Mittelstandsgeschäft

Weniger Bargeld - mehr Negativzinsen: Auswirkungen auf den Mittelstand

Von der Bekämpfung der organisierten Kriminalität, über Steuerhinterziehung bis hin zur Terrorbedrohung - die Argumente für die Abschaffung großer Bargeldnoten klingen gut. Wer kann da schon etwas dagegen haben, wenn die EZB wenigstens den 500-Euro-Schein aus dem Verkehr ziehen will? Doch inzwischen pfeifen es die Spatzen von den Dächern: Es gibt einen engen Zusammenhang zwischen Bargeldbestand und Negativzinsen. Da einzig das Horten von Bargeld den Bankkunden die Flucht vor den Negativzinsen für Einlagen ermöglicht, muss genau diese Möglichkeit eingeschränkt werden, damit den Banken eine zusätzliche Einnahmequelle entsteht. Deshalb darf man auch begründet annehmen, dass nach der Abschaffung eines 500-Euro-Scheins weitere Maßnahmen zum Abzug von Bargeld aus der Eurozone folgen werden.

Denn in atemberaubender Geschwindigkeit - es ist gerade ein Jahr her - hat sich der Negativzins von einem Thema zwischen EZB und Banken zu einem flächendeckenden Phänomen in der Kreditwirtschaft entwickelt. Es erfasst große wie kleine Firmenkunden und es ist nur eine Frage von Monaten, bis der Negativzins das gesamte Privatkundengeschäft erreicht. Was die EZB vorgemacht hat, wiederholen die Banken in ihrem Kundengeschäft: Wer Geld anlegt, der erhält keine Zinsen mehr, sondern zahlt welche. Wohl dem, der Bargeld horten kann - in der Schweiz ist dieser Mechanismus zu beobachten, und natürlich gibt es dort weiter 1 000-Franken-Scheine. In der Euro-Zone aber scheint die Angst vor den Folgen der Zinspolitik der EZB so groß, dass für die Banken wenigstens die Einnahmen aus den Negativzinsen eingehegt werden sollen. Das ist nicht unlogisch, vergrößert aber die Kollateralschäden der Finanz- und Währungspolitik für die Realwirtschaft, allen voran den Mittelstand. Die Liquiditätshaltung in Bargeld und die Bargeldzahlung als Basis vieler Kundenbeziehungen ist typisch für kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland, vom Handel bis zum Handwerk. Und wir reden hier nicht nur von vereinzelten Auto- und Luxusgüterhändlern, denen der bargeldzahlende Kunde abhandenkäme, sondern von gewachsenen Strukturen unter den Marktteilnehmern. Bargeldlosen Zahlungssystemen aller Art mag die Zukunft gehören, aber für den Mittelstand bedeuten sie zurzeit vor allem höheren Aufwand und Gebühren. Das passt wiederum gut zu den Negativzinsen - aus Sicht der Banken.

Einlagen breiter streuen

Das Bargeldthema ist nur ein weiterer Aspekt, in dem sich die Auswirkungen der anhaltenden Niedrigzinsphase bemerkbar machen. Gerade der Mittelstand muss sich in fast allen Bereichen der Unternehmensführung damit befassen: Finanzierungsstrategien, Liquiditätshaltung, mittelfristige Anlagen, Mieten, Einkaufskonditionen - auf allen Ebenen müssen Entscheidungen auf den Prüfstand. So sollten Einlagen breiter als bisher gestreut werden. Generell ist zu überdenken, wie liquide Mittel kurz- und mittelfristig angelegt werden können, wenn das für Mittelständler übliche Festgeld konto mit Negativzinsen belastet wird.

Überhaupt: Wie ist das Verhältnis von Fremd- und Eigenkapital sinnvollerweise neu zu justieren? Typischerweise finanzieren kleine und mittlere Unternehmen ihre Investitionen nur widerwillig mit Fremdkapital. Aber in einer Phase, in der die Zinsen für Fremdkapital gegen Null gehen und die, nach allem was wir wissen, über Jahre anhalten wird, ist auch in dieser Hinsicht ein neues Nachdenken sinnvoll. Und welchen Sinn machen Leasingverträge, wenn es so günstige Darlehen gibt?

Hinzu kommt für viele Unternehmer und Freiberufler ein ganz persönliches Problem: Diejenigen, die auf Lebensversicherungen gesetzt haben, müssen prüfen, wie groß die Lücke in ihrer Altersversorgung ist, weil die einmal prognostizierten Erwartungen an die Auszahlungen nicht eintreten. Und es müssen womöglich Alternativen her, die sich aus anderen Anlageformen ergeben. Auch das ist eine komplexe Angelegenheit, bei der eine fachliche Beratung geboten ist.

Gesamtwirtschaftlich gesehen gibt es auch Chancen: Die Flucht vor den Negativzinsen kann auch wie gewünscht darin bestehen, dass insgesamt mehr Eigenmittel investiert werden. Aber dazu ist es notwendig, dass nicht nur jeder Betrieb seine Hausaufgaben macht, sondern auch die Finanzpolitik. Zu nennen ist vor allem die ungeklärte steuerliche Einordnung von Negativzinsen in die Ertrags- beziehungsweise Einkommenssteuer. Ob diese bei der Gewinnermittlung als Betriebsausgaben in Abzug gebracht werden können, ist grundsätzlich offen. Insbesondere im Hinblick auf den Mittelstand sind solche Fragen dringend zu klären. Es darf nämlich auf keinen Fall der Eindruck entstehen, dass die Suche nach neuen Einnahmequellen für angeschlagene Banken zulasten des Mittelstands geht. Das wäre neben vielen anderen Risiken Gift für die Konjunktur in Deutschland.

Nicolas Kemper, Rechtsanwalt und Wirtschaftsprüfer, Partner, LKC Kemper Czarske v. Gronau Berz, Grünwald

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