Leitartikel

Banken und Aktien

Dass der Zuspruch der deutschen Privatanleger zur Aktie als wichtigster Assetklasse für die nachhaltige Vermögensbildung längst nicht so ausgeprägt ist, wie Finanzdienstleis ter sich das wünschen und Wissenschaftler es immer wieder als erstrebenswert nachrechnen, ist nur eine Facette der Aktienkultur. Eine andere, mindestens ebenso wichtige ist das Verhältnis der Banken zur Aktie - sei es als Finanzierungsinstrument oder als Bestandteil der Eigenanlage. Zumindest am deutschen Markt fügt sich die Bestandsaufnahme aus diesem Blickwinkel nahtlos in das Gesamtbild. Auch der Umgang der Institute mit Aktien zeigt keinesfalls eine stetige Weiterentwicklung, sondern ist je nach den Bedingungen an den Kapitalmärkten immer wieder Schwankungen unterworfen.

Ersichtlich werden die ausgeprägten Zyklen an den Zahlen der Kapitalmarktstatistik der Deutschen Bundesbank. Nimmt man etwa die Entwicklung seit der Umstellung auf den Euro im Jahre 1999 als Ausgangspunkt, so war der Gipfel der Aktienhausse im Folgejahr 2000 mit einem Erwerb von in- und ausländischen Aktien von insgesamt 164,654 Milliarden Euro zu fast 86 Prozent von den Nichtbanken getragen. Seither ist er allerdings tendenziell wieder deutlich zurückgegangen, und zwar sowohl bei den Nichtbanken als auch bei den Kreditinstituten. Im vergangenen Jahr 2007 führt die Kapitalmarktstatistik beide Gruppen beim Erwerb von Aktien mit einem negativen Vorzeichen, sowohl die Kreditinstitute mit 6,7 Milliarden Euro als auch die Nichtbanken mit 9,2 Milliarden Euro standen also per saldo auf der Verkäuferseite.

Zieht man rückblickend zusätzlich die Wertentwicklung der Aktien mit ins Kalkül, haben sich die Kreditinstitute der Tendenz nach zwar ähnlich verhalten wie die Nichtbanken, allerdings agieren sie professioneller. In guten, sprich renditeträchtigen Börsenjahren finden sie sich eher auf der Käufer- und in schlechten schneller auf der Verkaufsseite. Besonders deutlich lässt sich das für 2005 und 2006 zeigen: Obwohl gerade der Dax, der dieser Tage seinen 20. Geburtstag feiert, mit plus 26,9 und plus 21,9 Prozent, und MSCI World mit plus 8,5 und plus 15,8 Prozent deutlich positive Wertentwicklungen aufwiesen, sieht die Kapitalmarktstatistik die Nichtbanken in diesen vergleichsweise guten Aktienjahren mit knapp 9,8 beziehungsweise 11,2 Milliarden Euro auf der Verkäuferseite, die Kreditwirtschaft war hingegen mit 10,2 beziehungsweise 11,3 Milliarden Euro auf der Käuferseite. Umgekehrt haben die Banken in den schlechten Aktienjahren 2001 und 2002 mit Verkäufen reagiert, während der Nichtbankensektor noch Zukäufe tätigte. Als weiterer Indikator für die Bedeutung der Aktie im deutschen Bankensystem lässt sich aus der Bundesbankstatistik der Anteil der Aktien und anderer nicht festverzinslicher Wertpapiere an der Bilanzsumme errechnen. Über alle Bankengruppen hinweg kommen zum Jahresende 2007 die 2 015 berichtenden Banken (MFIs) auf eine Bilanzsumme von rund 7,626 Billionen Euro und weisen dabei eine Aktienposition von 231,024 Milliarden Euro aus - also einen Anteil von lediglich 3,03 Prozent. Zum Vergleich: Im Jahr des Aktienbooms 2000 betrug diese Quote 3,4 Prozent. Die Bankenstatistik ermöglicht an dieser Stelle aber nicht nur den Blick auf die deutsche Kreditwirtschaft als Gesamtheit, sondern erlaubt auch die Einzelbetrachtung der Bankengruppen: So basiert die Aktienposition der Kreditbanken in Höhe von 76,892 Milliarden Euro per Ende 2007 ganz überwiegend (zu 66,344 Milliarden Euro) auf dem Beitrag der Großbanken. Auf die Bilanzsumme der Kreditbanken bezogen errechnet sich für 2007 eine leicht überdurchschnittliche Aktienquote von 3,4 Prozent. Betrachtet man nur die fünf Großbanken, sind es sogar 4,7 Prozent. Dass Letztere damit deutlich über den 3,4 Prozent als aggregiertem Wert des Sparkassensektors (Landesbanken und Sparkassen) insgesamt liegen, ist wenig überraschend. Bemerkenswert ist aber die Aktienposition der Sparkassen allein. Bezogen auf deren addierte Bilanzsumme von 1,045 Billionen Euro bedeutet der Aktienbestand von 73,894 Milliarden Euro nämlich einen Anteil von 7,07 Prozent. Höher als bei den Großbanken ist die Aktienquote mit 5,4 Prozent im Übrigen auch bei den Kreditgenossenschaften. Einschließlich seiner beiden Zentralbanken kommt dieser Sektor auf 4,0 Prozent.

Zurückzuführen sind diese vergleichsweise hohen Aktienquoten der Primärinstitute des Verbundsektors maßgeblich auf die Struktur der Eigenanlagen. Den Sparkassen und Genossenschaftsbanken vor Ort angesichts des relativ hohen Aktienanteils ein besseres Ertragsmanagement des Eigenhandels zu unterstellen als den Großbanken, ist freilich aus mehreren Gründen fehl am Platze. Die Struktur allein sagt jedenfalls nichts über das Volumen und schon gar nicht über die Ertragsstärke dieser GuV-Disziplin. Zahlreiche Bilanzbesprechungen der Primärebene in der ZfgK bestätigen vielmehr schon seit Jahren den Eindruck, dass die Sparkassen wie auch die Genossenschaftsbanken nur einen kleinen, in vielen Fällen sogar vernachlässigbaren Ertragsanteil aus dem Nettoergebnis aus Finanzgeschäften generieren. Die Großbanken hingegen haben diesen Bereich ausdrücklich zu einem unverzichtbaren Geschäftsfeld ausgebaut und setzen dabei viel stärker auf Derivate und strukturierte Anlagen mit all ihren Chancen und Risiken.

Den Primärbanken der Verbünde eine völlig fehlende Affinität zum Aktiensparen zu unterstellen, ist angesichts deren eigenen Anlageverhaltens gleichwohl voreilig. Ob sich Letzteres freilich auch in entsprechenden Anlageempfehlungen für die Kundschaft niederschlägt? Historisch betrachtet wurde in den Verbundorganisationen das Aktiengeschäft mit den Kunden stets ein wenig als Konkurrenz zum Einlagengeschäft betrachtet. Besonders deutlich zeigte sich das in der Sparkassenorganisation vor 50 Jahren bei den Diskussionen um die Gründung der Deka. Und auch seither erfolgt die stärkere Hinwendung der Verbünde zum Aktiengeschäft nur ganz allmählich und teilweise über das Vehikel der Aktienfonds. Indirekt sichtbar wird das bis heute an der Relation zwischen Zins- und Provisionsgeschäft in der Ertragsrechnung. Während die Großbanken in der einschlägigen Auswertung durch die Bundesbank in den vergangenen Jahren wiederholt über 50 Prozent ihrer Erträge im Provisionsgeschäft erzielten und einige Privatbankiers noch deutlich über dieser Quote liegen, waren das im Sparkassen- und Genossenschaftssektor allenfalls zwischen 25 und 30 Prozent.

Kein einheitliches Bild zeigt sich schließlich bei der Betrachtung der Zahl der börsennotierten Aktiengesellschaften. Zwar hat diese sich in Deutschland von den 851 aus dem Jahre 1999 nicht signifikant erhöht, sondern verharrt nach einem vorübergehenden Anstieg auf bis zu 989 in 2000 und 2001 mit 866 per Ende vergangenen Jahres allenfalls wieder auf dem betrachteten Ausgangsniveau. Aber eine ähnliche Entwicklung zeigt sich zum Teil auch an anderen Finanzplätzen. Ein sichtbarer Zuwachs lässt sich in dieser Zeitspanne unter den führenden Börsen lediglich für London (von 2 274 auf 3 307) sowie in Asien für Hongkong (von 708 auf 1 241) und Tokio (von 1 935 auf 2 414) registrieren, während die Euronext (von 1 634 auf 1 155), die Nyse (von 3 025 auf 2 273) und die Nasdaq (von 4 829 auf 3 069) teils erhebliche Abgänge zu verzeichnen hatten. Die Entwicklung in Deutschland korrespondiert dabei eng mit den Aktienemissionen inländischer Emittenten. Am Nominalwert gemessen wurde im betrachteten Zeitraum mit einem Volumen von 7,987 Milliarden Euro im Jahre 2001 der relative Höchststand erreicht, der dann schon in den beiden Folgejahren wieder auf rund 4,3 beziehungsweise 4,5 Milliarden Euro abflaute und im vergangenen Jahr noch 3,165 Milliarden Euro erreichte. Die gleiche Tendenz zeigt sich bei den Neuemissionen am Regulierten Markt der Frankfurter Börse. Während die Jahre 1999 und 2000 zweimal über 150 neue Börsengänge hervorbrachten, ist deren Zahl in der Folge zeitweise auf eine Handvoll geschrumpft (sechs im Jahre 2002, keine Einzige 2003 und fünf im Jahre 2004), um im vergangenen Jahr immerhin wieder auf 23 anzusteigen.

Wenn rund zwei Drittel der deutschen Kreditwirtschaft sich nicht an der Börse behaupten müssen, so darf an dieser Stelle zu Recht angemerkt werden, muss man sich vielleicht wirklich nicht wundern, dass das Going Public nicht zu den bevorzugten Finanzierungsinstrumenten der deutschen Unternehmen gehört.

An all diesen ausbaufähigen Verhältnissen der deutschen Aktienkultur etwas zu ändern, ist seit vielen Jahrzehnten das Bestreben von Rüdiger von Rosen, ab Mitte der neunziger Jahre als Geschäftsführendes Vorstandsmitglied des Deutschen Aktieninstitutes. Schnelle Erfolge hat er dabei nicht erzielen können und neben hoffnungsvollen Lichtblicken immer wieder Rückschläge erleben müssen. Zurzeit sind es nicht zuletzt die als zu hoch empfundene Belastung der Aktienerträge durch die beschlossene Form der Abgeltungssteuer und die politisch angepeilten Regelungen zur Mitarbeiterbeteiligung, die das DAI als besonders wichtig erachtet und zur Aufklärungsarbeit in Richtung Öffentlichkeit und Politik veranlasst. Die kompetente Arbeit an den Details von Aktionärsrecht-Richtlinie und Risikobegrenzungsgesetz, an Anfechtungsklagen, an Musterverfahren á la Telekom, an der SEC-Registrierungspflicht und der gegenseitigen Anerkennung von Rechnungslegungsstandards oder auch an den REITs-Regelungen, wie sie derzeit auf der Agenda stehen, sind für den Finanzplatz enorm wichtig. Sie taugen angesichts ihrer Komplexität und den schwierigen Wirkungszusammenhängen aber nur in seltenen Fällen für eine allgemeine Aufmerksamkeit. Der Einsatz von Rüdiger von Rosen für die deutsche Aktien- und Finanzplatzkultur wird dabei fraglos weiter gebraucht. Mo.

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