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Unternehmensfinanzierung unter veränderten Rahmenbedingungen

Wer die Wirtschaftspresse der vergangenen Wochen auf Schlüsselwörter untersucht, wird vermutlich feststellen, dass die "Kreditklemme" gegenwärtig eine Renaissance erfährt. Bankenverbände warnen vor ihr und Unternehmensverbände befürchten sie. Die Wirtschaftspolitik wird mitunter dringend zum Handeln aufgerufen.

Kreditklemme derzeit nicht erkennbar

Wer hingegen die aktuellen Fakten in Deutschland untersucht, wird eine stabile Unternehmensfinanzierung und eine Kreditvergabe mit konstantem Neugeschäft feststellen. Auch die Kreditvergabebedingungen zeigen eine positive Entwicklung. Nach der regelmäßigen Umfrage des Ifo-Instituts berichtete im November 2011 lediglich ein Viertel der Unternehmen von einer "restriktiven" Kreditvergabe. Dagegen waren es mitten in der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 noch die Hälfte der befragten Unternehmen. Belastbare Hinweise darauf, dass die Unternehmensfinanzierung auf eine Kreditklemme zusteuert, sind derzeit nicht erkennbar.

Richtig aber ist, dass sich die Rahmenbedingungen für die Unternehmensfinanzierung erheblich verändert haben und sich weiter verändern werden. Hier besteht tatsächlich Handlungsbedarf für die Wirtschaftspolitik. Sie behält die Rahmenbedingungen im Auge und gestaltet sie, damit die stabile Kreditversorgung der Unternehmen gewährleistet bleibt.

Aus der Statistik der Unternehmensabschlüsse geht hervor, dass die Unternehmen ihre Einnahmen 2010 im Zuge der schnellen konjunkturellen Besserung wesentlich erhöhen konnten. Auf der Kostenseite bestanden dämpfende Einflüsse, etwa bei den Personalkosten. Damit verbesserten sich die Möglichkeiten, Fremdkapital abzulösen und Investitionsmittel aus Gewinnen zu generieren. Kapitalgesellschaften konnten, verglichen mit dem Vorjahr, zusätzliche Eigenkapitalquellen erschließen.

Die Verwendung von Eigen- und Fremdkapital in den Unternehmen hat sich in den letzten fünf Jahren verändert. Während es mittelständischen Unternehmen früher im Wesentlichen um Sachinvestitionen ging, verwenden die größeren mittelständischen Unternehmen ihr Kapital heute zunehmend für die Erschließung ausländischer Märkte, für den Ausbau ihrer Produktpalette sowie für Forschung und Entwicklung. Dabei handelt es sich oft um komplexe und langfristige Investitionen, die Finanzierungssicherheit über längere Zeiträume erfordern. Für eine zunehmende Anzahl dieser Unternehmen gewinnt deshalb auch die Frage an Bedeutung, welche Alternativen zum Bankkredit bestehen und wie viel Eigenkapital gebraucht wird, um neue Fremdkapitalquellen zu erschließen.

Schärfere Anforderungen an Bonität und Solvabilität der Unternehmen

Die Kapitalgeber ihrerseits sehen sich ebenfalls neuen Herausforderungen gegenüber. Sie erhöhen ihre Anforderungen an Bonität und Solvabilität der Unternehmen und verlangen möglicherweise zusätzliche Kreditsicherheiten. Das wiederum verändert auf Unternehmensseite die Kostenstruktur der Fremdfinanzierung. Es ist deshalb nur folgerichtig, wenn Unternehmen versuchen, ihre Finanzierungsstruktur durch den Einsatz neuer Instrumente zu optimieren. Banken- und Unternehmensverbände beobachten die Tendenz, dass größere mittelständische Unternehmen zunehmend versuchen, am Kapitalmarkt Anleihen aufzunehmen. Anleihen haben den Vorteil einer wesentlich breiteren Investorenbasis. Nicht nur Banken, sondern auch andere institutionelle Investoren kommen als Gläubiger in Betracht.

Das Umlaufvolumen aller Unternehmensanleihen beträgt mit 270 Milliarden Euro gegenwärtig etwa ein Viertel des Kreditbestandes. Davon halten die Banken etwa 90 Milliarden Euro. Mittelstandsanleihen sind darin nur zu einem Bruchteil enthalten. Doch die Wertpapierbörsen haben die Mittelstandsanleihe bereits als Geschäftsfeld erkannt. Mehrere Börsen, etwa die Börsen Hamburg-Hannover und Düsseldorf, haben Handelsplattformen eigens für Mittelstandsanleihen eingerichtet. Exzellente Bonität ist ein wichtiges Kriterium für den Erfolg einer Mittelstandsanleihe, damit zwischen Emittent und Investor eine Vertrauensbasis wachsen kann.

Anleihen sind für Investoren vor allem dann interessant, wenn die Emissionen ein Mindestvolumen haben und von Unternehmen oberhalb einer Mindestgröße begeben werden. Eine stabile Fremdfinanzierung über den Kapitalmarkt setzt Umsatzvolumina von zwei bis drei Milliarden Euro voraus. Das erfüllen in Deutschland einige Hundert Unternehmen. Die knapp 10000 Unternehmen des gehobenen Mittelstandes mit einem Umsatzvolumen über 50 Millionen Euro haben nur eingeschränkt Zugang zu Kapitalmarktprodukten.

Klassischer Bankkredit als zentrale Säule der Fremdfinanzierung

Deshalb wird der klassische Bankkredit für den weit überwiegenden Teil der 3,6 Millionen Unternehmen in Deutschland die zentrale Säule der Fremdfinanzierung bleiben. Kredite an Unternehmen und Selbstständige bilden bei den Sparkassen etwa 30Prozent des Geschäftsvolumens, bei den Großbanken sind es stabil knapp zehn Prozent. Der Kreditbestand aller Banken ist größer als 1[000] Milliarden Euro.

Die beste Grundlage für eine Fremdkapitalfinanzierung - ganz gleich aus welcher Quelle - ist die Ausstattung mit Eigenkapital. Die Eigentümer mittelständischer Unternehmen, besonders die familiengeführten Unternehmen, suchen allerdings vor allem Eigenkapitalgeber, die auf Mitspracherechte verzichten. Sie bevorzugen oftmals Minderheitsbeteiligungen, stille Einlagen und hybride Kapitalinstrumente, die die Vorteile von Fremd- und von Eigenkapitalinstrumenten kombinieren. Der Markt für hybride Kapitalinstrumente ist in Deutschland allerdings noch wenig entwickelt.

Die Wirtschaftspolitik hat hier vor allem die Aufgabe, für günstige gesetzliche Rahmenbedingungen zu sorgen. Im Steuerrecht etwa ist darauf zu achten, dass die sich entwickelnden Kapitalformen nicht benachteiligt werden. Steuerliche Maßnahmen sind ein zentrales Thema des Innovationsdialogs, bei dem es auf der Aprilsitzung 2011 zwischen Bundesregierung, Wirtschaft und Wissenschaft um die "Finanzierung innovativer Unternehmensgründungen" ging. Auch das Gesellschaftsrecht muss ständig angepasst werden, wie die gerade auf den Weg gebrachte Novelle des Aktiengesetzes zeigt.

Die Bereitstellung von Finanzierungen ist grundsätzlich eine Aufgabe der Banken und Finanzinstitute. Wo der Markt allerdings versagt oder bei unzureichenden Marktergebnissen - etwa in der Finanzierung von Gründungen und von außergewöhnlichen Innovationen - kann der Staat stützend und lenkend tätig werden. Innovationsvorhaben dieser Art sind nicht nur mit den üblichen betriebswirtschaftlichen Risiken verbunden. Ihre langfristigen Erfolgschancen sind mitunter schwierig abzuschätzen und die Profitabilität kann sich erheblich verzögern. Doch gerade Gründungen und Innovationen haben eine hohe volkswirtschaftliche Bedeutung. Hier kann die Wirtschaftspolitik helfen, Lücken in den Finanzierungsangeboten des Marktes zu überbrücken. Das geschieht sowohl durch Kredite, deren Ausfallrisiko teilweise vom Bund übernommen wird, als auch durch das Angebot von Beteiligungskapital etwa über den ERP-Startfonds.

Veränderte Rahmenbedingungen auch für Banken

Obgleich sich Alternativen zum Bankkredit entwickeln, sind die Banken noch immer die Hauptquelle der Unternehmensfinanzierung in Deutschland. Während in den USA die Unternehmen üblicherweise etwa nur ein Fünftel des Fremdkapitals als Bankkredit aufnehmen, sind es in Deutschland mehr als zwei Drittel. So hat bei uns die Bankenregulierung erheblichen Einfluss auf die Unternehmensfinanzierung - und diese verändert sich jetzt durch ein gutes Dutzend Gesetzesänderungen, die auf europäischer und nationaler Ebene 2011 angestoßen und vorangetrieben wurden.

Die vermutlich wichtigsten Veränderungen ergeben sich aus den verschärften Anforderungen an Eigenkapital und Liquidität der Banken (Basel III). Die Banken werden in den kommenden Jahren unter anderem stufenweise dazu verpflichtet, ihre Eigenkapitalbasis erheblich zu festigen, vermehrt leicht liquidierbare Aktiva vorzuhalten und ihren Fremdkapitalanteil zu beschränken. Auch die Fristentransformation wird strengeren Regeln unterworfen. Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis, dass dadurch Kredite teurer und knapper werden könnten. Für eine typische Universalbank könnte die zentrale Gewinnkennziffer Return-on-Equity bis zu einem Prozentpunkt verlieren, möglicherweise auch mehr.

Optimierung unter Kostendruck

Unter diesem Kostendruck werden die Banken den Einsatz von Eigenkapital und Liquidität sowie ihr gesamtes Geschäft zu optimieren suchen. Zu erwarten ist, dass die Banken alle Möglichkeiten in Betracht ziehen werden, Risiken aus ihren Bilanzen auszulagern. Sie werden Beteiligungen optimieren, ihre Refinanzierung stabiler und kostengünstiger gestalten, Risikoverflechtungen reduzieren, ihre inneren Prozesse verbessern und anderes mehr. Sie werden die Bonität und die Kreditsicherheiten ihrer Kunden genauer analysieren und vielleicht die Struktur ihrer Fristentransformation verändern. Möglicherweise werden einige Banken sogar ihre Geschäftsbereiche neu strukturieren und die Bilanzen verkürzen müssen.

Vertrauen in den Bankensektor stärken

Im Zuge dessen ist zu erwarten, dass die Finanzierungsvorhaben zwischen Banken und Unternehmen innerhalb eines engeren Kostenrahmens ausgehandelt werden. Letztlich wird der vermehrte Kostendruck die Effizienz im Bankgeschäft verbessern und den Strukturwandel im Bankensektor unterstützen. Die Unternehmen ihrerseits stehen vor der Aufgabe, ihre Finanzierungsstruktur zu optimieren und neues Eigenkapital zu akquirieren. Sie werden die Kosten und Risiken ihrer Investitionsvorhaben genauer offenlegen und prüfen müssen. Die Gefahr einer Kreditklemme kann aus solchen Anpassungsprozessen nicht unmittelbar abgeleitet werden.

Die Eurostaaten haben am 26. Oktober 2011 beschlossen, von den Banken eine Kernkapitalquote - der Quotient aus dem Eigenkapital höchster Haftungsqualität und der risikogewichteten Summe aller Aktiva - von neun Prozent zu fordern, die bis zum Juni 2012 zu erreichen ist. Diese Anforderung übersteigt erheblich die jetzt geltenden und die nach den Baseler Beschlüssen künftig geltenden Eigenkapitalanforderungen. Außerdem sind die Banken aufgefordert, ebenfalls bis zum Juni 2012 einen Kernkapitalpuffer zu bilden, der die Marktwertverluste von EWR-Staatsanleihen auffangen kann.

Das zusätzliche Kapital soll den Märkten zeigen, dass die Banken auch in schwierigen Situationen widerstandsfähig sind. Damit wird das Vertrauen in den Bankensektor gestärkt. Ohne ein solches Vertrauen ist ein stabiler Wirtschaftskreislauf nicht denkbar. Auch die Unternehmen sind auf ein stabiles Finanzsystem angewiesen, damit private Ersparnisse in profitable Investitionen umgelenkt werden können.

Banken gut aufgestellt

Die Voraussetzungen dafür, dass die Banken sich den neuen Anforderungen gewachsen zeigen, sind derzeit gut. Im aktuellen Finanzstabilitätsbericht der Bundesbank wird eingeschätzt, dass das deutsche Finanzsystem seit 2009 widerstandsfähiger geworden ist. Die Ertragslage der großen deutschen Banken ist seit dem Frühjahr 2009 stabil. Ihr Zinsüberschuss in Relation zur Bilanzsumme etwa lag im zweiten Quartal 2011 mit 0,83 Prozent deutlich über dem langjährigen Durchschnitt. Zudem konnten die Banken ihre Risikovorsorge weiter abbauen. Der Verschuldungsgrad der großen Banken, gemessen an der Bilanzsumme im Verhältnis zum Kernkapital, ist bis zur Jahresmitte 2011 auf einen durchschnittlichen Wert von 33 gefallen. Zugleich haben die Banken ihre Eigenkapitalausstattung erhöht. Die durchschnittliche Kernkapitalquote der großen deutschen Banken ist auf 13,1 Prozent (gerechnet nach Basel II) angestiegen. Im Frühjahr 2008 betrug der Verschuldungsgrad noch 43 und die Kernkapitalquote 8,3 Prozent. Viele dieser Banken haben zudem die Haftungsqualität ihres Kernkapitals verbessert.

Aufgabe der Wirtschaftspolitik ist es, bei der europäischen Gesetzgebung die deutschen Interessen zu vertreten und die Umsetzung neuer Regeln in die wirtschaftliche Praxis zu begleiten. Auch müssen unerwünschte Marktwirkungen verhindert werden, also etwa eine Kreditklemme oder die Insolvenz einer systemrelevanten Bank. In Brüssel konnte die Bundesregierung bereits erreichen, dass die für deutsche Banken typischen stillen Einlagen unter Basel III als hartes Kernkapital anerkannt werden. Auch werden die Liquiditätsanforderungen erst nach einer detaillierten Beurteilung der Auswirkungen konkretisiert.

Die Bundesregierung hat zudem ein zweites Finanzmarktstabilisierungsgesetz auf den Weg gebracht. Wenn eine Bank ihren zusätzlichen Kapitalbedarf nicht am Markt zu decken vermag, kann sie über den neu eröffneten Finanzmarktstabilisierungsfonds SoFFin staatliche Garantien und direkte Kapitalhilfen in Anspruch nehmen. Dort werden entsprechend dem Regierungsentwurf 400 Milliarden Euro Garantien zur Refinanzierung und 80 Milliarden Euro Kapitalhilfen bereitstehen.

Bei der Neuöffnung des SoFFin standen für den Bundeswirtschaftsminister zwei Maßgaben im Vordergrund: Das Hilfsangebot sollte auf ein Jahr befristet gelten, und es sollte den Banken freigestellt werden, das Angebot anzunehmen. Zwangsmaßnahmen sind hier fehl am Platz. Jede vernünftig wirtschaftende Bank wird das Angebot annehmen, wenn es für die Tragfähigkeit des Instituts notwendig werden sollte. Befristung und Freiwilligkeit wurden deshalb im Regierungsentwurf festgeschrieben.

Stabile Kreditversorgung sichern

Darauf zu achten, dass die Unternehmensfinanzierung gesichert bleibt, ist ein wichtiges Anliegen sowohl des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie als auch der Europäischen Kommission. Die Bundesregierung hat deshalb auch eine eigene Studie in Auftrag gegeben, deren Ergebnisse in Kürze vorliegen werden.

Korrekturmaßnahmen könnten dann nötig werden, wenn sich im Kreditgeschäft tatsächlich eine Angebotsschwäche abzeichnet. Die Baseler Beschlüsse folgen dem Prinzip, die Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen an den Risiken der einzelnen Bilanzaktiva zu orientieren. Ob das Geschäftsmodell einer Bank konservativ oder risikofreudig ist, kommt aber nicht nur in Bilanzpositionen zum Ausdruck, sondern auch in der Eigentümerstruktur. Es kann aus Sicht der Bundesregierung durchaus sinnvoll sein, das Geschäftsmodell regionaler Mittelstandsbanken zu unterstützen, indem die Eigenkapitalanforderungen für Mittelstandskredite gelockert werden. Die Kommission hat bereits angekündigt, diese Option zu prüfen. Die Bundesregierung wird sich auch an dieser Stelle für eine leistungsfähige und stabile Unternehmensfinanzierung einsetzen.

Die Stabilisierung von Banken und Finanzmärkten ist kein Selbstzweck, sondern dient dazu, das Vertrauen in die Sicherheit von Finanzanlagen zu erhalten. Ohne ein solches Vertrauen ist ein stabiler Wirtschaftskreislauf nicht denkbar. Auch die Unternehmen sind auf ein stabiles Finanzsystem angewiesen.

Unternehmen und Banken haben ihre Widerstandsfähigkeit in den vergangenen zwei Jahren erheblich verbessern können. Es bestehen somit gute Voraussetzungen dafür, "dass die [...] benötigten Finanzmittel bereitgestellt werden, selbst wenn die Finanzierungsmöglichkeiten ungünstiger werden", wie es im Monatsbericht Dezember der Bundesbank heißt. Flankiert durch wirtschaftspolitische Maßnahmen auf beiden Seiten, wird die Unternehmensfinanzierung auch unter veränderten Rahmenbedingungen gesichert bleiben.

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