Aufsätze

Umgekehrte Hypothek als Förderidee: Erfahrungen im Ausland - Chancen in Deutschland

Die Herausforderungen des Marktes sind in vielen Fällen nur mit Hilfe der Förderbanken der Bundesländer lösbar. Dabei ist eines der wichtigsten Themen der Umgang mit den differenziert auftretenden Facetten der demografischen Entwicklung. In der Fachwelt ist unstrittig, dass die starke Ausweitung der Anzahl von Personen mit hohen Lebensaltern, die zu erwartende Entwicklung der Renten und die steigende Nachfrage nach Pflegeleistungen mindestens zu einer Umverteilung der Verwendung des zur Verfügung stehenden Einkommens, wenn nicht sogar zu erheblichen Differenzen zwischen Einnahmen und Ausgaben bei den zukünftigen Rentenempfängern führt.

Fehlendes Produktangebot

Bisher gab es in Deutschland keine ernst zu nehmende flächendeckende Möglichkeit, sein Immobilienvermögen ratierlich in Geld umzuwandeln ("seine Steine essbar zu machen"), ohne sein Eigentum zu verlieren. Nach der letzten Einkommens- und Vermögensstatistik (EVS) des Statistischen Bundesamtes aus 2003 gibt es in Deutschland in der Altersgruppe der 55- bis 69-Jährigen über eine Million Haushalte mit einem Nettoimmobilienvermögen von mehr als 100 000 Euro, die gleichzeitig unterhalb des durchschnittlichen Äquivalenzeinkommens liegen. Obwohl damit ein ausreichend großes Potenzial schon in einem sehr speziellen Segment vorhanden ist, existieren keine passenden Produktangebote. Genau an dieser Stelle besteht die Herausforderung und der Auftrag an die Förderbanken zu einer nachfrageorientierten Lösung. Eine Arbeitsgruppe aus Mitarbeitern einiger Förderbanken unter der Leitung des VÖB hat sich dieser Herausforderung vor dem Hintergrund folgender Richtungen der demografischen Entwicklung gestellt:

- Das Lebensalter nimmt stark zu. (Damit ist nicht das maximal erreichbare Alter, sondern die steigende Zahl an älter werdenden Personen gemeint.)

- Der Altersquotient verlagert sich deutlich hin zur älteren Bevölkerung.

- Die Reproduktionsrate von zirka 1,4 Kindern pro Frau reicht nicht zur Stabilisierung der Bevölkerungsanzahl aus.

- Die Migration nach Deutschland reicht nicht für eine Stabilisierung der Bevölkerungsanzahl aus, führt aber zu Herausforderungen bei der Integration.

- Die Haushaltsstrukturentwicklung hat einen ausgeprägten Hang zur Verkleinerung beziehungsweise Singularisierung.

Kurz: Die Bevölkerung wird weniger und älter und die Struktur bunter. Die Klarheit und Deutlichkeit dieser Entwicklung zwingt die Gesellschaft, sich mit den Konsequenzen - insbesondere den finanziellen auseinanderzusetzen.

Produktentwicklung durch den VÖB

Die grundsätzliche Auseinandersetzung des VÖB mit den möglichen Rollen der Förderbanken der Länder im Rahmen des demografischen Entwicklungsprozesses (dokumentiert in der Broschüre "Demografie ist Gegenwart") hat zur Bildung einer Arbeitsgruppe geführt, die sich mit dem Thema Reverse Mortgage befasst. Erstmalig wurde gemeinsam an einer Produktentwicklung gearbeitet, die als Blaupause für weitere gemeinsame Projekte herhalten kann. Neben der Erarbeitung des inhaltlichen Produktergebnisses konnte auch getestet werden, ob gemeinsame Produktentwicklungen der Förderbanken möglich sind. Dabei ist eine deutliche Kostenersparnis für die einzelnen Häuser nur einer der positiven Effekte.

Auf dem deutschen Markt sind Reverse-Mortgage-Produkte weitgehend unbekannt. Verschiedene Versuche haben bisher entweder das Produktentwicklungsstadium nicht verlassen oder aufgrund besonderer Produktbedingungen die Bedürfnisse der Nachfrager nicht erreicht. Darüber hinaus werden Produkte unter diesem Begriff angeboten (zum Beispiel Rentenhypothek der Hannoverschen Leben), die die Anforderungen an eine Immobilienrente nicht erfüllen. Regional begrenzt agierende Akteure (zum Beispiel Zustifterrente Liebenau) haben spezifische Lösungen erarbeitet, bei denen allerdings das Eigentum an der Immobilie nicht beim bisherigen Eigentümer verbleibt.

Eine Betrachtung lediglich der unmittelbaren Alternativangebote am deutschen Markt springt aber bei Fragen zur Sicherung der Altersrente zu kurz. So müssen in den direkten Vergleich auch die Möglichkeiten einbezogen werden, die alternativ allerdings auch unter Inkaufnahme des Eigentumsverlustes - zur Verfügung stehen. Dazu zählen der sofortige Verkauf mit Anlage des Verkaufserlöses, die Leibrente und die Schenkung mit einem gesicherten Wohnrecht. Keine der angesprochenen Möglichkeiten sollte aus rechtsspezifischer Situation als ungeeignet abgelehnt werden. Alle Möglichkeiten haben am deutschen Markt ihre Berechtigung, wobei zu konstatieren ist, dass sie bisher nur in wenigen Fällen zu einer sachgerechten Lösung beigetragen haben und ein Bedarf nach einer Erweiterung des Angebotes besteht.

Internationale Entwicklungen

Reverse-Mortgage-Produkte werden im Wesentlichen in den USA angeboten. Seit 1981 besteht dort die Möglichkeit, seine Immobilie mit einem Darlehen zu belegen und so zu "verzehren". Bedingt durch anfänglich bestehende Befristungen der Verträge entwickelte sich der Markt nur sehr langsam. Erst durch Einführung der staatlichen Absicherung und der Garantie einer lebenslangen Rentenzahlung fand das Produkt allmählich Anklang. Die Schwelle von 10 000 Neuverträgen pro Jahr konnte erst 2002 mit rund 13 000 Verträgen überschritten werden; im Jahr 2006 wurden rund 76 000 Neuverträge abgeschlossen.

Die US-Amerikaner können zwischen drei verschiedenen Anbietergruppen wählen: private Institutionen, regionale Non-Pro-fit-Organisationen und private Institutionen mit staatlicher Absicherung - wobei nur Letztere eine Marktbedeutung haben. Dabei kommt ein Vertrag zwischen dem Immobilieneigentümer und zugelassenen Institutionen zustande. Der Vertrag erfolgt nach den Regeln des Home-Equity-Conversion-Mortgage-Program (HECM). Die staatliche Garantie aus diesem Programm erstreckt sich auf:

- Verlustausgleich für die zugelassenen Institutionen, sofern der Saldo des Kreditkontos den Immobilienwert übersteigt,

- Vertragsübertragung durch die zugelassenen Institutionen an die staatliche Federal Housing Administration (FHA), sofern die Summe der ausgezahlten Renten 98 Prozent eines festgelegten Immobilienwertes erreicht haben.

- Zahlungsfähigkeit der zugelassenen Institutionen.

Für die Abdeckung des Langlebigkeitsrisikos haben die Immobilieneigentümer Prämien an das amerikanische Wohnungsbauministerium (HWD) zu leisten.

In Großbritannien existiert der zweitgrößte Markt für Reverse-Mortgage-Produkte. In früheren Jahren führte die Produktkonstruktion zu erheblichen Problemen und Ansehensverlusten. So wurde der ausgezahlte Einmalbetrag in eine Rentenversicherung eingezahlt. Die Auszahlungen der Rentenversicherung mussten Zins- und Tilgungsleistungen für das Reverse-Mortgage- Produkt erbringen und darüber hinaus die notwendige Auszahlungsrate an die Kunden sicherstellen. Aufgrund der variablen Verzinsung der Reverse Mortgage ging bei steigenden Zinsen die Rechnung nicht mehr auf. Mittlerweile gibt es einheitliche Standards für entsprechende Produkte mit einer Pflicht zur unabhängigen Beratung.

Motive der Kunden

Die Mentalität der deutschen Verbraucher unterscheidet sich hinsichtlich ihres Sicherheits- und Transparenzbedürfnisses gegenüber Verbrauchern aus anderen Ländern erheblich. Somit stellt sich die Frage nach möglichen Motiven einer Inanspruchnahme:

- Lebensunterhalt/Versorgungsmotiv (Fortsetzung des Wohnens in der eigenen Immobilie; Verbesserung der Lebensverhältnisse; Bezahlung von notwendigem Pflegeaufwand),

- Investition in die Immobilie/Investitionsmotiv (altengerechter Umbau beziehungsweise Anpassungsmaßnahmen; Instandhaltungserfordernisse; Modernisierungsmaßnahmen),

- Unterstützung Dritter/altruistisches Motiv (Familienhilfe, etwa Ausbildung Enkelkinder; karitative Zwecke).

Für die Förderbanken ergibt sich deutlicher Handlungsbedarf bei der Zielgruppe der Personen, die aufgrund ihres Einkommens die benötigte Pflegeleistung nicht vollständig bezahlen können.

Zwei Phasen der Produktlaufzeit

Bei dem vom VÖB entwickelten Produkt handelt es sich um ein grundschuldbesichertes Darlehen. Die Produktkalkulation berücksichtigt Zahlungen an den Kreditnehmer bis zu einem Alter von maximal 110 Jahren. Ein Eigentumsübergang der Immobilie an das Kreditinstitut ist zu keiner Phase des Produktverlaufes vorgesehen (Abbildung 1).

Bei Partnerschaften, sofern beide Personen die Immobilie besitzen, wird die Laufzeit des Produktes immer auf die - nach der statistisch erwarteten Restlebensdauer - länger lebenden Person abgestellt. Im Detail teilt sich die Produktlaufzeit in zwei Phasen: In der ersten Phase wird die Rente aus dem Immobilienwert erbracht. In dieser Phase erhält der Kunde eine monatlich sukzessiv ansteigende Bruttorente, aus der er die Zinsen und das Garantieentgelt zahlt. Es verbleibt dem Kunden eine Nettorente, die im gesamten Verlauf gleich bleibt. In der zweiten Phase (das ist die Zeit der Langlebigkeit über das statistisch erwartete Endalter der Kunden hinaus) wird dem Kunden die vereinbarte Rente aus einer Bankgarantie weitergezahlt. Dabei besteht die Wahl in der Zahlung ausschließlich der Zinsen für das aufgelaufene Darlehen oder zusätzlich weiterhin auch der vereinbarten Nettorente. Die Entscheidung der Kunden für eine der Varianten bestimmt die Höhe des zu zahlenden Garantieentgeltes zur Absicherung des Langlebigkeitsrisikos in der ersten Phase (Abbildung 2).

Vier wesentliche Risikofaktoren

Zu Beginn der Markteinführung des Produktes beschränkt sich die Beleihung von Objekten ausschließlich auf selbstgenutzte Ein- und Zweifamilienhäuser, Reihenhäuser und Eigentumswohnungen, die altengerecht erstellt sind oder zumindest umrüstbar sein müssen. Sofern die Eigennutzung aufgegeben wird (Tod, Auszug) wird der Vertrag beendet und der bis zu diesem Zeitpunkt aufgelaufene Geldbetrag ist zu tilgen (Verkaufserlös der Immobilie, andere Geldvermögenswerte, Umschuldung Darlehen).

Die Produktstruktur beinhaltet für den Kreditgeber vier wesentliche Risikofaktoren: Immobilienwertrisiko: Der Zeitpunkt der Verwertung einer Immobilie ist nicht klar vorherbestimmbar. Die grundsätzlich wünschenswerte Langlebigkeit kann den Verwertungstermin soweit hinausschieben, dass immobilien- und marktspezifische Veränderungen zu einer deutlichen Verkehrswertänderung (-reduzierung) führen können. Nur eine klare Marktrecherche und eine fundierte Marktentwicklungseinschätzung werden die Risiken minimieren können.

Instandhaltungsrisiko: Immobilienfinanzierern nicht unbekannt ist das Phänomen, dass älter werdende Immobilieneigentümer dem Zustand ihrer Immobilie nicht mehr die nötige Aufmerksamkeit zuwenden können. Die Problematik kann durch die Einbeziehung der Erben, mögliche Zusatzdienstleistungen für die Immobilie und die Berücksichtigung eines Geldbedarfes bei der Wertermittlung sachgerecht gelöst werden.

Refinanzierung: Der überwiegende Wunsch deutscher Kreditnehmer nach langfristiger Zinsbindung wird auch bei diesem Produkt umgesetzt werden müssen, um es erfolgreich platzieren zu können. Um diesem Aspekt Rechnung zu tragen, sieht die Produktgestaltung eine bis zu 40-jährige Zinsbindung vor.

Langlebigkeitsrisiko: Für die einen (die Kreditgeber) ist es ein Risiko, für die anderen (die Kreditnehmer) ein gewünschter Zustand. Die Produktphase II, die Zahlung aus der Bankgarantie, kann nur dann durch die Kreditinstitute angeboten werden, sofern in der Phase I ausreichend Garantieentgelte eingenommen werden, um in der Phase II den Kreditinstituten ihren Aufwand für Zahlungen aus der Garantie erstatten zu können. Es ist geplant, einen Sicherungsfonds - analog Einlagensicherungsfonds - beim VÖB einzurichten, der in späteren Jahren den Ausgleich der Aufwendungen vornimmt. Sinnvoll, wenn nicht sogar zwingend, ist ein Fonds über alle Bundesländer, um länderspezifische Klumpenrisiken zu vermeiden.

Verständigung II und Beihilfeproblematik

Im Rahmen der Auseinandersetzung um Anstaltslast und Gewährträgerhaftung deutscher öffentlicher Banken hat sich Deutschland mit der EU-Kommission im Jahr 2002 auf die Beibehaltung staatlicher Garantien für Förderbanken (Verständigung II) geeinigt. Der Verständigung II zufolge dürfen jedoch nur solche Förderaufgaben an die Förderinstitute übertragen werden, die im Einklang mit den gemeinschaftlichen Beihilfevorschriften stehen. Aus diesem Grund wurde durch den Arbeitskreis geprüft:

- ob die staatliche Garantie der Förderbank durch das Angebot einer umgekehrten Hypothek gefährdet wäre,

- ob in Bezug auf den potenziellen Beihilfeempfänger bestimmte Kriterien vorliegen, die eine Beihilfe nicht ausschließen würden.

Die Einordnung des Produktes Förder-Immorente könnte unter zwei Aspekten erfolgen:

Würde man als Zielstellung des neuen Produktes die soziale Alterssicherung für Wohneigentümer definieren, so wäre dies eine "Maßnahme rein sozialer Art" gemäß Punkt 2d) der Verständigung II. Unter dem Begriff Wohnungswirtschaft gemäß Punkt 2a) Abs. 1 der Verständigung II könnte man auch "Maßnahmen mit dem Gut Wohnen" fassen. Das zu entwickelnde Produkt Förder-Immorente steht daher im Einklang mit der Verständigung II.

Voraussetzung für das Agieren des Förderinstitutes sind entsprechende Gesetze oder staatliche Richtlinien, die den Förderauftrag benennen und die Voraussetzungen definieren, die der Begünstigte erfüllen muss. Die Bank müsste daher auch ihre eigenen Grundlagen prüfen und gegebenenfalls eine entsprechende Richtlinie in Abstimmung mit dem Träger (Bund/Land) anpassen oder erarbeiten.

Die beihilferechtliche Prüfung in Bezug auf den Kunden erfolgt gemäß Art. 87 Abs. 1 EG-Vertrag. Demzufolge würde eine Beihilfe nur dann vorliegen, wenn die Zuwendung aus staatlichen Mitteln gewährt werden würde, sie an ein ausgewähltes Unternehmen ginge und diese Begünstigung zu einer Wettbewerbsverzerrung und Handelsbeeinträchtigung führen würde beziehungsweise könnte. Da bei der För-der-Immorente der oder die Begünstigte eine Privatperson ist, handelt es sich hierbei nicht um eine Beihilfe.

Förderergänzungen durch die Länder Sofern allein das Angebot dieses Produktes in den einzelnen Bundesländern nicht als hinreichend für ein Förderprodukt angesehen wird, bestehen diverse Möglichkeiten zur weiteren Anreicherung:

- Refinanzierung über die Soziale Wohnraumförderung (nicht Kapitalmarktmittel),

- Verbürgung des Immobilienwertentwicklungsrisikos gegenüber dem Kreditgeber (somit höhere Beleihbarkeit),

- Subventionierung beziehungsweise Übernahme des notwendigen Garantieentgeltes zur Absicherung des Langlebigkeitsrisikos,

- teilweise Subventionierung des Refinanzierungszinssatzes.

Bis zur Fertigstellung der kompletten Produktdokumentation werden noch ein paar Wochen benötigt. Danach werden die Ergebnisse in vielfältiger Form der Öffentlichkeit präsentiert. Die Dokumentation steht allen Förderbanken zur Verfügung.

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