hürden wie unterschiedliche IT-Plattformen, uneinheitliche Prozesse und individuelle Reportingstrukturen müssen im Rahmen der notwendigen Datenaggregation erst überwunden werden. In der Folge kommt es aufgrund der mangelnden Transparenz zu erhöhten operativen Risiken (Abbildung 1).

Somit bergen dezentrale Strukturen im Backoffice generelle operative Risiken für den Bankbetrieb, die sich im Rahmen der Finanzkrise aufgrund der erforderlichen Reaktionsgeschwindigkeit weiter verstärken.

Diese operativen Risiken können jedoch mit einer zentralisierten Abwicklungsinfrastruktur minimiert werden, welche gleichzeitig eine Balance zwischen lokaler Präsenz und zentraler Steuerung herstellt. Eine solche zentrale Organisation ermöglicht den unmittelbaren, vollständigen und konsistenten Zugriff auf alle relevanten Kunden- und Geschäftsdaten der Bank und befähigt sie somit zu angemessenen Reaktionen auf geänderte Rahmenbedingungen innerhalb kürzester Zeit - und auf einer soliden Informationsbasis.

Unabhängig hiervon aber, ist für den Krisenfall ein zusätzlicher Prozess erforderlich, der klar definiert, welche Funktion/Abteilung der Bank nach welchen Kriterien Entscheidungen fällt und welche Konsequenzen sich hieraus für den Geschäftsbetrieb ableiten. Ohne diese Festlegung von Ablauf und Kompetenzen kann die Bank nur eingeschränkt die Vorteile einer zentralen Infrastruktur im Krisenfall nutzen.

Die direkte Umsetzung der Entscheidungen sollte ebenfalls zentral und dadurch auch weltweit einheitlich erfolgen. Das Backoffice ist somit strukturell in der Lage die Funktionen der Informationslieferung und Entscheidungsumsetzung gemäß den krisenspezifischen Anforderungen umfassend zu erfüllen. Es agiert in diesen Funktionen als "Nahtstelle" zwischen den verschiedenen involvierten Bereichen.

Schlüsselfaktoren zur erfolgreichen Bewältigung der Finanzmarktkrise

1. Informationsfunktion: Das Zentrale Backoffice liefert jederzeit eine einheitliche und übergreifende Sicht.

Im Rahmen einer strategischen Neuausrichtung des Geschäftsbereichs Group Operations (GO) der WestLB erfolgte in den vergangenen Jahren eine kontinuierliche Reorganisation der dezentralen Abwicklung nach dem "1-1-1-Prinzip", das heißt ein Produkt - ein System - ein Standort. Zielsetzung dieser Neuausrichtung war, dass ein (Handels-)Produkt nur noch über ein Backoffice-System in einem Standort abgewickelt wird und somit ein Höchstmaß an Standardisierung und zentraler Transparenz erreicht wird - unter gleichzeitiger Beachtung von lokalen Anforderungen (vor allem Kunden, Aufsichtsbehörden und Handelsaspekte). Die konkreten Ergebnisse sind in Abbildung 2 dargestellt. Diese konsolidierte Abwicklungsinfrastruktur bietet einen unmittelbaren und umfassenden Zugriff auf alle Kunden- und Geschäftsdaten:

a) Reporting Geschäftsbestände

Alle Geschäfte der Bank - unabhängig von Handelsname oder -lokation - werden in klar definierten Prozessen und eindeutig festgelegten Systemen geführt. Somit ist eine vollständige Auswertung aller Transaktionen zentral und jederzeit verfügbar.

b) Reporting Collateral

Das Collateral wird ebenfalls in einem weltweit einheitlichen System, über alle relevanten Produkte hinweg und in Realtime geführt. Aufgrund der Integration mit den Frontoffice-Systemen ist eine jederzeitige Gegenüberstellung von aktuellem Exposure und marktbewertetem Collateral pro Kontrahenten möglich.

c) Reporting Cash-Flow

Sowohl die erwarteten als auch die erfolgten Zahlungsein- und -ausgänge der WestLB sind in einem globalen System zusammengefasst. Es erfolgt eine laufende Cash-Flow-Auswertung auf Counterparty-Basis weltweit in allen Hauptwährungen.

d) Reporting Kunden

Die Kunden der Gesamtbank werden in einer zentralen Datenbank geführt, welche auch eine Darstellung der Verflechtungen ermöglicht und somit bei Insolvenzen einzelner Unternehmen direkt den gesamten betroffenen Kundenstamm weltweit identifiziert. Dies ist die grundlegende Voraussetzung zur Identifikation des gesamten Exposure sowie zur umfassenden Definition geeigneter Maßnahmen.

Besonderheiten in Krisensituationen

In Krisenzeiten wird situationsbedingt ein "War Room" etabliert, in dem ein fachbereichsübergreifendes Krisenteam täglich alle relevanten Daten der zentralen Abwicklung sowie über den Markt erhaltenen Informationen zusammenträgt, analysiert und den Entscheidungsträgern konsolidiert zur Verfügung stellt.

Das Team ist in der Lage folgende vier Kernfragen stets aktuell und eindeutig für die Gesamtbank zu beantworten: Bedienen die Kontrahenten ihre Fälligkeiten planmäßig? Welches Tradeportfolio (zum Beispiel Money Market) hat die Bank mit einem Kontrahenten und wie stellt sich das Fälligkeitenprofil dar? Wie hoch ist das Exposure (zum Beispiel OTC Derivatives) mit einem Kontrahenten und welches Collateral steht dagegen? Wie gehen andere Marktteilnehmer mit dem Kontrahenten um?

Die Kombination der Antworten auf diese Fragen ergibt im Zeitverlauf einen sehr zuverlässigen Eindruck über den Status eines Kontrahenten sowie eine klare Bestimmung des Risikos für die Bank. Der "War Room" legt in Abstimmung mit dem Risikobereich fest, welche Zahlungen seitens des Kreditinstitutes an einen Kontrahenten erfolgen sollen und welche nicht. Darüber hinaus erfolgt auch eine Überwachung des Gesamtmarktes zur laufenden Risikokategorisierung relevanter Marktteilnehmer. Gegebenenfalls werden erste Präventivmaßnahmen beschlossen.

2. Krisenprozess: Zentrales Risikomanagement zur einheitlichen Bewertung der Risikolage und Definition der erforderlichen bankweiten Maßnahmen.

Basierend auf den Informationen der Abwicklung beziehungsweise des Krisenteams erfolgt im zentralen Risikobereich eine Abwägung der einzuleitenden Schritte. Hierbei wird im Wesentlichen zwischen Präventiv-, Sofort- und Folgemaßnahmen unterschieden.

Bei den Präventivmaßnahmen handelt es sich um vorbeugende Maßnahmen zur Minimierung des Schadenpotenzials bei einem vom Ausfall bedrohten Kreditinstitut/Kontrahenten, also vor Eintritt des Ereignisses. Deuten die Informationen der zentralen Abwicklung und aus dem Markt darauf hin, dass das Risiko eines Kreditinstituts/Kontrahenten zunimmt, können entsprechend stufenweise Maßnahmen ergriffen werden.

Stufe 1: Intensivere Bonitätsüberwachung der ausgewählten Kreditinstitute/Kontrahenten sowie eine zielgerichtete Überwachung der Clearingsysteme für Zahlungen und Wertpapiere.

Stufe 2: Einrichtung eines fachbereichsübergreifenden "War Room", um stets die aktuellen Informationen konsolidiert verfügbar zu haben.

Stufe 3: Vorsorgliches Aussetzen der automatischen Verarbeitung von Zahlungsausgängen, Deckungsanschaffung sowie Wertpapierlieferungen an das Kreditinstitut/den Kontrahenten.

Unter Sofortmaßnahmen fasst man Ad-hoc-Maßnahmen zur sofortigen Einstellung des Zahlungsverkehrs mit den betroffenen Kreditinstituten/Kontrahenten bei Bekanntwerden des Ausfalls zusammen, das heißt unmittelbar bei Eintritt des Ereignisses. Die Möglichkeit der unmittelbaren Umsetzung auf Gesamtbankebene ist bei den Sofortmaßnahmen unabdingbar und wird durch das zentrale Backoffice grundlegend unterstützt.

Sollte es beispielsweise zu einem Ausfall einer Korrespondenzbank kommen, müssten konsolidierende Folgemaßnahmen, nach Eintritt des Ereignisses, zur systematischen Neuorganisation der Zahlungsleitwege bei laufender manuellen Kontrolle von Zahlungsausführungen ergriffen werden.

3. Umsetzungsfunktion: Ein zentrales Clearing und Settlement erlaubt umgehende und einheitliche Umsetzung beschlossener Maßnahmen.

Für die Umsetzung der im Risikomanagement beschlossenen Maßnahmen verfügt die WestLB über eine zentrale Infrastruktur für das Clearing und Settlement von Zahlungen weltweit durch die Anbindung der Standorte an das zentrale Swift-Gateway in Düsseldorf. Zur Verhütung von Zahlungsverkehrs- und Settlementrisiken ist die Bank in der Lage, eine situationsgerechte Steuerung der automatischen Verarbeitung zentral vorzunehmen. Dieses mehrstufige Eskalationsmodell unterscheidet im Wesentlichen zwischen einer Parametersteuerung und dem Abschalten von Teilen beziehungsweise der gesamten Infrastruktur.

Gesamt- oder Teilabschaltung

Über die zentrale Parametersteuerung können im Bedarfsfall die Zahlungen an einen bestimmten Kontrahenten oder eine Korrespondenzbank gezielt gestoppt werden. Auch die Aussteuerung einzelner Währungen ist möglich. Sollte es die Situation erfordern, kann auch die automatische Deckungsanschaffung für eine Korrespondenzbank ausgesetzt werden. Als Folge würde ein manueller Prozess zur Freigabe einsetzen, der aufgrund der vorhandenen Abwicklungsstrukturen ebenfalls umgehend und einheitlich für alle fälligen Transaktionen der WestLB an zentraler Stelle aufgesetzt werden kann.

Durch das Abschalten von Teilen der Infrastruktur könnten bei Bedarf zum Beispiel Zahlungsausgänge an bestimmte Clearingplattformen gestoppt werden. Für das Clearing und Settlement von Wertpapieren wurde ein vergleichbares Vorgehen mit einem externen Provider zentral aufgesetzt.

Die optimierten Abwicklungsstrukturen der WestLB haben sich in der Krise bewährt. Sie wurden zum entscheidenden Faktor, um die Auswirkungen der Krise erfolgreich bewältigen zu können. Folgende Grundregeln lassen sich aus den Ereignissen für das Backoffice (BO) ableiten:

Da die Abwicklungsinfrastruktur der West-LB auch in den turbulenten Phasen alle Funktionen solide ausgefüllt hat, wurde im Zuge der fortlaufenden Optimierung besonderes Augenmerk auf die weitere Schärfung des Krisenprozesses gelegt. Es wurde ein klar definierter Kommunikationsprozess innerhalb der Bank etabliert, der bei Bedarf Zahlungen an bestimmte Kontrahenten "auf Knopfdruck" stoppt ("Red Button-Konzept"). Die Abstimmung dieses Prozesses ist bereits mit allen betroffenen Abteilungen innerhalb der WestLB erfolgt. Somit ist jeder Akteur im Vorfeld einer solchen Entscheidung mit den daraus resultierenden Konsequenzen vertraut und kann bei Eintritt unverzüglich agieren.

Integraler Bestandteil

Die Lehman-Krise hat gezeigt, dass global agierende Kreditinstitute ihre Organisation derart ausrichten müssen, um auch die Auswirkungen von akuten Krisen geordnet bewältigen zu können. Die bestehenden Liquiditäts- und Kreditrisiken werden durch eine zentrale Abwicklungsstruktur der Bank keinesfalls minimiert, aber sie leistet einen fundamentalen Beitrag zur Qualität des Krisenmanagements.

Die zentralen Abwicklungsinfrastrukturen haben dem Risikomanagement unserer Bank einen jederzeitigen Zugriff auf die zur Beurteilung der Situation relevanten Informationen ermöglicht und einen sehr breit gefächerten Handlungsspielraum zur Minimierung des Schadenpotenzials für die Gesamtbank eröffnet. Sie stellen einen integralen Bestandteil der neu aufgestellten Kernbank der WestLB dar.

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