Gespräch des Tages

Leerverkäufe - Placebo für die Community

"Die Geister, die ich rief ..." - der Rest ist bekannt. Wenn die Magie des Marktes allzu mächtig wird, bemühen sich die Zauberlehrlinge der Kapitaljongelage nicht etwa darum, den mitverschuldeten Krisen-Tsunami in den Griff zu bekommen, sondern rufen wieder einmal nach Staates Hilfe, auf das der Steuerzahler den Schlamassel auf- und wegräume. Dabei sei nur am Rande vermerkt, dass eben jene, die das Chaos heraufbeschworen haben, dem Staat zuvor jedwede wirtschaftspolitische Handlungskompetenz vehement absprachen. Und damit haben sie ja auch Recht. Denn der Staat soll und darf nur eingreifen, wenn der Markt versagt. Doch die aktuellen Erschütterungen an den Kapital- und Finanzmärkten die zugegeben mancher Zockerbude an die Substanz gehen - sind kein Marktversagen, sondern lediglich die längst fällige Korrektur.

Dass die Implosionen jetzt so heftig ausfallen, ist leider auch eine Folge der Interventionen von Staaten und Notenbanken. Statt die marktimmanenten Ventile zuzulassen, wurde und wird noch immer versucht, den Kessel geschlossen zu halten. Pikant ist dabei, dass gerade die selbsternannten Musterknaben des enthemmten Kapitalmarkts die ersten waren, die mit Verstaatlichung, Subventionen und zuletzt sogar mit Verboten im Aktienhandel ins kapitalistische Räderwerk eingriffen. In diesem Sinne mag das Untersagen von ungedeckten Leerverkäufen (siehe zu den Formen dieser Transaktionen auch den Beitrag von Thomas Laurer, Seite 980 ff) für einzelne Finanztitel auf den ersten Blick stabilisierend erscheinen, langfristig stört sie jedoch die Liquidität der Aktien. Daher ist dieser Aktionismus als ein Eingeständnis der Machtlosigkeit gegenüber einem Marktgeschehen zu werten, welches Kleinaktionäre wie Unternehmensvorstände nicht mehr so recht verstehen, sondern nur noch hochgradig verunsichert registrieren. Dabei sind gedeckte und ungedeckte Leerverkäufe kein neues Phänomen, sondern seit Jahrzehnten akzeptierte Praxis.

Bemerkenswert ist, dass sich auch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) jetzt zum Handeln gezwungen sah, gleichwohl sie offensichtlich die Grenzen ihrer Eingriffsmöglichkeiten längst erkannt hat. Denn während in Großbritannien für 30 und in den USA für über 700 Börsenwerte die sogenannten Naked-Short-Geschäfte untersagt wurden, sind es hierzulande gerade einmal elf, darunter die großen Rückversicherer, die Großbanken und zwei international tätige Immobilienfinanzierer. Allerdings sind diese Werte dem Vernehmen nach von ungedeckten Leerverkäufen bislang kaum betroffen - im Gegensatz zur britischen und amerikanischen Konkurrenz oder anderen Dax-Werten. Festzustellen ist das freilich erst, wenn die Reaktionen so deutlich sind wie bei der VW-Aktie, deren Kurs Mitte September an einem Tag um 25 Prozent zulegte, um am darauffolgenden in gleicher Größenordnung zu verlieren. Kontrollieren kann die BaFin ihr Verbot jedoch allenfalls bei den Banken. Die Börsen unterstehen der Aufsicht der jeweiligen Bundesländer. Damit ist die Kontrolle aber keinesfalls lückenlos. Zumal selbst Banken und Börsen nicht zweifelsfrei bestimmen können, wann eine Transaktion Naked Short ist und wann gedeckt.

Das Bonner Verbot von ungedeckten Leerverkäufen zeigt einerseits, dass sich die hiesige Aufsichtsbehörde dem Herdentrieb, mit dem Kontrolleure weltweit versuchen, für Stabilität zu sorgen, nicht verschließen mag. Andererseits sprechen der relativ kleine Kreis der Aktienwerte und die symbolische Frist bis zum Jahresende dafür, dass sich die Behörde der lediglich psychologischen Wirkung des Verbots bewusst ist. Freiheit braucht Regeln. Doch deren Einhaltung muss kontrollierbar und deren Verletzung sanktionierbar sein, sonst sind sie nutzlos und vergrößern nur die Unsicherheit.

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