Interview mit Rolf Tilmes

Umstrittene Provisionen - "Das Gesetz geht an der Geschäftsrealität vieler Berater und Kunden vorbei"

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Die Honorarberatung ist qua definitione besser geeignet, Beratungsfehler auszuschließen, als die Provisionsberatung, so Rolf Tilmes. Dennoch lässt die Vergütungsform nicht zwingend Rückschlüsse auf die Beratungsqualität zu. Denn auch bei der Honorarberatung gibt es mögliche Fehlanreize. Und ein Vergütungssystem, das sämtliche Fehlanreize ausschließt, wird sich nur schwer implementieren lassen. Was zählt, ist nach Einschätzung von Tilmes eine Kombination aus gelebter Transparenz im Vergütungsmodell, Qualifikation des Beraters, neutralen Gütesiegeln und dem Aufbau von Reputation und Weiterempfehlung. Red.

Ist die Beratung in Banken und Sparkassen der Provisionen wegen wirklich so schlecht? Oder sind es nicht doch eher Einzelfälle, die das Vergütungsmodel in Verruf gebracht haben?

Zunächst ist festzuhalten, dass aus der Vergütungsform nicht zwingend Rückschlüsse über die Beratungsqualität gezogen werden können. Gute und schlechte Beratung kann man sowohl gegen Honorar- als auch Provisionszahlung erhalten. Es fällt jedoch auf, dass die - insbesondere in den Medien so präsenten - Schadensfälle und Falschberatungen aus einem aus Provisionsinteressen fehlgeleiteten Produktverkauf resultieren.

Es darf jedoch nicht vergessen werden, wie viele Beratungsgespräche jeden Tag in der Bundesrepublik geführt werden, über welche natürlich nicht in der gleichen Form berichtet wird wie über skandalöse Beratungsfehler oder vorsätzliche Kundenschädigung. Und die gab es nicht nur bei Banken und Sparkassen, sondern auch bei freien Finanzdienstleistern, Finanz- und Strukturvertrieben.

Die meisten dieser "prominenten" Fälle erfolgten jedoch auch noch zu einer Zeit, wo es keine bis nur sehr geringe Qualifikationsanforderungen, Transparenzvorschriften, Informations- und Dokumentationspflichten gab. Hier hat sich in den letzten Jahren doch sehr viel getan.

Hat die Provisionsberatung nicht auch Vorteile für den Kunden - beispielsweise die unverbindliche, für den Kunden erst einmal kostenfreie Beratung?

Das Problem ist häufig weniger die Vergütungsform als der Umgang mit derselben durch Berater und Kunde. Wenn dem Kunden die Vor- und Nachteile der jeweiligen Vergütungsform völlig transparent wären, und er auf der Basis einer hinreichenden finanziellen Allgemeinbildung in der Lage wäre, beide Alternativen zu vergleichen und auch Beratungsqualität zu bewerten, könnte er auf dieser Basis auch viel bessere Entscheidungen treffen. Die jüngste Studie des PFI Private Finance Institute der EBS Business School zur "Bedeutung von Vergütungsstrukturen im Nachfrageverhalten nach Finanzdienstleistungen" hat jedoch unter anderem gezeigt, dass die meisten Verbraucher hierzu aber nicht in der Lage sind.

Der Vorteil der provisionsbasierten Beratung besteht sicherlich darin, dass der Kunden theoretisch die Möglichkeit hätte, mehrere (auch alternative) Beratungsgespräche zunächst ohne direkte Bezahlung in Anspruch zu nehmen und dann durch den Produktabschluss und die hier enthaltene Provision die beste Beratung nachträglich zu vergüten. Umgekehrt führen aber auch Honorarberater häufig kostenfreie Erstgespräche.

Ist die Beratung gegen Honorar wirklich besser? Kann es nicht auch in diesem Modell Fehlanreize geben - und sei es nur, dass Beratungsgespräche ungebührlich in die Länge gezogen werden, wenn das Honorar auf Zeitbasis berechnet wird? Und steht der Kunde letztlich nicht genauso unter Abschlussdruck, wenn er ein Honorar zahlen muss, auch wenn er letztlich nicht abschließt und eine Zweitmeinung einholen möchte?

Die Honorarberatung ist zwar qua definitione besser geeignet, etwaige Interessenkonflikte auszuschließen, völlig eliminieren kann sie sie aber auch nicht. Hierzu zählen unter anderem auch die von Ihnen angesprochenen Punkte.

Es empfiehlt sich daher nicht, seinen Berater lediglich auf Basis der Vergütungsform auszuwählen. Die Qualifikation des Beraters, seine Offenheit und Transparenz im Umgang mit Kosten und Gebühren und das Vertrauensverhältnis wären da aus meiner Sicht wesentlich bessere Auswahlkriterien. Ein Honorar muss darüber hinaus nicht zwingend zeitabhängig sein, hier sind auch andere Honorarmodelle denkbar und üblich.

Welche anderen Honorarmodelle halten Sie im Retailgeschäft für praktikabel - sprich für den Kunden preislich akzeptabel und dennoch für die Berater rentabel?

Im Retailgeschäft sind volumenabhängige - wie im Private Banking durchaus üblich - sicherlich für Anbieter schwer darstellbar. Pauschalen, Festpreise, Betreuungsentgelte oder aber auch performanceabhängige Honorare wären aber je nach Beratungskonstellation denkbare Alternativen.

Welche Fehlanreize kann es bei der Honorarberatung geben - und wie lassen sie sich vermeiden?

Fehlanreize können in der zu hohen beziehungsweise nicht angemessenen Abrechnung von Beratungsaufwand stecken. Wenn Beratung zum Beispiel nach zeitlichem Aufwand abgerechnet wird, stellt sich die Frage, wie nachvollziehbar insbesondere der nicht unmittelbar mit dem Kunden verbrachte Zeitaufwand für den Kunden ist. Sollte hieraus kundenseitiger "Zeitdruck" in der Beratung entstehen, wäre der Sache ebenfalls nicht gedient.

Was spricht dagegen, dass Banken und Sparkassen Honorar- und Provisionsberatung flächen deckend nebeneinander anbieten? Wäre das aus Ihrer Sicht eine Lösung?

Hier ist zu unterscheiden, in welchem rechtlichen Rahmen dies erfolgen soll. So sieht das Honorar-Anlageberatungsgesetz einen Bezeichnungsschutz vor, der für den Begriff der Honorar-Anlageberatung klare Vorgaben macht. Ein Institut, welches Honorar-Anlageberatung nach § 33 Abs. 3a WpHG anbietet, kann dies entweder nur ausschließlich tun - was für die meisten Institute abgesehen von einigen spezialisierten Vermögensverwaltern oder eine Quirin Bank vermutlich nicht in Frage kommt - oder es ist eine organisatorische, funktionale und personelle Trennung zwischen der honorarbasierten und der provisionsbasierten Beratung einzurichten. Dies bedeutet aber, dass nicht ein und derselbe Mitarbeiter sowohl mit der provisionsbasierten Beratung als auch der Honorarberatung betraut sein darf. Ebenso dürfen Vertriebsvorgaben für die Honorarberatung nicht dem Kundeninteresse entgegenstehen.

Aus Kundensicht wäre aus meiner Sicht jedoch wünschenswert, wenn er unkompliziert zwischen beiden Vergütungsformen wählen könnte. Dies würde ihm auch den direkten Vergleich vereinfachen. So könnte eine Bank oder Sparkasse durchaus auch honorarbasierte Beratung neben dem Provisionsmodell anbieten, es wäre dann jedoch genau auf den Bezeichnungsschutz zu achten. Sprich, es spricht rechtlich nichts dagegen, dem Kunden für bestimmte Beratungsleistungen auch explizit ein Honorar zu berechnen und dann auf die Provision aus dem Produkt zu verzichten oder diese an den Kunden auszukehren.

Sind also letztlich zu strenge rechtliche Vorgaben schuld daran, dass es noch so wenig Honorarberatungsangebote in Deutschland gibt?

Dies ist sicherlich ein Stück weit so, da das Gesetz an der Geschäftsrealität vieler Berater, aber auch Kunden vorbei geht. So wird vielen Beratern, die gerne bereit wären, sukzessive auf Honorarberatung umzustellen, das Leben bei einer solchen Umstellung sehr schwer gemacht. Umgekehrt wäre es ja vielleicht auch im Interesse des Kunden, beide Entgeltvarianten, also Provision oder Honorar alternativ angeboten zu bekommen, um dann nach direktem Vergleich und bei vollständiger Transparenz entscheiden zu können.

Ist der Versicherungsvertrieb im Modell der Honorarberatung überhaupt schon möglich/sinnvoll? Oder fehlt es dazu noch an Nettotarifen?

Die Anzahl der reinen Nettotarife ist sicherlich noch ausbaubar, insbesondere im Sachversicherungsbereich, aber bei Auskehrung von Courtagen ist auch hier ein Honorarmodell denkbar und wird im Markt auch bereits praktiziert.

Was ist von der These zu halten, dass ein komplettes Provisionsverbot das Problem der Altersarmut verstärken würde, weil sich viele Kunden dann Beratung nicht mehr leisten könnten oder wollten?

Mir sind hierzu noch keine fundierten empirischen Erkenntnisse bekannt. Das Hauptproblem hierbei sind aber auch die bereits angesprochenen fehlenden Kenntnisse auf der Kundenseite, da am Ende eine Honorarberatung ja nicht teurer als eine provisionsbasierte Beratung sein muss - und erst recht nicht im Bereich der Altersvorsorge. Für Standardbedürfnisse im Retail-Bereich wird es auch in Zukunft gute und bezahlbare Angebote, gegebenenfalls im Bereich Robo Advice geben.

Umgekehrt bedeutet dies, dass ein Honorarberater de facto deutlich mehr Aufklärungsarbeit zu leisten hat, da er dem Kunden zunächst die häufig unbekannte alternative Vergütungsform in ihrer Funktionsweise erläutern muss.

Ist denn Robo Advice wirklich ein adäquater Ersatz für die persönliche Beratung? Und läuft man bei solchen Modellen nicht Gefahr, bestimmte Kundengruppen gar nicht zu erreichen?

Wie der Name schon impliziert, setzt Robo-Advice eine Affinität für internetbasierte Beratung ohne "menschliche Beraterkomponente" voraus. Darüber hinaus müsste der Kunde eine relativ gute finanzielle Allgemeinbildung und Affinität für private Finanzen haben, um als Selbstentscheider gut agieren zu können. Selbst, wenn diese Kundengruppe immer größer wird, stellt sie bisher nicht die Mehrheit dar.

Warum ist die Akzeptanz der Honorarberatung in Deutschland noch so gering?

Dies hat mehrere Gründe. Zum einen sind die Bereitschaft und das Gefallen an der Beschäftigung mit den eigenen privaten Finanzen in Deutschland nicht besonders stark ausgeprägt. Bei den eigenen privaten Finanzen wird häufig wesentlich weniger Aufwand betrieben als beim Autokauf oder dem Kauf einer neuen Einbauküche.

Hinzu kommt eine vielfach schwach ausgeprägte finanzielle Allgemeinbildung. Auf dieser Basis ist es - wie die bereits erwähnte Studie des PFI Private Finance Institute ebenfalls zeigt - der Mehrheit der Deutschen gar nicht möglich, die Vorteilhaftigkeit der einen oder anderen Vergütungsform in der jeweiligen Beratungssituation zu ermitteln und dies entsprechend mündig mit dem jeweiligen Anbieter zu verhandeln.

Zum anderen ist das Angebot an Honorarberatung aber auch noch relativ gering. Wenn ich also nicht bereits gezielt nach einem Honorarberater suche, stoße ich per Zufall eher nicht auf ein derartiges Angebot.

Und klassische Banken und Finanzdienstleister bieten dies in der Regel auch in der Fläche (noch) nicht an.

Würde das nicht dafür sprechen, die gesetzlichen Vorgaben so zu ändern, dass beide Vergütungsformen parallel angeboten werden können und der Kunde zu Beginn des Beratungsgesprächs wählen kann, welches Modell er nutzen möchte?

Ja, das wäre sicherlich ein guter Weg, um Honorarberatung als Alternative noch stärker zu Bekanntheit und Verbreitung zu verhelfen. Auf die erforderliche klare Trennung beider Bereiche und zur Vermeidung von für den Kunden unklaren Mischformen wäre entsprechend vonseiten des Gesetzgebers zu achten.

Was müsste sich ändern, um die Zahlungsbereitschaft für Beratungsleistungen zu steigern?

Zum einen müssen Honorarberater zunächst einmal ihren Honoraranspruch mit entsprechender Beratungsleistung legitimieren. Für ein klassisches Verkaufsgespräch würde sicherlich niemand ein Honorar zahlen. Vielmehr bedarf es einer für sich genommen werthaltigen Dienstleistung, wie zum Beispiel einer ganzheitlichen Finanzplanung, Anlageberatung oder Altersvorsorgeberatung.

Gleichzeitig müssten die Vor- und Nachteile der Honorarberatung durchaus auch in Abgrenzung zum alternativen Provisionsmodell von den Anbietern transparent gemacht werden. Auf dieser Basis könnte der Verbraucher dann die Angebote vergleichen und das für ihn bevorzugte Modell wählen.

Wie müssten Vergütungsmodelle gestrickt sein, um Fehlanreize zu verhindern?

Im Idealfall führt das Vergütungssystem nicht dazu, dass ein Produkt aus Beratersicht verkauft werden muss beziehungsweise einem bestimmten Produkt gegenüber einem anderen der Vorzug gegeben wird, ohne dass dies im besten Kundeninteresse wäre.

Ein Vergütungssystem, welches aber aus sich selbst heraus sämtliche Fehlanreize beziehungsweise Möglichkeiten zur Manipulation unterbindet, ist sicherlich schwer zu implementieren. Es ist vielmehr eine Kombination aus gelebter Transparenz im Vergütungsmodell, Qualifikation des Beraters, neutralen Gütesiegeln, wie dem Zertifikat "Certified Financial Planner" im Bereich der Finanzplanung und dem Aufbau von Reputation und Weiterempfehlung, was einen Berater erfolgreich macht.

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