Leitartikel

Höhepunkt des Unheilwegs noch nicht erreicht

Wie kann man ein Ergebnis kommentieren, das noch nicht vorliegt? Nun gut, in Sachen Finanzkrise haben wir ab und an eine Feuerpause, keineswegs aber schon Frieden. Die Bankenaufsicht BaFin schätzt das Gesamtvolumen der Nonvaleurs, das weltweit im Feuer steht, auf gigantische 600 Milliarden US-Dollar, davon ein Zehntel bei deutschen Banken. Ohne viel Zweckoptimismus: Man wird à la longue die Kröte schlucken. Viel wichtiger sind freilich zwei Fragen: Wie soll der Ballast fauler Kredite geschultert werden und - noch wichtiger - was ist zu tun, um Wiederholungen zu vermeiden?

Die Beseitigungsmethoden haben einen Hautgout. Fed-Chef Bernanke wandelt auf ominösen Spuren und auch sonst in der Welt, wo Notenbanken nicht ganz ohne Beeinflussung sind, wimmelt es vor bedenklichen Ideen der Staatsintervention bis hin zu der Vorstellung, die Notenbanken sollten das marode Zeug einfach aufkaufen. Das wäre eine allerliebste Einladung an die Spekulanten jeglicher Couleur, mit diesem Fallschirm im Rücken, die üblen Spiele jederzeit zu wiederholen. Und die Zukunft? US-Finanzminister Henry Paulson will wenigstens die arg zersplitterte Finanzaufsicht anpacken. Es wäre die größte Reform seit der Weltwirtschaftskrise vor 80 Jahren. Hoffentlich bleiben die Vernünftigen unter den Wirtschaftswissenschaftlern nicht wieder einsame Rufer in der Wüste, wenn sie postulieren, dass es sich um ein vermeidbares monetäres Problem handelt. Der Tübinger Volkswirt Joachim Starbatty, fußend auf den Theorien des Alt meisters Friedrich August von Hayek, bringt die Sache auf den Punkt: "Der Schwerpunkt der therapeutischen Bemühungen muss auf der Disziplinierung der Zentralbanken liegen: denn sie liefern die Liquidität, die zur nächsten Blase führt."

Theoretisch gäbe es den Goldstandard, doch dieser wäre politisch unrealistisch und ökonomisch schwierig. Es gibt aber auch die Abkehr von der Politik des allzu reichlichen und billigen Geldes - was manche bis heute nicht einsehen. Ex-Chef der Fed, Alan Greenspan, der selbst zu viel Geld in den Kreislauf losgelassen hat, sieht noch heute bei den Notenbanken keine Schuld. Den Reinwascheversuch eines alten Mannes sollte man schnell wieder vergessen. Geldpolitische Antizyklik ist angesagt, was freilich angesichts des Drucks von Politik und Öffentlichkeit wohl nur schwer in reiner Form zu realisieren sein dürfte. Man darf deshalb - leider annehmen, dass ein neuer Grund und Boden der Finanzmärkte nur über eine allgemeine und kräftige Geldentwertung zu haben sein wird. Wir sind mitten drin! Vergessen wir nicht: Auslöser waren und sind - vor allem US-amerika-nische-Arroganz (it's our currency, but your problem) und Ignoranz die Bestandteile, aus denen sich die Irritationen und Verwerfungen am weltweiten Devisenmarkt speisen; mit all den Bürden, die sich daraus für den Wert der Währungen ergeben. Mehr noch: Analysiert man den Zusammenbruch der US-Großbank Bear Stearns, dann steht der Europäer fassungslos vor einer anderen Welt. In dieser geht es naiv und renditegeil zu - das wachsende Unheil vor den eigenen Augen verdrängend. Das Denken war offensichtlich abgeschaltet. Davon zeugten schon 2006 unrealistisch hohe Gewinnprognosen und die Gier, auf dem Gebiet der weniger werthaltigen Hypotheken die Nummer eins zu werden.

Es ergab sich eine in den USA nicht unübliche Spirale: Die Hauspreise stiegen und stiegen, es konnte höher beliehen werden, die Hauseigentümer ließen sich oft den Betrag auszahlen und übermäßig in den Konsum fließen. Die Spirale erreichte damit auch das Kreditkartengeschäft und riss weitere Löcher in die Bankbilanzen. Ein in der Alten Welt unfassbarer Vorgang. So passt es ins Bild, dass der Chef von Bear Stearns sich lieber mit Bridge und Golf amüsierte, statt sich um die Strategie seiner Bank ausreichend zu kümmern. Andere US-Großbanken scheinen vorsichtiger gewesen zu sein, nach heutigen Erkenntnissen wenigstens. Schon vor Jahrzehnten stürzten sich die Karikaturisten auf das Thema. Unvergessen ist das Bild eines Bettlers, dem ein Passant eine Dollarnote in den Hut wirft. Sein Kommentar: "Geizkragen". Heute freilich ist das Problem für solche Scherze zu ernst.

Das Vertrauen - auch der Akteure untereinander - schwindet besorgniserregend, von der besagten Nemesis in Form einer weltweiten Teuerung ganz zu schweigen. Letzterer wird aus mehreren Gründen schwer beizukommen sein. Die Wiederwahl-süchtigen Politiker sind an der über Jahre anhaltenden überreichlichen Geldversorgung der Notenbanken als hartnäckige Anheizer wesentlich beteiligt, und die Zentralbankiers sehen sich - je nach Land - mit überaus unterschiedlichen Mentalitäten konfrontiert, die in vielen Fällen der Geldentwertung nur einen untergeordneten Stellenwert zuweisen.

Das stört selbst mehrere der Euro-Länder nicht allzu sehr, wenn es auch heute zum guten Ton gehört, sich stabilitätsbewusst zu geben: Ach, du schönes, illusionäres Zeitalter der Lippenbekenntnisse! Die seit Jahren bedenklich anhaltende Teuerung ficht das EZB-Direktorium offenbar wenig an. Direktor Lorenzo Bini Smaghi tönt auch jetzt noch "(unter zwei Prozent) ist unser primäres Ziel, und wir glauben auch, dass es der beste Weg für ein nachhaltiges Wachstum ist, wenn die Inflation niedrig ist". Niedrig? Na, danke, wenn das "unter 2" allein in fünf Jahren die addierte Entwertung einschließlich Zinseszinseffekt einen Wertverlust von mehr als einem Zehntel bedeutet. Freilich, was nutzt das Lamento. Zumal da, so Bini Smaghi "die Inflationsrisiken oft zu spät gesehen werden. Da ist es oft schwierig, die Leute zu überzeugen, dass eine Zinsanhebung richtig ist".

Die Finanzmärkte haben aber ihr Verdikt längst abgegeben, sodass die Zinsentwicklung auf dem Kontinent schon lange ein Europa der zwei Geschwindigkeiten erkennen lässt. Und: das Schatzamt in Rom konnte Anfang März erstmals seit 1999 nicht mehr alle angebotenen Schatzanweisungen (Buoni ordinari del Tesoro) verkaufen. Das macht eine möglicherweise anvisierte Feuerwehrfunktion der Notenbanken in Europa nicht einfacher, sodass sie in ihrem selbst verschuldeten Dilemma hin und her schwanken werden, sind sie doch gehalten, die Konjunktur zu stabilisieren oder gar anzufeuern und zugleich die Geldentwertung unter Kontrolle zu bringen. Da der Bankenapparat nach Liquidität schreit, schütten sie riesige Geldbeträge unters Volk, wobei sich die Spekulanten die Hände reiben. Da ist er nun, der ersehnte Fallschirm. Es darf weiter gesündigt werden; im Ernstfall lässt einen der "gute Onkel" nicht auf der Strecke. So wird dem Todkranken wieder einmal nur ein Opiat eingeflößt.

Bundesbankpräsident Weber hat freilich mutige und nötige Worte gefunden. "Alle Finanzteilnehmer sind aufgefordert, zeitnah über ihre Risiken zu informieren. Mißtrauen sei nur durch Offenlegung des Wertberichtigungsbedarfs zu beseitigen." Dies gelte nicht nur für Banken, sondern auch für alle Finanzmarktakteure. Die Federal Reserve in Washington geht einen gefährlichen Weg. Sie hat - bisher ohne viel Erfolg monetär die Zügel schleifen lassen und setzt damit ihre Glaubwürdigkeit bis an die Grenzen aufs Spiel. Was wollte sie machen, wenn die Zinsen bei faktisch Null angelangt wären? Eine Pleite riskieren wie die Japaner? Es bedürfte eines Umdenkens, denn die zentralen Institute stehen erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg mitten in dem Versuch, einer vom System bedingten Bankenkrise Herr zu werden. Die Krux hierbei ist jedoch, dass die Heilung des Krebsgeschwürs umso schwieriger und teurer wird, je mehr Noten-bank-Milliarden in den Kreislauf gepumpt werden.

Ein renommierter Kommentator argwöhnt, dass die erschreckende Schwäche des Dollars eines Tages als Symbol des Niedergangs der amerikanischen Hegemonie in Wirtschaft und Finanzen vermerkt werden könnte. Wie gesagt, ein gerüttelt Maß an Schuld tragen die Zentralbankiers selbst, haben sie doch über viele Jahre hinweg das zu Unrecht gescholtene Geldmengenziel weit ins Kraut schießen lassen. Die Wissenschaft verhüllt schmerzlich ihr Haupt: Schon der renommierte Geldtheoretiker Friedrich August Hayek entwickelte das heute nötige Rezept zur Vermeidung monetärer Krisen. Und er verwies auch auf ein Krebsübel. Den Regierungen müsste das Monopol auf das Geldangebot genommen werden. Will besagen, dass es wirklich unabhängige Notenbanken geben muss und nicht Institute, deren Top-Positionen vielfach mit Ex-Politikern besetzt sind, deren Wiederbestellung in den Händen der Regierung liegt. Chefvolkswirt Thorsten Polleit von Barclays Capital verwundert daher nicht, dass das Misstrauen in das Papiergeld den Goldpreis in schwindelnde Höhen treibt.

Wie schon vor Jahrhunderten: Viele glaubten, dass eben Gold das bessere Geld sei. Ex-Bundesbankpräsident Otmar Emmingers These von dem "barbarischen Relikt" wird damit ad absurdum geführt, mag der Goldpreis auch heftigen

Schwankungen ausgesetzt sein. Nun, sollte der Dollar dauerhaft seine Führungsposition einbüßen, dann könnte Moskaus Wunsch in Erfüllung gehen. Man hofft, der Rubel nähme in vier bis fünf Jahren die Rolle einer Weltwährung ein. Derzeit orientiert sich die russische Währung an einem Währungskorb, der zu 55 Prozent aus US-Dollar und zu 45 Prozent aus Euros besteht. Man wird im Kreml daran noch arbeiten müssen, denn die Geldentwertung hat 2007 gegenüber dem US- Dollar noch real 14,8 Prozent und gemessen am Euro auch noch 5,7 Prozent betragen. Auch der langsam erwachende Riese China strotzt zwar vor Potenz, sah sich aber im Februar 2008 mit einer Steigerung der Konsumentenpreise von 8,7 Prozent konfrontiert, ganz zu schweigen von den Südostasiaten, die sich ihrerseits gute Zukunftschancen ausrechnen.

Das Ungeheuer der Entwertung hat den Höhepunkt seines Unheilwegs noch nicht erreicht. Kürzlich hat das "Handelsblatt" fünf Top-Volkswirte nach ihren diesbezüglichen

Meinungen befragt. Die Grundtendenz ist eindeutig: Ja, die Entwertung wird steigen. Stephen King, von der britischen Großbank HSBC meint, in den Schwellenländern sei die Inflationsära schon angebrochen, Thomas Mayer, Europa-Chefvolkswirt der Deutschen Bank warnt, wir dürften bereits in der Frühphase eines längerfristigen Inflationsanstiegs stecken. Harvard-Professor Kenneth Rogoff sagt kurz und bündig: "Ja, die globale Inflation steigt und wird das auch in den kommenden Jahren noch tun". Bart van Ark designierter Chefvolkswirt des US-Forschungsinstituts Conference Board verweist auf die übermäßige Liquidität in der Welt und sieht seinerseits die Preise weiter klettern. Das sind alles Beweise, dass wir mitten in der schmerzlichen Phase sind, die Sünden der Vergangenheit bitter zu büßen. OS.

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