Bausparen

Die "Zinsschockproblematik" in der Zinsrisikomessung der Bausparkassen

Die BaFin hat am 9. November 2011 den Verbänden der Kreditwirtschaft das Rundschreiben 11/2011 (BA) zu "Zinsänderungsrisiken im Anlagebuch, Ermittlung der Auswirkungen einer plötzlichen und unerwarteten Zinsänderung" (Zinsschock) übersandt.

Das Rundschreiben richtet sich an alle Kreditinstitute. Daher haben auch Bausparkassen das Rundschreiben uneingeschränkt anzuwenden. Das Geschäft der Bausparkassen weist jedoch bei der Zinsreagibilität eine Reihe von Besonderheiten auf, die sich auf die Zinsschockberechnung auswirken können. Eine buchstabengetreue, dem Geschäftsmodell nicht angepasste Anwendung des Rundschreibens könnte zu unangemessenen Schlussfolgerungen führen. Ausgehend von der Zwecksetzung des Rundschreibens soll zunächst herausgearbeitet werden, welche relevanten Besonderheiten es gibt, und das Instrumentarium, das bei Bausparkassen dafür vorhanden ist, dargestellt werden. Anschließend folgt ein Vorschlag für eine praxisgerechte und zielorientierte Lösung in Bezug auf die Anwendung des Rundschreibens für Bausparkassen.

Neben der Änderung des Zinsshiftes auf einheitlich plus/minus 200 Basispunkte enthält das Rundschreiben gegenüber der Vorgängerversion (07/2007 (BA) vom 16. November 2007) für Bausparkassen besonders relevante Änderungen beziehungsweise Konkretisierungen. Dabei handelt es sich um

- die Abgrenzung des zu berücksichtigenden Bestandes und

- die Berücksichtigung von impliziten Optionen in Bankprodukten.

Bausparen von dynamischen Elementen geprägt

Mit dem Rundschreiben verfolgt die Bankenaufsicht das Ziel, " ... zu überprüfen und zu bewerten, ob die institutsinternen Prozesse und Verfahren ein solides Risikomanagement und eine solide Risikoabdeckung gewährleisten". Auf der Grundlage der §§25 Abs.1 Satz 7 und 24 Abs. 1 Nr. 14 KWG werden Institute mit "erhöhtem Zinsänderungsrisiko" identifiziert, indem die Auswirkungen einer plötzlichen und unerwarteten Zinsänderung in Form eines Barwertverlustes (Absinken des wirtschaftlichen Wertes) in Relation zum regulatorischen Eigenkapital gesetzt werden. Übersteigen die Auswirkungen 20 Prozent des regulatorischen Eigenkapitals, wird die Bausparkasse als "Institut mit erhöhten Zinsänderungsrisiken" qualifiziert.

Der von der Aufsicht vorgegebene Zinsschock stellt ein "Overnight"-Szenario dar. Anpassungseffekte sind ausdrücklich nicht zu berücksichtigen. Relevant ist ausschließlich das Portfolio im Zeitpunkt der Betrachtung. Ziel ist eine Momentaufnahme, um zu messen, welchen Auswirkungen ein Institut bei diesem "Standardzinsschock" ausgesetzt ist, denen es keine Gegenreaktionen/Anpassungseffekte mehr entgegenstellen kann.

Während das Rundschreiben von einer rein statischen Betrachtung ausgeht, kommt im Bausparkollektiv aber eine Vielzahl von dynamischen Elementen zum Tragen. Das liegt daran, dass die Verhaltensweisen der Bausparer im Zeitablauf Änderungen unterworfen sind. Diese dynamischen Aspekte spiegeln sich in den vielfältigen Wahlmöglichkeiten ("implizite Optionen") der Bausparer sowohl auf der Spar- als auch auf der Darlehensseite, die sich auf vorhandene Portfolios, aber auch auf noch nicht bilanzwirksam gewordene Vertragsbestände auswirken. Die Ausübungswahrscheinlichkeiten dieser Optionen können durch Zinsänderungen beeinflusst werden. Diese Effekte können sich bei einer parallelen Verschiebung der aktuellen Zinsstrukturkurve entsprechend der Laufzeit der relevanten Vertragsbestände sehr langfristig auswirken. Die Messung von Zinsänderungsrisiken kann sich bei Bausparkassen mithin nicht ausschließlich auf die bilanzierten zinstragenden Bestände beschränken.

Um dem Zweck des Zinsschocks bei dieser besonderen Konstellation gerecht zu werden, sind besondere Überlegungen und eventuell Modifikationen erforderlich. Einerseits müssen die relevanten Bestände vollständig erfasst werden, andererseits muss vermieden werden, dass unrealistische, der Steuerungslogik der Bausparkassen möglicherweise nicht entsprechende Risiken aufgezeigt werden.

Das Rundschreiben 07/07 führte zur Abgrenzung des relevanten Bestandes lediglich aus, dass Anpassungseffekte nicht zu berücksichtigen seien (statische Betrachtung). Im Übrigen wurde der Grundsatz formuliert, dass die Institute bei der Berechnung der Barwertveränderung im Anlagebuch ihre internen Modelle und Verfahren einsetzen sollen.

Das aktuelle Rundschreiben ergänzt beziehungsweise konkretisiert nunmehr: "Anpassungseffekte sind nicht zu berücksichtigen, das heißt, es sind die Effekte auf dasjenige Portfolio zu berechnen, das zum Zeitpunkt der Betrachtung im Bestand des Kreditinstituts ist (statische Betrachtung)". An anderer Stelle wird formuliert "... Geschäfte ..., die zum Zeitpunkt der Betrachtung im Bestand des Kreditinstituts sind" beziehungsweise dass "... sämtliche mit einem Zinsänderungsrisiko behafteten Geschäfte ... zu berücksichtigen" sind.

Abgrenzung des zu betrachtenden Bestandes

Beim Bestand von Bausparkassen im Kollektivgeschäft (nur dieser soll im Folgenden betrachtet werden) ist aber zwischen dem bilanziellen Bestand und dem Vertragsbestand zu unterscheiden. Da die Bausparkassen sich im Bausparvertrag sowohl hinsichtlich der Einlagen als auch in Bezug auf die Bauspardarlehen zu bestimmten Konditionen verpflichten, ist neben den bilanziellen Beständen auch der Vertragsbestand - soweit er zu Zinsrisiken führen kann (künftige Sparzahlungen auf kontrahiertes Geschäft und Darlehensgewährungen) - in die Zinsrisikomessung einzubeziehen.

Hinsichtlich der Einbeziehung von weiterem nicht kontrahierten Neugeschäft gelten folgende Überlegungen: Die Bausparkassen können ihre Tarifkonditionen dem jeweils geltenden Marktzinsniveau anpassen und damit Zinsänderungsrisiken entgegenwirken. Diese Tarif- oder Konditionenanpassungen unterliegen allerdings zeitlichen Einschränkungen. Aufgrund der notwendigen Vorlaufzeit unter anderem für die Entwicklung neuer Tarife, BaFin-Genehmigung, der IT-Anpassungen oder der Einführung in die diversen Vertriebsschienen können Bausparkassen ihr Tarifangebot in der Regel nicht kurzfristig umstellen.1) Daneben sind Wettbewerbsaspekte zu beachten. Damit resultieren auch aus den jeweils aktuellen im Markt eingeführten Tarifen weitere Zinsrisiken - auch soweit das Neugeschäft noch nicht kontrahiert ist. Vor diesem Hintergrund beziehen Bausparkassen in ihre interne Steuerung zum Teil temporär auch noch zu kontrahierendes Neugeschäft mit in die Zinsrisikomessung ein.

Im Hinblick auf das Geschäftsmodell der Bausparkassen stellt sich darüber hinaus die Frage, wie das Neugeschäft weitergehend berücksichtigt werden kann. 2) Nach dem Modell des kollektiven Bausparens erfolgt die Refinanzierung der aus dem Vertragsbestand resultierenden festverzinslichen Darlehensverpflichtungen auch aus Einlagen künftiger Neugeschäftsjahrgänge. Diese Darlehensansprüche stellen - soweit die Konditionen der Refinanzierung im Betrachtungszeitpunkt noch unbekannt sind - eine offene Position dar.3) Die Bausparkassen haben hierzu unterschiedliche, annahmegestützte Modelle zur Berücksichtigung dieser Refinanzierungserfordernisse entwickelt. Im Rahmen dieser Modelle wird teilweise auch Neugeschäft in unterschiedlichem Umfang in die Betrachtung einbezogen. Die zugrunde liegenden Annahmen sind modellabhängig und sollen im Folgenden nicht weiter diskutiert werden. Es wird davon ausgegangen, dass die Modelle und die zugrunde liegenden Annahmen den MaRisk entsprechen und damit durch den im

Rundschreiben fixierten Grundsatz der Anwendung interner Methoden und Verfahren gedeckt sind.

Als Zwischenfazit kann festgehalten werden, dass zu den mit Zinsänderungsrisiken behafteten Geschäften unzweifelhaft neben den bilanziellen Beständen im Kollektivgeschäft auch die Bestände gehören, für die Zinskonditionen bereits vertraglich fest zugesichert sind. Folglich sind auch die aus dem kontrahierten Geschäft resultierenden Cash-Flows einzubeziehen. Aufgrund der Besonderheiten des Geschäfts sollte auch in begrenztem Umfang noch nicht vertraglich kontrahiertes Geschäft miteinbezogen werden, da auch dieses mit Zinsänderungsrisiken behaftet sein kann. Die Festlegung dieser Anpassungsdauer hängt von geschäftspolitischen und organisatorischen Gegebenheiten ab.

Das Postulat des Rundschreibens, sämtliche mit einem Zinsänderungsrisiko behafteten Geschäfte zu berücksichtigen, steht insoweit in Konflikt mit der geforderten rein statischen Betrachtung. Um die Zinsänderungsrisiken bei Bausparkassen angemessen zu erfassen, bedarf das statische Model insoweit einer Erweiterung um dynamische Elemente. Das Rundschreiben fordert, dass Optionen, die implizit in Bankprodukten enthalten sind, ebenfalls einzubeziehen sind.

Berücksichtigung der impliziten Optionen

Im Folgenden sollen unter impliziten Optionen Wahlrechte verstanden werden, die Teil eines anderen Produktes und nicht besonders bepreist sind, also vom Kunden nicht besonders bezahlt werden müssen. Sie beziehen sich im Zinsbereich auf die Zins- und Kapitalbindung des Produktes. Bausparverträge enthalten im Regelfall feste Zinsvereinbarungen für die Darlehens- und Einlagenseite.

Typische implizite Optionen im Sinne des Rundschreibens sind bei Bausparverträgen:

- das Recht auf Darlehensinanspruchnahme beziehungsweise auf Darlehensverzicht,

- das Recht, Sondertilgungen und vorzeitige Ablösungen vorzunehmen (Tilgungsverhalten),

- das Recht, Verträge über den Zeitpunkt einer erfolgten oder möglichen Zuteilung zum ursprünglich vereinbarten Zins weiter zu besparen (Fortsetzerverhalten),

- das Recht auf Kündigung der Einlagen mit einer in den Allgemeinen Bedingungen für Bausparverträge (ABB) geregelten Frist,

- das Recht auf ein vom Regelsparverhalten abweichendes, weitgehend frei wählbares Sparverhalten und

- Zinsbonus-Wahlrechte.

Diese Wahlrechte des Bausparers sind in unterschiedlichem Maße zinssensitiv. Der Grad der Zinsabhängigkeit ist wegen vielfältiger anderer Einflussgrößen oftmals nur schwer nachweisbar. Dazu kommen interdependente Wirkungszusammenhänge (zum Beispiel Spar- und Zuteilungsverhalten), die sich erschwerend auf die Messbarkeit auswirken. Ungeachtet dessen sind der kumulierte Geldeingang und Geldabfluss bei Bausparkassen in gewissen Grenzen vom Zinsniveau beeinflusst. Diese partielle Zinsabhängigkeit kommt in der langfristigen Entwicklung der Anlagegrade zum Ausdruck.4) Bei allen Varianten impliziter Optionen haben die Bausparkassen zwar Steuerungsmöglichkeiten, sie sind aber grundsätzlich in der Stillhalterposition.

Bonus- oder Zinswahlrechte

Eine besondere Optionsqualität enthalten die sogenannten Bonus- oder Zinswahlrechte. Der Bausparer hat in diesen Fällen das Recht, entweder in eine Hochzinsvariante zu wechseln, die einen höheren Einlagen- und höheren Darlehenszins vorsieht5), und/oder die Option, den Guthabenzins durch Darlehensverzicht zu erhöhen. Diese insbesondere in Renditetarifen anzutreffenden Wahlmöglichkeiten des Bausparers sind in der Branche sehr unterschiedlich ausgestaltet. Häufig werden neben Zuteilung und Darlehensverzicht für die Inanspruchnahme des Bonus eine längere Sparzeit, bestimmtes Regel-Sparverhalten, besondere Beantragung et cetera vorausgesetzt. Die Bonusgewährung kann je nach Ausgestaltung nachträglich oder ab dem Ausübungszeitpunkt erfolgen. Die Ausübung dieser Wahlrechte ist nach den Erfahrungen der Vergangenheit in hohem Maße zinssensitiv.

Im Unterschied zu den anderen impliziten Optionen hat die Ausübung dieser Zinswahlrechte unmittelbare Auswirkungen auf die Einlagenverzinsung. Darüber hinaus können sie sich implizit über den Zahlungsstrom auf das Zinsänderungsrisiko auswirken und damit einen Verstärkereffekt auf andere implizite Optionen haben (Darlehensinanspruchnahme, Fortsetzerverhalten, Kündigungen).

Bei der Kategorisierung von Verhaltensweisen in Bezug auf die Optionsausübung ergeben sich aus Kollektivbeobachtungen unterschiedliche Gruppen von Bausparern, die sehr unterschiedlich (oder auch gar nicht) auf Zinsniveauveränderungen reagieren:

- eine zinssensitive Gruppe von Bausparern vor allem im Finanzierungsgeschäft,

+
- weniger zinssensitive Bausparer vor allem im Sparbereich ohne konkrete Verwendungsabsicht und

- nahezu vollständig nicht zinssensitive Bausparer.

Die Anteile dieser Gruppen am Kollektiv bestimmen das Ausmaß der Zinsreagibilität der impliziten Optionen. Die Zusammensetzung dieser Bausparergruppen ist allerdings nicht eindeutig voneinander abgrenzbar, da die Bausparer oft bei Abschluss des Vertrages noch kein konkretes Sparziel haben, sodass oft erst am Ende der Sparphase oder bei Kündigung deutlich wird, welcher Sparergruppe der konkrete Bausparer eigentlich zuzuordnen ist. Dieser groben Einteilung entsprechend sind bei Zinsänderungen zeitlich abgestufte Reaktionen zu beobachten, die nach einer gewissen Reaktionszeit auftreten und im Zeitablauf je nach Gewicht der jeweiligen Bausparergruppe im Kollektiv - wieder abflachen und damit nach oben begrenzt sind.

Bei statistischen Analysen haben die Bausparkassen bei einzelnen Optionen mehr oder minder ausgeprägte Zusammenhänge zwischen Zinsniveauveränderungen und Optionsausübung festgestellt. Korrelationen bestehen danach bei der Darlehensinanspruchnahme (sie steigt mit steigendem Zinsniveau und sinkt mit rückläufigem Zinsniveau) und den Tilgungen beziehungsweise Darlehensablösungen. Auch in Bezug auf das Fortsetzerverhalten ergaben sich zum Teil signifikante Korrelationen. Die zinsbedingten Auswirkungen können bei den einzelnen Bausparkassen jedoch in Abhängigkeit von der Zusammensetzung ihrer Kollektive sehr unterschiedlich sein. Kollektive mit hoher Sparorientierung zeigen oft andere Reaktionen auf Zinsniveauänderungen als Kollektive mit einem großen Anteil an Finanzierungsgeschäft.

Messung der Zinssensitivität

Eine höhere Zinssensitivität im Finanzierungsgeschäft kann sich zum Beispiel in kurzfristigeren Reaktionen auswirken als im eher sparorientierten oder sonstigen Geschäft. Wichtig ist daher, dass Bausparkassen die Zinssensitivität sowohl in Hinsicht auf die zeitliche Dimension als auch in Bezug auf die Volumenausprägung messen. Besondere Beobachtung erfordern die Bonus-/Zinswahlrechte. Je nach Ausgestaltung des Tarifs führen sie nämlich "automatisch" (ohne besondere Reaktion des Bausparers) zu einer Einlagenzinserhöhung. Daneben verändern sie wegen ihrer Verstärkereffekte die Zinsreagibilität der sonst eher wenig zinssensitiven Gruppe der sparorientierten Bausparer.6)

Die Messbarkeit der Ausübungswahrscheinlichkeit und damit die Bewertung der optionalen Komponenten wird durch eine Reihe von Unwägbarkeiten, die sich mit zunehmender Länge des Analysezeitraums verstärken, erschwert:

- Unabhängig vom Zinsniveau werden die impliziten Optionen im Bausparvertrag überlagert von anderen Entwicklungen (unter anderem Immobilienmarktentwicklung, Inflationserwartungen, Arbeitsmarktsituation, individuelle Gründe), die unter anderem dazu führen, dass ein großer Teil der Bausparer nicht ausschließlich finanzrational handelt.

- Diese Überlagerung verstärkt sich mit der Länge des Betrachtungshorizonts. Bei einigen optionalen Elementen sind daher die zinsbedingten Effekte nicht isolierbar und Korrelationen im statistischen Sinne können aufgrund unterschiedlicher Einflussgrößen nicht festgestellt werden.

- Das Ausmaß zinsbedingter Reaktionen hängt auch von dem herrschenden absoluten Zinsniveau ab, auf das das Ände-rungs-/Schockszenario jeweils trifft. Eine Änderung von zum Beispiel zwei Prozent auf vier Prozent könnte sich stärker auswirken als eine Änderung von vier Prozent auf sechs Prozent, wobei hier je nach Zusammensetzung des Kollektivs und betrachteter Option kritische Schwellenwerte wirksam werden können.

- Im Unterschied zu impliziten Optionen in anderen Bankprodukten (beispielsweise Sondertilgungsrechte bei Hypothekendarlehen) sind darüber hinaus maßgebliche Optionen in Bausparverträgen im Betrachtungszeitpunkt noch nicht ausübbar. Insbesondere die Option auf die Darlehensinanspruchnahme kann erst bei Zuteilungsreife ausgeübt werden. Es ist also zunächst der Zeitpunkt der Zuteilungsreife zu simulieren und daran anschließend die Ausübungswahrscheinlichkeit.

- Aufgrund der langen Laufzeiten (Sparzeiten zum Teil mehr als zehn Jahren, Darlehenslaufzeiten von sieben Jahren und mehr) wirken sich Reaktionsgeschwindigkeiten (timelags), Wirkungshorizont der ausgeübten Option und Gegensteuerungseffekte aus, die eine Simulation der Auswirkungen mit zunehmender Dauer des Zeithorizonts unsicherer werden lassen.

Das Instrument der Bausparkassen, diese Imponderabilien abzuschätzen, ist die bausparmathematische Simulation. Im Rahmen der Kollektivüberwachung und -steuerung werden verschiedene Simulationsrechnungen erstellt (neben zinsniveauabhängigen Szenarien - steigendes/ sinkendes Zinsniveau, Hochzins-/Niedrigzinsszenario - auch andere Umfeldbedingungen), um die Verhaltenseffekte auf die kollektive Liquidität bei differenzierten Konstellationen abzuschätzen.

Auswirkungen auf die Steuerung einer Bausparkasse

Als Simulation haben sie den Zweck, mögliche Auswirkungen der Kollektiventwicklung unter unterschiedlichen Umfeldbedingungen (unter anderem Zinsszenarien) und entsprechenden Verhaltensannahmen der Bausparer (Ausübungswahrscheinlichkeiten der impliziten Optionen) ohne Gegensteuerungsmaßnahmen (No-action-Szenarien) anschaulich und abschätzbar zu machen. Die Simulationsergebnisse liefern den Bausparkassen die Basis für die gegebenenfalls zu ergreifenden Steuerungsmaßnahmen; sie sind also grundsätzlich keine Prognosen. Prognosecharakter hat nur die Simulation mit dem von der Bausparkasse als am wahrscheinlichsten eingestuften Szenario, welches dann der Unternehmensplanung zugrunde gelegt wird. Nur aus dieser Simulation lassen sich realistische Zahlungsströme für die Zinsrisikosteuerung ableiten. Die anderen Simulationsrechnungen haben "What-if-Charakter", sie führen bei längeren Zeiträumen zu realitätsfernen Ergebnissen.

Es muss berücksichtigt werden, dass die Umfeldbedingungen sich in wesentlich kürzeren Zeitabständen verändern und dass die Simulation einer dauerhaften Zinsschockauswirkung mit hoher Wahrscheinlichkeit auf eine Situation trifft, die diesem Szenario nicht entspricht. Gerade im Hinblick auf die langen Zeiträume würde ein völlig fiktiver "potenzieller Verlust" (vergleiche BaFin-Rundschreiben 11/2011, Z. 5 und § 11 Abs. 2 PrüfBV) ermittelt, der so niemals eintreten wird. Während aus den bilanzierten beziehungsweise aus den Vertragsbeständen weitgehend bestimmbare Zahlungsströme resultieren, sind aus den impliziten Optionen im BaFin-Zinsschock-Szenario - insbesondere bei erst längerfristig wirksamen Reaktionen - keine realistischen Zahlungsströme ableitbar.

Kreditinstitute, die aufgrund der Berechnungen eine negative Barwertänderung von mehr als 20 Prozent der regulatorischen Eigenmittel aufweisen, gelten als Institute mit "erhöhten Zinsänderungsrisiken" und haben diese nach §24 Abs.1 Nr.14 KWG der BaFin und der Deutschen Bundesbank anzuzeigen. Gemäß dem Rundschreiben sind die "... zuständigen nationalen Behörden gehalten Maßnahmen zu ergreifen". Der Abschlussprüfer ist nach §11 Abs. 2 PrüfBV verpflichtet, die Höhe des "potenziellen Verlustes" im Prüfungsbericht anzugeben.

Der im Rundschreiben zum Ausdruck kommende Sanktionsmechanismus wird im Anschreiben zu dem Rundschreiben relativiert, indem eine integrierte Risikosicht angekündigt wird und ein erhöhtes Zinsänderungsrisiko nicht per se als bedenklich eingestuft würde. Gleichwohl löst die Einstufung als "Institut mit erhöhten Zinsänderungsrisiken" eine Prüfung der Risikosituation des Instituts durch die Aufsicht aus. Unabhängig davon, ob aufsichtsrechtliche Maßnahmen drohen, gerät das Institut bereits durch die Einstufung als "Institut mit erhöhten Zinsänderungsrisiken" verstärkt in den Fokus der Bankenaufsicht und über die Risikoberichterstattung könnte sogar die Reputation betroffen sein.

Es besteht die Gefahr, dass eine Bausparkasse den Status "Institut mit erhöhten Zinsänderungsrisiken" zu vermeiden sucht und Steuerungsmaßnahmen ergreift. Wie bereits dargelegt, fließen im Falle der Berücksichtigung von impliziten Optionen qualitativ unterschiedliche zum Teil nachhaltig nicht realistische Zahlungsströme in das Zinsschockszenario ein. Die im Zinsschockszenario auftretende Barwertveränderung resultiert mithin auf qualitativ sehr unterschiedlichen Effekten, die das Ergebnis verzerren und zu möglicherweise irreführenden Steuerungssignalen führen können.

Beispielrechnung

Ein Zinsschockszenario mit der Ausprägung minus 200 Basispunkte bewirkt bei Bausparkassen im Normalfall eine negative Barwertveränderung. Die Einbeziehung der langfristig wirksamen impliziten Optionen (zum Beispiel steigende Fortsetzerbestände, steigende Tilgungsleistungen und rückläufige Darlehensinanspruchnahmen) führt zu einer zinsinduziert höheren Liquidität und zu einer höheren Duration auf der Passivseite mit einem potenziell weiteren negativen Effekt auf den Barwert. Es sei angenommen, dass durch die Einbeziehung der (dynamischen) Effekte aus den impliziten Optionen das Institut die aufsichtsrechtliche 20-Prozent-Grenze zu überschreiten droht. Die Bausparkasse erhält also den Impuls, kurzfristig wirksame Steuerungsmaßnahmen (beispielsweise durch eine längerfristige Geldanlage) vorzunehmen.

Aus der Kollektivüberwachung würde die Bausparkasse bei einem dem simulierten Szenario entsprechenden Niedrigzinsszenario den Impuls erhalten, den ungeplanten zinsabhängigen Kollektiventwicklungen (längerfristig rückläufige Darlehensinanspruchnahmen, sinkende Kündigungen, insgesamt steigende Liquidität) durch entsprechende geschäftsmodellspezifische Steuerungsmaßnahmen entgegenzuwirken (Verkürzung der Wartezeiten, Ankurbelung des kollektiven Kreditgeschäfts, Änderung der Tarifkonditionen). Der durch das Zinsschockszenario ausgelöste Steuerungsimpuls würde sich nicht nur als überflüssig erweisen, sondern risikoverstärkend wirken, wenn er mit kollektivsteuernden Maßnahmen zusammentrifft.

Durch die Kombination der qualitativ unterschiedlichen Zahlungsströme (deterministische und fiktive) würden miteinander nicht kompatible Effekte zusammengefasst. Der Zweck des Zinsschocks, kurzfristig wirksame Risiken aufzuzeigen und entsprechende risikoreduzierende Signale zu liefern, würde durch die Einbeziehung von längerfristig wirkenden und steuerbaren sowie darüber hinaus schwer prognostizierbaren Effekten die Risiken und die Steuerungsimpulse, die von einem Zinsschockszenario erwartet werden, verzerren. Sie könnten sich in den Berechnungen gegenseitig verstärken oder auch kompensieren und so zu einer Überzeichnung beziehungsweise einer Unterzeichnung des Zinsänderungsrisikos führen.

Aufgrund dessen erscheint die Einbeziehung der Effekte aus impliziten Optionen - insbesondere soweit sie sich erst längerfristig auswirken - in die BaFin-Zinsschockbetrachtung nicht sachgerecht. Eine modifizierte Betrachtung ist dann angezeigt, wenn sich aus Kollektivbeobachtungen, zum Beispiel im Falle eines hohen Finanzierungsgeschäftsanteils, bereits kurzfristig zinsinduzierte Auswirkungen ergeben. Diese Effekte sollten im Zahlungsstrom berücksichtigt werden. Der Zeitraum, für den diese Auswirkungen zu berücksichtigen sind, sollte sich an den Möglichkeiten, wirksam gegenzusteuern, und der gemessenen Korrelation zwischen der Option und der Zinsänderung orientieren.7) Ebenso sollten kurzbis mittelfristig zu erwartende Auswirkungen von Bonus-/Zinswahlrechten (Zinssatz- und Volumenseffekte) besonders gemessen und in den Zinsschockszenarien berücksichtigt werden.

Überlegungen für eine mögliche Lösung

Nach der Anforderung des BaFin-Rundscheibens 11/2011, alle für die Ermittlung der Auswirkungen eines Zinsschocks wesentlichen, mit einem Zinsänderungsrisiko behafteten Geschäfte einzubeziehen, haben Bausparkassen neben den bilanziellen Beständen (Bestands-Cash-Flow) auch künftige Cash-Flows aus vertraglich bereits fest zugesicherten Zinskonditionen zu berücksichtigen.

Wegen der Besonderheiten des Geschäfts sollte auch in begrenztem Umfang im Zeitpunkt der Betrachtung noch nicht vertraglich kontrahiertes Geschäft miteinbezogen werden, da auch dieses Geschäft - solange die Bausparkasse faktisch an das aktuelle Tarifangebot gebunden ist - mit Zinsänderungsrisiken behaftet sein kann. Diese Anpassungsdauer hängt von geschäftspolitischen und organisatorischen Gegebenheiten ab.

Bei der Berücksichtigung der impliziten Optionen ist zu differenzieren zwischen längerfristig und kurzfristig wirksamen Effekten. Grundsätzlich sollte dabei im Bauspargeschäft auf den bausparspezifischen Analyse- und Steuerungsverfahren aufgesetzt werden. Der in dem Rundschreiben vorgegebene Zinsshift von plus/minus 200 Basispunkten sollte demnach Bestandteil der im Rahmen der Kollektivüberwachung regelmäßig durchgeführten bausparmathematischen Simulationen werden. Die Auswirkungen können mit Hilfe dieser Simulationsrechnung auf Basis sogenannter "No-action"-Szenarien (ohne Gegensteue-rungs-/Anpassungsmaßnahmen) im Sinne einer "What-if-Betrachtung" geschätzt werden. In dieser Simulation wären die kurz- und langfristigen Auswirkungen des Zinsshifts abgebildet.

Kurzfristige Effekte

In den BaFin-Zinsschock sollten nur die kurzfristigen, zinsbedingten Zahlungsstromveränderungen einbezogen werden. Die vollständige Einbeziehung der geschätzten Auswirkung würde vor dem Hintergrund der aufgezeigten Problematik zu einer Überzeichnung des Risikos führen. Als pragmatische und praktikable Lösung zur Berücksichtigung der aus den impliziten Optionen resultierenden kurzfristigen Zinsänderungsrisiken kann auf die Simulation mit plus/minus 200 Basispunkten zurückgegriffen werden. Im Hinblick auf sich ändernde Umfeldbedingungen und den zeitlichen Wirkungshorizont von Gegensteuerungs-/Anpassungsmaßnahmen könnte der Einbeziehungszeitraum auf zwei gegebenenfalls drei Jahre beschränkt und danach wieder das Planungsszenario verwendet werden. Der genaue Zeitraum sollte von dem Wirksamwerden der Gegensteuerungsmaßnahmen abhängig gemacht werden.

Besondere Beachtung in der Zinsschockberechnung erfordern Bonus-/Zinswahlrechte; sie wirken unmittelbar und nachhaltiger auf den Einlagenzinssatz und können sich darüber hinaus auf die Zahlungsströme (Volumenseffekte) auswirken. Dem mit dem Rundschreiben verfolgten Zweck würde damit auf eine dem Geschäftsmodell entsprechende Weise Rechnung getragen. Die Bausparkasse erhält durch die Simulationsrechnung mit plus/minus 200 Basispunkten gezielte Steuerungsinformationen, die auch fester Bestandteil des Risikoreportings der Bausparkasse werden sollten. Auch könnten die Ergebnisse dieser Simulationen Teil des von den Bausparkassen jährlich zu erstellenden und der BaFin einzureichenden kollektiven Lageberichtes werden. Damit würde gleichzeitig auch eine gewisse Standardisierung der im kollektiven Lagebericht zu verwendenden Zinsszenarien erreicht.

Dem mit dem BaFin-Rundschreiben beabsichtigten Zweck, auf Basis einer plötzlichen und unerwarteten Zinsänderung Institute mit "erhöhtem Zinsänderungsrisiko" zu identifizieren und die Angemessenheit der Eigenkapitalausstattung zu überwachen, dürfte mit dieser Handhabung im Hinblick auf die Besonderheiten der Messung und Steuerung der impliziten Optionen im Bauspargeschäft ausreichend Rechnung getragen sein. Die Vermischung unterschiedlich zu steuernder Zinsänderungsrisiken aus vertraglich fixierten Geschäften und impliziten Optionen und daraus möglicherweise folgende Fehlsteuerungsimpulse würden vermieden.

Fußnoten

1)Wobei die Zeitdauer auch entscheidend vom Umfang der Änderung abhängt.

2)Unabhängig davon sind auch für die Schätzung der Parameter in der Simulationsrechnung in Hinblick auf die "Going-Concern-Prämisse" Neugeschäftsannahmen zu treffen.

3)Dabei sind die derzeit sehr niedrigen Anlagegrade eher eine untypische, bislang historisch einmalige Situation als Folge des gegenwärtigen Kapitalmarktzinsniveaus. Die Situation kann nicht als repräsentativ für die Finanzstruktur einer Bausparkasse angesehen werden. Aufgrund der gegenwärtigen Situation kann es daher untypischerweise durchaus vorkommen, dass auch ältere Neugeschäftsjahrgänge, die ihrem Alter nach bereits in der Darlehensphase sein müssten, noch kollektive Überschüsse aufweisen.

4)Vergleiche im Einzelnen Knüdeler, Schuldt, Schwamborn "Auswirkungen von Kapitalmarktzinsänderungen auf das Zinsergebnis von Bausparkassen" - veröffentlicht in der Zeitschrift "Immobilien & Finanzierung - der Langfristige Kredit" Heft 21-2004

5)Faktisch nutzt der Bausparer diese Option gerade in Niedrigzinsphasen, um sich den höheren Einlagenzins zu sichern.

6)Die früher so verlässlichen "Freundsparer" können in bestimmten Konstellationen eher zu "Feindsparern" mutieren.

7)Grundsätzlich denkbar erscheint auch die Simulation von Gegensteuerungsmaßnahmen, die jedoch im Hinblick auf die Vorgaben des BaFin-Schreibens (Verzicht auf Anpassungsmaßnahmen) und die Komplexität der Effekte für die Zinsrisikomessung als ungeeignet ansehen werden.

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