Interview

Redaktionsgespräch mit Wolfgang Sprißler - "Die Notwendigkeit einer Bewertungsänderung ergibt sich inhaltlich, nicht situativ."

Herr Sprißler, Sie stehen seit über 33 Jahren in Diensten einer Bank - erst der Bayerischen Vereinsbank und dann Ihres Nachfolgerinstituts Hypovereinsbank. Sind Sie noch gerne Banker?

Ja, auch wenn es Zeiten gab, in denen man noch mit mehr Stolz sagen konnte, dass man Banker ist. Es ist unbestreitbar, dass sich unser Berufsstand im Moment in schwierigem Fahrwasser befindet. Die Fehlerliste der Finanzindustrie - nicht nur der Finanzindustrie, aber man sollte zuerst vor der eigenen Haustüre kehren ist lang und hat unsere Reputation erheblich beschädigt. Doch die Pauschalschelte tut schon weh.

Wie viel Schuld daran hat die Selbstdarstellung einiger Weniger?

Gerade in Zeiten der Verunsicherung wäre es besonders wichtig, dass sich jeder Einzelne Zurückhaltung auferlegt und sehr genau überlegt, was er öffentlich sagt. Manches Mal wäre weniger mehr. Was die Finanzbranche derzeit sicherlich nicht braucht, sind Dinge, die in der Öffentlichkeit als populistische, kurzsichtige Äußerungen verstanden, vielleicht auch missverstanden, werden.

Haben Banker im Jahr 2008 einen Bonus verdient?

Nur wer ein gutes Ergebnis für sein Unternehmen erwirtschaften konnte, dem steht auch ein Erfolgsbonus zu. Deshalb dürfte sich in diesem Jahr diese Frage bei funktionierenden Score-card-Systemen eigentlich nicht stellen.

Wurde beim Rettungspaket mit typisch deutscher Gründlichkeit gut Gemeintes schlecht gemacht?

Seit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers Mitte September hatte sich die Finanzkrise so dramatisch zugespitzt, dass die Notwendigkeit eines Schutzes systemisch relevanter Banken schnell klar wurde. In Deutschland hat die Politik mit dem Finanzmarkt-Stabilisierungsprogramm entschlossen, umfassend und schnell auf die aktuelle Finanzmarktkrise reagiert und damit zur Marktberuhigung beigetragen. Großes Lob zolle ich deshalb der Bundesregierung, die dieses hochkomplexe Paket in kürzester Zeit zusammengestellt hat. Allerdings ließ die Angst vor Stigmatisierung und möglichen negativen Reaktionen von Kunden und Märkten die Annahme des Rettungspaketes nur schleppend in Gang kommen.

Bisher sah es so aus, dass die Staaten wie Amerika oder Großbritannien etwas besser fahren, die ihre Banken "zwangsbeglückt" haben. Durch diese Zwangskapitalisierung der ganzen Branche können keine Rückschlüsse auf die wirtschaftliche Lage der Banken gezogen werden, außerdem werden die Bankensysteme dauerhaft gestärkt. Das ist aber nicht als Kritik am deutschen Paket zu verstehen - hinterher ist man immer klüger. Außerdem hat die Flexibilität des deutschen Programmes auch viele Vorteile.

Wie kann dieses Problem gelöst werden?

Mit der Nutzung des Rettungspaketes durch die Commerzbank und der positiven Reaktion der Märkte scheint nun auch in Deutschland endgültig das Eis gebrochen zu sein. Bei den Landesbanken haben inzwischen ebenfalls bereits einige Institute die Hilfen beantragt und bewilligt bekommen. Allerdings muss man auch die sehr unterschiedlichen Ausgangspositionen der einzelnen Banken berücksichtigen. Jede Bank muss individuell die Maßnahmen eingehend und verantwortungsbewusst prüfen. Die Hypovereinsbank ist beispielsweise mehr als ausreichend kapitalisiert, unsere Tier One Ratio beträgt mehr als 15 Prozent und ist damit eine der höchsten in Europa. Wir werden daher keine Kapitalhilfen des Staates brauchen. Ähnlich sieht es beim Thema Abkauf toxischer Wertpapiere aus. Unser ABS-Portfolio beträgt derzeit noch rund acht Milliarden Euro. Darunter leiden wir natürlich, aber die negativen Effekte sind für uns verkraftbar.

Allerdings kann man, wenn die Refinanzierungsbedingungen so schwierig bleiben, wie sie derzeit sind, über das Thema Garantien beim Absatz ungedeckter Bankschuldverschreibungen nachdenken. Einer der Hauptgründe für die Krise ist das Thema Vertrauen oder vielmehr mangelndes Vertrauen. Die Branche ist immer noch weit entfernt von einem normalen und funktionierenden Geldmarkt. Um den Geldhandel wieder in Schwung zu bringen, sind die Garantien sicherlich ein probates Mittel. Das könnte ein gemeinsamer Nenner aller Institute sein.

Kurz zurück zum Abkauf toxischer Wertpapiere: Zu welchem Preis würde der SoFFin diese denn übernehmen?

Darüber hat man bislang noch nichts gehört. Der Fonds hat auch nichts zu verschenken. Von daher kann ein Verkauf nur zu einem fairen Wert erfolgen. Derzeit stellt sich allerdings die Frage, was ist der faire Wert? Sollte dieser sehr niedrig sein, was angesichts der allgemeinen Marktlage nicht überraschend wäre, würde ein Verkauf keinen Sinn machen. Denn das hätte wiederum erhebliche Auswirkungen auf die Gewinn- und Verlustrechnung.

Besteht die Gefahr, dass deutsche Institute im internationalen Wettbewerb aufgrund der Zurückhaltung bei der Inanspruchnahme der Staatshilfen zurückfallen?

Diese Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen: Wenn ausländische Wettbewerber mit hohen Tier-One-Quoten gegen Institute mit deutlich niedrigeren Quoten antreten, dann ist das ein unbestreitbarer Wettbewerbsvorteil. Darüber hinaus könnten die Banken mit einer Staatsgarantie gegenüber den Instituten ohne beim Kampf um Liquidität die Nase vorn haben. Hier würde dann ebenfalls kein Level Playing Field mehr herrschen.

Hätte man die deutschen Banken also doch zwingen müssen, die Garantien und das Eigenkapital nehmen zu müssen, wie es in anderen Ländern geschehen ist?

Ich kann die Frage nachvollziehen, aber darauf gibt es keine wohlfeile, einfache Antwort: Man muss auch bedenken, welche Reaktion es erzeugt hätte, wenn die Bundesregierung jeder Bank vor vier Wochen eine Kapitalspritze aufgezwungen hätte. Für Deutschland wäre dies ein einschneidender Paradigmenwechsel gewesen, der einen Sturm der Empörung erzeugt hätte.

Ist es richtig, dass das Rettungspaket nur für wenige große Banken ist, und nicht für die Mehrzahl der deutschen Institute, nämlich die Sparkassen und Volks- und Raiffeisenbanken?

Es ging in erster Linie darum, systemisch relevante Institute zu schützen, da - siehe Lehman Brothers - der Ausfall eines solchen Instituts dramatische Folgen hat.

Die stabilisierende Wirkung des Rettungspakets steht im Zentrum, dafür muss dann - so problematisch das auch sein mag - die eine oder andere ordnungspolitische "Sünde" in Kauf genommen werden. Außerdem profitieren ja auch die Landesbanken von den Hilfen des Bundes.

Was halten Sie davon, dass die Regierung als Eigentümer im Falle der Eigenkapitalhilfen künftig Einfluss auf die Geschäftspolitik der Banken nehmen will?

Banken müssen sich zunächst einmal in Selbstkritik üben. Die Fehlerliste, die sich die Institute weltweit zuschreiben müssen, ist lang. Von daher ist es legitim, wenn der Staat für seine Leistungen auch Mitspracherechte einfordert. Wenn der Staat Kapital zur Verfügung stellt, darf er auch fragen, ob das Geschäftsmodell, in das er investiert, nachhaltig ist. Die angedachten Maßnahmen und Beschränkungen müssen sich aber am Zweck orientieren und dürfen nicht allein populistischer Natur sein. Am Beispiel der Commerzbank hat die Bundesregierung gezeigt, dass sie in dieser Frage mit viel Augenmaß handelt.

Was sind aus Sicht eines erfahrenen Bankers geeignete Maßnahmen, um das Vertrauen zwischen den Banken wieder herzustellen?

Es ist leider keine Binsenweisheit; Vertrauen ist sehr schnell zerstört und braucht sehr viel länger, um wieder aufgebaut zu werden. Wesentliche Aufgabe ist es zunächst, das Vertrauen unter Banken wieder herzustellen, also den Geldkreislauf wieder zu normalisieren. Solange ständig neue Hiobsbotschaften kommen und erwartet werden, kommt kein Vertrauen zurück. Diese Spirale muss durchbrochen werden. Dazu kann unter anderem auch das Thema "Adjustierung der Bewertungsvorschriften" beitragen.

Längerfristig wird nur durch überzeugendes Handeln, nicht durch wohlfeile Sonntagsreden, bewiesen werden, dass die Banken und Banker besser sind als ihr derzeitiger Ruf. Die Überwindung der Finanzkrise wird auch nicht ohne die Implementierung neuer Regulierungen möglich sein. Natürlich wäre es zu bedauern, wenn es in der Folge auch zu Überregulierungen kommen würde. Diese Gefahr ist nicht von der Hand zu weisen.

Wie sieht die Bankenlandschaft in Deutschland in zwei Jahren aus und welche Rolle spielt die Hypovereinsbank?

Mit dem geplanten Zusammenschluss von Deutscher Bank und Postbank sowie Commerzbank und Dresdner Bank ist gerade die lang erwartete Konsolidierung des deutschen Bankenmarktes wieder in Bewegung gekommen, zumindest im Lager der privaten Banken. Aber das Rettungspaket wird hoffentlich auch im Landesbankensektor einiges in Bewegung bringen. Ob hier allerdings allein durch horizontale Zusammenschlüsse nachhaltige Geschäftsmodelle entstehen können, darf bezweifelt werden. Aus meiner Sicht würden vertikale Fusionen wesentlich mehr Sinn machen.

Die verschiedenen Konsolidierungsschritte werden nicht nur die deutsche Bankenlandschaft, sondern auch die Wettbewerbsverhältnisse deutlich verändern. Die Hypovereinsbank ist dafür gut aufgestellt, auch wenn sie durch die Finanzkrise natürlich einige schmerzhafte, aber verkraftbare Blessuren abbekommen hat. Das fokussierte Universalbankmodell hat sich in der Krise als deutlich stabiler herausgestellt und ist das Modell der Zukunft. Der Schlüssel für künftigen Erfolg wird die richtige Mischung aus Kapitalmarktabhängigkeit und gewachsenem Geschäft auf der Aktiv- und Passivseite sein.

Ein großer Vorteil der Hypovereinsbank liegt in unserer Diversifikation: Die HVB besteht aus vier Divisionen - das Firmenkunden geschäft läuft hervorragend, gleiches gilt für das Wealth Management mit gehobenen Privatkunden. Das Retailgeschäft ist von einem überbesetzten und säulenübergreifenden harten Wettbewerb geprägt, wir befinden uns aber auch auf diesem Gebiet auf einem guten Weg. Lediglich im Investmentbanking gibt es bedingt durch die Turbulenzen an den Finanzmärkten derzeit Probleme.

Trotzdem können wir hier in München guten Mutes und hoffnungsfroh sein. Das Geschäftsmodell trägt und ist nachhaltig. Und noch eine Anmerkung - nicht ohne Stolz: Die Hypovereinsbank war beim Thema Konsolidierung des deutschen Bankenmarktes stets Vorreiter.

Sie haben als Finanzvorstand den bislang größten deutschen Bankenzusammenschluss von Bayerischer Vereinsbank und Bayerischer Hypotheken- und Wechsel-Bank begleitet. Worauf muss man achten, was sind die größten Stolpersteine?

Fusionen haben viel mit Vertrauen zu tun. Trotzdem sollte man sich die Dinge sehr genau und von allen Seiten anschauen, um in der Folge möglichst wenige Überraschungen zu erleben. Wobei es natürlich eine Illusion ist, zu glauben, man könne alles entdecken.

Man sollte bei einem Zusammenschluss die latenten Risiken nie aus den Augen verlieren. Ein Beispiel: Durch die Fusion von Hypo- und Vereinsbank ist der größte Immobilienfinanzierer Europas entstanden. Wir haben zu der Zeit des Zusammenschlusses darin hauptsächlich Chancen gesehen, aber die daraus entstehenden Risiken unterschätzt, vielleicht sogar verkannt. So etwas rächt sich! Die systemischen Klumpenrisiken im Bereich der "Häuslebauer" und der kommerziellen Immobilienfinanzierung haben uns in der Folge schwer zu schaffen gemacht.

Wie sehr hilft oder stört die Einbindung in die Unicredit-Gruppe?

Die Hypovereinsbank hat sich ganz bewusst für diesen Zusammenschluss und damit für ein diversifiziertes, europäisches Geschäftsmodell entschieden, auch als Juniorpartner.

Vor allem die regionale Diversifikation ist durch den Merger mit der Unicredit-Gruppe noch einmal deutlich vertieft worden, unsere Gruppe ist in 22 Ländern vertreten. Dies ist neben den Divisionen ein weiterer Stabilitätsfaktor. Und es zeigt sich jetzt in der Krise, dass es von Vorteil ist, einen breiten Rücken hinter sich zu haben.

Wo stünde die Hypovereinsbank alleine, ohne einen solchen Großaktionär?

Ich bin froh, dass ich mir diese Frage nicht stellen muss.

Zum Thema Bewertung: Sind die Bilanzierungsregeln 2008 noch die Richtigen?

Sie sind sicherlich ergänzungsbedürftig. Das zeigt sich schon daran, dass der IASB-Board rückwirkend zum 1. Oktober eine Neuklassifizierung von Krediten und Wertpapieren zugelassen hat. Es hat natürlich immer einen gewissen Beigeschmack, wenn man mitten im Spiel die Spielregeln ändert. Dies erweckt den Eindruck einer Bilanzierungshilfe. Und es wird stets vermutet, dass derjenige, der solche Dinge anwendet, es auch nötig hat. Im Kern geht es dabei jedoch gar nicht um eine Änderung der Spielregeln. Niemand will die Fair-Value-Bewertung und das Prinzip Mark-to- Market abschaffen. Die Grundidee dieser Regeln ist absolut richtig, weil alle Stakeholder förmlich seismografisch exakt über die tatsächliche Vermögens- und Ertragslage des Unternehmens informiert werden, als das ein glättendes Anschaffungsprinzip nach HGB kann.

Aber Mark-to-Market setzt funktionierende und liquide Märkte voraus, aus denen sich echte Fair Values ableiten lassen. Doch genau diese fundamentale Voraussetzung ist zurzeit nicht mehr gegeben - die Märkte sind in hohem Maße illiquide und ganze Marktsegmente sind zusammengebrochen. Die IFRS-Welt verfügt zwar über ein ganz ziseliertes Vorgehen: Mark-to-Market, Mark-to-Model, Level Two, Level Three ... doch das sind alles Hilfskonstruktionen, die jetzt auch nicht weiterhelfen. Dass das Fair-Value-Accounting Schwächen hat, ist nicht neu und schon vor Jahren immer wieder angesprochen worden.

Doch es ist ein ganz entscheidender Unterschied, ob solche Dinge in Fachzirkeln unter Bilanzgourmets theoretisch diskutiert werden oder im ersten richtigen Praxistest nicht bestehen. Insofern ergibt sich die Notwendigkeit einer Bewertungsänderung inhaltlich, nicht situativ. Eine geänderte Bewertungsregel darf jedoch nicht nur im Krisenfall Anwendung finden, sondern muss auch in Boomzeiten begrenzend wirken.

Wie könnte das aussehen?

Dafür habe ich derzeit auch keine Lösung, ich muss die Antwort an dieser Stelle schuldig bleiben. Das wird nicht trivial, ist aber zur Vertrauensbildung unbedingt notwendig. In Boomzeiten sind Märkte hochliquide, und es liegen scheinbar valide Marktwerte vor, auch wenn sich herausgestellt hat, dass viele dieser scheinbar validen Marktwerte überhitzt waren. Auch in Boomzeiten existieren eben keine echten Fair Values. Das Gegenteil ist der jetzt eingetretene Krisenfall mit illiquiden Märkten und ohne Marktwerte.

Zurück zu den Bewertungsvorschriften.

Insgesamt ist das Problem, dass die bisher angewandten Bewertungsvorschriften prozyklisch wirken, was aber im System einer seismografischen Bewertungskonzeption automatisch angelegt ist - nach oben wie nach unten. Dessen muss man sich bewusst sein. Wir erleben jetzt, dass sich in einer Abwärtsbewegung eine Abwärtsspirale in Gang setzt, die die Dinge noch weiter verschärft. Die daraus entstehenden Marktwerte haben mit den tatsächlichen ökonomischen Gegebenheiten immer weniger zu tun.

Der Ausweg ist die Ergänzung der bestehenden Bewertungsvorschriften um eine Regel für illiquide Märkte. Dafür gibt es zwei Möglichkeiten: Zum einen wird in definierten Konstellationen eine Abkehr von Mark-to-Market und die Anwendung eines ausfallorientierten Discounted-Cash-Flow-Verfahrens zugelassen. So können Eigenkapitalprobleme vermieden werden, da Wertminderungen von unter "Available for Sale" verbuchten Papieren nicht mehr über die Neubewertungsrücklage direkt das Eigenkapital schmälern beziehungsweise im Tradingbereich nicht mehr die GuV belasten. Die zweite Möglichkeit ist eine Umbuchung von der Rubrik Trading-Bereich beziehungsweise "Available for Sale" zu "Loans and Receivables" oder zu "Hold to Maturity". Dann erfolgt eine Bewertung der Ausfallwahrscheinlichkeiten ähnlich wie bei Krediten.

Bei all dem muss aber selbstverständlich durchgängige Transparenz gegeben sein. Aber: Wer aus der Trading-Area umbucht, muss Belastungen der Tier-One-Quote in Kauf nehmen, da die Eigenkapitalbelastung durch die Bestände aus dem Handelsbereich deutlich niedriger ist als diejenige der anderen Bestände.

Wir sehen gerade am Beispiel Rettungspaket sehr deutlich die Gefahr der Stigmatisierung. Könnte das nicht auch bei denjenigen Banken passieren, die von der Umwidmung der Bilanzierungsregeln Gebrauch machen?

Das wäre schade, da dadurch der gute und richtige Charakter der Maßnahmen wieder kaputt diskutiert würde. Hier wurde eine für die Krisensituation inhaltlich nicht ausgestattete Bilanzierungsregel realitätsnah und adäquat ergänzt.

Warum setzt man nicht direkt bei den Marktwerten an und definiert klare Vorgaben, ab wann ein Marktwert vorliegt, der dann für die Mark-to-Mar-ket-Bewertung verbindlich ist?

Wenn ein breiter, liquider und repräsentativer Markt vorliegt, ist die Definition von Marktwerten kein Problem. Ist das nicht der Fall, wie derzeit häufiger zu beobachten, dann muss an diese Stelle etwas anderes treten.

Ab wann liegt ein Marktwert vor?

Eine Möglichkeit wäre die Definition von Quoten: wenn zum Beispiel mindestens 20 Prozent des Volumens der betreffenden Assetklasse gehandelt werden. Damit könnte zumindest vermieden werden, dass es durch kleinere Aktionen Einzelner zu größeren Volatilitäten des gesamten Segmentes kommt. Denn eine Grundannahme der IAS-Experten und des gesamten Systems ist mittlerweile gründlich widerlegt: Der Markt hat nämlich nicht immer recht!

Hätte durch mehr Regulierung die Katastrophe in Teilen verhindert werden können? Stichwort Conduits beispielsweise: Hier sind die Spanier, die voll konsolidieren müssen, bislang deutlich weniger betroffen.

Die Finanzindustrie hat zugegebenermaßen viele Möglichkeiten zur aufsichtsrechtlichen Arbitrage ausgenutzt, manche in tragfähigem Umfang, andere in existenzgefährdender Weise. Dabei ging es meines Erachtens weniger um die Vermeidung von Aufsicht als vielmehr um die Möglichkeiten der Reduzierung der Eigenkapitalunterlegung.

Das ist im Grunde auch gar nicht so schlimm, es darf nur vom Volumen her nicht ausufern. Man darf es nicht übertreiben. Wenn dann noch hinzukommt, dass in diesen Zweckgesellschaften längerfristige Assets mit kurzfristigen Commercial Paper refinanziert werden, ist das schon eine brisante Melange. Denn Liquidität ist anders als gedacht nicht immer im Überfluss verfügbar. Dies ist uns allen in dieser Krise nachdrücklichst eingebläut worden. Hinsichtlich der Conduits muss der generalisierende Grundsatz heißen: Volle handels- und aufsichtsrechtliche Konsolidierung.

Bei aller sicherlich mehr als berechtigter Selbstkritik: Hätte all das von der Aufsicht nicht dennoch angemerkt werden müssen?

Die Kausalkette lautet: Was handelsrechtlich nicht konsolidiert wird, wird auch aufsichtsrechtlich nicht greifbar. Gibt es keine handelsrechtliche Berücksichtigung, hat die BaFin keine Grundlage. Natürlich hätten die zuständigen Behörden die entsprechenden Unterlagen zur Einsicht einfordern können. Aber: Das Ausmaß dessen, was an der Liquiditätsfront passiert ist, hat auch eine Aufsicht nicht erkennen können.

Dann Stichwort Island: Englische Banken haben nur rund vier Milliarden Euro in Island investiert, deutsche dagegen mehr als 20 Milliarden Euro.

Sind deutsche Banken zu gutgläubig? Und wie ist hier die Rolle der Aufsicht zu bewerten?

Das hat wieder mit dem Thema "der mangelhaften Nachhaltigkeit der Geschäftsmodelle" deutscher Banken zu tun. Auf diese Weise beginnt in Deutschland häufiger als in anderen Ländern die Suche nach Ersatz-Debitoren.

Auch italienische Banken sind von der Krise bislang in viel geringerem Maße betroffen. Warum?

Weil in Italien nachhaltige Geschäftsmodelle bestehen! Wie schädlich ist bei diesen Entwicklungen der Druck des Kapitalmarktes? Kann man sich dem überhaupt widersetzen?

Natürlich stehen die Banken unter einem enormen Druck, der Renditehunger der Investoren beherrscht den Kampf um Kapital. Angenommen, eine Hypovereinsbank hätte vor zwei Jahren angekündigt, nur noch "sichere" Geschäfte mit wenig Risiko zu tätigen und ein Eigenkapitalrenditeziel von elf statt 25 Prozent vor Steuern anzustreben.

Die Folge wären doch erhebliche Prügel von Analysten, Investoren und auch der Presse gewesen. Auch der Aufsichtsrat wäre nicht erfreut gewesen, wenn er die HVB mit anderen Banken verglichen hätte. Ich bin mir relativ sicher, dass dieses Institut dann heute einen anderen Vorstandssprecher hätte.

Ist die Zusammensetzung und Struktur der Aufsichtsräte in Deutschland noch richtig und zeitgemäß?

Für die Zusammensetzung der Aufsichtsräte - auf der Arbeitgeber- wie Arbeitnehmerseite - muss eine der Lehren aus den Entwicklungen der vergangenen Monate sein, dass möglichst viele vorgebildete und auch unabhängige Fachleute in das Gremium einziehen sollten. Allerdings ist das sicher leichter gesagt als umgesetzt. Das gilt natürlich insbesondere für den Prüfungs- und den Risikoausschuss.

Sie gehen zum Jahresende in den Ruhestand: Wie viel Wehmut ist dabei?

Selbstverständlich gehe ich mit Wehmut. Nach einem so langen und erfüllten Berufsleben in einem einzigen Institut fällt der Abschied nicht leicht. Es wäre unnatürlich, wenn da nicht auch ein wenig Trauer dabei wäre.

Ich hätte mir natürlich gewünscht, zu einem anderen, einem besseren Zeitpunkt den Stab übergeben zu können. Eine Übergabe in ruhigen Bahnen und einem geordneten Umfeld, das erlaubt hätte, den Weg, den wir in den letzten Jahren eingeschlagen haben, konsequent weitergehen zu können. Doch das lassen die Rahmenbedingungen derzeit nicht zu. So etwas macht mich natürlich nicht zufrieden.

Ich bin jedoch nach wie vor davon überzeugt, dass wir vieles richtig gemacht haben. Wir haben - immer aus Sicht der Bayerischen Vereinsbank - aus einer Regionalbank durch die Fusion mit der Hypo-Bank eine deutsche Großbank geformt. Wir haben mit der Bank Austria den ersten grenzüberschreitenden Merger mit deutscher Beteiligung vollzogen und uns wichtige Märkte im Wachstumsmarkt Zentraleuropa erschlossen. Und durch den Zusammenschluss mit Unicredit ist der erste europäische Spieler von Format entstanden. Die strategische Rationale von damals gilt auch heute noch, was sich nicht zuletzt in dieser Finanzkrise beweist.

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