Leitartikel

Schuld sind immer die Banken ...

680 000, in Worten sechshundertachtzigtausend - so viele Menschen arbeiten nach aktuellen Berechnungen im deutschen Kreditgewerbe. Und so viele Menschen müssen sich immer wieder anhören: diese Banker. Diese Banker sind schuld an der Kreditklemme. Diese Banker sind schuld, dass ich mit meinen Anlagen Geld verloren habe. Dabei wollte ich doch nur ein paar Prozent mehr Rendite als auf dem Sparbuch, Risiko wollte ich natürlich nicht. Diese Banker sind schuld, dass ich meine Hypothek nicht mehr bezahlen kann. Diese Banker sind schuld, dass Deutschland in die Rezession rutscht und nun tausende Menschen ihren Job verlieren werden. Diese Banker sind schuld, dass Kinder und Kindeskinder an den nun aufgetürmten Schulden ersticken werden. Diese Banker sind schuld, schuld, schuld ...

Längst ist es über die Stammtische hinausgedrungen, dass Banker dieser Tage für alles einen prima Sündenbock abgeben. Beinahe reflexhaft werfen Politiker gleich welcher Partei den Bankern dies und das, am besten alles vor.

"Abzocker", "Casinospieler" oder "Gierschlünde" sind noch die harmloseren Varianten der Bezeichnungen, die "Banker-Bonzen" von US-Präsident Obama zählen zu den härteren. Selbst der ehemalige Sparkassen- und amtierende Bundespräsident Horst Köhler spricht von den "Monstern der Finanzmärkte, die gezähmt werden müssen". Hinzu kommen LKA-Beamte, die den auf einer einfachen Strafanzeige gründenden Einmarsch in eine Landesbank wie die Aushebung eines Mafia-Nestes oder eines Drogenringes inszenieren. Die Öffentlichkeit ist dann mit Vorverurteilungen sehr schnell bei der Hand. Ohne zu berücksichtigen, was damit nicht nur den betroffenen Personen, sondern auch deren Familien, deren Kindern in Kindergarten oder Schule, deren Partnern auf der Arbeit, dem Markt oder in ihren sozialen Netzwerken alles angetan wird.

Nein, es gab sicherlich schon schönere Zeiten, Banker oder Bankier zu sein, als das Jahr 2009. Wo sind nur all die ehrbaren Kaufleute geblieben, jene verantwortlichen Teilnehmer am Wirtschaftsleben, die für ein ausgeprägtes Verantwortungsbewusstsein für das eigene Unternehmen, für die Gesellschaft und für die Umwelt stehen, die ihr Handeln auf Tugenden stützen, welche den langfristigen wirtschaftlichen Erfolg zum Ziel haben, ohne den Interessen der Gesellschaft entgegenzustehen und die stets nachhaltig wirtschaften?

Klar ist, für die Krise ursächlich verantwortlich sind nur einige wenige der weltweit vielen Millionen Banker, die mit immer wilderen Finanzspekulationen Geld gescheffelt haben - für sich selber wie für ihren Arbeitgeber. Der große Rest muss sich aber vorwerfen lassen, dass er diesem Treiben zu lange tatenlos zugesehen, es gebilligt hat. Zwar gab es viele warnende Stimmen, doch ist keiner aufgestanden und hat sich laut und ernsthaft von Dingen wie Subprime, Zweckgesellschaften und Verbriefungen distanziert. Keiner räumte ein, eine Eigenkapitalrendite von zwölf Prozent vor Steuern sei richtig und ausreichend. Nun kann man sagen, er hatte ja auch keine Chance dazu, weil er sofort von den nach Rendite gierenden internationalen Kapitalströmen ausgeschlossen worden wäre. Das wiederum setzt aber voraus, dass tatsächlich kein Interesse an nachhaltigem wirtschaftlichen Handeln bestand und besteht. Es wäre vielleicht einen Versuch wert gewesen. Warum ist es nicht gelungen, im Euroraum der 16 eine gemeinsame Bankenaufsicht zu etablieren? Warum wird bis heute in diesem Euroraum keine zielführende Diskussion über ein eigenständiges europäisches System einer Ratingagentur geführt, wenn denn das amerikanische System Teil des Problems ist? Warum findet bis heute keine Diskussion um eine Vereinheitlichung, keine Zusammenlegung, der Einlagensicherungsstandards in den europäischen Ländern statt? Warum sprechen wir im Raum einer gemeinsamen Währung nicht über gemeinsame Standards der Eigenkapitalausstattung der Banken? Glaubt irgendjemand ernsthaft, dass die Amerikaner uns mit unseren Vorstellungen ernst nehmen, wenn wir noch nicht einmal in der Lage sind, in Europa eine eigene Position zu formulieren? So fragte Friedrich Merz die Teilnehmer der "55. Kreditpolitischen Tagung". Es bleibt sehr viel zu tun. Banken - die amerikanischen wie die europäischen, die deutschen vielleicht besonders - befinden sich selbstverschuldet nach wie vor in einer tiefen Vertrauenskrise. So haben 48 Prozent der Verbraucher "eher geringes" Vertrauen in die Geldhäuser, 14 Prozent gar "kein Vertrauen" mehr, fand Ernst & Young heraus. 58 Prozent der gehobenen Privatkunden geben laut Brand Control an, in der Finanzkrise das Vertrauen in die meisten Banken verloren zu haben. Im Sommer des vergangenen Jahres lag dieser Wert noch bei 70 Prozent, im Winter 2008 immerhin noch bei 60 Prozent. Für besonders unseriös halten die Sparer die einst grundsoliden Landesbanken - nur für magere sechs Prozent sind sie noch glaubwürdig, ermittelte das Aachener Online-Marktforschungsinstitut Dialego. Die "Banken"-Abneigung ist dabei keineswegs nur in den breiten Schichten der Gesellschaft verankert. Mit diesem Vertrauensverlust schwindet auch der Rückhalt für diejenigen, die sich immer wieder mit schwächelnden bis maroden Finanzhäusern beschäftigen. In Österreich beispielsweise steht das Fortbestehen der Hypo Group Alpe Adria auf der Kippe. Laut einer Umfrage waren nur acht Prozent der Österreicher dafür, dass Steuergeld in die HGAA fließen soll - der Alpenstaat hat die Bayern-LB-Tochter trotzdem übernommen.

"Die wiederaufkommende Zahlung oder Bereitstellung immenser Bonussummen in London oder an der Wallstreet verstärkt diese tief greifende Vertrauenskrise in Banken und Finanzdienstleister, aber auch in die Handlungsfähigkeit des Staates oder besser der internationalen Staatengemeinschaft. Sie werden entweder als willfährige Helfer der Finanzindustrie gesehen (London und Washington), die ihre Schlüsselindustrie schützen wollen, so wie es die deutschen mit der Automobilbranche regelmäßig tun. Zur Erinnerung: In Großbritannien ist der Anteil der Finanzbranche am Bruttosozialprodukt mehr als doppelt so hoch wie in Deutschland. Oder die Staaten werden als zu national denkend und agierend und damit ihre Initiativen als weitgehend wirkungslos angesehen", so Friedrich von Metzler (Seite 1262 ff.).

Solange spürbar ist, dass versucht wird, mit Vorschlägen zu Überwachung oder Regulierung die eigene Finanzindustrie zu schützen und die Konkurrenten zu schwächen beziehungsweise zu belasten, kann der Markt, kann der Wettbewerb als Regulator seinen Zweck nicht erfüllen. Also braucht es anderer Regulative, und diese liegen längst fern der handelnden Personen, also der Banken und Bankenaufseher. Das zeigt sich nicht zuletzt am Bedeutungsverlust des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht. Gegründet 1974 von den Bankaufsichtsbehörden und Zentralbanken der G10-Staaten und angesiedelt bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in Basel trug der Ausschuss zur Einführung hoher und möglichst einheitlicher Standards in der Bankenaufsicht bei. Dafür wurden in gemeinschaftlicher Diskussion Richtlinien und Empfehlungen ausgearbeitet, auf die sich die Aufsichtsbehörden eines Landes stützen können. Diese Richtlinien sind nicht rechtlich zwingend, sondern stellen lediglich Empfehlungen dar, die in nationales Recht umgesetzt werden können. Im Allgemeinen wird aber davon ausgegangen, dass die Empfehlungen übernommen werden.

In jüngerer Vergangenheit konnte man sich im Baseler Ausschuss aber immer seltener auf gemeinsame und verbindliche Positionen einigen, was auch an der Aufblähung liegen mag. Allein im Jahre 2009 wurden 14 neue Mitglieder aufgenommen. Das hat Konsequenzen. Entscheidungskompetenzen gingen verloren: auf die Ebene der nationalen Notenbankgouverneure, auf die Ebene der Finanzminister, und letztlich auf die Ebene der Staats- und Regierungschefs wie beim G20-Gipfel in Pittsburgh. Bankenaufsicht und Bankenregulierung ist kein Thema der Fachleute mehr, es ist gezwungenermaßen durch kollektives Versagen einer ganzen Branche ein hochpolitisches Spielfeld geworden. Dass hierbei für die Finanzindustrie meist unvorteilhaftere Regelungen herauskommen, ist unbestritten. Wie es bei schrumpfenden Geschäftsvolumina und höheren Eigenkapitalstandards möglich sein soll, die Kreditvergabe auszuweiten, hat sich dem Fachmann noch nicht erschlossen. Jeder der diskutierten Vorschläge mag für sich alleine genommen durchaus Sinn machen, doch ist darüber hinaus auch die kumulierte Wirkung der Fülle an Ideen zu berücksichtigen. Von daher ist es richtig, dass nun anhand einer Auswirkungsstudie die tatsächlichen Konsequenzen zunächst untersucht werden.

Die Welt braucht und will also ganz offensichtlich wieder moralische Banken und moralische Banker. Kann das mit Begrenzungen und der Besteuerung von Boni erreicht werden? Wer legt dabei die Grenzen fest? Ist eine Finanztransaktionssteuer der richtige Weg? Kann es richtig sein, dass der Kandidat für den Vorstand einer 200 Millionen-Bilanzsummen-Volksbank von der BaFin genauestens unter die Lupe genommen und befragt wird, ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen muss, während der Händler einer großen Bank ungeprüft mit Milliarden hantieren kann?

Schon vor 40 Jahren wurde Rolf Gerlach zufolge Sparkassenlehrlingen in ihr Ausbildungsbuch geschrieben: "Zum Sparkassenlehrling eignet sich derjenige, der gewillt ist, den Sparkassengeist in sich aufzunehmen. Wer ordentlich, sauber, pflichtgetreu seiner Arbeit nachgehen will, wer körperlich gesund und geistig rege ist und mit blanken Augen und hellen Ohren durch das Leben geht, bringt damit die Grundvoraussetzung für die künftige Arbeit mit." (Seite 1254 ff.) Viel von dem ist in den vergangenen Jahrzehnten verloren gegangen. Zwar werden nach wie vor junge Menschen ausgebildet, besser vielleicht als je zuvor. Das Ziel dabei ist aber keineswegs mehr immer eine Mehrung des Nutzens für die gesamte Gesellschaft, sondern vielmehr ein Umgehen von Gesetzen, ein Ausnutzen von Regulierungsschwächen, ein Suchen nach Schlupflöchern durch hochgradige Spezialisten. Unsere offene Gesellschaft, die marktwirtschaftliche Ordnung, Banken in der marktwirtschaftlichen Ordnung lebten von Voraussetzungen, die sie selbst nicht schaffen können. Deswegen sollte die Chance der Krise wirklich genutzt werden, um sich wieder über fundamentale Prinzipien einer offenen Gesellschaft und einer marktwirtschaftlichen Ordnung zu verständigen, folgert Friedrich Merz.

Ethik, soziales Verantwortungsbewusstsein und Werte lassen sich jedoch nicht einfach so verordnen beziehungsweise überstülpen oder anerziehen. Ethisches Verhalten wird sich nur dann durchsetzen können, wenn es wirtschaftlich sinnvoll ist, das heißt von den Verbrauchern honoriert wird. Doch das wird nur dann funktionieren, wenn der Kunde das Gefühl hat, vor allem sich selbst etwas Gutes zu tun. Bei

Bio-Obst und -Gemüse hat er dieses Gefühl des Eigennutzes, bei Finanzprodukten noch nicht. Der Mensch ist nicht vollkommen: Der Gesetzgebende und Regulierende nicht, der Anbietende nicht und auch der Nachfragende nicht. Schuld sind also keineswegs immer nur die Banken ... P. O.

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