Wohneigentum in der Altersvorsorge

Reverse Mortgage - Marktchancen, Kundenwünsche und Gestaltung

Reverse Mortgage, in Deutschland auch unter dem Begriff umgekehrter Hypothekenkredit bekannt, ist ein in den USA erprobtes Modell, das auf dem USamerikanischen Markt seit Ende der achtziger Jahre zu finden ist. Das Produkt besteht aus einer regelmäßigen Entnahme von Kapital ohne Rückzahlungsverpflichtungen, sodass das Darlehen im umgekehrten Sinne nicht langsam getilgt, sondern stetig aufgebaut wird. Als Sicherheit dient eine Hypothek auf eine selbst bewohnte Immobilie.

Ältere Personen können so Liquidität aus ihrer Immobilie ziehen und trotzdem in ihr wohnen bleiben. Am Ende, also im Falle des Todes oder des Wegzugs in ein Alters- beziehungsweise Pflegeheim, wird die Immobilie verkauft, der Erlös für die Tilgung des Darlehens verwendet und die verbleibende Summe an den Erben oder noch lebenden Eigentümer der Immobilie ausgezahlt.

Die Situation in Deutschland

Das Institut für Finanzdienstleistungen (iff) hat im Jahr 2000 ein entsprechendes Modell für den deutschen Markt entwickelt und mehrfach Anbieter bei der Produktentwicklung für den deutschen Markt beraten. Auch andere Kreditinstitute haben daran gearbeitet, Reverse Mortgage als Produkt auf den deutschen Markt zu bringen, darunter eine Sparkasse und die Dresdner Bank. Trotz des immer wieder auftauchenden Interesses der Anbieter und der zunehmenden Literatur zu dem Thema sowie anstehender neuer Veröffentlichungen hat bis jetzt kein deutsches Kreditinstitut ein derartiges Produkt auf den Markt gebracht.1)

Derzeit besteht in Deutschland lediglich die Möglichkeit, sich auf privater Ebene einen Darlehensgeber zu suchen, der sich auf die Zahlung einer Leibrente im Gegenzug des vorzeitigen Verkaufs der Immobilie einlässt. Diskutierte Modelle sind dabei der sofortige Verkauf mit anschließender Mietzahlung, der Verkauf zu einem geringeren Preis mit aufgeschobener Übergabe, der sofortige Verkauf mit Eintragung einer Leibrente ins Grundbuch und die Darlehensvergabe mit Absicherung durch eine Hypothek/Grundschuld mit geplantem Verkauf der Immobilie zum Zeitpunkt des Todes.

Wachsendes Interesse an Reverse Mortgage

Zurzeit ist ein zunehmendes Interesse an dem Thema Reverse Mortgage zu spüren. Das Institut für Finanzdienstleistungen hat dies aufgrund zunehmender Anfragen von Banken, der verstärkten Nachfrage nach iff-Studien zu dem Thema Reverse Mortgage und Umfragen zu dem Thema "Reverse Mortgage in Deutschland" festgestellt.2)

Die USA hat seit fast 20 Jahren Erfahrung mit Reverse Mortgage.3) Mit dem Housing and Community Development Act von 1987 wurde der Rechtsrahmen für Reverse Mortgage-Produkte geschaffen und 1989 hat die staatliche Organisation HUD mit dem HECM-Programm (Home Equity Conversion Mortgage) die ersten Verträge auf den US-amerikanischen Markt gebracht. Die tatsächliche Nutzung ist in den Anfangsjahren in den USA hinter den Erwartungen zurückgeblieben.4) Erst zehn Jahre später, im Jahr 1998, wurde daraus ein ständiges Programm und noch im Jahr 2000 wurden lediglich knapp 7 000 HECM-Neuverträge abgeschlossen.

Aktuelle Zahlen zeigen jedoch, dass der Markt für Reverse Mortgage in den USA seit einigen Jahren sehr stark wächst: Am 15. Dezember 2005 hat das U. S. House of Representatives ein Gesetz beschlossen, das die bis dahin geltende Limitierung von versicherbaren Reverse-Mortgage- Verträgen auf 250 000 aufhebt, um den wachsenden Markt nicht zu begrenzen5) und am 22. Juni 2007 hat HUD mit seinem Programm HECM die Zahl von 308 000 Reverse-Mortgage-Verträgen überschritten.6)

Die Nutzung der selbst bewohnten Immobilie zur Mobilisierung von Liquidität im Alter ist in den USA damit schon seit einigen Jahren verbreitet. Reverse Mortgage wird in den USA vor allem bei einer zu geringen Rente genutzt. Man spricht daher auch von "home rich but cash poor". Das Mindestalter für die Verrentung ist bei HECM 62 Jahre. Die Immobilie muss als Hauptwohnung genutzt werden.

Bei dem in den USA vorherrschenden Modell handelt es sich zudem um eine Darlehensform, bei der der Staat eine Garantie für den Verwertungserlös übernimmt. Als Gegenleistung müssen zwei Prozent des zur Entnahme vorgesehenen Kapitals als Versicherungsprämie in einen Garantiefonds eingezahlt werden. Die Zinsen sind üblicherweise variabel, aber durch Caps nach oben begrenzt. Festverzinsliche Reverse-Mortgage-Produkte wurden im Mai 2007 angekündigt, um die Darlehen für die Rentner besser kalkulierbar zu machen.7)

Es bestehen unterschiedliche Auszahlungsmöglichkeiten. Es können Einmalbeträge entnommen werden, regelmäßige gleich bleibende oder dynamisierte Raten vereinbart werden, die für eine bestimmte Anzahl von Jahren oder in Form einer lebenslang garantierten Zahlung gewährt werden. Auch ist die Vereinbarung einer Kreditlinie verbreitet, die zur freien Verfügung steht für Reparaturen am Haus, Anschaffungen oder Reisen. Üblicherweise können 75 Prozent des Immobilienwertes auf diese Art kapitalisiert werden, wobei diese Höchstgrenze auch die auflaufenden Zinsen mit enthält. Die maximale Entnahmemöglichkeit richtet sich nach der Entnahmeart und dem Zeitpunkt. Mit 62 Jahren ist etwa ein Drittel, mit 75 Jahren rund die Hälfte des Immobilienwertes mit einem Mal zu Beginn entnehmbar. Die Höhe der Gegenleistung ist auf den Erlös der Immobilie beschränkt.

Die Entnahmen aus dem Reverse-Mort-gage-Modell werden nicht besteuert, da sie kein Einkommen, sondern Kreditauszahlungen darstellen. Der Staat steuert das Modell über die Rückabsicherung und die staatliche Zulassung von Anbietern zum Vertrieb, die nur bei Einhaltung bestimmter Grundsätze erfolgt.

Das Marktpotenzial

Das Interesse an Reverse Mortgage ist schon deshalb sehr groß, weil die Rentnergeneration noch nie so reich war wie heutzutage und der Großteil des Vermögens vieler Rentner in der Immobilie gebunden ist. Reverse Mortgage erscheint dabei wie die Möglichkeit, einen Schatz zu heben, der bis jetzt bis zum Erbfall unantastbar erschien. Daher wird die Entwicklung in anderen Staaten aufmerksam beobachtet und seit einigen Jahren schon Reverse-Mort-gage-Produkte für den deutschen Markt diskutiert. Unsicherheiten bestehen aber über das Marktpotenzial. Der derzeitige US-Markt würde - auf die deutsche Bevölkerung übertragen - ungefähr 84 000 Verträge bedeuten bei 20 000 Neuverträgen pro Jahr, wobei diese Zahl aufgrund der bestehenden Erfahrungen in anderen Staaten wahrscheinlich viel schneller erreicht werden würde als in den USA, bei der die Entwicklung bis heute 20 Jahre gedauert hat.

Reverse Mortgage werden bis zu 600 000 britische Pfund angeboten.8) Doch liegt das durchschnittliche Darlehen weit darunter. Auf dem australischen Markt, für den Zahlen zur durchschnittlichen Darlehenshöhe bekannt sind, liegt das durchschnittlich nachgefragte Darlehen bei 60 000 Australischen Dollar, was knapp 37 000 Euro entspricht.9) Dieses hochgerechnet auf den deutschen Markt würde einem Volumen von jährlichen Neuverträgen in Höhe von unter einer Milliarde Euro entsprechen, das erst nach einigen Jahren des Anlaufs erreicht würde. Einige Anbieter halten dieses Marktvolumen für zu klein, um ein komplexes Reverse-Mortgage-Produkt zu entwickeln und auf den deutschen Markt zu bringen.

Nun lassen sich die Zahlen nicht einfach übertragen. Deutschland hat eine geringere Geburtenrate als die USA, der Wert der Immobilien weicht in den einzelnen Ländern stark voneinander ab, der Bedarf aufgrund sonstigen Einkommens im Rentenalter - vor allem durch die gesetzliche Rentenversicherung - ist anders zu bewerten und die Einstellung zur selbst genutzten Immobilie ist in den Gesellschaften unterschiedlich. Für den deutschen Markt ist dabei Folgendes zu berücksichtigen:

- Etwa jeder Zweite in Deutschland wohnt in einer eigenen Immobilie, die bisher in der Regel mit Eintritt des Rentenalters abbezahlt ist. 15,8 Millionen Personen sind in Deutschland über 65 Jahre alt.10) Dabei bleiben 20 bis 25 Prozent der Haushalte in Deutschland kinderlos.11) Damit liegt das Potenzial kinderloser Rentner mit einer eigenen abbezahlten Immobilie, die kein primäres Bedürfnis haben, ihre selbst genutzte Immobilie an Kinder zu vererben, bei ein bis zwei Millionen Personen, mit deutlich steigender Tendenz.

- Das geschätzte Privatvermögen der Haushalte in Deutschland, das in Immobilien gebunden ist, beträgt 4,2 Billionen Euro.12) Der durchschnittliche Verkehrswert der Immobilien deutscher Haushalte beträgt 245 000 Euro.13)

Geht man davon aus, dass Dreiviertel des Immobilienwertes als Darlehen inklusive Zinsen vergeben wird, steigt damit das Potenzial auf bis zu zehn Milliarden Euro pro Jahr an, wobei Personen mit Kindern, die ebenfalls als Kunden in Betracht kommen, noch nicht mit berücksichtigt wurden. Beachtet werden muss aber auch, dass die meisten Rentner in Deutschland derzeit durch die gesetzliche Rente ausreichend Einkommen und Liquidität im Rentenalter besitzen und die gesetzliche Kranken- und Pflegeversicherung bisher die wesentliche Versorgung im Alter abdeckt, sodass der Bedarf nach mehr Liquidität im Rentenalter im Verhältnis zu den USA wohl insgesamt geringer eingeschätzt werden muss, wo der Anteil von Armen in der Gesellschaft höher ist als in Deutschland und vielen Bürgern eine Grundversorgung wie durch die gesetzliche Krankenversicherung fehlt.

Darüber hinaus wohnen rund Zweidrittel der Bevölkerung in den USA in einer eigenen Immobilie, im Verhältnis zu lediglich jedem Zweiten in Deutschland. Die Möglichkeit einer Darlehensaufnahme durch Rentner mit einer eigenen Immobilie ist in den USA daher weitaus größer bei gleichzeitig höherem Bedarf der Finanzierung von laufenden Ausgaben des Lebensunterhalts und Kosten für die Gesundheitspflege als in Deutschland.

Erfahrungen in anderen Staaten

Neben den USA gibt es Entnahmemöglichkeiten aus einem grundpfandrechtlich gesicherten Darlehen zum Beispiel in Australien, in Kanada und in Großbritannien, hier Lifetime Mortgage genannt. Auf dem europäischen Festland wurde Ende 2005 durch eine Gesetzesreform die Möglichkeit für Reverse Mortgage auf dem italienischen Markt geschaffen. Ebenso ist in Frankreich mit der Einführung eines Crédit Hypothécaire Rechargeable im Jahr 2006 ein staatliches System für Reverse-Mortgage-Produkte geschaffen worden. Während das Modell in den USA vor allem auf Haushalte mit geringen Einkommen zugeschnitten ist, zielt der Ansatz in Frankreich eher auf eine zahlungskräftige Bevölkerungsgruppe, bei der der Konsum gesteigert werden soll. Erfahrungen aus Frankreich und Italien liegen im Gegensatz zu Australien, Kanada, Großbritannien und den USA bisher noch nicht vor.

Unterschiede der in den verschiedenen Staaten angebotenen Reverse-Mortga-ge-Produkte bestehen im Detail, so zum Beispiel bei dem Angebot von festen oder variablen Zinsen, dem Beginn der Entnahme - mit 55, 60 oder 62 Jahren - und der möglichen Kosten (britische Anbieter verlangen zum Teil Early Repayment Fees bei vorzeitiger freiwilliger Rückzahlung). Gemeinsam ist allen Modellen das Herausziehen von Liquidität aus der Immobilie zu Lebzeiten, ohne dabei die Nutzung der Immobilie aufzugeben und die Eigentumsverhältnisse zu ändern. Die Entnahme von Beträgen wird flexibel gestaltet.

Reverse Mortgage als Produkt wird daher in den nächsten Jahren um Deutschland herum zunehmend angeboten werden. Es zeigt auch, dass der Bedarf an einer Mobilisierung des Vermögens, die in der selbst bewohnten Immobilie steckt, im Rentenalter als steigend eingeschätzt wird.

Das Modell "Reverse Mortgage" spiegelt die Haltung vieler Wohneigentümer wieder, eine selbst bewohnte Immobilie im Alter nicht gerne wieder aufzugeben. Die emotionale Verbundenheit mit dem über lange Jahre abgezahlten Haus oder der Wohnung ist sehr hoch. Doch auch gegenüber "Reverse Mortgage", das einem Liquidität erlaubt, ohne sein Eigentum aufgeben oder umziehen zu müssen, bestehen psychologische Hürden.

Psychologische Hürden

Der Begriff "eat your brick" verdeutlicht die Ängste. Nur wer zusätzliche Liquidität benötigt, überwindet die Hürde, sein Haus langsam "aufessen" zu müssen. Nur die wenigsten Rentner gehen völlig rational an die Sache heran und wollen so optimal wie möglich ihre Immobilie zu Lebzeiten nutzen und sehen nach ihrem Tod für sich selbst keinen Wert mehr in der Immobilie.

Die Untersuchung von Leviton14) in den USA hat gezeigt, dass die Bereitschaft, seine eigene Immobilie schon zu Lebzeiten aus der Hand zu geben, eher gering ist und nur in Notsituationen - etwa bei sehr geringem Renteneinkommen oder notwendiger Eigenfinanzierung von Krankheitskosten - in Erwägung gezogen wird. Bleibt die eigene Nutzungsmöglichkeit dagegen erhalten, so wird die Bereitschaft, seine Immobilie als Liquiditätsreserve zu mobilisieren, zwar deutlich höher eingeschätzt, trotzdem bestehen auch dann erhebliche anfängliche Bedenken, seine einmal abbezahlte Immobilie erneut zu belasten.

Dem Wert der Immobilie stehen zudem verhältnismäßig geringe Auszahlungen gegenüber, weil die lange Dauer des Darlehens und die Anhäufung der Zinsen mit dem Zinseszinseffekt die Schulden enorm anwachsen lassen. Dies soll folgendes modellhaftes Beispiel verdeutlichen: Hat man 150 000 Euro als Kapitalvermögen zur Verfügung, kann man dem Kapitalvermögen lebenslang monatlich etwa 840 Euro entnehmen.15) Bei einer umgekehrten Hypothek kann man gerade einmal 315 Euro monatlich entnehmen, um nach 20 Jahren 150 000 Euro Schulden angehäuft zu haben.16) Vorhandenes Vermögen schrumpft bei Entnahmen verhältnismäßig langsam, Darlehen bei Entnahmen wachsen dagegen schnell an.

Wer über Kapitalvermögen verfügt, wird sich intuitiv zuerst für den Ver-zehr des Kapitalvermögens entscheiden. In Deutschland ist die Sparquote mit 10,6 Prozent vom Netto-Einkommen17) sehr hoch und gerade Immobilienbesitzer sparen auch im Alter weiter. Reverse-Mortgage-Produkte sind zudem komplex und für Verbraucher nicht einfach zu verstehen. Sie setzen sich aus einem Darlehen, der selbst genutzten Immobilie als Sicherheit und einem Absicherungsinstrument zusammen, das staatlich organisiert oder durch eine private Versicherung bereitgestellt werden kann. Die hohe Zinsbelastung aufgrund der langen Laufzeit ist für Laien nur sehr schwer nachzuvollziehen.

Aber auch auf Anbieterseite bestehen psychologische Hürden. Zunächst muss die Bank, die ein derartiges Produkt anbieten will, eine Versicherung mit in die Produktgestaltung einbeziehen, um das Langlebigkeitsrisiko aufzufangen. Wie bei Riester-Sparverträgen, bei der Auszahlungspläne mit dem 85. Lebensjahr enden und eine vorab bezahlte Versicherung die weiteren Zahlungen übernimmt, muss eine Versicherung das Risiko übernehmen, dass der Rentner über 100 Jahre alt wird und das gebildete Darlehen den Verkaufserlös der Immobilie übersteigt. Weil noch keine Erfahrungen mit derartigen Produkten vorliegen, kalkulieren die Versicherungsunternehmen entsprechend vorsichtig, womit die Versicherung teuer wird und damit die Attraktivität des Produkts schmälert.

Der Darlehensgeber muss während der Laufzeit des Darlehens auch die Verwaltung der Immobilie einkalkulieren, um einer Verwahrlosung beziehungsweise einem Verfall der Liegenschaft vorzubeugen, weil die Darlehensnehmer mit zunehmenden Alter dazu nicht mehr in der Lage sein werden und den Verkauf der Immobilie am Ende der Laufzeit einplanen. Typischerweise wird die Immobilie mit dem Tod oder einem Wegzug in ein Alters-/Pflegeheim vom Kreditinstitut verkauft.

Während bei der üblichen Darlehensvergabe die Verwertung des Objekts die Ausnahme darstellt, die ein Darlehensgeber möglichst vermeidet, stellt es im Fall von Reverse Mortgage den Normalfall dar. Unsicherheitsfaktoren wie die kontinuierlich steigende Lebenserwartung und das Risiko zukünftiger Immobilienwerte aufgrund der demografischen Entwicklung stellen weitere Hürden für Anbieter dar, wenn sie Reverse Mortgage flächendeckend als Produkt anbieten wollen.

Risiko Immobilienmarkt

Schrumpfende Bevölkerungszahlen sind ein Argument, wieso Banken die Idee von Reverse Mortgage bisher fallen gelassen haben. Denn wer bundesweit ein derartiges Produkt anbieten will, kann nicht die Hälfte der Kunden um Verständnis dafür bitten, dass ihre Immobilie dafür nicht in Betracht kommt, weil der Wiederverkauf in 20 Jahren mit zu viel Risiken verbunden sei. Vor allem, wenn die gleiche Bank die Immobilie mitfinanziert und den Kauf empfohlen hat, ist die Gefahr groß, langjährige Kunden vor den Kopf zu stoßen, wenn man später die Immobilie nicht als werthaltig für Reverse Mortgage erachtet.

Während für Wachstumsregionen weiterhin stabile bis steigende Immobilienpreise prognostiziert werden, sieht es in ländlichen, strukturschwachen Gebieten eher düster aus. Durch den heute schon regional bestehenden Bevölkerungsschwund gehen die Einnahmen der Kommunen zurück, die Infrastruktur ist überdimensioniert und die Erhaltung langfristig zu teuer. Rückbau findet heute schon statt. Immobilien in Randgebieten ohne ausreichende Infrastruktur wie öffentliche Verkehrsmittel, Ärzte und Krankenhäuser, Kultur und Einkaufsmöglichkeiten werden unattraktiv, die Immobilienpreise sinken und der Verkauf von Objekten in derartigen Gegenden wird schwierig werden, wenn er dann überhaupt noch möglich ist.

Durch eine Veränderung der Bevölkerung wird sich die Nachfrage nach Wohnimmobilien verändern. Unabhängig, wie der Immobilienmarkt in 20 Jahren aussehen wird, stellt er angesichts des Bevölkerungsrückgangs nach einem 30-jährigen historischen Anstieg potenzieller Käuferschichten ein erhebliches Risiko für die Verwertung der Objekte dar.

Gründe für Reverse Mortgage

Es gibt aber auch Gründe für ein verstärktes Interesse an Reverse-Mortgage-Produkten. Durch das kontinuierliche Sinken der realen gesetzlichen Rente, die verstärkte Durchbrechung von Lebensläufen mit Lücken in der gesetzlichen Altersvorsorge und den unterschiedlichen privaten Vorsorgeleistungen wird das Einkommensniveau der Rentner in der nächsten Generation stärker auseinanderfallen und die Altersarmut voraussichtlich zunehmen.

Dazu ist mit weiteren Belastungen durch Gesundheitsausgaben zu rechnen, soweit sich die Gesundheitspolitik der letzten Jahre fortsetzt. Der Druck auf die Rentner der kommenden Generation, Liquidität aus ihrer Immobilie herauszuholen, wird daher vermutlich zunehmen.

Mit der steigenden Anzahl von Haushalten ohne Kinder, der Veränderung des Konsumverhaltens älterer Menschen, die im Rentenalter auf möglichst hohem Niveau weiterleben wollen, und den Veränderungen beim Stellenwert der eigenen Immobilie, die zunehmend als Geldanlage dient, werden immer mehr Rentner bereit sein, aus ihrer selbst bewohnten Immobilie zu Lebzeiten Kapital zu ziehen und nicht mehr emotional an der Schuldenfreiheit der selbst bewohnten Immobilie hängen. Der Umgang, so ist zu erwarten, mit der eigenen Immobilie wird zunehmend rationaler und damit offener für Produkte wie Reverse Mortgage.

Dabei ist von unterschiedlichen Zielgruppen auszugehen. Zum einen wird es eine gehobene Mittelschicht ohne Erben und mit distanziertem Verhältnis zur eigenen Immobilie geben, die sich ohne äußere Zwänge frei dazu entscheidet, ihre Immobilie für mehr Liquidität zu nutzen. Zum anderen wird es von Altersarmut bedrohte Immobilienbesitzer geben, die dringend auf mehr Liquidität im Alter angewiesen sind und sich deshalb notwendigerweise mit Reverse-Mortgage-Produkten auseinandersetzen müssen. Es ist daher zu empfehlen, die Produkte auf die unterschiedlichen Zielgruppen abzustimmen.

Mögliche Produktgestaltung Folgende Rahmenbedingungen sind bei Reverse-Mortgage-Modellen wichtig:

- frühester Entnahmezeitpunkt (zum Beispiel ab dem 62. Lebensjahr),

- flexible Entnahme oder feste Rente möglich,

- lebenslange Auszahlungen/Darlehen garantiert,

- als Sicherheit dient allein die selbst genutzte Immobilie,

- Rückführung des Darlehens bei Verkauf jederzeit möglich,

- feste oder variable Zinssätze und

- Verkauf der Immobilie nur nach Auszug oder Tod.

Eine Variante ist ein Darlehen mit regelmäßiger Entnahme bis zum 85. Lebensjahr, wie es zum Beispiel auch Auszahlungspläne bei der Riester-Sparplänen vorsehen. Dazu muss, soweit es keine staatliche Absicherung der Risiken gibt, das Langlebigkeitsrisiko durch ein Versicherungsprodukt (älter als 85 Jahre) vorfinanziert werden. Dazu kommen Kosten für die Immobilienbetreuung während des Alters (Werterhalt, notwendige Reparaturen) und für den Immobilienverkauf zum Zeitpunkt des Auszugs beziehungsweise Todes. Verbleibendes Vermögen wird an die Erben ausgezahlt. Notwendige Kosten der Betreuung können dabei als zusätzliche Service-Leistungen verkauft werden, weil der Erhalt der eigenen Immobilie im Alter zunehmend schwerer fällt.

Die Rechte des Darlehensnehmers müssen klar formuliert sein, weil ein vorheriger Zwang zum Auszug die verwundbarste Stelle des Rentners ist und die Nutzung der Immobilie gewährleistet werden muss. Solange der Darlehensnehmer Eigentümer der Immobilie bleibt, ist seine sachenrechtliche Position abgesichert. Eine vorzeitige Kündigung des Darlehens muss ausgeschlossen sein. Da der Darlehensnehmer in der Regel keine Raten schuldet, kann er auch nicht durch verspätete Zahlungen in Verzug geraten. Zeitpunkt und Umstände, die zur Verwertung der Immobile berechtigen, müssen eindeutig formuliert sein. Auch dürfen Rentner nicht voreilig zu einer Darlehensaufnahme überredet werden.

Staatliche Förderung

Das Institut für Finanzdienstleistungen hat im Jahr 2005 ein Lebenszyklus-Modell entwickelt, in dem die staatliche Förderung der Altersvorsorge dazu genutzt werden kann, eine eigene Immobilie zu erwerben. Weil die Förderung der Riester-Rente darauf beruht, dass im Rentenalter gleich bleibende Kapitalauszahlungen erfolgen, wurde die Idee des Reverse Mortgage mit der staatlichen Förderung der Altersvorsorge verbunden.

In der Abbildung 3 ist zu sehen, wie eine Person mit 20 Jahren beginnt, für die Altersvorsorge monatlich Geld anzusparen und mit dem 38. Lebensjahr das angesparte Kapital dazu verwendet, eine Immobilie zu kaufen. Bis zum Rentenalter zahlt die Person die Immobilie vollständig ab. Mit dem 65. Lebensjahr kann der Rentner nun aus seiner Immobilie wieder Kapital bis zu seinem Lebensende herausziehen. Dabei wird auch bei stagnierenden Immobilienpreisen der Anfangswert der Immobilie (250 000 Euro) nicht annähernd erreicht. Es bleibt dem Darlehensgeber genügend Sicherheit. Mit dem Kauf der Immobilie wird gleichzeitig schon die Entnahme von Kapital im Alter vorbereitet. Die Immobilienerwerber werden so an den Gedanken der Entnahme von Kapital im Rentenalter gewöhnt. Der dahinter stehende Gedanke ist: Wer sich vom Staat eine selbst genutzte Immobilie als Altersvorsorge finanzieren lässt, soll später auf das gebundene Vermögen zumindest in Höhe der staatlich geförderten Beiträge zurückgreifen, wenn er es für seinen Lebensunter-halt benötigt.

Zeit für einen zweiten Anlauf?

Sinnvoll wurde dabei erachtet, nicht die gesamte Immobilie durch Kapitalentnahme aufzuzehren, sondern einen Teil des Immobilienwerts bei dem Rentner selbst zu belassen, damit er und seine Nachkommen als potenzielle Erben ein Eigeninteresse am Erhalt der Immobilie haben und die Erben bei Interesse die Immobilie übernehmen können. Die Kundenbindung wird durch das vorgeschlagene Modell erhöht, weil die Kundenbeziehung mit dem Berufseinstieg und der ersten kapitalbildenden Altersvorsorge beginnt, über die Baufinanzierung erhalten bleibt und im Rentenalter durch die Entnahme von Liquidität in Form von Reverse Mortgage fortbesteht.

Reverse Mortgage hat bis jetzt trotz zahlreicher Ansätze in Deutschland noch nicht Fuß gefasst. Das liegt zum einen an der Komplexität des Produktes und zum anderen an der Unsicherheit über den Bedarf und die Akzeptanz bei den Rentnern. Trotzdem hat das Interesse an Reverse Mortgage nicht aufgehört, sondern in dem letzten Jahr sichtbar zugenommen. Die Entwicklung in den Nachbarländern Italien, Frankreich und Großbritannien sowie die Wachstumsraten in den USA mit wahrscheinlich 100 000 Neuverträgen im laufenden Jahr sprechen dafür, dass auch in Deutschland Reverse Mortgage in absehbarer Zeit umgesetzt wird.

Es scheint daher die Zeit für einen zweiten Anlauf gekommen, ein Reverse-Mortgage-Produkt auf den Markt zu bringen. Anbieter auf dem deutschen Markt werden in den ersten Jahren voraussichtlich keinen Massenmarkt mobilisieren, aber wertvolle Erfahrungen für die Zukunft sammeln und sich durch eine Produktinnovation von der Konkurrenz sichtbar absetzen können. Die demografische Entwicklung, sinkende Renteneinkommen und die Zunahme durchbrochener Lebensläufe sprechen für eine wachsende Nachfrage nach Reverse-Mortgage-Produkten auch in Deutschland.

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