Auskunfteien

Transparente Scoring-Formeln haben wenig Nutzen für den Verbraucher

Dr. Gamal Moukabary, Gründer und CEO von bonify, Forteil GmbH, Berlin

Score-Formeln für die Bonitätsbewertung sind ein Geschäftsgeheimnis der jeweiligen Auskunfteien. Das hat der Bundesgerichthof entschieden. Zur Offenlegung zwingen kann man die Auskunfteien also nicht. Deshalb versucht es die Initiative "Open Schufa" durch die Hintertür und will anhand von "Datenspenden" die Schufa-Formel entschlüsseln. Die damit verbundenen Befürchtungen der Branche, damit würden Manipulationen Tür und Tor geöffnet, hält Gamal Moukabary für unbegründet. Er bezweifelt jedoch den Nutzen für Verbraucher, wenn die Gewichtung der (ohnehin bekannten) Faktoren bekannt wird. Wichtiger aus seiner Sicht ist die Aufmerksamkeit, die das Thema dadurch bekommt. Red.

Schon vor mehr als 500 Jahren begannen Kaufleute, Listen über die Zahlungszuverlässigkeit ihrer Geschäftspartner zu führen. Diese Entwicklung nahm im 16. Jahrhundert mit dem "Rat der Zehn" in der damaligen Handelshochburg Venedig seinen Anfang. Damals wurden unzuverlässige Kaufleute notiert; diejenigen, die nicht auf der Liste standen, galten als zuverlässig und solvent. Im Grunde die erste Form der Bonitätsauskunft.

"Dun & Bradstreet", die Ur-Auskunftei, wurde 1841 im Zuge der Industrialisierung in New York gegründet, worauf kurze Zeit später auch in Europa Handelsauskunfteien ins Leben gerufen wurden.

Maximale Transparenz ist sinnvoll

Institutionen, die Risiken für Unternehmen und Kunden einschätzen, Zahlungshistorien protokollieren und somit zu einem gesunden Wirtschaftssystem beitragen, gibt es also schon seit Jahrhunderten.

Zur "Transparenzfrage" von Bonitätsscores gibt es verschiedene Auffassungen und auch wissenschaftliche Studien befassten sich bereits mit der Thematik, die von stark ablehnend bis stark befürwortend ausfallen. Aus der Sicht einer Bonitätsplattform wie Bonify ist maximale Transparenz in Bezug auf Bonitätsdaten sinnvoll. Daten zu positiven und negativen Zahlungserfahrungen fließen unter anderem in die Berechnung von Bonitätsscores ein. Schon ein Fehler (eine veraltete oder falsche Information) kann negative Auswirkungen für den Verbraucher und/oder ein Unternehmen haben.

Auch die Scoring-Formel selbst darf aus unserer Sicht durchaus transparent sein. Generell hat diese Form der Transparenz jedoch keine besonders signifikanten Effekte für die Verbraucher - weder positive noch negative. Die "vollständige" Kreditwürdigkeit hängt darüber hinaus von weiteren Faktoren ab, die Auskunfteien nicht speichern beziehungsweise auswerten dürfen.

Bonitätsprüfung nutzt beiden Parteien

Bevor zwei Parteien ein Geschäft miteinander eingehen (zum Beispiel ein Vertragsabschluss, ein Kredit oder eine Vermietung), nimmt der Gläubiger zunächst eine Bonitätsprüfung bei einer Auskunftei vor. Auf diese Weise kann die Kreditwürdigkeit, also Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsausfalles (ausgedrückt in Form eines Bonitätsscores) und somit das Risiko eingeschätzt werden.

Liegen beim potenziellen Vertragspartner (Schuldner) positive Einträge (zum Beispiel erfolgreich abgezahlte Kredite) oder Negativmerkmale (zum Beispiel Insolvenzverfahren oder Mahnungen) in der Bonitätsauskunft vor, signalisiert das dem Gläubiger, wie der potenzielle Vertragspartner in der Vergangenheit mit Verträgen und Zahlungsverpflichtungen umgegangen ist und ob ein geringes oder erhöhtes Risiko besteht. In solchem Fall kann der Gläubiger den Vertrag oder Kreditantrag entweder ablehnen oder höhere Risikoaufschläge (zum Beispiel höhere Zinsen) verlangen, um sich besser gegen Zahlungsausfälle abzusichern.

Verbraucher können durch diese Vorgehensweise vor Überschuldung bewahrt werden. Speziell bei Verbrauchern mit harten Negativmerkmalen sind Vertragsabschlüsse zunächst kaum realisierbar, um ihnen nicht noch weitere finanzielle Hürden zuzumuten.

Berechnungsformel für Bonitätsscore ist ein Geschäftsgeheimnis

Bonitätsscores in Deutschland werden von Auskunfteien wie der Schufa, Creditreform Boniversum, Crifbürgel oder Regis24 anhand mathematisch-statistischer Verfahren ermittelt. Unternehmen und Auskunfteien befinden sich hier in einem Wechselspiel und übermitteln sich gegenseitig auf Basis der strengen gesetzlichen Regelungen relevante Bonitätsinformationen, wie zum Beispiel Kreditanträge und positive Zahlungen. Auf diese Weise erhalten Auskunfteien die notwendigen Daten, um ihre Scores und Bonitätsauskünfte zu berechnen. Die Unternehmen hingegen wissen, wie es um die aktuelle Kreditwürdigkeit ihrer Kunden steht, und können ihre Risiken entsprechend steuern.

Wie genau Bonitätsscores tat sächlich berechnet werden, unterliegt in Deutschland offiziell dem Geschäftsgeheimnis der jeweiligen Auskunftei. Das legte ein Urteil des Bundesgerichtshofs (VI ZR 156/13) vom 28. Januar 2014 fest.

Geoscoring in Deutschland verboten

Während zuverlässig abgezahlte Kredite, Girokonten und Kreditkartenkonten und generell eine positive Zahlungshistorie einen positiven Effekt auf den Bonitätsscore haben, sind die Faktoren und deren Gewichtung, die man nicht direkt beeinflussen kann, wie etwa das Alter, korrekt und vollständig gespeicherte Angaben von den Auskunfteien selbst oder auch das Geschlecht, schwer einzuschätzen.

Grundsätzlich lässt sich sagen, dass die Bonität mit dem Alter steigt. Entgegen der allgemeinen Annahme ist das sogenannte "Geoscoring", bei dem die Bonität ausschließlich anhand der Wohnanschrift bestimmt wird, in Deutschland verboten.

Open-Schufa-Initiative will Schufa-Score-Formel ermitteln

Wenn niemand die Formeln kennt und nachvollziehen kann, wie wird dann eine gerechte Bewertung gewährt?

In der Tat sind laut einer Studie ein Drittel aller Bonitätsinformationen veraltet, unvollständig oder falsch gespeichert, was den Bonitätsscore im schlimmsten Fall negativ beeinflussen kann. Solche Tatsachen greift die Open-Schufa-Initiative an. Die Initiative der beiden NGOs "Open Knowledge Foundation Deutschland" und "AlgorithmWatch" sammelt Geld- und Datenspenden, um mithilfe von Datenexperten den Algorithmus für die berüchtigten Scores der Schufa offenzulegen. Das Projekt ist nicht nur ein Erfolg in den Medien, sondern fand innerhalb kürzester Zeit zahlreiche Unterstützer.

Von der Initiative beklagt wird fehlende Transparenz bezüglich der Berechnung der Algorithmen für Bonitätsscores, die immerhin großen Einfluss auf das finanzielle Leben eines jeden Verbrauchers haben. Die Frage, die sich dabei stellt, ist die, was der einzelne Verbraucher von der Kenntnis der genauen Berechnungsformel der Scores eigentlich hat.

Die jeweiligen Einflussfaktoren für das Scoring sind bekannt: Neben persönlichen Daten spielt vor allem die Zahlungshistorie eine Rolle. Wurden Rechnungen und Kredite stets pünktlich gezahlt, hat das einen positiven Einfluss auf den Bonitätsscore; sind Negativmerkmale wie Inkassoverfahren, Eidesstattliche Versicherungen, Privatinsolvenzen und Ähnliches vorhanden, fällt die Bonität negativ aus. Verbraucher mit Negativmerkmalen haben es folglich schwer im Geschäftsleben.

Was wäre, wenn...

In einer recht emotionalen Stellungnahme reagierte die Schufa selbst auf die Bekanntgabe der Open-Schufa-Initiative. Einer der Argumentationspunkte war die vermeintliche Erleichterung von Missbrauch und die Möglichkeit der Manipulation von Daten, die im schlimmsten Fall das Wirtschaftssystem lahmlegen würden, wie das in den USA im Zuge der Subprime-Krise der Fall war.

Denkt man an besagte Subprime-Krise, die ab 2007 die Weltwirtschaftskrise auslöste, könnte man nun besorgt sein. Wäre es möglich, Bonitätsscores und Bonitätsauskünfte zu manipulieren, wäre die Konsequenz eine vermehrte Vergabe von Krediten an Schuldner, die eventuell kreditwürdig aussehen, aber gar nicht zahlungsfähig sind. Genau das war im Beispiel der USA der Fall, bei dem Transparenz zu "gaming the system" führte, einem Terminus der Studie "Gefahren transparenter Scores". Hier wurden nun Bonitätsscores anhand kleiner Tricks manipuliert - und zwar nicht nur von Verbrauchern, sondern auch von Immo bilienmaklern - und somit zahlreiche Hypotheken vergeben, was zu einer horrenden Überschuldungsquote führte und gleichzeitig zu einem unzuverlässigen Risikobewertungsprozess für folgende Kreditvergaben. Hinzu muss man anmerken, dass die gelockerten rechtlichen Rahmenbedingungen in den USA laut Experten eher ausschlaggebend für die sogenannte Subprime-Krise waren.

Bonitätsscore schwer zu manipulieren

Unter den aktuellen rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland sind ähnliche Krisen eher unwahrscheinlich. Hierbei spielen transparente oder intransparente Berechnungsformeln eine sehr untergeordnete Rolle. Beim Kreditvergabeprozess verlassen sich Banken außerdem nicht nur ausschließlich auf den Bonitätsscore einer Drittpartei wie einer Auskunftei, sondern berechnen anhand weiterer individueller Faktoren wie Einkommen, Ersparnisse, Haushaltsüberschuss et cetera einen eigenen Score, der die finanzielle Situation der Kreditnehmer ausdrückt und weit mehr über das zukünftige Rückzahlungsverhalten als der Bonitätsscore allein aussagt.

Den Bonitätsscore "illegal" zu manipulieren, ist sehr schwer und kann bei Vorlage "manipulierter" Informationen eine Straftat darstellen. Praktische Ratschläge dazu, welche Daten beziehungsweise welches Verhalten die eigene Bonität ganz legal beeinflussen, sind hingegen bei Bonitätsplattformen wie Bonify oder bei den Verbraucherzentralen schnell recherchierbar und erwünscht.

Mehr Aufmerksamkeit für das Thema

Mit der Auseinandersetzung von Bonität und Scores erhält das Thema mehr Aufmerksamkeit, was zu einem höheren finanziellen Verantwortungsbewusstsein führt. Wer sich seiner Bonität und der dazugehörigen Faktoren bewusst ist, wird schließlich vieles dafür tun, sich nicht selbst zu schaden.

Weiterhin würde das Frustrationslevel bei Ablehnungen für Kredite oder Handyverträge sinken, da sofort nachvollzogen werden kann, warum ein Vertrag nicht gewährt wurde und was verändert werden muss, um diesen zu erhalten.

Grundsätzlich spricht also nichts gegen die Veröffentlichung der Formel, die Frage ist nur, was der Verbraucher selbst davon hat. Die Faktoren, die für die Bonität und die Berechnung der Scores wichtig sind, sind bekannt. Was geheim ist, ist lediglich die jeweilige Gewichtung der Faktoren.

Sorgen der Auskunfteien sind unbegründet

Bei einer Offenlegung der Formel befürchten die Auskunfteien jedoch einen Wettbewerbsnachteil. Diese Befürchtung ist aus anderen Industrien bekannt, kann allerdings bei Auskunfteien unbegründet sein. Bei der Berechnung kommt es vor allem auf Umfang, Vollständigkeit, Richtigkeit und Aktualität der vorliegenden Daten und nicht nur auf die Formel selbst an.

Ob die Open-Schufa-Initiative nun die Formeln knacken wird oder nicht, generell wird schon jetzt das Thema Bonität in den Fokus gerückt, was dem Verbraucherwohl zugutekommt. Eine Studie des Verbraucherministeriums von 2014 ergab, dass sich 84 Prozent der Befragten wünschen, dass Auskunfteien selbst aktiv werden und die Verbraucher über ihre Daten informieren. Weiterhin befand jeder zweite Befragte die Bewertung seines Scores als ungerecht.

Es steht außer Frage, dass Themen wie Bonität und Scoring in Deutschland nicht ausreichend kommuniziert werden, obwohl sie für jeden Verbraucher im Alltag eine so wichtige Rolle spielen. Aus diesem Grund wurde die Bonitätsplattform Bonify gegründet, die Nutzern die Herrschaft über ihre Daten zurückgibt und den Zugang zu Bonitätsdaten kostenlos digital ermöglicht.

Quellen:

Schufa Studie 2008: Das Kreditrating von Verbrauchern und Unternehmen und die Subprime-Krise in den USA mit Lehren für Deutschland. www.schufa.de

Unabhängiges Landeszentrum für Datenschutz Schleswig-Holstein (ULD): Scoring nach der Datenschutz-Novelle 2009 und neue Entwicklungen 2014. www.bmi.bund.de

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