BDI und BCG fordern Investitionen von 860 Milliarden Euro für Klimaschutz

Siegfried Russwurm, Quelle: BDI

Deutschland steht in Sachen Klimaschutz vor einem gewaltigen Kraftakt und gleichzeitig vor einer historischen Chance: Um die Klimaschutzziele bis 2045 zu erreichen, sind Mehrinvestitionen in Billionenhöhe und schon für das Etappenziel bis 2030 Investitionen von rund 860 Milliarden Euro erforderlich. Das geht aus der gemeinsamen Studie „Klimapfade 2.0“ des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI) und der Strategieberatung Boston Consulting Group (BCG) hervor. Die Kooperationspartner präsentieren damit eine detaillierte Machbarkeitsstudie, wie sich auf nationaler Ebene in den vier Sektoren Industrie, Verkehr, Gebäude und Energiewirtschaft die ehrgeizigen Klimaschutzziele einer Reduktion der Treibhausgase um minus 65 Prozent bis 2030 und Treibhausgasneutralität im Jahr 2045 erreichen lassen.

„Deutschland steht vor der größten Transformation in der Geschichte der Bundesrepublik. Das Ziel Treibhausgasneutralität bis 2045 ist extrem ambitioniert. Die Umsetzung der benötigten Klimaschutzmaßnahmen erfordert allein bis 2030 Mehrinvestitionen von etwa 100 Milliarden Euro pro Jahr“, sagte BDI-Präsident Siegfried Russwurm bei der Vorstellung der Studie in Berlin.

„Uns läuft die Zeit davon; politische Grundsatzentscheidungen zur Umsetzung der Klimaziele sind überfällig. Deutschland braucht jetzt einen großen Aufbruch mit einem historischen und schnellen Wirtschaftsprogramm für die Zukunft des Standortes“, ergänzt er.

Analysen von BCG zeigen: Für die kommende Bundesregierung heißt es, umzusteuern und schnell Impulse für einen Investitionsturbo zu setzen – insbesondere für einen massiven Aus- und Neubau von Strom-, Wasserstoff- und Ladeinfrastrukturen, für die Erzeugung erneuerbaren Stromes und Wärme, für Elektromobilität und Schienennetze. Dabei stehen nicht ausschließlich monetäre Aspekte im Vordergrund, sondern auch die schnelle Umsetzung, zum Beispiel durch deutlich straffere Planungs- und Genehmigungsverfahren. Gleichzeitig müssen auf dem Weg zur Treibhausgasneutralität 2045 die Weichen für neue internationale Energiepartnerschaften für den Import grüner Energieträger gestellt werden, ebenso wie für signifikante CO2-Senken.

„Einfache Antworten greifen angesichts der komplexen Transformationsaufgabe zu kurz“, sagte Patrick Herhold, verantwortlicher BCG-Partner und Co-Autor der Studie. „Deutschland braucht so schnell wie möglich einen breiten Instrumentenmix mit übergreifenden und sektorspezifischen Maßnahmen, um zügig Infrastruktur aufzubauen, fossile Brennstoffe zu verteuern, erneuerbare Technologien günstiger und die Kosten für Bürgerinnen und Bürger sowie Unternehmen tragbar zu machen. Nur so kann die Transformation zu einem klimaneutralen Land gelingen.“

Die Studie zeigt auf, dass die staatliche Unterstützung der Transformation und der Ausgleich für besonders belastete private Haushalte und Unternehmen bis 2030 bis zu 280 Milliarden Euro netto in Anspruch nehmen werden – nach Abzug der Einnahmen aus einer höheren CO2-Bepreisung.

Umfang, Geschwindigkeit und Dauer sowie die faire Verteilung der Kosten und Lasten der Klimatransformation erfordern eine breite und dauerhafte Legitimierung in der Bevölkerung. „Zur Erreichung der deutschen Ziele müssen viele Veränderungen extrem kurzfristig passieren. Deutschland ist aktuell weder regulatorisch noch gesellschaftlich auf die enorme Geschwindigkeit der Transformation vorbereitet, die nun vor uns liegt“, so Herhold.

In der Industrie sind schon bis 2030 rund 50 Milliarden Euro Investitionen für die bis dahin mögliche teilweise Umstellung zentraler Produktionsprozesse (Stahl, Chemie, Zement und Kalk) notwendig. Energieintensive Unternehmen stehen bei der Modernisierung ihrer Produktionskapazitäten vor der extremen Herausforderung, mittelfristig deutlich höhere Betriebskosten für CO2-arme Produktionsverfahren und CO2-freie Energieträger finanzieren zu müssen. Zugleich wird im Jahr 2030 der Strombedarf in der Industrie durch die Elektrifizierung industrieller Wärmeprozesse um 63 Terawattstunden steigen. Das ist mehr als der heutige Strombedarf der Schweiz pro Jahr. Dieser Trend wird sich bis 2045 noch verstärken.

„Die Politik muss die Unternehmen auf dem Weg in die Treibhausgasneutralität mit diversen Maßnahmen unterstützen, die erneuerbare Energien und ihre Nutzung deutlich günstiger machen, als sie es heute sind“, sagte der BDI-Präsident. Dazu zählten die Entlastung der Strompreise für industrielle Wärmeprozesse von Umlagen und Steuern sowie für energieintensive Unternehmen die Beibehaltung bestehender Entlastungsregeln und die Sicherstellung international wettbewerbsfähiger Energiekosten, auch durch gezielte Betriebskostenförderung für CO2-freie Energieträger.

Die Studie „Klimapfade 2.0“ benennt die technischen und politischen Wege, mit denen das Industrieland Deutschland seine nationalen Sektorziele für 2030 erreichen kann. Dabei werden die nach heutigem Wissensstand volkswirtschaftlich kostengünstigsten Maßnahmen beschrieben. Mehr als 150 Expertinnen und Experten von BDI, BCG sowie aus rund 80 Unternehmen und Industrieverbänden waren von März bis Oktober 2021 eingebunden.

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