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"Der Großteil der Anleger wird eine Form von Robo Advice nutzen" / Interview mit Erik Podzuweit

Erik Podzuweit, Foto: Scalable

In fünf bis zehn Jahren wird die Mehrheit der Anleger in Deutschland eine Form von "Robo Advice" nutzen. Davon ist Erik Podzuweit überzeugt. Als Treiber dieser Entwicklung nennt er unter anderem die starke Nachfrage nach ETFs sowie MiFID II. Die Digitalen Vermögensverwalter der Asset Manager bewertet der Scalable-Gründer dabei derzeit eher als Wegbereiter, denn als Konkurrenten. Langfristig werde sich der Markt jedoch konsolidieren. Podzuweit sieht im deutschen Markt etwa für eine Handvoll Anbieter Platz. Red.

bm Wie viele Kunden hat Scalable inzwischen und über welche Kanäle gewinnen sie diese?

Wir haben mehr als 30 000 Kunden. Beim verwalteten Vermögen wurde im Sommer 2018 die Milliardengrenze überschritten. Die Hälfte der Kunden gewinnen wir über unsere eigenen Aktivitäten. Wir werben zum Beispiel viel online auf Google oder Facebook oder schalten auf Youtube Erklärvideos, aber wir machen auch etwas TV- oder Printwerbung. Über diese Kanäle gewinnen wir etwa die Hälfte der Kunden. Die andere Hälfte kommt über Partnerschaften. Die beiden bekanntesten sind in Deutschland Siemens Private Finance und die ING. Für die ING ist Scalable der Online-Vermögensverwalter. Außerdem entwickeln wir uns zunehmend zu einem Technologiepartner von Banken. So haben wir die technische Infrastruktur für einen Robo für die Openbank, die Digital-Tochter von Santander, gebaut. Zu Jahresbeginn folgen weitere Partner.

bm Wie erklärungsbedürftig ist das Thema digitale Vermögensverwaltung in Deutschland derzeit noch?

Erstmals aufgekommen ist das Thema in den USA vor etwa fünf bis sieben Jahren, in Deutschland vor etwa vier Jahren. Seit zwei bis drei Jahren wird es bekannter und taucht in den Medien immer häufiger auf. Die ersten Interessenten waren Menschen, die von ihrer Ausbildung her zahlen- und technikaffin waren - typischerweise studierte Informatiker, Ingenieure, Banker, Betriebs- und Volkswirte sowie Unternehmensberater. Von den ersten 10 000 Kunden waren etwa 80 bis 90 Prozent dieser Gruppe zuzuordnen.

In der großen Bevölkerung ist digitale Vermögensverwaltung jedoch immer noch eine Nische. Jetzt gilt es, darüber hinaus zu wachsen. Hier helfen Partnerschaften mit großen Banken, damit sich mehr Menschen für das Thema öffnen. Mit unserem Blog und Videoformaten verfolgen wir dazu zwei Ziele: Zum einen machen wir auf unsere Dienstleis tungen aufmerksam und erklären, wie digitale Vermögensverwaltung überhaupt funktioniert. Zum anderen ist es wichtig, allgemein Finanzthemen anzusprechen.

Die beliebteste Anlageklasse in Deutschland ist immer noch das Nichtstun, also das Parken von Geld auf Giro- und Tagesgeldkonten. Sicher ist hierbei jedoch nur, dass man nach Inflation Geld verliert. Hier gilt es zu vermitteln: Ein Aktieninvestment ist zwar kurzfristig sehr risikoreich, langfristig jedoch ist ein breit diversifiziertes globales Aktienportfolio der beste Weg, Geld anzulegen. Diese Botschaft benötigt noch viel Aufklärungsarbeit. Die typischen Kunden der digitalen Vermögensverwalter sind diejenigen, die erkennen, dass sie mit ihrem Geld etwas tun müssen, die das aber nicht selbst tun wollen.

bm Welcher Ausdruck passt besser: Digitale Vermögensverwaltung oder Robo Advisor?

Ganz klar Digitale oder Online-Vermögensverwaltung. Die Begriffe sind inzwischen zum Synonym geworden. Das gilt auch für die Bezeichnung Robo Advisor. Doch Robo Advice ist etwas irreführend. Damit meine ich nicht den Begriff Robo, der für Technologie und Algorithmen steht. "Advice" suggeriert jedoch Beratung. Und Anlageberatung liefert die digitale Vermögensverwaltung nicht.

bm Was für Mitarbeiter-Know-how braucht ein Online-Vermögensverwalter?

Echte Fintechs brauchen Finanz- und Technologiewissen. Bei uns verteilt sich das wie folgt: Von derzeit 90 Mitarbeitern sind 50 in der Programmierung und Softwareentwicklung tätig, die anderen 40 verteilen sich zum großen Teil auf den Finanzbereich, aber natürlich auch auf Bereiche wie Marketing oder Rechtswesen.

bm Wie stark spüren Sie den Fachkräftemangel - und wie sehen Sie Fintechs im Wettbewerb um Fachkräfte aufgestellt?

Es gibt natürlich einen starken Wettbewerb um IT-Fachkräfte. Wir rekrutieren Softwareentwickler deshalb nicht mehr nur in Deutschland, sondern nutzen auch die Blue Card. Gegenüber den großen Firmen haben wir einen kleinen Vorteil: Ganz viele Softwareentwickler wollen kreativ sein. Bei Start-ups können sie genau dies tun, auf der grünen Wiese ganz neue Systeme entwickeln und mit den neuesten Programmiersprachen arbeiten. Das ist ein Vorteil im Wettbewerb mit großen Unternehmen, bei denen man oftmals an alten Systemen herumflicken muss.

bm Für wie viele Online-Vermögensverwalter ist im Markt Platz?

Aktuell gibt es rund 20 unabhängige Anbieter. Langfristig wird vermutlich eine Handvoll übrigbleiben. Letztlich machen digitale Vermögensverwalter die gleichen Phasen durch wie andere disruptive Technologien auch. 2014 bis 2016 sind viele Unternehmen entstanden, die sich in zwei Gruppen aufteilen lassen. Die eine Gruppe sind unabhängige Start-ups, zu denen Scalable zählt. Die andere sind die großen Banken, die entsprechende Angebote machen. Das ist ähnlich wie in der ersten Fintech-Welle vor 20 Jahren, nämlich bei den Online-Brokern. Auch damals gab es Neugründungen (wie Consors oder DAB Bank) und es gab die alten Anbieter wie die Commerzbank mit der Comdirect. Ein ähnliches Schauspiel lässt sich heute im Bereich der digitalen Vermögensverwaltung beobachten. Nahezu jede große Bank wird eine Online-Vermögensverwaltung anbieten. Manche werden diese selbst entwickeln, andere arbeiten mit Technologiepartnern wie Scalable zusammen.

bm Auch die Fondsgesellschaften sind in den Markt eingestiegen - Beispiel Bevestor bei der Deka oder Visualvest bei Union Investment. Inwieweit erschwert das die Suche nach neuen Bankpartnern?

Der Sparkassen- und Volksbanken-Bereich ist aufgrund seiner Gesamtgröße sehr interessant, auch wenn hier die Verbundlösungen dominieren. Der Ansatz, im Retailbereich die Verbundlösung einzusetzen und im Private Banking einen anderen Ansatz zu verfolgen, steht im Grunde nur größeren Instituten offen. Es gibt jedoch immer wieder Gespräche mit größeren Instituten, für die wir als Technologiepartner infrage kommen.

International konzentrieren wir uns auf große private Geschäftsbanken. In Deutschland kooperieren wir mit der ING, in Spanien mit Santander. Weitere Partnerschaften werden im nächsten Jahr starten.

bm Wie bewerten Sie die Aktivitäten der Asset Manager: Sind das nur Wettbewerber? Oder steigern sie die Bekanntheit der digitalen Vermögensverwalter und sind insofern auch für Start-ups ein Stück weit Wegbereiter?

Das ist ein ganz wichtiger Punkt. Gerade, wenn ein Geschäftszweig noch jung ist und sich entwickelt, dann braucht es auch bekannte Namen und Verbünde wie die Sparkassen- oder Genossenschaftsorganisation, um das Thema bekannter zu machen und den Weg zu bereiten. In diesem Sinne bewerte ich die Robo-Lösungen der Sparkassen und Volksbanken eher positiv und nicht nur als Konkurrenz. Denn bevor man über die Verteilung des Kuchens nachdenkt, muss er erst einmal gebacken und so groß wie möglich werden. Verteilungskämpfe setzen typischerweise erst in einem reifen Markt ein, der nicht mehr sehr dynamisch wächst. So weit ist der Markt der Online-Vermögensverwaltung noch lange nicht.

bm Was sind die Gründe dafür, dass der Markt für Robo Advice so dynamisch wächst?

Ein Grund ist der Wunsch, immer mehr Dienstleistungen digital abzuwickeln. Das ist die Grundtendenz, die seit 20 Jahren in den verschiedensten Bereichen zu beobachten ist, auch wenn die Entwicklung in der Finanzbranche später begonnen hat.

Ein zweiter großer Treiber ist das ETF-Geschäft. ETFs sind unter den Finanzprodukten eine der größten Erfolgsstories des letzten Jahrzehnts. In ETFs zu investieren, ist für Privatanleger jedoch gar nicht so trivial. In der Anlageberatung werden sie meistens nicht angeboten, weil man damit zu wenig verdient, um den Vertrieb zu bezahlen. Die andere Option ist der Kauf von ETFs über einen Online-Broker. Viele Anleger scheuen davor allerdings zurück, weil sie von der schieren Anzahl und den verschiedenen Fachbegriffen überfordert sind. Hier fungieren digitale Vermögensverwalter als eine Art "ETF-Concierge".

Ein dritter Punkt ist der Trend zu automatisierten, computerbasierten Anlageentscheidungen. Das interessiert immer mehr Menschen. Immer mehr Menschen vertrauen technologiebasierten Lösung mehr als den individuellen Bauchgefühlen eines Fondsmanagers.

bm Spielt auch MiFID II eine Rolle für den Trend zum Robo Advice?

Ja. Das ist bei Banken ein großer Treiber. Es gibt zwar noch kein Provisionsverbot wie in England. Aber die Anforderungen an Offenlegung und Qualitätsverbesserung sind enorm gestiegen. Außerdem dürfen Banken Provisionen nicht mehr als Gewinn ausweisen, sondern nur noch kostendeckend verwenden. Die Regulierung will die Banken in ein gebührenbasiertes Modell drängen. Und das ist genau das, was Vermögensverwalter anbieten. Insofern ist MiFID II ein starker Treiber für Vermögensverwaltung und wird dies vor allem in den nächsten Jahren noch stärker werden. Davon werden Robo Advisor profitieren.

bm Ist Robo Advice also die Zukunft des Wertpapiergeschäfts?

Ich würde nicht so weit gehen zu sagen, dass es nur noch Robo Advice geben wird. Der Großteil der Anleger wird jedoch in den nächsten fünf bis zehn Jahren eine Form von Robo Advice nutzen. So lassen sich Kosten senken, das Portfolio lässt sich kundenzentrisch aufbauen und es gibt viel Transparenz.

bm Der eigentliche Lackmustest steht aber noch aus, wenn es zu größeren Verwerfungen an den Märkten kommt. Könnte die Begeisterung für digitale Vermögensverwaltung dann genauso schnell wieder vorbei sein, wie sie aufgekommen ist?

Bärenmärkte wie etwa die Krise nach dem Platzen der Dotcom-Blase wirken sich negativ auf die gesamte Branche aus. Diesem Gesetz der Schwerkraft werden sich auch die Robo Advisor nicht entziehen können. Privatanleger sind in diese Phasen einfach verunsichert. Sie scheuen weitere Einzahlungen, auch die Neukundenakquise wird schwieriger. Das wird den Robo-Advice-Bereich genauso treffen wie die klassische Industrie. Ich glaube jedoch, dass Robos weniger stark betroffen sein werden, da sie über digitale Kommunikationskanäle einen engeren Kontakt zum Kunden halten können als der Anlageberater. Der Robo kann auf Basis der Daten eine viel zielgenauere Kundenkommunikation machen - und zwar sehr viel schneller als der Berater. Ich gehe deshalb davon aus, dass sich die Robos in einem Bärenmarkt zumindest nicht schlechter schlagen werden als die klassischen Anbieter.

bm Wo sehen Sie Grenzen der digitalen Vermögensverwalter?

Eine Stärke der computergestützten Geldanlage ist, dass sie die Geldanlage entemotionalisiert. Robo Advice liefert jedoch noch keine holistische Finanzplanung, die etwa Erbschaften, Immobilien oder komplizierte Steuersituationen einbezieht. Zudem sind die Robo Advisor nur im liquiden Geldanlagebereich unterwegs. Private Equity oder Immobilienkauf oder -verkauf werden nicht abgebildet. Das ist bisher eine bewusste Limitierung und Teil der Differenzierung. Diese Form der holistischen Finanzberatung erhalten Privatanleger allerdings auch von ihrem Finanzberater nicht.

bm Scalable und andere digitale Vermögensverwalter bieten jetzt vermehrt auch persönliche Betreuung an. Wie passen Robo Advice und persönliche Betreuung zusammen?

Digitale Vermögensverwaltung und persönlicher Service passen aus meiner Sicht sehr gut zusammen. Nur, weil ein Unternehmen Online-Dienstleistungen anbietet, heißt das nicht, dass es keinen guten Service bieten kann. Wir tun das nicht, indem wir Filialen eröffnen, sondern haben dafür beim Co-Working-Anbieter Wework mobile Büros gemietet. So lässt sich der persönliche Service kosteneffizient abbilden. Bei Kunden, die mehr als 100 000 Euro an Vermögen haben, besteht oftmals ein Interesse, sich mit einem persönlichen Ansprechpartner auszutauschen. Manchmal geht es dabei darum, bestimmte Themen en détail zu besprechen, manchmal auch nur darum, einen persönlichen Eindruck zu bekommen. Per Telefon oder E-Mail war das schon immer möglich. Jetzt bieten wir auch die Möglichkeit, in verschiedenen Städten einen Ansprechpartner von Angesicht zu Angesicht zu treffen.

bm Was kann die persönliche Betreuung leisten?

In der persönlichen Betreuung wird nicht das Portfolio neu zusammengestellt. Das ist alles durch den Algorithmus definiert. Der Betreuer erklärt jedoch, wie der Anlagealgorithmus funktioniert, wie er die Produkte aussucht oder in bestimmten Szenarien reagiert. Er kann auch beim Onboarding oder bei der Eröffnung von Gemeinschafts- oder Firmendepots oder beim Depotübertrag helfen. Möglich sind auch Portfolio-Checks bestehender Depots mit Blick auf die Ertrags- und Kostenstruktur.

bm Wenn die persönliche Betreuung in der normalen Vergütung enthalten ist, besteht dann nicht das Risiko, dass der persönliche Service über Gebühr in Anspruch genommen und damit unwirtschaftlich wird?

Hier gilt es erst einmal abzuwarten, wie stark die persönliche Betreuung frequentiert wird. Es gibt vielleicht einige wenige Kunden, die den Service sehr intensiv nutzen werden. Die meisten Kunden werden den Service allerdings gar nicht nutzen, einige andere werden einmal im Jahr einen Ansprechpartner aufsuchen. Ziel der Vermögensverwaltung ist es ja gerade, in die Geldanlage etwas Ruhe hineinzubringen.

bm Das wäre denn ähnlich wie in der Bankfiliale ...

Die Betrachtungsweise ist in der Tat vergleichbar. Auch bei Filialbanken geht es vielen Kunden ja darum, bei Bedarf einen persönlichen Ansprechpartner zu haben, ohne dass sie diesen dann jede Woche kontaktieren.

bm Für welchen Anteil der Kunden könnte die persönliche Betreuung interessant sein?

Die Anzahl der Kunden, die mehr als 10 000 Euro anlegen, liegt unter zehn Prozent. Ihr Anteil an den verwalteten Kundengeldern beträgt jedoch fast 40 Prozent. Deshalb lohnt es sich, sich auf diese Kunden zu konzentrieren.

bm Ist es ein neuer Trend, digitale Vermögensverwaltung mit persönlichem Service zu kombinieren?

Nein. Die meisten Kunden kommen immer noch ohne persönliche Berater aus. Für die Kunden mit höheren Anlagevermögen muss man diesen Service aber schon bieten. Das bedeutet jedoch nicht, dass die digitale Vermögensverwaltung auf "offline" umgestellt wird.

Erik Podzuweit, Geschäftsführer, Scalable Capital Vermögensverwaltung GmbH, München

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