Sparkassen-Finanzgruppe 2011

Die Antwort Europas auf die Krise: Finanzmärkte regulieren undWachstum im Binnenmarkt

Die, die in Europa Verantwortung tragen, halten sich viel zu häufig in den großen Metropolen auf. Aber Europa ist nicht nur für diejenigen gemacht, die in Brüssel oder Berlin leben, sondern auch für die Menschen von hier, also dieses (sehr) schöne Breisgauer Land. Die Institutionen, die hier repräsentiert werden, verkörpern Werte, die für den Banksektor wichtig sind und die diesem in den letzten Jahren nur zu häufig abhanden gekommen sind: nämlich durch Kundennähe und langfristiges Denken für eine tragfähige Finanzierung der Wirtschaft zu sorgen. Wir brauchen diese Werte, um das Vertrauen wieder herzustellen und um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen.

Kodex gemeinsamer Vorschriften

Das ist der Sinn der Reformen, die ich jetzt seit mehr als einem Jahr eingeschlagen habe, Reformen, die einem einzigen Ziel dienen: Lehren aus der Krise zu ziehen und Mängel in den bisherigen Vorschriften zu beseitigen. Aber es reicht nicht aus, nur die Finanzmärkte zu regulieren, es gilt auch, gemeinsam mit den KMU - den wahren Triebkräften unserer Wirtschaft das Wirtschaftswachstum wieder anzukurbeln.

Europa braucht einen Kodex gemeinsamer Vorschriften für Banken und Finanzdienstleistungen. Warum gemeinsame Vorschriften? Weil die Krise gezeigt hat, dass sich die Kapitalmärkte nicht mehr der Regulierung und der Aufsicht entziehen dürfen. Eine Bank, ein Staat, die das Laisser-faire predigen, riskieren, dass es auf andere übergreift. Europa braucht:

1)eine europäische Aufsicht,

2)überarbeitete Eigenkapitalvorschriften, die den Kapitalbedarf einer Bank mit dem Risiko in Einklang bringen, das die Bank eingeht,

3) Regeln, um die nächste Krise besser bewältigen zu können, damit der Konkurs von Banken nicht vom Steuerzahler aufgefangen werden muss.

Eine europäische Aufsicht: Wir brauchen eine kontinuierliche europäische Sicht auf die Risiken. Dies setzt Radarschirme und einen Kontrollturm auf der Ebene der Union voraus.

Seit diesem Jahr ist das erledigt - mit den drei neuen europäischen Behörden und dem Europäischen Ausschuss für Systemrisiken. Das Ziel ist klar: Installierung einer echten Aufsicht über alle europäischen Akteure und Finanzmärkte - vor allem über gewisse Schwachstellen des Systems.

Kein Risiko ohne Kapital: Die Banken müssen solider werden und sich besser gegen Risiken wappnen. Ich gehe von dem Grundkonsens - Basel III - aus, den Europa zur Kapitalausstattung der Banken umsetzen muss. Wir werden unsere Vorschläge zur Änderung der Richtlinie über Eigenkapitalanforderungen (CRD 4) in den nächsten Wochen vorlegen (ist am 20. Juli 2011 erfolgt - Red.). Für uns sind Regulierung und Wachstum kein Widerspruch.

Regulieren für Wachstum

Wir wollen eine intelligente Regulierung, die ein tragfähiges Wachstum unserer Wirtschaft ermöglicht. Wir wollen Schluss machen mit dem Modell einer Kasino-Wirtschaft und übermäßigen Risiken, die der Gesellschaft insgesamt schaden. Das ist der Sinn der Leitlinien für die Vergütungen: Wir haben zu viele Banker und Trader gesehen, die ohne Rücksicht auf die Folgen ihres langfristigen oder selbst mittelfristigen Handelns ihre Vergütung erhielten.

Regulieren für Wachstum - das heißt auch, bestimmte Besonderheiten zu berücksichtigen, um die Aufsichtsvorschriften gut auszutarieren. Man hört häufig alarmierende Unterstellungen und Einschätzungen im Hinblick auf die Basel-III-Regeln. Zur Erinnerung: Es war der Mangel an Vertrauen in die Solidität der anderen Banken, der die Banken daran gehindert hat, die Wirtschaft zu finanzieren.

Mit den Basel-III-Regeln wird jede Bank solider, wodurch sich alle Banken im einem sichereren Rahmen agieren können.

Um es klar zu sagen: Das darf ihre Fähigkeit, die Wirtschaft zu finanzieren, nicht beeinträchtigen. Vor allem in einer europäischen Wirtschaft, die zu drei Vierteln von den Banken finanziert wird und nur zu einem Drittel von den Märkten (während das Verhältnis in den USA genau umgekehrt ist).

Daher sehen wir eine ausreichende Kalibrierung vor, um einen sanften Übergang zur endgültigen Regelung zu gewährleisten: So ist eine schrittweise Einführung bis 2019 vorgesehen. Was die Qualität des in Frage kommenden Kapitals angeht, muss dieses einigen europäischen Besonderheiten gerecht werden.

Den europäischen Besonderheiten gerecht werden

Zu den europäischen Besonderheiten zähle ich die Sparkassen. Die Sparkassen in Deutschland und in Österreich sind die bevorzugten Partner der kleinen und mittleren Unternehmen. Mit ihren Zweigstellen vor Ort können sie eine wichtige Beratungsfunktion wahrnehmen, die über rein finanzielle Aspekte hinausgeht. Häufig geht es zwischen den Sparkassenleitern und ihren Kunden nicht nur um die Finanzierung, sondern auch um die Logik des Projekts selbst. Ich werde darauf achten, dass es die neuen Vorschriften für die Kapitalausstattung von Banken den Sparkassen und Raiffeisenbanken weiterhin erlauben werden, diese Aufgabe in der Realwirtschaft wahrzunehmen.

Insbesondere werde ich darauf achten, dass die qualitativ hochwertigen Eigenmittel der Sparkassen auch weiterhin als qualitativ hochwertiges Kapital, das heißt als Kernkapital (Core Tier 1), anerkannt werden.

Konkursabwicklung einer Bank - ohne Rückgriff auf das Geld des Steuerzahlers: Schließlich möchte ich Europa mit einem Mechanismus für die Bewältigung von Krisen ausstatten, damit nicht die Steuerzahler für den Konkurs von Banken geradestehen müssen. Der entsprechende Legislativvorschlag wird nach dem Sommer vorgelegt werden. Die Banken werden verpflichtet, im Voraus Sanierungs- und Auffangpläne festzulegen. Die Behörden erhalten das Recht, Sofortmaßnahmen zu ergreifen, um einen Konkurs zu verhindern oder diesen in geordneter Weise abzuwickeln. Auf jeden Fall sollen sich Anteilseigner und Gläubiger dieser Banken daran beteiligen (bail-in).

Der neue Rechtsrahmen wird für alle Banken gelten, findet jedoch in abgestufter Form Anwendung - unter Berücksichtigung der Rechtsstruktur der fraglichen Bank und natürlich ihrer systemischen Bedeutung.

Einlagensicherung

Gleichzeitig möchte ich sichergehen, dass das Geld der Sparer - unabhängig von ihrem Wohnsitz - in ganz Europa bis zu einer Höhe von 100[000] Euro gesichert ist. Das war der Sinn und Zweck unseres im Juli 2010 vorgelegten Vorschlags für eine Stärkung der Richtlinie über die Einlagensicherung. Ich weiß, dass die deutschen Sparkassen Bedenken hinsichtlich dieses Vorschlags hatten. Daher hatte ich im ersten Vorschlag der Kommission eine gewisse Flexibilität vorgesehen, damit die Einlagensicherung für frühzeitige Maßnahmen verwendet werden kann. Bei den derzeit laufenden Verhandlungen wurde der Legislativvorschlag in diesem Sinne noch weiterentwickelt. Der Berichterstatter des Europäischen Parlaments, Peter Simon, hat mehrere, sehr interessante Wege hierfür vorgeschlagen (siehe Kreditwesen 15-2011 - Red.). Nach der kürzlich im Rat erzielten Einigung hoffe ich, dass wir bald zu einer abschließenden Einigung über diesen Vorschlag kommen werden, der für die europäischen Verbraucher von größter Bedeutung ist.

Schließlich ein Wort zu den kumulativen Effekten unserer Reformen im Finanzsektor: Meine Dienststellen arbeiten derzeit an einer quantitativen Folgenabschätzung, die alle von mir gerade genannten Änderungen im Rechtsrahmen berücksichtigen - die CRD 4, die Sanierung von Banken und die Einlagensicherung. Diese Untersuchung wird in Kürze veröffentlicht.

Die Regulierung ist kein Selbstzweck: Sie muss die Finanzierung der Realwirtschaft ermöglichen. Von Beginn meines Mandats an war es meine erklärte Absicht, den Bürgern und Unternehmen ihren Binnenmarkt näher zu bringen. Ich wollte ihm mit einem umfassenden Ansatz, der die Kohärenz des europäischen Projekts stärker deutlich macht, neuen Schwung verleihen: durch die Verbindung von Wachstum und Vertrauen.

Wachstum realisieren

Handeln für unsere Unternehmen bedeutet nämlich nicht, unsere Bürger nicht zu schützen: Darum geht es in der Binnenmarktakte, die wir dieses Frühjahr verabschiedet haben. Sie enthält zwölf Hebel, die es uns ermöglichen werden, die bisher ungenutzten Wachstumspotenziale unseres europäischen Binnenmarkts zu realisieren: Ich denke an die Mobilität der Bürger, die das Recht haben sollen, in ganz Europa am Ort ihrer Wahl zu studieren und zu arbeiten; an den Aufbau eines echten digitalen europäischen Raums dort, wo er heute noch zu fragmentiert ist; an eine größere fiskalische Kohärenz für die Unternehmen; an ein europäisches Patent zur Förderung von Innovation, dem heute nationale Forderungen im Weg stehen, und an vieles andere mehr.

Hier geht es um so viele wichtige Aspekte der Wettbewerbsfähigkeit und um so viele Trümpfe, die Europa nur unzureichend nutzt. Als Beispiel möchte ich zwei Initiativen nennen, an denen ich derzeit arbeite.

Der Zugang von KMU zu Finanzierungen: Ich muss Ihnen nicht erst erläutern, welch wichtige Rolle die KMU für die europäische Wirtschaft spielen. Sie bergen das größte Potenzial für die Schaffung von Arbeitsplätzen, für Wachstum und Innovation. Deutschland ist hierfür ein hinreichend illustres Beispiel. Genauso wenig muss ich Ihnen erläutern, dass die Krise ihre traditionellen Finanzierungsquellen beeinträchtigt hat.

Entwicklung von Risikokapitalfonds

Daher möchte ich auf europäischer Ebene die Entwicklung von Risikokapitalfonds zum Nutzen von KMU fördern. Dieses Ziel steht im Übrigen an erster Stelle der Leitaktionen, die die Kommission in ihrer Binnenmarktakte genannt hat. Die Risikokapitalfonds stellen eine wichtige Finanzierungsquelle für die KMU dar. Diese Fonds sind von besonderem Nutzen für Firmengründer (beispielsweise aus dem Forschungsbereich), da sie nicht nur Finanzmittel bereitstellen, sondern auch Analysefähigkeiten sowie Kenntnisse der Sektoren und Technologien und praktischen Rat bei Unternehmensgründung und Unternehmensmanagement. Im Land der Tüftler und Erfinder sind Ihnen diese Fragen sicherlich bekannt.

Trotz ihres Nutzens wird es diesen Fonds im Binnenmarkt jedoch nicht leicht gemacht. Sie stoßen noch auf zahlreiche rechtliche, verwaltungsrechtliche oder fiskalische Hindernisse, wenn sie Gelder aufnehmen oder in den Binnenmarkt investieren wollen. Wir haben soeben eine öffentliche Konsultation hierzu eingeleitet. Vor Ende des Jahres werde ich Legislativvorschläge sowie eine eingehende Folgenabschätzung vorlegen.

Zugang von KMU zum öffentlichen Beschaffungswesen: Ich möchte die geltenden Vorschriften auf diesem Gebiet von Ballast befreien, um den bürokratischen Aufwand zu verringern und Anreize für die Beteiligung von KMU zu schaffen.

a) Vereinfachung des rechtlichen und regulatorischen Umfelds: Wir werden den Rückgriff auf das Verhandlungsverfahren verallgemeinern - um allen das Leben zu erleichtern, selbstverständlich mit den nötigen Sicherungen, um zweifelhafte oder unlautere Machenschaften zu verhindern. Wir denken hier zum Beispiel an die Verpflichtung, Protokolle über die Verhandlungen zu führen.

Reduzierung der Dokumentenflut

Konsens besteht auch hinsichtlich der deutlichen Reduzierung der Unterlagen, die Bieter für die Teilnahme an Ausschreibungen vorlegen müssen. Es erscheint mir übertrieben, von Unternehmen für eine einzige Ausschreibung über 20 Dokumente zu verlangen, die oft bei verschiedenen Stellen und gegen Gebühren angefordert werden müssen. Zu häufig stößt man in der Praxis auf solche Fälle - das ist nicht hinnehmbar.

b) Eine besondere Anstrengung für die KMU: Unter allen Unternehmen gilt mein Hauptaugenmerk dem besseren Zugang von KMU zu öffentlichen Aufträgen. Mir kommt es darauf an, dass Maßnahmen ergriffen werden, damit unsere KMU durch öffentliche Aufträge weiter expandieren können. Derzeit entfallen 60 Prozent der in Europa ausgeschriebenen Aufträge und 34 Prozent ihres Werts auf KMU. Wie lässt sich ihr Anteil noch steigern? Die meisten von mir erläuterten Maßnahmen zur Vereinfachung kommen auch KMU zugute.

Potenzial des Binnenmarktes ausschöpfen

Kann man aber nicht noch weiter gehen? Braucht es noch gezieltere Maßnahmen? Unsere Untersuchung hat gezeigt, dass die Aufteilung von Ausschreibungen in Lose ein wirksames Mittel ist, die Teilnahme von KMU zu fördern. Sollte man beispielsweise die öffentlichen Stellen verpflichten, Ausschreibungen in Lose aufzuteilen? Oder sollten Vorgaben für die Verwaltung festgelegt werden, mit denen für jeden Mitgliedstaat bestimmt wird, wie hoch der prozentuale Mindestanteil von KMU bei der Auftragsvergabe sein soll?

Der Binnenmarkt ist das Fundament unserer Wirtschaft. Wenn er schlecht funktioniert oder wenn wir mangels Vernetzung das Potenzial dieses Markts nicht ausschöpfen können, wenn das Fundament seine Funktion nicht erfüllt, ist alles, was darauf errichtet wird, die privaten wie die öffentlichen Initiativen - die Regionen, die Staaten, Europa - weniger effizient. Der Binnenmarkt muss reibungslos funktionieren, damit wir alle davon profitieren können.

Ende 2012 wird der Binnenmarkt 20 Jahre alt und wir werden uns dann fragen müssen: Was haben wir mit diesen 20 Jahren gemacht? Ist Europa erwachsener geworden, das heißt besser gewappnet, um sich in der Welt zu behaupten? Darum geht es mir in meinem Tun und Handeln.

Der Beitrag basiert auf einem Vortrag des Autors Anfang Juli 2011 in der Sparkasse Freiburg. Die Redaktion bedankt sich beim Sparkassenverband Baden-Württemberg für die Unterstützung bei der Veröffentlichung.

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