Leitartikel

Unglückliche Hängepartie

Im Vergleich mit vielen anderen in- und ausländischen Kreditinstituten müssten die 434 deutschen Sparkassen eigentlich obenauf sein. Denn sie haben prinzipiell ein funktionierendes Geschäftsmodell, und mehr braucht man in diesen Zeiten nicht, um sich positiv von vielen Wettbewerbern abzuheben. Genau das haben die S-Primären im Herbst 2008 erkannt und an der Schärfung ihres Profils gearbeitet. Mit dem Hochgefühl des viel zitierten Vertrauensbonus im Zuge der Lehman-Pleite haben die Verbandsvorsteher und Landesobleute der Sparkassenvorstände ihren offensiven Vorschlag zur Neuordnung der Landesbanken mit einer Zielstruktur von drei Blöcken verbreitet. Zu Recht haben sie seither klar und offen den geordneten Rückzug aus überflüssigen Landesbankkapazitäten auf der Agenda.

Und aus dieser Position der Stärke heraus haben die S-Gremien Ende Januar des laufenden Jahres auch noch ihre strategische Ausrichtung neu justiert - und zwar in Richtung einer stärkeren Marktbearbeitung in der Region. Die Erweiterung der Steuerungsparameter über die Eigenkapitalrentabilität hinaus zu neuen Qualitätskriterien der Marktausschöpfung vor Ort unterstreicht ihre Suche nach einem unverwechselbaren, eigenständigen Auftritt. Der systematische Aufbau von Strukturen für ein professionelles Innovationsmanagement, neue Initiativen zum mobilen Vertrieb sowie eine erhöhte Kundenzufriedenheit durch "höchste Standards bei der Beratungsqualität" (siehe Beiträge in diesem Heft) sollen künftig ebenso selbstverständliche Ansatzpunkte der Neuausrichtung werden wie die Orientierung an den Besten innerhalb der eigenen Gruppe.

Von solcher Hochstimmung im Sparkassenlager ist einige Monate später nur noch wenig zu spüren. Im 125-jährigen Jubiläumsjahr ihres Spitzenverbandes hat sich die gute Laune aus dem Herbst 2008 schleichend verflüchtigt. Wenn zu den jetzt anstehenden Feierlichkeiten des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes an der Basis kein wirklicher Jubel und erst recht keine Aufbruchstimmung aufkommen will, liegt das an einem Gemisch aus diversen Widrigkeiten. Der DSGV als eigentlicher Jubilar ist dabei allem Eindruck nach nicht der Stein des Anstoßes. Die Basis lobt im Großen und Ganzen die Arbeit in Berlin. Und der Spitzenverband übt sich zu den Feierlichkeiten betont in Bescheidenheit und gefällt sich in seiner elementaren Rolle als nützlicher Dienstleister für die Primären. Zum Jubiläum stellt er den wirtschafts- und gesellschaftspolitischen Stellenwert der Sparkassen in den rund 200 Jahren ihres Bestehens heraus und darf dabei zu Recht auf deren Stabilität verweisen. In der Tat haben die Sparkassen ihre immer mal wieder auftretenden Problemfälle oder Schieflagen einzelner Schwesterinstitute in der Vergangenheit stets ausbügeln können, sei es mit Hilfe von Fusionen und/oder mit Unterstützung der Eigner sowie der gruppeneigenen Sicherungssysteme. Dass sich Schieflagen gruppenintern bereinigen lassen, haben sie etwa vor gut zehn Jahren mit gründlichen strategischen Korrekturen bei der damaligen Sparkasse Mannheim gezeigt, und das wollen sie auch heute mit der neuen geschäftspolitischen Weichenstellung bei der Sparkasse Köln-Bonn unter Beweis stellen.

Der Quell für die eher gedämpfte Lagebeurteilung und teilweise offenen Missmut bei vielen Sparkassen sind längst nicht nur die Nebenwirkungen der Wirtschaftskrise, sondern seit Frühjahr dieses Jahres die wieder mehr und mehr zur Hängepartie gewordene Neuordnung der Landesbanken. Unter beiden Vorzeichen hat nahezu jede S-Primäre an eigenen Schwierigkeiten zu tragen. Das fängt an bei der Ertragsentwicklung. Zwar dürfen die Sparkassen auch für die unbestritten schwierige Berichtsperiode 2008 ein Ergebnis nach Steuern von 1,3 Milliarden Euro vermelden. Doch im Vorjahr waren es eben 1,7 Milliarden Euro. Von der aktuellen Finanzkrise abkoppeln konnten sich die S-Primären jedenfalls nicht. Sie waren zwar vergleichsweise wenig von den Verwerfungen durch strukturierte Papiere und zunehmenden Volatilitäten durch die Marktbewertung tangiert. Aber auch sie wurden über die Folgewirkungen im Provisionsgeschäft und/oder über ihre Beteiligungen belastet. Vielerorts bewegen sich folglich die Ergebnisrückgänge im Bild der Gesamtentwicklung der Gruppe - minus ein Viertel also. Sich entsprechend der neuen Strategie mit weniger zufrieden zu geben oder in der Öffentlichkeitsarbeit selbstbewusst die neuen Qualitätskriterien herauszustellen, bedarf noch der Übung.

Viel schwerer als der offensive Umgang mit der Marktstrategie wiegt aber die ungewisse Zukunft der Landesbanken. Nach diversen Stützungsmaßnahmen durch den massiven Kapitaleinsatz der Landespolitik in den ersten Monaten 2009 ist die ursprünglich von den Verbandsvorstehern und Landesobleuten angepeilte Lösung aus drei Landesbanken erst einmal entrückt. Und aktuell kommt noch Störfeuer aus Brüssel hinzu, und es gibt verwirrende Äußerungen aus der Bundespolitik. All das sorgt für eine verhaltene Stimmung bei Sparkassen quer durch die ganze Republik: Das fängt an mit den Bewertungsabschlägen der bayerischen Sparkassen für ihre abgegebenen Anteile an der Bayern-LB. Es setzt sich fort mit der Abwehrhaltung der NRW-Primären zu weiteren Nachschusspflichten für ihre Landesbank und ihrem ständigen Gefühl einer Ungleichbehandlung gegenüber anderen S-Regionen. In Schleswig-Holstein zeigt es sich am ruppigen Umgangston zwischen Sparkassenseite, Landesbank und Landespolitik, mit dem im Mai der erforderliche Wertberichtigungsbedarf der dortigen Sparkassen für ihre HSH-Anteile auf 370 Millionen Euro taxiert wurde. Die Primären

in Baden-Württemberg artikulierten vor ihrer Teilnahme an der Kapitalerhöhung und Risikoabschirmung ihrer Beteiligung LBBW sehr vernehmbar ihren Unmut über ihre Belastungen durch deren ABS-Portfolio sowie durch unkalkulierbare Risiken des Volumens an Kreditersatzgeschäft. In Sachsen verdichten sich dieser Tage für das Land und seine Sparkassen die Anzeichen, dass der Bürgschafts- und Garantierahmen nach und nach in Anspruch genommen werden muss. Im Südwesten, sprich Rheinland-Pfalz und dem Saarland, lösen sich die kapitalmäßigen Bindungen der Sparkassen an die Landesbanken in Stuttgart und München. Und selbst in den landesbankpolitischen Komfortzonen rund um Nord-LB und Helaba, schwingt bei den Sparkassen die Sorge mit, von wichtigen strategischen Weichenstellungen abgeschnitten zu werden. Kurzum: Obwohl die Zeichen auf Sparkassenebene auf eine intensivierte Marktbearbeitung gestellt sind, überlagert die ungelöste Landesbankenkonsolidierung jeglichen Optimismus über die Zukunftsperspektiven. Erschwerend hinzu kommt bei allen Bankengruppen die Ungewissheit über die Robustheit bei der Bewältigung der Rezession.

Geschäftspolitische Befürchtungen betreffen insbesondere das Kreditgeschäft. Denn mit ihrer ausdrücklichen Verankerung in der Region, dem Bekenntnis zur kommunalen Bindung und der Mitverantwortung für die Finanzierung der lokalen Wirtschaft lauert in der momentanen Schwächephase die Gefahr hoher Wertberichtigungen auf die ausgereichten Kredite. Nicht zuletzt dank des in den letzten Jahren verfeinerten Mittelstandsratings der Gruppe (Beitrag in diesem Heft) geben sich die Sparkassen zuversichtlich, die Herausforderungen eines risikogerechten Kreditgeschäftes zu meistern. Die Zahlen der Bundesbankstatistik zeigen freilich bis in den April 2009 hinein den Volumina nach die Berechtigung dieser Befürchtungen. Denn die Sparkassen haben ihre Kreditvergabe an Unternehmen exakt mit Beginn der Finanzkrise sprunghaft ausgeweitet. Betrugen die Steigerungsraten der ausgereichten S-Kredite an inländische Unternehmen seit dem Jahre 2002 stets weniger als ein Prozent von Quartal zu Quartal - und dabei gab es auch immer wieder mal Rückgänge -, sind sie ab dem zweiten Quartal mit plus 1,3 Prozent sprunghaft angewachsen. Ab dem dritten Quartal 2007, also dem Beginn der Finanzmarktkrise, betrugen sie nie weniger als plus 1,6 Prozent. In der Spitze lag die Steigerungsrate im dritten Quartal 2008 gegenüber dem zweiten bei 3,4 Prozent, was gegenüber dem Vorjahreswert gar einen Anstieg um 10,4 Prozent bedeutet. Und auch in den ersten drei Monaten dieses Jahres stehen trotz düsterer Wirtschaftslage plus 2,0 Prozent zu Buche.

Im Vergleich zu den anderen Bankengruppen bedeutet das freilich keine Auffälligkeiten: Die Kreditgenossenschaften weisen in den beiden vergangenen Jahren ähnliche Steigerungsraten auf, ebenfalls mit der Spitze im dritten Quartal 2008. Und die Kreditbanken fallen mit massiven Unterschieden von Quartal zu Quartal auf. Neben Perioden mit einer sprunghaften Ausweitung der Kreditvergabe an inländische

Unternehmen (plus 11,0 Prozent im ersten Quartal 2007 und plus 10,5 Prozent im ersten Quartal 2008) wurde in dieser Bankengruppe das Kreditengagement im vierten Quartal 2008 um 1,7 Prozent zurückgefahren, um dann in den ersten drei Monaten 2009 wieder um 4,7 Prozent aufgestockt zu werden. Und auch die Landesbanken weisen einen ähnlichen Verlauf und vor allem ein annähernd vergleichbares Volumen auf. Eine deutliche Rückführung des Kreditgeschäftes lässt sich also bei den anderen großen Bankengruppen bisher nicht beobachten. Wer die Risikolage im Kreditgeschäft richtig eingeschätzt und bepreist hat, wird sich erst in den kommenden Jahren in der GuV-Rechnung zeigen.

Neben all diesen Befürchtungen um das Kreditgeschäft gibt es bei den Sparkassen auch hoffnungsvolle Perspektiven. Auf Basis der neuen S-Geschäftsstrategie, so lassen es etwa die Haspa und die Sparkasse Münsterland Ost anklingen (Beiträge in diesem Heft), könnte sich eine konstruktive Zukunftsgestaltung mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten einstellen. Sprich, je nach den Wettbewerbsverhältnissen vor Ort könnten die Sparkassen gezwungen sein, anders beziehungsweise schneller auf neue Marktentwicklungen zu reagieren und innerhalb des vorgegebenen Rahmens neue geschäftspolitische Wege zu gehen, sei es in der Produkt- oder der Vertriebspolitik. Insofern kann die modifizierte Marktbearbeitung Spielräume eröffnen. Gewahrt bleiben muss freilich die Sparkassenidentität und eine Mindestqualität.

Über Deutschland hinaus weisen die Ergebnisse der Europawahl einmal mehr auf eine Grundstimmung der europäischen Bevölkerung hin, nationale Eigenheiten wahren und allzu starke Gleichmacherei aus Brüssel vermeiden zu wollen. Vielleicht stärkt das ja auch die Position der Sparkassen in ihrer besonderen Verantwortung für die Region und dämpft ein wenig die Stimmen aus der EU-Politik, die sich wieder einmal am deutschen Drei-Säulen-System reiben. Mo.

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