Darlehenszweitmarkt

Ein Ansatz zur Lösung des Problems der Vorfälligkeitsentschädigung

Kaum ein Thema weist ein derart großes Konfliktpotenzial im Verhältnis zwischen Kreditinstitut und Kunden auf, wie das Problem der Vorfälligkeitsentschädigung. Hinter diesem Begriff verbirgt sich der Ausgleich zwischen Darlehensnehmer und Kreditinstitut bei Beendigung des Darlehens vor Ende der Zinsbindungsfrist. Die dogmatische Einordnung wie auch die Form der Berechnung haben die Gerichte über mehr als zwei Jahrzehnte beschäftigt.1) Im Rahmen des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes wurde dann der Relevanz der Thematik Rechnung getragen. Der in diesem Zusammenhang neu aufgenommene § 409 Abs. 2 BGB bildet seit 2002 die Grundlage für den Anspruch des Kreditinstitutes auf Entschädigung nach erfolgter vorzeitiger Kündigung des Darlehens.

Nur teilweise Problemlösung durch das neue Gesetz

Doch wer sich damit eine Entschärfung des Problems erhofft hatte, sah sich enttäuscht. Denn die zentrale Frage der Berechnung des Schadensumfangs ist geblieben. Man konnte sich nicht auf einen Ansatz einigen. Vielmehr können die Kreditinstitute aus zwei alternativen Berechnungsmethoden auswählen. Obwohl begrifflich ungenau2), haben sich die Begriffe Aktiv-Passiv- und Aktiv-Aktiv-Methode durchgesetzt. Der Unterschied der Ansätze liegt in der Art der Wiederanlage der durch die Darlehensrückzahlung fließenden Mittel. Während beim Aktiv-Aktiv-Ansatz von einer Neuausleihung im Rahmen einer äquivalenten Immobilienfinanzierung ausgegangen wird, liegt dem Aktiv-Passiv-Ansatz eine Wiederanlage in risikoarme festverzinsliche Wertpapiere zugrunde.

Zugleich eröffnet dieses Wahlrecht dem Kreditinstitut die Möglichkeit, bei unterschiedlichen Entwicklungen auf dem Anleihe- beziehungsweise Finanzierungsmarkt das jeweils niedrigere Zinsniveau zu wählen und damit die Höhe der Vorfälligkeitsentschädigung zuungunsten des Kunden zu beeinflussen. Unabhängig von der Ausübung des Wahlrechts ist angesichts des historisch niedrigen Zinsniveaus derzeit bei sämtlichen vorzeitigen Darlehensrückzahlungen eine Vorfälligkeitsentschädigung zu zahlen. Allein diese Tatsache ist Anlass genug, sich der Thematik anzunehmen.

Eine besondere Aktualität gewinnt die Thematik aber erst durch jüngste Entwicklungen im Bereich der Finanzierungsvermittlung. Letztlich ist es die Verbindung von zwei Trends im Finanz- und Kapitalmarkt. Zum einen der sich immer stärker durchsetzende Vertrieb auch privater Immobilienfinanzierungen über das Internet und zum anderen die Etablierung von Zweitmärkten für schwer oder gar nicht übertragbare Finanzprodukte.

Bislang kannte man Zweitmärkte in unterschiedlicher Ausprägung (C2C beziehungsweise C2B) insbesondere aus den Bereichen Lebensversicherungen3) und Geschlossene Fonds4). Grundlage für deren Erfolg war das Bestehen ineffizienter Märkte, die zu einer verzerrten Preisbildung führen: Kunden verfügen über ein werthaltiges Produkt, für das erst gar kein Markt existiert oder dessen Preis bei der Rückgabe an den Emittenten von diesem einseitig festgelegt wird. Da diese Preisfestsetzung in Ermangelung eines Marktes nicht auf den allgemeinen Prinzipien von Angebot und Nachfrage basiert, erhält der Kunde eine Gegenleistung, die erheblich vom objektiven Marktwert abweicht. Diese Grundprinzipien finden sich auch im Bereich der privaten Immobilienfinanzierung wieder. Im Unterschied zu den vorgenannten Beispielen geht es hier aber nicht um die Bewertung von Vermögenswerten, sondern um ein Ungleichgewicht in der Bewertung von Entschädigungsansprüchen.

Ausgangspunkt der Überlegung war zunächst die Hypothese, dass in einer nennenswerten Zahl von Fällen das Kreditinstitut die Optionen zur Berechnung einer möglichst hohen Vorfälligkeitsentschädigung ausschöpfen wird. Eine entsprechende Motivation wird immer dann gegeben sein, wenn der Kunde aus Sicht des Instituts keine oder allenfalls eine geringe Perspektive für eine zukünftig ertragreiche Zusammenarbeit bietet. Im umgekehrten Fall wird ein Institut regelmäßig zu Zugeständnissen bei der Vorfälligkeitsentschädigung zugunsten des Fortbestandes der Kundenbeziehung bereit sein.

Das Konzept eines Kreditzweitmarktes

Ausgehend von einem entsprechend rationalen Handeln wird die Hypothese unterstützt durch den Umstand, dass gerade bei Privatpersonen die Finanzierung des Eigenheims oftmals den überwiegenden Teil der Kundenbeziehung ausmacht. Hinzu kommt, dass der Verkauf der Immobilie oft mit einem beruflich oder privat bedingten Wohnungswechsel verbunden ist. Man kann also davon ausgehen, dass das zukünftige Geschäftspotenzial des Kunden eher negativ beurteilt wird. Es ist daher anzunehmen, dass Banken ihren Kunden in zahlreichen Fällen Beträge in Rechnung stellen, die sich an der rechtlich zulässigen Obergrenze bewegen.5) Auf die Frage, ob und in welchem Umfang die gesetzlich vorgegebenen Grenzen in der Berechnung überschritten werden, soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden.6)

Für die erfolgreiche Etablierung eines Zweitmarktes genügt es indes nicht, ineffiziente Strukturen aufzudecken und daraus ein entsprechendes Angebot abzuleiten. Entscheidend ist vielmehr, eine entsprechende Nachfrage zu generieren. Auf das Konzept des Darlehenszweitmarktes übertragen, hatte man die Frage zu beantworten: Warum soll eine Privatperson ein Interesse haben, ein Darlehen mit einem Zinssatz über dem gegenwärtigen Marktniveau zu übernehmen?7)

Im Schrifttum wurde diese Frage vorschnell unter Hinweis auf die Zinsdifferenz zum Nachteil des Erwerbers abgelehnt.8) Verkannt wurde dabei, dass der bisherige Darlehensnehmer in jedem Fall zur Leistung einer Kompensation in Form der Vorfälligkeitsentschädigung verpflichtet wäre.9) Die ökonomische Bewertung der Vorteilhaftigkeit ist mithin im Gesamtkontext zu sehen. Geht man nun unter Verweis auf das zuvor Gesagte davon aus, dass sich die von dem Kreditinstitut berechnete Vorfälligkeitsentschädigung am oberen Rand des gesetzlich zulässigen bewegt, könnte dies zur Konsequenz haben, dass die Vorfälligkeitsentschädigung die Zinsnachteile eines potenziellen Erwerbers überkompensiert.

Soweit zu den theoretischen Überlegungen. Diese werden in der Praxis durchaus bestätigt, wie die folgende Beispielsrechnung verdeutlicht.

Restdarlehen: 200 000 Euro

Nominalzins: 5,0 Prozent

Restlaufzeit bis Ende Zinsbindung: 24 Monate

Vorfälligkeitsentschädigung*: 14 764,35 Euro

* Ermittelt mit dem Vorfälligkeitsrechner der Interhyp AG

Auf Basis dieser Daten und unter Berücksichtigung eines Marktzinses von 2,5 Prozent für Darlehen mit vergleichbarer Zinsbindungsfrist ergäbe sich aus Sicht des Erwerbers folgendes Bild:

Effektivzins unter Berücksichtigung der Zahlung der vollen Vorfälligkeitsentschädigung: 1,63 Prozent*

Kompensation, um Marktzins zu gewährleisten: 10 950 Euro

*Auf Basis des Angebotsrechners der Hypoxx AG

Bei diesem Beispiel beträgt die Differenz zwischen der von der Bank geforderten Vorfälligkeitsentschädigung und der Kompensation, die die Differenz zum Marktzinsniveau ausgleichen würde, 3 814,35 Euro. Dieser Betrag begrenzt nun den Spielraum für die Preisverhandlungen zwischen Darlehensinhaber und potenziellem Erwerber.10) So wäre es aus Sicht des Darlehensinhabers wenig sinnvoll, die gesamte Vorfälligkeitsentschädigung an den Erwerber weiterzureichen, da in diesem Fall keine Ersparnis gegenüber der Forderung des Kreditinstitutes eintreten würde. Umgekehrt würde ein Erwerber keinen Anreiz haben, eine Kompensation zu akzeptieren, die ihn nicht besser stellt als bei einer direkten Finanzierung. Die Erfahrung in der Praxis zeigt, dass regelmäßig ein für beide Parteien lohnender Ausgleichsbetrag gefunden wird.

Beurteilung aus Sicht des Kreditinstituts

Die vorgenannten Ausführungen blieben allerdings eine bloße theoretische Überlegung, wenn davon auszugehen ist, dass das Kreditinstitut einer entsprechenden Darlehensübertragung widerspricht. Insoweit ist zunächst zu prüfen, ob der Darlehensnehmer einen Anspruch gegen das Kreditinstitut auf dessen Einverständnis zur Übertragung hat. Teilweise wird diese Verpflichtung unter Verweis auf die allgemeine Pflicht zur Schadensminimierung bejaht.11)Rechtsfolge wäre, dass bei Ablehnung des Ersatzkreditnehmers trotz adäquater Bonität der Anspruch auf Vorfälligkeitsentschädigung entfällt. Dieses Ergebnis wäre aus Sicht des Darlehensinhabers optimal. Er könnte ohne eine Entschädigung zahlen zu müssen das Darlehensverhältnis auflösen. Indes wäre eine solche Lösung wenig förderlich für das Konzept des Darlehenszweitmarktes. Dieser würde sehr schnell für potenzielle Finanzierungsinteressenten unattraktiv, würde es zu keiner tatsächlichen Darlehensübertragung kommen.12)

Für den Erfolg des Konzeptes Darlehenszweitmarkt ist es daher unabdingbar, dass das beteiligte Kreditinstitut der Transaktion zustimmt. Eine Bank wird aber auf die rechtliche Durchsetzung des Anspruchs auf Vorfälligkeitsentschädigung nur verzichten und zu einer aktiven Mitarbeit bereit sein, wenn die Übertragung für sie vorteilhaft ist. Dies gilt umso mehr, da ein kombinierter Schuldner- und Sicherheitenwechsel vorliegt, der entsprechenden Prüfungsaufwand erfordert.13) Demnach ist dann von einer positiven Begleitung des Übertragungsprozesses durch die Bank auszugehen, wenn der neue Kunde aus Sicht des Instituts eine interessante Perspektive für eine zukünftig ertragreiche Zusammenarbeit bietet.

Grundsätzlich ist dies einzelfallspezifisch zu betrachten. Dennoch lassen sich relevante Alternativszenarien beschreiben. Ein sehr zum Leidwesen der Kreditinstitute häufiger Fall ist der, bei dem der Altkunde unter Protest die geforderte Vorfälligkeitsentschädigung zahlt und aufgrund des Ärgers anschließend seine Kontoverbindung auflöst. Eine andere Variante ist, dass der Altkunde nicht bereit ist, den geforderten Betrag für die Vorfälligkeitsentschädigung zu zahlen. In diesem Fall ist anzunehmen, dass dieser eine Übergangslösung suchen und dann zum frühest möglichen Zeitpunkt das Darlehen vorfälligkeitsentschädigungsfrei zurückzahlen wird. Eine anschließende Kündigung der Geschäftsbeziehung durch den Kunden ist auch in dieser Variante wahrscheinlich.

Stimmt die Bank dagegen der Übertragung zu, resultiert daraus ein interessantes Neugeschäftspotenzial. Dieses lässt sich verdeutlichen, wenn man das obige Beispiel aufgreift. Zunächst gewinnt die Bank einen neuen Kunden mit entsprechendem Cross-Selling Potenzial (Girokonto, Versicherungen). Doch auch bei der Immobilienfinanzierung selbst eröffnen sich zusätzliche Geschäftsmöglichkeiten. Hierzu gehört sicher die Anschlussfinanzierung mit dem Neukunden im Wege eines Forward-Darlehens mit Auszahlung zum Ende der Zinsbindungsfrist in zwei Jahren. Damit kann der neue Kunde auch gleich länger an das Institut gebunden werden. Idealerweise wird auch der Altkunde das Einverständnis seiner Bank zur Übertragung des Darlehens und damit der Reduzierung der Vorfälligkeitsentschädigung würdigen und seine Kontoverbindung aufrechterhalten. Angesichts dieser Perspektiven sollte auch von Seiten des Kreditinstituts eine entsprechende Bereitschaft zur Unterstützung dieses neuen Marktsegments bestehen.

Erweiterung des Anwendungsbereiches

Ein bislang ausgeblendetes Thema ist die Motivation für eine vorzeitige Rückzahlung des Darlehens. Denn nach überwiegender Ansicht in Literatur14) und Rechtsprechung15) ist es dem Darlehensnehmer keineswegs ins Belieben gestellt, aus welchem Grund er das Darlehen zurückzahlen möchte. Vielmehr ist dieses Recht beschränkt auf Rückzahlungen zum Zwecke des Erhalts der wirtschaftlichen Handlungsfreiheit. Explizit nicht erfasst werden vorzeitige Darlehensrückzahlungen zum Zwecke der zinsgünstigen Umschuldung.16) Gerade in diesen Fällen, die bei dem aktuell sehr niedrigen Guthabenzins eine hohe Relevanz haben, wird das darlehensgebende Kreditinstitut regelmäßig erst gar keine Rückzahlung zulassen. Von dieser restriktiven Verfahrensweise wird aber abgewichen, wenn ein Ersatzkreditnehmer gestellt wird. Damit kann auch hier der Darlehenszweitmarkt seinen positiven Effekt entfalten.

Die bisherigen Ausführungen beschränkten sich auf die marktkonforme Bewertung des Anspruchs auf Vorfälligkeitsentschädigung. Naheliegend ist die Ausweitung des Konzeptes auf den Bereich der Forward-Darlehen und damit auf die Nichtabnahmeentschädigung. An dieser Stelle sei auch ein Ausblick auf zukünftige Entwicklungen gestattet. Bislang ging man implizit davon aus, dass die Nominalzinsen bestehender Darlehensverträge höher sind als das gegenwärtige Zinsniveau. Doch dieser Zustand wird nicht ewig bestehen bleiben. Bei Umkehr der Zinsentwicklung entfiele die Forderung der Kreditinstitute auf Vorfälligkeits- beziehungsweise Nichtabnahmeentschädigung. Damit wäre das zuvor beschrieben Konzept eigentlich hinfällig.

Doch auch in diesem Umfeld bietet der Darlehenszweitmarkt interessante Gestaltungsformen. Denn für "gebrauchte" Darlehen beziehungsweise Darlehensansprüche mit Zinssätzen, die deutlich attraktiver sind als das dann aktuelle Marktniveau, bietet der Darlehenszweitmarkt eine ideale Plattform. Diesbezüglich wird es dann noch entscheidender darauf ankommen, wie dieses Geschäftsmodell von Seiten der beteiligten Kreditinstitute beurteilt wird.

In jedem Fall wäre es wünschenswert, wenn sich der Darlehenszweitmarkt als transparentes und damit verbraucherfreundliches Element in der privaten Immobilienfinanzierung etablieren würde. Ein großer Erfolg wäre es schon, wenn der Darlehenszweitmarkt letztlich dazu beitragen könnte, dass Aspekten wie der Vorfälligkeits- oder Nichtabnahmeentschädigung ihr Konfliktpotenzial genommen wird.

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