Leitartikel

Vom Kunden zum Follower - von den Daten-Banken zu Banken-Daten?

Erstaunliches geschieht in Deutschland: Der Kunde wird entdeckt! Wieder einmal. So jedenfalls könnte man die vielerorts auf Hauptversammlungen, Bilanzpressekonferenzen und anderen aufmerksamkeitsstarken Kongressen und Events von den Unternehmenslenkern energisch vorgebrachten Zukunftsstrategien interpretieren. Insbesondere Vertreter der Finanzbranche tun sich dabei mit solchen Erkenntnissen und Absichtserklärungen hervor. Kein Wunder, möchte man meinen, wurden doch vielfach und allzu lange irgendwelche Kapitalmarktgeschäfte weltweit dem Dienst am hiesigen Kunden offenbar vorgezogen.

Anders ist es kaum erklärlich, dass sich viele Spitzeninstitute der Finanzbranche derzeit intensiv mit der juristischen Aufarbeitung gerade dieses Kapitels der Irrungen und Wirkungen aus der in der Rückschau nicht mehr verständlichen Geschäfte vor diversen Gerichten beschäftigen müssen. Verstrickt in juris tische Händel und Vergleiche über Kreditschädigungen, falsche Preisangaben, Täuschungen und Bilanzmanipulationen ringen einstmals unbestrittene Branchenführer um die geschrumpften kümmerlichen Reste des wichtigsten Betriebskapitals, über das in unserer kritischen Gesellschaft jedes Unternehmen verfügen muss, und Banken zuallererst: Vertrauen!

Insbesondere das Vertrauen in die Fähigkeit der Institute, anvertrautes Geld sicher und renditeträchtig zu verwalten und Finanzierungen bedarfsgerecht und möglichst günstig zu gestalten, ist vielfach verloren gegangen. Solange diverse Bad Banks und Abwicklungsanstalten noch auf Jahre benötigt werden, den schwer risikokontaminierten Kreditmüll abzutragen, solange Kommissionen und Gesetzgeber damit beschäftigt sind, im Nachhinein Schutzzäune gegen missbräuchlich gedehnte Risikohebel, Vorbeugungsmaßnahmen für bessere Überwachung und Kontrolle sowie Tugendpfade für anlegergerechte Beratung zu beschreiben, solange Staatsanwälte und Justiz noch in zahlreichen Fällen versuchen, Fehlspekulationen und Fehlverhalten ursächlich zu verknüpfen, solange wird es der Branche insgesamt schwerfallen, die Reputation eines im Kern soliden Geschäftspartners schnell wieder herzustellen. Darunter müssen fast naturgemäß gewissermaßen in Sippenhaft auch die vielen Banken und Kassen leiden, die nach alter Väter Sitte ordentlich gewirtschaftet, den Kunden gewissenhaft bedient und dem Staat die Steuern nicht vorenthalten haben.

Und der Wettbewerb hält weitere ungewohnte Herausforderungen bereit. Unter sperrigen technischen Bezeichnungen wie Big Data und Web 04 kündigt sich nach Meinung vieler Experten eine umfassende Umgestaltung unserer Art des Wirtschaftens an. Aufgrund der immer schnelleren und ubiquitären Verfügbarkeit von Daten, die durch komplexe Analyseverfahren aufbereitet das Verhalten der Kunden darstellen und künftige Verhaltens-, das heißt Kaufmuster daraus ableiten können, nehmen die Gewinnung und Speicherung sowie der Zugang zu personalisierten Daten ein strategisches Gewicht in immer mehr Geschäftsprozessen ein. Eine angemessene Präsenz in den sogenannten "Sozialen Medien" wie You Tube, Facebook, Google und eine darauf basierende hohe Zahl von ständigen Nutzern, sogenannten Followern, gilt dabei als unbedingt notwendiges Schlüsselelement, um aussagekräftige Verhaltensdaten zu gewinnen. Im Wettlauf um die höchste Zahl der Follower werden deswegen die Angebote immer kreativer, die User allerdings auch immer fordernder. So reichen inzwischen auch bei eher konservativen deutschen Unternehmen die Informationsangebote weit über digitalisierte Geschäftsberichte und Produktinfos hinaus.

Dennoch bedarf es ganz anderer Qualitäten als die Präsentation von animierten Grafiken oder der mehr oder weniger professionell erstellten Mitschnitte von Reden des Vorstandsvorsitzenden auf HVs, IR- oder Pressekonferenzen, um dauerhaft Einschaltquoten zu generieren. Einen gewissen Hinweis über das Funktionieren dieser spezifischen Art, gezielt schnell breite Aufmerksamkeit zu schaffen, konnte man vor Kurzem bei der Verbreitung eines Werbespots einer großen, aber als eher farblos geltenden Einkaufshandelskette bewundern, in dem ein bauchiger Mittfünfziger in mehr oder minder waghalsigen Szenen durch die Regale und Haushalte tänzelt und alles super und supergeil findet. Binnen kürzester Zeit eroberte dieser Werbeblock die Klickcharts, und die Redewendung von "alles super, supergeil" bereichert neuerdings die deutsche Umgangssprache. Ob aber dadurch auch neue Kunden für die Handelskette gewonnen beziehungsweise die bishe rigen dauerhaft gebunden werden, bleibt abzuwarten.

Gleiches gilt auch für die zunächst beachtlichen Aufmerksamkeitserfolge, die eine um Reputation und Entstaatlichung gleichermaßen heftig kämpfende Bank mit ihrer joggenden Jungbankerin erzielen konnte. Inzwischen ist dieses recht anmutig dargebotene Gesicht aber offenkundig verbraucht, eine Nachfolgerin konnte oder wollte sich nicht finden lassen und so muss jetzt mit Jogi Löw als Jogger der altbekannte Promi-Faktor wieder ran. Den setzt auch schon seit Längerem die niederländische Direktbank ein, die mit ihrem alternden Basketballstar Dirk Nowitzki den Kunden sportlich direkt "ver-dutzt" und so dem Online-Banking ein sympathisches Gesicht verleiht. Es bleibt abzuwarten, ob diese Wege auf Dauer geeignet sind, renditesuchende Kunden in begeisterte Anhänger zu transformieren. Als bisher einschneidendste emotionale Erfahrung konnte die "Du-Bank" einen Shitstorm vermelden, mit dem sich Veganer und Vegetarier gegen einen wursthaltigen Werbespot bemerkbar machten. Ob das Essverhalten aber als ausreichende Grundlage für die Verhaltensmuster als Bankkunde dienen kann, muss doch wohl eher bezweifelt werden.

Anders dagegen sind die Qualitäten der inzwischen weltweit tätigen Onliner im Social-Media-Geschäft zu werten. Die Googlers und Facebook-Betreiber verfügen dank ihrer ausgeprägten Sammelwut, der naiven Bereitschaft ihrer Nutzer sowie der Kaufkraft der datensüchtigen Werber über hochaggregierte Datenbestände, die umfassend Auskunft geben können über die privatesten Lebensumstände, gewissermaßen von der Wiege bis zur Bahre. Interessant ist dabei zu beobachten, in welche neuen Serviceleistungen, Produkte und Prozesse mithilfe immer ausgefuchsterer Technik solche Datenströme verwandelt werden können. So kündigt Google die Konstruktion eines sich selbst steuernden, also im Wortsinne automobilen Fahrzeuges an, das das Ziel im ständigen Dialog mit anderen Autos findet.

Wer über so viele Daten über die Zahlungsgewohnheiten sowie Fähigkeiten seiner Kunden verfügt wie diese Unternehmen, der könnte versucht sein, diese anderweitig zu nutzen. Von der Daten-Bank zu Bank-Daten ist es dabei nur ein kleiner Schritt. Wenn, wie kürzlich angekündigt, sogar ein mittelständischer Maschinenbauer eine Banklizenz erwerben kann, dann dürfte dies für Google und Co. doch wohl nur ein Klacks sein. Vielleicht wird sich damit schon bald die Voraussage von Bill Gates erfüllen, dass das Banking gewiss notwendig sei, nicht aber Banken!

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