Interview

Redaktionsgespräch mit Uwe Fröhlich / "Die jeweilige Genossenschaftsbank muss die Hoheit über die Kundenbeziehung behalten"

Herr Fröhlich, was verlangt derzeit die meiste Aufmerksamkeit des BVR-Präsidenten: Sind es die regulatorischen Herausforderungen oder doch stärker das Marktgeschehen?

Sie können heute beide Dinge nicht mehr getrennt betrachten. Die Regulatorik hat derart an Umfang und Komplexität gewonnen, dass es zwingend notwendig ist, sie sinnvoll in die Abläufe der Banken zu implementieren, um im Markt erfolgreich zu sein. Insofern fordern zurzeit beide Seiten viel Aufmerksamkeit.

Wie ist der Geschäftsverlauf der genossenschaftlichen Primärbanken im laufenden Jahr? Wird 2013 mit Blick auf die Ertragslage auf absehbare Zeit das letzte einigermaßen zufriedenstellende Jahr?

Im Moment verdienen wir ganz ordentlich. Wir rechnen für das laufende Geschäftsjahr mit einem Ergebnis, das nur leicht unter dem außerordentlich guten Jahr 2012 liegen dürfte. Bei anhaltend niedrigen Zinsen werden die darauf folgenden Jahre anspruchsvoller. Ich bin aber grundsätzlich zuversichtlich. Wir haben die letzten Jahre kontinuierlich Marktanteile hinzugewonnen. Mit 30 Millionen Kunden und 17,3 Millionen Mitgliedern hat die Bankengruppe eine hervorragende Ausgangsposition im Markt, um weiter zu wachsen und auch um die anhaltende Niedrigzinsphase zu meistern. Gleichzeitig haben wir diverse Projekte in den Banken und in der Gruppe gestartet, um dem zu erwartenden Margendruck zu begegnen.

Welche Geschäftsfelder laufen derzeit besonders gut? In welchen Bereichen registrieren Sie einen Nachholbedarf des genossenschaftlichen Bankensektors im Wettbewerb? Und was kann man dagegen tun?

Das Kreditgeschäft läuft sehr gut. Sowohl im Privatkundenbereich bei Konsumentenkrediten und Immobilienfinanzierungen, als auch im gewerblichen Bereich. Insgesamt haben die Genossenschaftsbanken zum Juni 2013 Kredite in Höhe von 452 Milliarden Euro herausgegeben, das sind 4,8 Prozent mehr als im vergleichbaren Vorjahreszeitraum. Die gute konjunkturelle Verfassung Deutschlands und die exzellente Position der Banken vor Ort sorgen dafür, dass die Kreditrisiken dabei überschaubar bleiben.

Sehr erfreulich ist, dass auch die Einlagenseite kontinuierlich mitwächst. Die Verbindlichkeiten gegenüber Nichtbanken wuchsen im gleichen Zeitraum um 3,7 Prozent auf 545 Milliarden Euro. Der überwiegende Teil davon wurde in Form von kurzfristigen Sichteinlagen auf Giro- und Tagesgeldkonten angelegt. Das Wachstum der kurzfristigen Sichteinlagen bei den Volksbanken und Raiffeisenbanken wird nicht von marktfernen Konditionen getrieben. Vielmehr wissen die Kunden der Volksbanken und Raiffeisenbanken neben der umfassenden und bedarfsorientierten Kundenberatung den seit fast 80 Jahren erfolgreich praktizierten Institutsschutz zu schätzen. Dies ist ein eindeutiger Beleg für das enorme Vertrauen in die Zuverlässigkeit und Stabilität, das die genossenschaftliche Finanzgruppe in der Bevölkerung genießt.

Sehr gut läuft aber auch das sogenannte Verbundgeschäft, also der Produktverkauf von Bausparverträgen, Fonds und Versicherungen. Dies unterstreicht die erfolgreiche Ausbalancierung unseres Geschäftsmodells Bank vor Ort plus Allfinanz in der Gruppe.

Stimmen die Aufstellung und die Arbeitsteilung des Verbundes? Wo sehen Sie noch Verbesserungspotenzial?

Gelegentlich hilft ein Blick auf die Wettbewerber, um zu sehen, wie gut wir positioniert sind. Für jedes Produkt haben wir im Wesentlichen einen Spezialisten. Andere leisten sich da eine deutlich größere Vielfalt. Auch was die Arbeitsteilung angeht, können wir sehr zufrieden sein. Ein herausragendes Beispiel hierfür sind die beiden unter dem Namen Kundenfokus 2015 zusammengefassten Großprojekte unserer Gruppe - die Weiterentwicklung unserer Internetstrategie und die Neukonzeption der IT-gestützten Beratungsprozesse der Rechenzentralen. Aus meiner Sicht sind diese beiden Projekte deshalb so beispielhaft, weil die gesamte genossenschaftliche Finanzgruppe hier an einem Strang zieht, sich eng abstimmt und strukturiert ein Konzept umsetzt, das alle gemeinsam zum Wohl der Ortsbanken tragen.

An welchen Stellen würde der Präsident gerne schnellere Konsolidierungserfolge sehen? Wie viel Druck seitens des BVR ist dabei zielführend?

Auf der Kostenseite sollten wir keine Potenziale liegen lassen. Allerdings ist Konsolidierung kein Allheilmittel. Es geht vielmehr darum, die Balance zu finden aus so viel gemeinsamer Arbeit wie möglich, ohne dabei die genossenschaftliche Identität aufs Spiel zu setzen. Diesen Prozess kann der BVR nur moderieren, am Ende entscheiden immer die Eigentümer.

Welche Bedeutung haben Themen wie Online-Abschluss, Internetpräsenz und Social Media für die genossenschaftliche Finanzgruppe? Wann kommt das derzeit laufende Projekt "Kundenfokus 2015" zum Abschluss, und mit welchen Kosten ist es verbunden?

Durch das Internet und die dadurch gegebene Transparenz hat sich das Kundenverhalten verändert. Der Kunde informiert sich verständlicherweise, und zwar bevor er in eine Bankfiliale geht oder eine Finanzdienstleistungsentscheidung trifft. Daher müssen wir uns wesentlich deutlicher im Internet positionieren, als wir das in der Vergangenheit getan haben. Wir werden dafür über die gesamte Gruppe hinweg einen hohen zweistelligen Millionenbetrag in die Hand nehmen müssen.

Dabei gilt, was Allfinanz in der Filiale bedeutet, muss auf den Webseiten der einzelnen Volksbank oder Raiffeisenbank abschlussfähig angeboten werden. Das heißt, der Kunde wird zukünftig die Möglichkeit haben, Fonds-, Versicherungs-, Bauspar- und Leasinggeschäfte auch über die Internetseite seiner Bank zu tätigen. Eine breit angelegte Pilotierungsaktion läuft derzeit. Der Flächenrollout wird im Jahr 2014 vorgenommen, 2015 sollten wir zum Abschluss kommen. Wichtig ist, dass die jeweilige Genossenschaftsbank die Hoheit über die Kundenbeziehung behält.

Bereitet Ihnen der steigende Kostendruck Kopfzerbrechen? Gibt es Antworten?

Die Kosten sind in unserer dezentral aufgestellten Bankengruppe ein Dauerthema. Angesichts des anhaltenden Margendrucks aufgrund der Niedrigzinsen stehen wir aber in den nächsten Jahren vor besonderen Herausforderungen, über Maßnahmen auf der Kostenseite unsere Ergebnisse zu entlasten. Das heißt, die Dinge, die wir in den letzten Jahren angefangen haben, müssen wir konsequent fortsetzen: in den Banken die Prozesseffizienz steigern; darüber nachdenken, wie man auf der Marktfolgeseite effizienter werden kann, indem Institute zusammenarbeiten, bis hin zu der Frage, wie wir zukünftig mit Blick auf unser dezentrales Filialnetz unseren Vertrieb kostengünstiger organisieren.

Wird eine (neue) Konsolidierungswelle über die Kreditgenossenschaften hinwegrollen?

Wir sind derzeit 1 100 Kreditgenossenschaften in Deutschland. Wir hatten in den letzten Jahren zwischen 20 und 30 Fusionen pro Jahr. Diese Zahl wird sich voraussichtlich leicht erhöhen. Ich sehe jedoch keine Fusionswelle auf uns zukommen. Die Frage der optimalen Betriebsgröße hängt ganz entscheidend davon ab, in welchem Markt sich die Bank bewegt, wie sie den Markt bearbeitet, welchen Marktanteil sie hat, wie die Ertragslage ist.

Droht der genossenschaftlichen Finanzgruppe ein Nachwuchsproblem? Schrecken die Vorschriften inzwischen manche Kandidaten für einen Vorstand ab?

Wir sind ein attraktiver Arbeitgeber, der jungen Menschen, die am Anfang ihres beruflichen Werteganges stehen, hervorragende Karrierechancen bietet. Aber wir spüren natürlich auch einen zunehmenden Wettbewerb im Nachwuchsbereich. Wir merken das zum Beispiel daran, dass es schwieriger geworden ist, offene Stellen problemlos zu besetzen. Dies wird sich in den kommenden Jahren - auch aufgrund der demografischen Entwicklung - in vielen Regionen eher noch verschärfen. Deshalb ist es nur folgerichtig, dass die Volksbanken und Raiffeisenbanken auch ihren Auftritt als Arbeitgeber stärken und die Marke "Volksbanken Raiffeisenbanken" gezielt auch für die Gewinnung und Bindung von Mitarbeitern einsetzen.

Stärken die zahlreichen Regulierungsthemen nicht ungeheuer die Existenzberechtigung des BVR?

Der BVR vertritt bundesweit und international die Interessen der genossenschaftlichen Finanzgruppe, koordiniert und entwickelt die gemeinsame Strategie der Volksbanken und Raiffeisenbanken und berät und unterstützt seine Mitglieder. Beim BVR ist außerdem die Sicherungseinrichtung der genossenschaftlichen Finanzgruppe angesiedelt. Zu tun gäbe es also auch ohne die derzeit überbordende Regulierung genug. Gemeinsam mit allen Playern in der Finanzgruppe setzen wir uns dafür ein, dass bei allem Interesse der Regulierer, das Finanzsystem insgesamt krisenfester zu machen, ein Verbund wie die genossenschaftliche Finanzgruppe, der sich in der Finanzmarktkrise als stabilisierendes Element erwiesen hat, jetzt nicht benachteiligt wird.

Welche Regulierungsvorhaben genießen derzeit die besondere Aufmerksamkeit des BVR?

Derzeit bereiten uns vor allem die im Rahmen der Bankenunion geplante Richtlinie zur Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten sowie der einheitliche Abwicklungsmechanismus große Sorgen. Die EU-Kommission versucht offenbar, Einlagensicherung und Abwicklungsfinanzierung mit einander zu verquicken. Der neu zu schaffende einheitliche europäische Abwicklungsfonds soll nicht nur mit den Beiträgen aller an der Bankenunion teilnehmenden Länder gefüllt werden, sondern darüber hinaus auch noch Einlagensicherungssystemen Mittel zur Verfügung stellen können, die nicht mehr leistungsfähig sind.

Wir wenden uns allerdings entschieden gegen eine Vergemeinschaftung der Haftung unter Banken sowie entsprechender Sicherungsfonds. Sei es bei der Abwicklung von Banken oder - noch wichtiger - im Bereich der Einlagensicherung. Die Umverteilung von Vermögen im europäischen

Bankensektor ist doch kein Mittel, mit dem ein zukunftsfähiges Bankensystem in ganz Europa hergestellt werden kann. Sie löst nicht die zugrunde liegenden Probleme zu hoher Risiken und zu geringen Kapitals mancher Banken.

Wo konzentriert sich Wissen zu Regulierungsthemen? Spiegelt das noch einigermaßen die dezentrale Aufstellung der genossenschaftlichen Bankengruppe wider?

Wissen und Positionierung zu Regulierungsthemen muss da sein, wo politische Regulierungsentscheidungen fallen und die Entscheider zu treffen sind. Daher ist der BVR in Berlin, Brüssel und London vertreten - als der von allen Mitgliedern mandatierte Spitzenverband unserer Finanzgruppe mit dem Auftrag zur Interessenvertretung. Aber natürlich soll man unsere Position auch dezentral, etwa im Wahlkreis oder in den Länderparlamenten hören. Da spielt der gesamte Verbund eine wichtige Rolle, denn viele Stimmen sind lauter als eine.

Wie einig beziehungsweise uneinig ist sich derzeit die Deutschen Kreditwirtschaft (DK) mit Blick auf die europäische Einlagensicherung?

Das ist ein wichtiges Thema, denn es geht um das Geld unserer Kunden - und zwar in allen Bankengruppen der deutschen Kreditwirtschaft. Auch wenn unsere Einlagensysteme unterschiedlich sind, haben alle ein Interesse daran, dass nicht Gelder zur Bankenrettung oder Abwicklung und die Einlagensicherung vermengt werden.

Schon gar nicht ohne eine intensive Prüfung aller teilnehmenden Banken in Europa. Daher lehnt der BVR, wie schon gesagt, eine grenzüberschreitende Einlagensicherung in Europa weiter vehement ab, übrigens unterstützt von der deutschen Bundesregierung.

Ich habe zunehmend gerade in der letzten Zeit den Eindruck, dass auch die DK bei diesem Thema immer geschlossener auftritt.

Hat die genossenschaftliche Bankengruppe schon Vorstellungen, welche Kostenbelastungen durch die neue europäische Bankenaufsicht auf die einzelnen Institute zukommen?

Die Europäische Zentralbank (EZB) beabsichtigt offenbar, auch von Kreditinstituten, die gerade nicht ihrer unmittelbaren Aufsicht unterliegen, sondern weiterhin von der deutschen BaFin beaufsichtigt werden, Aufsichtsgebühren zu erheben. Diese sollen relativ hoch angesetzt sein. Konkrete Details sind dazu bislang noch nicht bekannt. Sollte es wirklich so kommen, würden wir uns gegen diese Form der Doppelbelastung wehren. Konsequenterweise müssten dann die Beiträge zur Finanzierung der nationalen Aufsicht entsprechend reduziert werden. Alles andere wäre ja kaum nachvollziehbar.

Fühlt sich der BVR-Präsident dazu berufen, die aktuelle Geldpolitik der EZB zu bewerten?

Selbstverständlich, denn das extreme Niedrigzinsumfeld kann kein Dauerzustand sein und ist schädlich für die Finanzstabilität in Deutschland. In den Südländern kommt der geldpolitische Impuls sowieso kaum an, solange die Bankensysteme nicht saniert sind. Die Geldpolitik kann und darf auf diese Probleme auch nur begrenzt Rücksicht nehmen. Ihr vorrangiges Ziel ist und bleibt die Preisstabilität im Euroraum insgesamt. Spätestens wenn sich die Wirtschaft im Euroraum erholt und die Konjunktur Fuß fasst, muss die EZB die Zinsschraube in Richtung "normal" drehen.

Verstehen Sie sich als Anwalt der Sparer?

Wir haben die Situation unserer Kunden und Mitglieder im Blick. Diese sind sowohl Privat- als auch Firmenkunden. Die niedrigen Zinsen wirken sich auf Sparer und Kreditnehmer ganz unterschiedlich aus. Wer Geld leiht, hat Vorteile. Die Finanzierung von Investitionen ist für unsere mittelständische Firmenkundschaft zu außergewöhnlich niedrigen Kosten möglich. Auch die privaten Haushalte profitieren von den niedrigen Zinsen, insbesondere bei der Finanzierung von Wohnimmobilien. Wichtig ist natürlich, dass die Investition sich auch bei normalen Zinsen noch rechnet.

Die schädliche Seite der niedrigen Zinsen zeigt sich beim Sparen. So senken anhaltende Niedrigzinsen den Antrieb, für das Alter oder für große, unvorhergesehene Belastungen vorzusorgen. Dabei müssten die Menschen aufgrund der demografischen Entwicklung mehr sparen, als sie es im Moment tun. Wenn wir die aktuelle Niedrigzinspolitik kritisieren, dann tun wir das also auch als Anwälte der Sparer.

(Inwiefern) Trifft eine anhaltende Niedrigzinsphase eigentlich alle Bankengruppen gleich hart?

Obwohl die Niedrigzinsphase auf verschiedene Geschäftsmodelle und Bilanzstrukturen unterschiedlich einwirkt, sind unter dem Strich hier sicherlich alle betroffen.

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