Rechtsfragen

Baufinanzierung: Verbraucherschutz durch ewiges Widerrufsrecht?

Bild 20

Das "ewige Widerrufsrecht" für Realkreditverträge aus den Jahren 2002 bis 2010 stößt an die Grenzen des Rechtsmissbrauchs, so Christiane Strahl. Grund für das Widerrufsrecht sei schließlich der Schutz vor Übereilung. Bei Immobilienfinanzierungen sei aber ein spontaner Abschluss kaum möglich. Wenn Verträge über Jahre hin durchgehalten würden, entstehe dadurch ein schutzwürdiges Vertrauen der Kreditinstitute darauf, dass der Kunde von seinem Widerrufsrecht keinen Gebrauch mehr macht. Ein Widerruf noch nach Jahren, um sich günstigere Konditionen zu sichern, sei vielmehr eine Ausnutzung von Formfehlern zur Verfolgung vertragsfremder Zwecke. Einem solchen Rechtsverständnis dürfe die Rechtsprechung keinen Raum geben. Red.

Kreditinstitute sehen sich seit einigen Jahren einer Widerrufswelle von Realkreditverträgen, insbesondere aus den Jahren 2002 bis 2010 gegenüber, weil sich Verbraucher mittels ihres Widerrufsrechts gemäß §§ 491, 495 BGB von ihren Altverträgen lösen wollen. Vorherrschendes Motiv für den Widerruf ist dabei nicht die späte Erkenntnis in Bedeutung und Tragweite des Realkredits. Vielmehr scheint es, dass Kreditnehmer angesichts des derzeit historisch niedrigen Zinsniveaus ihre bestehenden Kreditverträge mit vergleichsweise hohen Zinsen ohne die sonst bei Kündigung anfallende Vorfälligkeitsentschädigung gegen neue Verträge zu aktuellen, günstigeren Zinskonditionen eintauschen möchten.

Hauptursache: fehlerhaftes Muster des Verordnungsgebers

Verbraucher nutzen mit dem Widerruf einen Rechtsbehelf der ihnen, rein formal gesehen, zusteht. Gleichwohl lassen sich gerade in den typischen Fallkonstellationen, in denen der Kredit zur Finanzierung eines Immobiliengeschäfts gewährt wurde (sogenannter Realkredit), zahlreiche Argumente gegen ein rein formal begründetes Widerrufsrecht anführen. Die höchstrichterliche Aufarbeitung dieser Widerrufsfälle steht noch am Anfang1) und darf mit Spannung erwartet werden.

Fakt ist, dass unzählige Widerrufsbelehrungen, insbesondere in zwischen 2002 und 2010 geschlossenen Verbraucherrealkreditverträgen formal nicht vollumfänglich den jeweiligen gesetzlichen Anforderungen genügten. Wesentliche Ursache hierfür war ein vom Verordnungsgeber zur Verfügung gestelltes fehlerhaftes Muster der Anlage 2 zu § 14 BGB InfoV vom 5. August 2002, das von den Kreditinstituten bis zur höchstrichterlichen Klärung im Jahr 2012 verwendet wurde.

Erst mit Urteil vom 15. Dezember 20122) sorgte der BGH für Rechtsklarheit bezüglich der Verwendung des Mustertextes.3) Dass es selbst dem Verordnungsgeber in einem ersten Anlauf nicht gelang, eine fehlerfreie Musterwiderrufsbelehrung zu erstellen, verdeutlicht die Schwierigkeiten, die die Erfüllung der gesetzlichen Informationspflichten in diesem Bereich mit sich bringt.

"Ewigkeitsrecht" stößt an die Grenzen des Rechtsmissbrauchs

Dogmatischer Ausgangspunkt für die Bejahung eines Widerrufsrechts ist, dass die Widerrufsfrist erst und nur mit ordnungsgemäßer Belehrung zu laufen beginnt, also bei nicht ordnungsgemäßer Belehrung keine Frist läuft. Zu hinterfragen ist allerdings der daraus abgeleitete Schluss, dass damit ein über Jahre vollzogener Kreditvertrag stets jederzeit widerrufen werden kann.

Ein solches "Ewigkeitsrecht" für Realkreditnehmer stößt an die Grenzen der Verwirkung und des Rechtsmissbrauchs, die auch für Gestaltungsrechte wie das Widerrufsrecht gelten4) . In die Abwägung der sich gegenüberstehenden Rechtspositionen sind dabei die besonderen Umstände eines Realkredits beziehungsweise von Verbrauchergeschäften zur Immobilienfinanzierung einzubeziehen. Diese Besonderheiten werden bislang in der Diskussion vernachlässigt und sollen hier näher analysiert werden.

Rahmenbedingungen lassen keinen spontanen Abschluss zu

Sinn und Zweck des Widerrufsrechts ist der Schutz des unkundigen Verbrauchers vor Übereilung.5) Die Notwendigkeit wird bei Verbraucherdarlehen ganz generell aus dem vergleichsweise komplexen Vertragsgegenstand und seiner wirtschaftlichen Bedeutung für den Kreditnehmer abgeleitet. Dem Verbraucher soll mit dem Widerrufsrecht die Möglichkeit eröffnet werden, während einer Bedenkzeit den Kreditvertrag wieder zu beseitigen.

Diese Erwägungen sind grundsätzlich nachvollziehbar. Bei einem Realkredit erscheint das Schutzbedürfnis des Kreditnehmers allerdings in einem etwas anderen Licht, vor allem in der typischen Fallkonstellation des Immobilienerwerbs. Denn der Finanzierung eines Immobilienkaufs gehen regelmäßig folgende Schritte voraus oder begleiten diese:

- der Verbraucher wählt eine geeignete Immobilie beziehungsweise plant das jeweilige Immobiliengeschäft und sucht zur Finanzierung einen Kreditgeber;

- es wird ein Immobilienkaufvertrag verhandelt und notariell beurkundet; es findet eine Immobilienbewertung durch den Kreditgeber statt;

- der Kreditgeber legt zusammen mit dem Kreditnehmer den Eigenkapital- und Fremdkapitalanteil und die möglichen monatlichen/jährlichen Zins- und Tilgungsleistungen auf das Darlehen fest;

- schließlich werden zur Besicherung des Kredits Grundpfandrechte notariell bestellt, in der Regel Grundschulden.

Die wirtschaftlichen und rechtlichen Rahmenbedingungen von Immobilienkauf und Finanzierung sind eng aufeinander abgestimmt. Die typische enge Verbindung zwischen Kreditvertrag und den verschiedenen immobilienbezogenen Rechtshandlungen (Erwerb und Grundpfandrechtsbestellung) mit den zahlreichen, notwendigen rechtlichen Schritten lassen keinen spontanen, unüberlegten Abschluss eines Kreditvertrags zu. Vielmehr ermöglichen sie oder bedingen sogar ein erneutes Nachdenken über das Ob und den Umfang der Finanzierung.

Hinzu kommt, dass auch das Beurkundungserfordernis sowohl hinsichtlich des Immobilienkaufvertrags als auch der Grundpfandrechtsbestellung nicht nur einen zusätzlichen Übereilungsschutz bewirkt, sondern auch der weiteren Beratung, Warnung und Aufklärung dient. Aus § 17 BeurkG folgt, dass der Notar den Willen der Beteiligten zu erforschen, den Sachverhalt zu klären und die Beteiligten über die Tragweite des Geschäfts zu belehren hat. Die Finanzierung bildet einen Teil des Immobilienkaufpreises ab. Sie ist daher von der notariellen Belehrung, Aufklärung und Warnung umfasst.

Ausreichende Bedenkzeit

Vor diesem Hintergrund kann man regelmäßig davon ausgehen, dass die Kreditnehmer tatsächlich ausreichend Bedenkzeit hatten und weder in dieser noch in der bei formell ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung begründeten Bedenkzeit, die Absicht hatten, den Kreditvertrag zu widerrufen.

Hinzu kommt, dass in den hier relevanten Fällen ja eine Belehrung über den Widerruf faktisch stattfand, diese nur formal als unzureichend und deshalb als nicht erfolgt angesehen wird.

Es ist ferner anzunehmen, dass die Kreditnehmer in den typischen Konstellationen der Immobilienfinanzierung auf den Realkredit angewiesen sind und ohne ihn den Immobilienkaufvertrag nicht abschließen würden. Angesichts dessen, dass regelmäßig im Vorfeld der Kreditaufnahme der Eigenkapitalanteil sowie die Tilgungsraten festgelegt werden, bestand Anlass und bis zum Abschluss des Kreditvertrags regelmäßig auch ausreichend Gelegenheit, die Darlehenskonditionen zu überdenken.

Führt man sich vor Augen, dass der mit der Verwirkung eines Rechts beschriebene Verstoß gegen Treu und Glauben in der illoyalen Verspätung der Rechtsausübung liegt, sollten folgende weitere Umstände in die Wertung einfließen: In der ganz überwiegenden Anzahl der Realverbraucherkreditverträge wurde der Kredit ausbezahlt (also auch vom Kreditnehmer angenommen und verwendet) und der Vertrag im Weiteren vom Kreditnehmer durchgeführt, das heißt Zins und Tilgung vertragsgemäß geleistet. Erfolgt dies über viele Jahre ohne Beanstandungen, lässt dies den Schluss zu, dass der Kreditnehmer sich nicht von den Konditionen des Kreditvertrags lösen, sondern diese beibehalten will.

Schutzwürdiges Vertrauen der Kreditinstitute

Dieses Verhalten und der Umstand, dass der Kreditnehmer das Geschäft überlegt im Rahmen eines längeren, aus mehreren Schritten bestehenden Prozesses abgeschlossen hat, begründet ein schutzwürdiges Vertrauen der Kreditinstitute darauf, dass der Kreditnehmer von einem etwa gegebenen Widerrufsrecht keinen Gebrauch mehr macht.

Das Argument, keine Kenntnis von der Möglichkeit eines Widerrufs gehabt zu haben, ist den betroffenen Verbraucherkreditnehmern in den hier relevanten Fällen verwehrt. Denn auch formal nicht den Anforderungen entsprechende Widerrufsbelehrungen sind in aller Regel dennoch geeignet, den Verbraucher über das grundsätzliche Bestehen eines Widerrufsrechts sowie über die Tatsache, dass dieses nicht zeitlich unbegrenzt besteht, in Kenntnis zu setzen. Trotz dieser Kenntnis erfolgt in der absolut überwiegenden Zahl der Fälle zeitnah zum Abschluss eines Realkreditvertrags und solange das Zinsniveau sich nicht zugunsten des Verbrauchers ändert, kein Widerruf.

Vor dem Hintergrund der erfolgten Belehrungen lässt sich ein schutzwürdiges Vertrauen der Kreditinstitute auch nicht verneinen. Es kann unter diesen Umständen nicht davon ausgegangen werden, die Kreditinstitute hätten eine Untätigkeit in unredlicher Weise veranlasst.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der Erwägung, dass Kreditgebern grundsätzlich die Möglichkeit offen steht, Verbraucher durch Übersendung korrekter Widerrufsbelehrungen nachträglich zu belehren und damit die Widerrufsfrist unzweifelhaft in Gang zu setzen. Denn die beschriebenen besonderen Umstände begründeten ein schutzwürdiges Vertrauen, dass der Kreditnehmer keinen Gebrauch mehr machen würde von einem etwa gegebenen Widerrufsrecht. Es bestand somit keine Veranlassung zu einer erneuten Belehrung.6)

Vertragsfremde Zwecke verfolgt

Vielmehr drängt sich bei einer Gesamtschau all dieser Umstände auf, dass Verbraucherkreditnehmer mit einem wesentlich später erfolgenden Widerruf ausschließlich vertragsfremde Zwecke verfolgen, nämlich ein zwischenzeitlich günstigeres Marktumfeld ohne Zahlung einer Vorfälligkeitsentschädigung beziehungsweise wirtschaftliche Vorteile aus der Nutzungsentschädigung für geleistete Zahlungen nach Widerruf auszunutzen. Dies verdeutlichen insbesondere diejenigen Fälle, in denen der Verbraucher sich nach zehnjähriger Vertragslaufzeit für den Widerruf entscheidet und nicht für die Ausübung seines gesetzlichen Kündigungsrechtes nach § 489 Abs. 1 Ziffer 2 BGB.

Hier wird ganz offensichtlich unter Verstoß gegen Treu und Glauben Gebrauch gemacht von einer formalen Rechtsposition. Demgegenüber ist ein schutzwürdiges Interesse der Verbraucher an einem Widerruf des Kreditvertrags nicht erkennbar.

Begrenzung des Verbraucherschutzes verstößt nicht gegen Europarecht

Eine hier befürwortete, aus den Grundsätzen von Treu und Glauben abgeleitete Begrenzung des Verbraucherschutzes verstößt auch nicht gegen Europarecht. Der Vorrang des Europarechts vor dem nationalen Zivilrecht gilt nicht bei Kreditverträgen, die durch Grundverbindlichkeiten gesichert sind (vergleiche Richtlinie 2008/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2008 über Verbraucherkreditverträge und zur Aufhebung der Richtlinie 87/102/EWG des Rates, Präambel). Damit ist Raum für eine allein an nationalem Recht orientierte Bewertung der berührten Interessen.

Es bleibt zu hoffen, dass die Rechtsprechung einem Rechtsverständnis, bei dem der einen Seite Hürden bei der Erfüllung formaler Anforderungen auferlegt werden und der anderen Seite eine erleichterte Ausnutzung von Formfehlern zu vertragsfremden Zwecken ermöglicht wird, keinen Raum gibt.

Fußnoten

1) Zur Frage der Verwirkung zum Beispiel BGH NJW 2003, 2529; OLG Düsseldorf, NJW 2014, 1599; OLG Frankfurt a. M. Urt. v. 19.11.2014- 19 U 74/14 (BeckRS 2015, 09124); OLG Frankfurt a. M. Beschl. v. 10.03.2014- 17 W 11/14 (BeckRS 2015, 05107); LG Aachen Urt. v. 22.01.2015- 1 225/14,(BeckRS 2015, 07316); LG Frankfurt a. M. Urt. v. 22.11.2013- 2-25 O 192/13; LG Bonn Urt. v. 18.6.2014- 2 O 268/13 (BeckRS 2014, 19017)

2) BGHZ 194, 238 = NJW 2012, 3298

3) Siehe anschaulich Schnauder: Die Rückabwicklung eines Realkreditvertrags nach Verbraucherwiderruf (NJW 2015, 2689)

4) Staudinger/Looschelder/Olzen, BGB (2014), § 242 Rn. 3014

5) Palandt/Grüneberg, 75. Auflage 2016, § 355 Rn. 2

6) LG Frankfurt, Urteil vom 7. November 2014 - Az. 2-05 O 157/14

Zur Autorin

Christiane Strahl, Partnerin, Widenmayer Rechtsanwälte, München

Noch keine Bewertungen vorhanden


X