Aufsätze

Steuerpolitische Herausforderungen in der neuen Legislaturperiode

Die steuerpolitische Agenda der großen Koalition von CDU/CSU und SPD nimmt im Koalitionsvertrag über vier eng bedruckte Seiten ein. In Kontrast zur Ausführlichkeit steht der Erkenntnisgewinn des Lesers: Prüfaufträge und Absichtserklärungen reihen sich aneinander. Es wird der fragwürdige Befund aufgestellt, dass Deutschland insgesamt ein zeitgemäßes und wettbewerbsfähiges Steuerrecht habe. Demzufolge konzentriert man sich unter der Überschrift "verlässliche Steuerpolitik" auf die Festschreibung des Status quo auf marginalen Änderungen an peripheren Ausführungsbestimmungen.

Eine wenig ehrgeizige Agenda

Symptomatisch hierfür ist die Ankündigung des verstärkten Einsatzes von Informationstechnologie: da das System nicht angetastet werden soll, erwartet man sich dadurch eine Vereinfachung von Verfahren. Breiten Raum nimmt daneben der Kampf gegen Steuerhinterziehung im Regierungsprogramm ein. Selbst der legalen Steuervermeidung wird der Kampf angesagt, was für einen an Rechtsstaatlichkeit gebundenen Gesetzgeber und der Heerschar steuerberatender Berufe mit eben diesem als beruflichem Auftrag als Paradox anmuten muss. Die ewige Baustelle des deutschen Steuerrechts bei der Gewerbesteuer soll fortbestehen; die Grundsteuer zwar modernisiert werden, ohne dass jedoch ein konkreter Vorschlag unterbreitet würde.

Die Diagnose ist daher eindeutig: Die Große Koalition verfolgt in der Steuerpolitik eine wenig ehrgeizige Agenda. Dies ist umso verwunderlicher, da die Bedingungen für die dringend erforderlichen Reformen an der Steuerstruktur geradezu als ideal bezeichnet werden können: die Große Koalition besitzt komfortable Mehrheitsverhältnisse im Deutschen Bundestag, im Deutschen Bundesrat gibt es keine Regierungspartei ohne Beteiligung einer Partei der Großen Koalition. Und nicht zuletzt sind die Steuereinnahmen des Jahres 2013 auf einem Rekordniveau. In den nächsten vier Jahren wird mit 43 Milliarden Euro Mehreinnahmen gerechnet. Der Gestaltungsraum für den Gesetzgeber ist also durchaus vorhanden. Welcher steuerpolitischen Maßnahmen sollte die Koalition sich nun annehmen?

Für die Besteuerung der Privatpersonen ist ein Aspekt von steuerlich höchster Wirkung: der Abbau der "kalten Progression". Das Versprechen der Regierungsparteien, ohne Steuererhöhungen auszukommen, ist vor dem Effekt der sogenannten "kalten Progression" zu relativieren. Durch den progressiv ansteigenden Steuersatz der Einkommensteuer und der Inflation können nominale Gehaltszuwächse der Bezieher von Erwerbseinkommen sogar zu Reallohnverlusten führen. Nach Berechnungen des Bundesfinanzministeriums werden die Steuerzahler über die gesamte Legislaturperiode gerechnet durch den Effekt der kalten Progression 17,5 Milliarden Euro mehr Steuern zahlen als im Jahr 2013. Obwohl dieses Phänomen bekannt ist, hat man sich bislang auf eine Abschaffung oder Milderung des Effekts nicht einigen können. Hier gilt es unbedingt gegenzusteuern, um die Lohnsteigerungen auch effektiv bei den Arbeitnehmern wirksam werden zu lassen. Der politische Diskurs hierzu hat jüngst an Schwung gewonnen, er sollte für eine längst überfällige Gesetzesänderung genutzt werden.

Kampf gegen Steuerhinterziehung

Einen großen Stellenwert misst die Regierung dem Kampf gegen Steuerhinterziehung bei. Hierfür soll ein globaler Informationsaustausch zwischen Staaten etabliert werden. Die OECD hat dafür im Februar 2014 einen eigenen Standard vorgestellt, den die G20-Staaten schnell adaptiert haben und bereits ab dem Jahr 2017 als Beginn eines Datenaustausches vorsehen. Es geht um nichts weniger als einen detaillierten Austausch von Daten der Bankkunden. Im Einzelnen sollen Erträge und Veräußerungsgewinne und sogar Kontensalden von Privatpersonen an das jeweilige heimische Finanzamt gemeldet werden. Was hier als Traum der Finanzminister angestrebt wird, könnte sich als Albtraum für den Steuerbürger erweisen: Sensible personenbezogene Informationen werden verdachtsunabhängig im jährlichen Turnus um den Erdball geschickt, ohne dass die Sicherheit der Daten garantiert werden könnte.

Heute erlaubt das geltende Bundesdatenschutzgesetz nicht den vorbehaltlosen Datenaustausch mit Ländern außerhalb der Europäischen Union, da das Schutzniveau anderer Staaten zur Datensicherheit nicht vergleichbar ist, künftig sollen aber etwa Kolumbien und Südafrika mit deutschen Bankdaten versorgt werden. In Zeiten der jüngsten Datenskandale, die mit den Schlagworten von "NSA" und "Big Data" schon ausreichend umrissen sind, ist dies eigentlich eine befremdliche Vorstellung. Eine breite gesellschaftliche Debatte darüber, ob ein solcher Datenverkehr tatsächlich gewünscht ist, hat in Deutschland jedenfalls nicht stattgefunden. Grund hierfür dürfte nicht die allgemeine Empörung über die Steuerverfehlungen prominenter Zeitgenossen sein, sondern schlicht die Unkenntnis über das Ausmaß der Vorhaben des Datenaustausches.

Auch aus weiteren Erwägungen heraus erscheint der Datenverkehr zweifelhaft: Objekt des Datenaustausches sind ausschließlich Kontendaten von im meldenden Land nicht ansässigen Konteninhabern. Dies könnte dazu führen, dass einige Steuerpflichtige Bankdienstleistungen im Ausland nicht in Anspruch nehmen wollen, um keine Meldung hervorzurufen. Die Konten innerhalb des Wohnsitzstaates bleiben ohne Meldung. Rechtlich kann hierin eine Beeinträchtigung der Kapitalverkehrsfreiheit der EU gesehen werden, die einen ausreichenden Rechtfertigungsgrund verlangt. Die Frage der Verhältnismäßigkeit stellt sich im Hinblick auf das Meldedatum des jährlich mitgeteilten Kontenstandes: zu welchem steuerlichen Zweck soll dies nutzbar sein? Nützlich wäre dies allein für eine Vermögenssteuer, die jedoch international sehr selten ist und daher die Mitteilung als nicht dienlich erscheint.

Ein Überbieten der politischen Akteure im internationalen Meldewesen

Es zeichnet sich zurzeit sogar ein Überbieten der politischen Akteure im internationalen Meldewesen ab: Im Jahr 2010 begannen die USA mit der FATCA-Gesetzgebung mit der Suche nach US-Steuerhinterziehern, wofür sie so gut wie global alle Staaten und Banken zu einem Informationssystem verpflichten konnte. Die EU hat ihre seit dem Jahr 2005 laufende Zinsrichtlinie dieses Jahr zu modernisieren beschlossen und arbeitet an einer Ausweitung der Amtshilferichtlinie mit einem Informationsaustausch zwischen den Mitgliedstaaten. Dazu kommt nun noch der gerade skizzierte Plan der OECD zur weltweiten Meldung. Abgestimmt ist dieses Nebeneinander verschiedener, aber im Grunde ähnlicher Verfahren keineswegs - Leidtragende werden zuerst die Kunden von Finanzinstitutionen sein, die die Ausgaben hierzu zu entrichten haben werden. Die Hoffnungen auf signifikant höhere Steuereinnahmen durch das tatsächliche Enttarnen von Steuerhinterziehern haben sich beispielsweise im Fall der EU-Zinsrichtlinie nicht bewahrheitet.

Wie wäre der Kampf gegen Steuerhinterziehung also zu führen? Es bedarf internationaler Abstimmung und planvoller Koordination der Vorhaben, um Aufwand zu begrenzen und vor allem einen bürgerschaftlichen Konsens über das Meldewesen herzustellen. Der Gewährleistung von Datensicherheit muss eine hohe Priorität eingeräumt werden.

Kurzfristig zu erwarten ist ein Gesetzgebungsverfahren zur Neuordnung der strafbefreienden Selbstanzeige. Koalitionspolitiker wollen dem Eindruck entgegenwirken, tatsächlich nicht reuewillige Steuerhinterzieher könnten sie in letzter Minute vor Entdeckung zu umfassender Straffreiheit nutzen und sich selbst bei Steuerhinterziehung in größtem Umfang preiswert freikaufen. Demzufolge könnten Zuschläge bei hohen Hinterziehungsbeträgen steigen und die Nachversteuerung sich auf einen längeren Zeitraum erstrecken.

Ein völliger Verzicht auf dieses Instrument empfiehlt sich indes unabhängig von zweifellos legitimen Gerechtigkeitsdebatten nicht: Die Selbstanzeige ist seit dem Jahr 1919 notwendiges Korrelat der Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen und der Selbstdeklaration im Steuerverfahren. Ohne sie könnte die vollständige Angabe der Verhältnisse bei der Finanzverwaltung nicht verlangt werden, während im Strafverfahren sich niemand selbst belasten müssen darf. Überdies ist sie ein probates Mittel zur Steuergenerierung, indem sie der Finanzverwaltung die Besteuerungsgrundlagen frei Haus liefert. Nicht übersehen werden sollte auch, dass bei steuerpflichtigen Unternehmen allein die Umsatzsteuervoranmeldungen zu Fehlangaben führen können, die einer Korrektur zugänglich sein müssen.

Finanztransaktionssteuer

Nach wie vor auf der politischen Agenda der Bundesregierung steht eine im Rahmen der verstärkten Zusammenarbeit auf Ebene der EU zu verwirklichende Finanztransaktionssteuer. Diese von Anfang an stark umstrittene Steuer war konzipiert worden, um bestimmte Handelsgeschäfte einzudämmen, Finanzmarktstabilität zu erreichen und um den Finanzsektor an den Kosten zur Bewältigung der Finanzkrise heranzuziehen. Mittlerweile überwiegen die Stimmen aus Organisationen wie etwa Internationalem Währungsfonds und Bundesbank als auch der Wirtschaft wie der Wissenschaft, die diese Ziele als weniger erreichbar ansehen, vielmehr Schaden für die an dieser Steuer teilnehmenden Finanzmärkte prognostizieren. In der EU selbst befürwortet die Mehrheit der Staaten die Finanztransaktionssteuer nicht.

Eine Einigung der dazu bereiten Mitgliedstaaten ist nicht ersichtlich, vielmehr dominiert das Interesse an der Übernahme schon realisierter nationaler Finanztransaktionssteuer für ein europäisches Modell. Seit dem Jahr 2011 wird eine Finanztransaktionssteuer nun bereits mit großem Aufwand, aber wenig Aussicht auf Verabschiedung auf EU-Ebene diskutiert. Eine politische Lösung könnte auch in der Abstandnahme von diesem Vorhaben zu suchen sein. Ein halbherziges Modell als Beweis politischer Einigungsfähigkeit wird mehr Schaden als Nutzen stiften.

Bei der Unternehmensbesteuerung gilt es für die Bundesregierung, den Berg von Altlasten endlich zu beseitigen, den die Gesetzgeber vorhergehender Legislaturperioden hinterlassen haben: Bislang ohne Ankündigung einer Gesetzesänderung harren die sogenannte Zinsschranke, Verlustverrechnungsbeschränkungen des § 8c KStG und die Gewerbesteuer einer zielführenden Neuordnung. Bei der Zinsschranke geht es um die Vermeidung grenzüberschreitender Gestaltungen zur Geltendmachung deutschen Zinsaufwandes als Betriebsausgabe und der ausländischen Erfassung von Zinserträgen. Die Verlustverrechnungsbeschränkung des § 8 c KStG führt zum Untergang tatsächlich erlittener Verluste bei Unternehmensumwandlungen. Die Hinzurechnungsbestände der Gewerbesteuer sorgen für eine Erhöhung des gewerbesteuerlichen Gewinns, in dem tatsächlich abgeflossene Finanzierungsaufwendungen wieder aufgeschlagen werden. Diese Durchbrechungen des steuerlichen objektiven Nettoprinzips sind seit ihrer Einführung starker Kritik ausgesetzt. Sie dienen primär einer Verstetigung der Steueraufkommen und berücksichtigen nicht die Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen.

Unhaltbarer Zustand bei der Grundsteuer

Absehbar ist, dass in dieser Legislaturperiode die Privilegierung von Betriebsvermögen bei der Erbschaftsteuer das Bundesverfassungsgericht zu einer Entscheidung veranlassen wird. Hierauf könnte der Gesetzgeber zu reagieren haben, sofern das Gericht die Bedenken des Bundesfinanzhofs hierzu teilen sollte. Die Koalition hat angekündigt, den Aspekt des Erhalts von Arbeitsplätzen beim Generationswechsel im Betrieb berücksichtigen zu wollen und wird daher wohl an einer Begünstigung für den betrieblichen Erbgang im Rahmen des rechtlich zulässigen festhalten. Als unhaltbar muss der Zustand bei der Grundsteuer charakterisiert werden: Die sogenannten Einheitswerte, die für die Wertfeststellung von Grundsteuer herangezogen werden, beziehen sich in den alten Bundesländern auf das Jahr 1964 und in den neuen Bundesländern auf das Jahr 1935. Diese veralteten Ansätze sorgen einerseits für unrealistische Wertansätze, andererseits für eine innerdeutsche Ungleichbehandlung. Nach dem Bundesfinanzhof ist das weitere Unterbleiben einer allgemeinen Neubewertung des Grundvermögens für Stichtage nach dem Jahr 2007 mit der Verfassung nicht vereinbar. Bei weiterem Untätigwerden riskieren die Gebietskörperschaften nichts weniger als die Nichtigkeit der Steuererhebungen. Angesichts der großen Bedeutung dieser Steuer für die Gemeinden von 13,5 Prozent der gesamten Einnahmen ist das ein untragbares Ergebnis. Die Länder sind jedoch für die Neugestaltung uneins. Die Zeit ist hier im Verzug. In dieser Legislaturperiode muss die Neuordnung der Grundsteuer gelingen, Untätigkeit stellt schlicht ein Haushaltsrisiko dar.

Für die Besteuerung internationaler Unternehmen wesentlich werden die Arbeiten der OECD zur sogenannten BEPS-Thematik (Base Erosion and Profit Shifting) sein, die im Jahr 2015 erwartet werden. Es geht hierbei um die Eingrenzung der Erosion der Steuerbemessungsgrundlage und der ungerechtfertigten Gewinnverlagerung, um der Steuervermeidung der Konzerne entgegenzuwirken. Vereinfacht gesagt sollen Unternehmen ihre Steuerlast nicht dadurch reduzieren können, dass Gewinne in Niedrigsteuerländern anfallen und Ausgaben gewinnmindernd in Hochsteuerländern geltend gemacht werden. Dass auch Unternehmen ihren Anteil am Steueraufkommen beizusteuern haben, ist eine Binsenweisheit, der jedermann zustimmen wird. Doch welche Tatbestände stellen eine ungerechtfertigte Verlagerung dar und nach welchen Kriterien muss der Gewinn eines internationalen arbeitsteiligen Konzerns einem Land zugeordnet werden? Sind die Verortungen der Mitarbeiter, des Absatzmarktes oder der Produktion die richtigen Parameter zur Zumessung der Wertschöpfung auf einen Staat?

Ein Verteilungskampf der Staaten

Schnell wird deutlich, dass es sich eigentlich um einen Verteilungskampf der Staaten um den größten Anteil am Steueraufkommen handelt. Sie sind es, die durch ihr Steuerregime die Rahmenbedingungen des Wirtschaftens festlegen, dies entspricht ihrer staatlichen Autonomie. In grenzüberschreitenden Beziehungen regeln Doppelbesteuerungsabkommen zwischenstaatlich viele dieser Aspekte. Die Gefährlichkeit der mit BEPS verbundenen Diskussion besteht darin, dass legale Steuergestaltungen von Unternehmen als rechtsmissbräuchlich gebrandmarkt werden, obwohl sie in einer schlichten Nutzung der jeweiligen Rechtsvorschriften bestehen. Die Wahrnehmung des Rechts kann aber begrifflich keinen Missbrauch darstellen, sofern jedenfalls echtes unternehmerisches Handeln und nicht bloß formelles Nachvollziehen des Rechts die Tatsachen bestimmt. Andernfalls käme es zu einem "Gesinnungssteuerrecht", das bestenfalls zur Verunsicherung der Steuerpflichtigen, schlimmstenfalls zur Willkür der Finanzverwaltungen beiträgt.

Somit wird deutlich, dass die BEPS-Thematik einen heiklen rechtsstaatlichen Aspekt berührt. Für eine exportorientierte Nation wie Deutschland kann sie eine große haushaltswirksame Bedeutung haben. Primär müssen die Nationalstaaten zahlreiche Fragen zur Besteuerung internationalen Handels beantworten. Die Arbeiten der OECD und ihre Adaption durch die Staaten dürfen daher mit großer Spannung erwartet werden. Kritisch ist die Ankündigung der Bundesregierung zu werten, im Falle des Scheiterns einzelner Ziele der OECD-Initiative nationale Maßnahmen einführen zu wollen. Gerade abgestimmte Maßnahmen der Staaten können am effektivsten Doppelbesteuerungen und doppelte Nichtbesteuerungen verhindern.

Der Reformbedarf im deutschen Steuerrecht ist ebenso wie haushalterischer Spielraum des Gesetzgebers und die notwendigen Mehrheitsverhältnisse durchaus gegeben. Notwendig sind nicht akademische Steuerstrukturdebatten mit dem Ziel einer umfassenden Neuordnung. Die Steuererklärung auf dem Bierdeckel erwartet ernsthaft niemand, genauso wenig wie Verheißungen auf "Gerechtigkeit" oder "Einfachheit" sich in der Vergangenheit in ein besseres Steuerrecht haben ummünzen lassen. Die neue Legislaturperiode sollte dafür genutzt werden, die bezeichneten Baustellen der Besteuerung von Privatpersonen wie Unternehmen zügig abzuarbeiten.

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