Aufsätze

Auswirkungen neuer Regulierungsansätze auf die betriebliche Altersversorgung

Das Weißbuch der Europäischen Kommission über "Angemessene, nachhaltige und sichere europäische Pensions- und Rentensysteme" wurde für den Herbst 2011 angekündigt. Inzwischen ist erst im Jahr 2012 damit zu rechnen. Die Europäische Kommission wurde offenbar schier überwältigt von der Komplexität dieses Projektes.

Altersversorgung gemeinsam regeln?

Nach Veröffentlichung des Grünbuches zum gleichen Thema und der damit verbundenen Einladung zur Diskussion darüber, wie sich die Regulierung der Altersversorgung in Europa entwickeln soll, gingen aus den 27 Mitgliedstaaten der Europäischen Union zahlreiche Antworten in Brüssel ein. Oft wurde die Meinung vertreten, dass die Altersversorgung weiterhin in den Einzelstaaten geregelt werden soll. Das Motto lautete: Finger weg, Brüssel!

Die Verzögerung für das Weißbuch dürfte aber nicht nur von der schieren Komplexität herrühren, 27 einzelne Pensionsmärkte unter Berücksichtigung lokaler Arbeits- und Steuerrechte zusammenzuführen. Gleichzeitig steckt das europäische Projekt in seiner schwersten Krise. Der Ausgang dieser Krise wird wesentlich Art und Inhalte der zukünftigen Regulierung der Altersversorgung beeinflussen. Wird eine stärkere Integration (oder Desintegration) Europas auch in einer einheitlich (desintegriert) regulierten Welt von Pensionsverbindlichkeiten und -vermögen enden müssen? Und was bedeutet dies für die Kapitalanleger? Stand heute können nur vorläufige Antworten auf diese entscheidenden Fragen gegeben werden.

Neuordnung der Welt

Die aktuell drei wichtigsten Fragen für die Altersversorgung lauten: Was ist passiert? Wie reagiert die Politik? Was bedeutet das für die Kapitalanlage?

Eurokrise und kein Ende? - Was ist passiert? Seit nunmehr vier Jahren bewegt sich die Welt in der aktuellen Finanzmarktkrise zwischen Hoffen und Bangen. Obwohl die Altersversorgung eigentlich ein Element der Realwirtschaft ist, besteht über die marktnahe Bewertung in der Buchhaltung eine enge Schnittstelle zwischen der Finanzmarktkrise einerseits und den Pensionsvermögen und -verbindlichkeiten andererseits. Fallen die Renditen festverzinslicher Wertpapiere, steigen die Barwerte zukünftiger Pensionszahlungen. Im Zuge des ALM (Asset Liability Management) sollte diese Entwicklung eigentlich durch einen gleichzeitigen Anstieg der Pensionsvermögen ausgeglichen werden. Diesen angestrebten Effekt der Risikominderung bekommt aber derzeit kaum ein Anleger mehr hin. Der Hauptgrund: Die Defaultrisiken der Staaten haben sich immens erhöht. Damit besteht die Gefahr, dass versprochene Zahlungseingänge, zum Beispiel in Form von Zinszahlungen, bei den Sponsoren der Altersversorgung nicht mehr ankommen. Der Gleichlauf von Vermögen und Verbindlichkeiten gerät deutlich aus dem Ruder. Das Risiko für Plansponsoren, eine freiwillige Altersversorgung zu erbringen, hat sich bis an die Grenze des Erträglichen erhöht.

Die Anleger würden am liebsten das Ausfallrisiko direkt angehen und vermeiden. Ein zuverlässiger Markt für das Hedging von Ausfallrisiken existiert jedoch nicht. Was nützt ein CDS auf griechische Staatsanleihen, wenn selbst "freiwillige" Haircuts nicht zu einem Zahlungsanspruch aus dem CDS führen?

Negative Realverzinsung?

Die natürliche Reaktion der Anleger ist es deshalb, das Anlagerisiko zu vermindern. Liquidität ist Trumpf. Das Anlaufen sicherer Häfen ist der neue Volkssport. Dabei wird bewusst ein niedrigerer Ertrag auf der Vermögensseite akzeptiert, nach dem Motto: "Hauptsache ich verliere nichts und habe meine Schäfchen im Trockenen". Kurzfristig kann dies die richtige Lösung sein.

Langfristig führt sie zum Desaster, denn eines ist sicher: Die Deckungslücke wird sich erhöhen. Plansponsoren haben in diesem Umfeld nur drei Möglichkeiten: erstens die Erträge erhöhen; zweitens mehr in die Pensionstöpfe nachschießen und drittens die Pensionsleistungen kürzen.

Möglicherweise werden Pensionsanbieter in alle drei dieser sauren Äpfel beißen müssen. Denn es gibt eine starke Kraft, die sich in den letzten Wochen drohend ankündigte: negative Realverzinsung. Seit fast 40 Jahren sieht Deutschland erstmals negative reale Verzinsungen (siehe Abbildung). Die Inflation ist höher als die Nominalverzinsung. Übersetzt in die Welt der Altersversorgung heißt das: die Kaufkraft der Pensionsvermögen sinkt. Das ist erst einmal nicht so schlimm, weil die Pensionsverbindlichkeiten ebenfalls in gleicher Weise durch einen negativen, realen Rechnungszins entwertet werden.

Extrem problematisch wird diese Situation jedoch in all den Fällen, in denen Leistungsversprechen mit Garantien abgegeben wurden. Dies betrifft die Versicherungsbranche besonders hart, da die von ihr garantierten Erträge zum Teil immer noch sehr hoch sind. Aber auch weite Teile der betrieblichen Altersversorgung sind betroffen, weil in Deutschland nur Beitragssysteme mit Mindestleistung erlaubt sind. Auch dieses wichtige Garantieelement kann bei andauernder negativer Realverzinsung viel Geld kosten. Im Extremfall wird dies zu höheren Pensionsbeiträgen durch Arbeitgeber beziehungsweise Arbeitnehmer oder sogar zu Leistungskürzungen führen müssen. In den Niederlanden diskutieren regulierende Behörden bereits intensiv über die Umsetzbarkeit solcher Maßnahmen.

Altersversorgung im Bermudadreieck der Eurokrise verschwunden: Wie reagiert die Politik auf diese Entwicklungen? Man kann sagen: Noch gar nicht! Mit dem fiskalpolitischen Gegensteuern hat die Politik alle Hände voll zu tun. Sie versucht, sich von der Realität an den Kapitalmärkten nicht abhängen zu lassen. Je nach Ausgang dieses Rennens wird es in Zukunft entweder weiterhin 27 einzelne Pensionssysteme geben oder ein einheitliches Pensionssystem im Rahmen einer Fiskalunion.

Eurokrise als Katalysator?

Die Politik befasst sich derzeit zumindest verstärkt mit der Fiskalunion. Wenn das europäische Projekt nicht scheitern soll, muss und wird diese Union in einer größeren oder kleineren Version gelingen. Früher oder später werden dann auch die Pensionssysteme der Einzelstaaten zusammengeführt. Die europäische Regulierung versucht seit einigen Jahren bereits, diesen Trend herbeizuführen. Die Eurokrise könnte jetzt zu einem Katalysator werden. Über die politischen Maßnahmen, die diesen Prozess herbeiführen sollen, berichtet die Fachpresse inzwischen täglich:

-Einführung von Solvency II,

- die Konsultationen der EIOPA (European Insurance and Occupational Pensions Authority) zur Überarbeitung der Pensionsfondsrichtlinie,

- zumeist lokale Flexibilisierung von IORPS (Pensionseinrichtungen oder Institutions for Occupational Retirement Provisions), zum Beispiel in Holland.

Die zum Teil intensiv geführten Diskussionen über diese Regelungen spiegeln häufig den Wunsch der lokalen Pensionsanbieter nach Subsidiarität wider. Aber die inhaltlichen Differenzen werden durch eine weitere Tatsache verstärkt: Die meisten der in diesen Regulierungen enthaltenen Ideen stammen aus der Zeit vor der Eurokrise. Insbesondere die Regelungen von Solvency II stammen aus einer Ära niedrigerer Volatilität, in der Defaults von Eurostaaten für nicht möglich gehalten wurden.

So bietet gerade Solvency II Anreize, in vermeintlich sichere Staatsanleihen zu investieren, um hohe Kosten der Eigenkapitalhinterlegung zu sparen. Dies wird aber in der Welt von heute nicht mehr den tatsächlichen Anlagerisiken gerecht. Die Anleger stehen damit vor dem Dilemma, ob sie in Staatsanleihen mit geringer EK-Hinterlegung, aber aktuell hohem Ausfallrisiko investieren oder riskante Anlagen mit hoher EK-Hinterlegung bevorzugen. Wenn sie dieses Dilemma nicht auflösen können, werden Vermögen massenweise in Liquidität geparkt. Das allerdings führt - wie beschrieben - in die sichere Unterdeckung.

Auf Kosten der Leistungsberechtigten

Die bestehenden und aktuell diskutierten europäischen Regulierungen sind von ihrer Idee her - ein integrierter europäischer Pensionsmarkt - sehr zu begrüßen. Allerdings sollten Lehren aus der aktuellen Krise gezogen werden. Es ist jedoch zu befürchten, dass die Politik dies jetzt nicht angeht und den Pensionsmarkt mit den angestrebten Regulierungen schwächt: Die Kosten und Risiken der Altersversorgung steigen, die Erträge sinken wegen Missallokationen von Kapital. Die Altersversorgung wird erst dann wieder auf die Tagesordnung kommen, wenn die Staaten fiskalisch einigermaßen gerettet sind. Das kann noch sehr lange dauern.

In der Zwischenzeit werden die großen Pensionsvermögen durch (erzwungenen) Kauf unrentabler Staatsanleihen zur Rettung des Euro beitragen müssen. Dies geschieht auf Kosten der Plansponsoren (Nachbeiträge werden fällig) und gegebenenfalls auf Kosten der Leistungsberechtigten (in Form von Leistungskürzungen). Eine bewusste Förderung der betrieblichen Altersversorgung sieht anders aus.

Auf lokaler, deutscher Ebene passiert von Seiten der Regulierung recht wenig. Das kann die richtige Strategie sein, um erst einmal die Krise abzuwarten, bevor richtungweisende Entscheidungen getroffen werden. Andererseits hat Deutschland wenig Zeit, um sinkende Sozialversicherungsleistungen durch private Altersversorgungslösungen zu ersetzen. Auch hier ein Wettlauf mit der Zeit.

Grenzüberschreitendes Asset Pooling in Deutschland

Eine der wenigen aktuellen gesetzlichen Initiativen ist die für 2012 geplante Einführung einer Investmentkommanditgesellschaft, die ein grenzüberschreitendes Asset Pooling in Deutschland ermöglichen soll. Im Grunde ist das eine hervorragende Idee, weil sie hilft, bei Plansponsoren die grenzüberschreitende Transparenz zu erhöhen und die Kosten der Kapitalanlage aufgrund erzielter Skaleneffekte zu reduzieren. Auch hier muss sich Deutschland sputen, weil in anderen europäischen Staaten schon seit einigen Jahren derartige Lösungen praktiziert werden und auch für deutsche Plansponsoren zur Verfügung stehen.

Stillstand als Rückschritt! Steigende Kosten, auch durch Regulierung, mangelnde Erträge, Risiko der Inflation: Gibt es denn gar kein Licht am Ende des Tunnels? Zumindest einige Tendenzen sind für die Altersversorgung schon jetzt abzusehen:

Kontrolle der Volatiliät: Die hohe Volatilität an den Kapitalmärkten bleibt erhalten. Asset Manager müssen aktiv auf Marktentwicklungen reagieren können, um Risiken zu begrenzen und Chancen zu nutzen. Eine breite Diversifikation in ein möglichst breites Spektrum von Anlageklassen ist sinnvoll.

Auf Inflation einstellen: Eines der Hauptrisiken der Anleger von Pensionsvermögen sind Inflation und Deflation. Auf das Ausufern in die eine oder andere Richtung sollte jeder Anleger eine Antwort haben. Staatsanleihen scheinen bei beiden Varianten nicht die beste Lösung. Sachwertinvestments könnten eine geeignete Antwort sein.

Neue Fondsverpackungen: Gerade im Kontext von Solvency II werden Fondshüllen en vogue sein, für die zum Beispiel trotz aktienähnlichem Auszahlungsbild deutlich geringere EK-Anforderungen als für Aktien verlangt werden.

Kostensenkungen: In einem Niedrigzinsumfeld ist Kostenmanagement entscheidend. Hierzu gehören vor allem Governancekosten. Hier wäre vor allem eine Konsolidierung in der Anzahl von Pensions- und Unterstützungskassen wünschenswert. Wettbewerb sollte eher zwischen den fünf Durchführungswegen und weniger innerhalb dieser stattfinden. Eine geringere Anzahl von Gremien und größere, gepoolte Anlagevolumina senken Kosten und verbessern die Möglichkeiten im Risikomanagement. Diese Konsolidierung betreiben die Niederlande, Schweiz und UK bereits seit einigen Jahren.

Asset und Pension Pooling: Ähnliche Vorteile zentraler Kontrolle können grenzüberschreitend durch Pooling von Vermögenswerten und Verbindlichkeiten realisiert werden. Gerade Pension Pooling ist sicher schwer umzusetzen. Aber es bietet eine Alternative zum Status quo, bei dem gegen eine Verstaatlichung von Pensionsvermögen (wie in Ungarn geschehen) kein Kraut gewachsen ist. Gerade für neu einzuführende Pensionspläne kann ein IORP mehr Schutz vor politischen Risiken bieten.

Im Strudel der Eurokrise gefangen

Pensionsmanager sind im aktuellen Umfeld wirklich nicht zu beneiden. Wohin man auch sieht, herrschen Unsicherheit, zu wenig Ertrag und zunehmende Regulierung. Die Politik droht im Strudel der Eurokrise die Reform der Altersversorgung und Sozialversicherungssysteme zu verpassen.

Für Pensionseinrichtungen kommt es daher darauf an, die regulatorischen Entwicklungen sehr genau zu beobachten. In der Zwischenzeit können die bestehenden Freiräume genutzt werden: durch eine flexible Kapitalanlage die für mehr Stabilität sorgt, aber auch durch eine verbesserte Organisation und Governance.

Noch keine Bewertungen vorhanden


X